Aus »Der Seerosenritter«. Gedichte 1990, Vers 5137 bis 5176
LOTOPHAGEN
Wo der Golf der Großen Syrte
Grüßt das Land im Wüstenwind,
Skepsis den Besucher gürte,
Weil der Rausch dem Sonnenkind
Alles nimmt an Pflicht und Ehre,
Was vertraut und was bekannt,
Heimat hinterm Mittelmeere,
Muttersorg und Vaterland.
Im Gelag der Lotosesser
Weiß man weder Feind noch Krieg,
Ganz geschichtlos scheint es besser,
Daß nicht Reife nah der Wieg,
Seewinds Fächeln hegt die Tage,
Kinderreime Nacht und Traum,
Unberührt von Schmerz und Plage,
Weiß man auch vom Alter kaum.
Daß dies gleich dem Paradiese,
Meint seit alters manch Epheb,
Daß die holde Blumenwiese
Ängste lösch und Stimmung heb,
Hofft der Nascher, der die Muße
Nicht als strenge Herrin grüßt,
Und mit fessellosem Fuße
Jede Stunde würzt und süßt.
Doch das Glück ist nicht ein Falter,
Den betäubt der Blütenschmand,
Gott ist Schöpfer und Gestalter,
Und der Freie liebt die Hand,
Die dem Acker, Kraut und Nessel,
Abringt Korn und Knollenwurz,
Unter Mühen, Fluch und Fessel,
Loht die Freude rot und kurz.
Dies ist mehr als ein Behagen,
Das nichts weiß von Leid und Tod,
Flut und Feuer sollst du wagen
Für der eignen Hände Brot,
Was die Blumen dir versprechen,
Gelte nur, solang im Herd
Feuer schlingt die Jugendschwächen,
Und dem Wind die Mauer wehrt.