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Die Staatsbriefe

Ein ungehobener Schatz

Fast zehn Jahre ist es her, daß Richard Stoltz in der »Jungen Freiheit« über der Einstellung der »Staatsbriefe« von Hans-Dietrich Sander berichtete und bedauerte, daß es nicht gelungen sei, die Zeitschrift in jüngere Hände übergehen zu lassen. Schließlich hätten die zwölf Jahrgänge in der deutschen Presselandschaft einen starken Akzent gesetzt. Die Hoffnung, es könnte doch irgendwie weitergehen, hat sich nicht erfüllt. Erinnern wir uns, wie das Projekt seinen Anfang nahm.
Das erste Heft erschien im Januar 1990. Der Fall der Berliner Mauer hatte das Ende der DDR eingeläutet. Der Status quo der russisch-amerikanischen Doppelhegemonie, von den meisten als eine Nachkriegsordnung von langer Dauer begriffen, stellte sich plötzlich in Frage. Die befreienden Impulse schwappten in den Westen hinüber. Die Vereinigung stand vor der Tür. Denkverbote schienen aufgehoben, und die nationale Frage wurde in vielfältiger Weise und Radikalität diskutiert. Die Pressestimmen zu den »Staatsbriefen« zeigen im ersten Jahr neben harscher Kritik auch euphorische Zustimmungen, beileibe nicht nur in Organen, die als rechtsradikal gelten.
Helmut Kohls Parole von einem wiedervereinigten Deutschland in einem vereinten Europa ließ jedoch keinen neuen, souveränen deutschen Staat entstehen. Die Vereinigung vollzog sich im Interesse der Besatzungsmächte. Sie sollte die deutsche Wirtschaft nicht stärken und ein deutsches Nationalgefühl unterbinden. Im Zentrum des neuen politischen Gebildes stand die sukzessive Öffnung sämtlicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bereiche für die Globalisierung, die sich als schicksalshaft und unausweichlich artikulierte. Wickelte man zunächst die DDR ab, wurde alsdann die vergrößerte BRD, auch BRDDR genannt, zur Disposition gestellt. Nach einem kurzen Tauwetter wurden die Zügel im Meinungsbetrieb kräftig angezogen. Die Unterschiede zwischen dem »Spiegel« und der BILDzeitung ebneten sich ein. Ein Klima der Existenzangst schuf den Boden für vorauseilenden Gehorsam, der bis heute angehalten hat. Unter der Oberfläche der Restriktion schwoll der Groll des Volkes an. Die offiziöse Berichterstattung entwickelte sich umgekehrt proportional zur allgemeinen Misere, die offen vor aller Augen liegt.
Diese heraufziehende Misere ist in den »Staatsbriefen« vom ersten Heft an, genau erkannt und beschrieben worden – in sozialer, wirtschaftlicher, innen- und außenpolitischer, kultureller und religiöser Hinsicht. Ihre Kluft zu den Massenmedien nahm allmählich astronomische Formen an. Die Justiz begann, sich mit Meinungsdelikten zu befassen und die Gefängnisse mit politischen Häftlingen zu füllen. 1996 wurden auch die »Staatsbriefe« vor Gericht gezerrt – unter Beschlagnahme zweier Hefte.
Eine solche Lage ist für eine Zeitschrift denkbar ungünstig. Bei aller Fundamentalität braucht ein Periodikum öffentlichen Widerhall, Diskurse und Kommunikation. Wenn nach dem Fall der liberalen Masken sich Leser bereits vor Verkehrskontrollen fürchten, triumphiert die Isolationsmaschinerie.
Man kann auch heute kompromißlos eine Analyse der deutschen Zustände und eine Vision der kommenden Befreiung des deutschen Volkes vertreten. Man kann jedoch nur Zeichen setzen. Wir wollen damit aber nicht dem landläufigen, von unsreren Verknechtern gewünschten, Defaitismus das Wort reden. Gerade das dumpfe Unbehagen im Volk ruft nach einer entschlossenen und handlungsfähigen Elite, die der verordneten Alternativlosigkeit ihr verdientes Ende bereitet. Das hatte Peter Glotz schon vor den »Staatsbriefen« gefürchtet, als er 1989 Sanders »stilisierte Einsamkeit und kleistsche Radikalität« angriff, weil bereits tausend Anhänger zu viel für diese Republik wären. Das trifft sich ungewollt mit der Weisheit Friedrich Nietzsches, daß »Gedanken, die auf Taubenfüßen kommen«, die Welt verändern. Wir sollten uns also hüten, uns vor der Herrschaft der Nullen wie vor dem Antlitz der Medusa zu versteinern. Die Tausend ist keine astronomische, sondern eine real erreichbare Zahl. Die »Staatsbriefe« wurden gegründet, um eine solche Elite zu schulen. Das ist heute nicht nur nötiger, sondern bei dem erreichten Niedergang in Deutschland und der nahenden europäischen Implosion aussichtsreicher denn je.
Nichts ist so gestrig wie Zeitungen und Zeitschriften von gestern. Diese verbreitete Meinung mag manchen abhalten wollen, die Jahrgänge antiquarisch zu erwerben. Sie trifft indessen auf die »Staatsbriefe« in keiner Weise zu. Nicht allein sind viele ihrer Analysen immer noch aktuell. Aktuell ist noch mehr ihre Vision eines deutschen Staates, der über den Parteiungen, den Konfessionen, den Ideologien und den Profitinteressen steht, wie er sich um die ghibellinische Idee im Reich der Staufer und in Preußen als der Polis der Neuzeit zum Wohle des Ganzen vorbildlich herausgebildet hatte. Auch stellen nicht wenige in Fortsetzungen erschienenen Beiträge ein Buch für sich dar. Überhaupt erwartet den politisch Interessierten eine Fungrube an Fakten zur Zeitgeschichte, die ungewöhnlich gründlich und mit breitem Horizont kommentiert ist.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die zwölf Jahrgänge einen Kanon darstellen, den zu besitzen, man für unverzichtbar halten sollte Sie werden bei uns nicht gerade zu Ramschpreisen angeboten, aber die Erlöse fließen vollständig in die Neuauflagen und Neuerscheinungen der Werke Hans-Dietrich Sanders. Damit schließt sich der Kreis zum Beginn, als vom Ende eines Zeitschriftenprojekts die Rede war.
Ein Untergang ruft nicht nur bei Schiffen und Städten Schatzgräber auf den Plan. Bei den »Staatsbriefen« lohnt sich die Schatzgräberei in zweierlei Hinsicht. Zum einen päsentieren sie viel zu wenig rezipierte Texte, die strategisches und taktisches Rüstzeug für die kommenden Auseinandersetzungen schaffen. Zu anderen schafft der Käufer die materielle Grundlage für die Weitergabe der unverfälschten Historie und der sich aus ihr ergegebenden Perspektiven an die jüngeren Generationen – für und über Deutschland.