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Aus »Zweifelsbachgrund«. Gedichte 2010   Vers 34587 bis 34706

ZWEIFELSBACHGRUND


I

Mit Euphrat und Tigris, dem Zweiströmeland
Macht dich erst die Schul und die Buchwelt bekannt,
Doch eh du entziffertest Zeichen und Satz,
Hast du dich gebildet bei Amsel und Spatz,
Vom Storch auf dem Dach ward die Mittellag kund,
Denn du bist gewachsen im Zweifelsbachgrund.

Zwei Bäche, der Zweifel als Urwort für zwie,
Nach Ost und nach West, und die Quellmelodie
Erschien dir noch holder als Vogels Gesang,
Das schlichte zu würdigen, irrtest du lang,
Doch was auch bestimmt sei dem Herzen, dem Mund,
Es liegt dir beschlossen im Zweifelsbachgrund.

Du warst an der Donau, der Weichsel, dem Rhein,
Du wolltest ein Adler und hochgemut sein,
Die Alpen, der Kaukasus und der Olymp,
Sie haben den Bergsteigerrücken gekrümmt,
Doch machen die Meere die Welt dir nicht rund,
Wohl aber die Teiche im Zweifelsbachgrund.

Nicht sprach Salamander aus gnostischer Schrift,
Wohl aber dem Kinde, das streunend ihn trifft,
Die Schlange, die Wüstenaltäre bethront,
Sie hat dir im Bache als Natter gewohnt,
Der Vorwitz der Maus, und so fing sie der Hund,
Du hast ihn erfahren im Zweifelsbachgrund.

Den Zweifel von Buridans Esel begreift,
Wer zwischen der Fülle des Lieblichen schweift,
Wer also beschenkt ward auf engestem Raum,
Der zweifelt allein, ob es wahr oder Traum,
Im Glitzern des Taus wird die Aue zu Punt,
Doch niemals beraubt wird der Zweifelsbachgrund.

Die Goldsucher, die sich verzehren im Neid,
Sie haben den Geist nicht des Viehs auf der Weid,
Sie jagen nach Schätzen aus Flitter und Tand,
Wer aber nach Eden ganz mühelos fand,
Der pfeift auf das Protzen mit Schwindel und Schund,
Denn er ist begnadet im Zweifelsbachgrund.

Dies ist nicht nur Buchen- und Pilzparadies,
Des Märchens Obwalter und Springborn für dies,
Im Glitzern der Tannen, in Eichenbaums Hohl
Erlauschst du der Ahnherren Wahnweh und Wohl,
Und was du auch suchtest, dir wurde der Fund
Sofort oder später im Zweifelsbachgrund.

Drum höre ein jeder, der zweifelt und hofft,
Die Wahrheit ist näher und unbemerkt oft,
Die Quelle, die dich in die Fährnisse spie,
Versiegt nur in dir, doch im Ursprunge nie,
Drum kehre nach Wanderschaft wehe und wund
Ins Heil und erkenn es als Zweifelsbachgrund.


II

Wir nähern dem Einen uns stets durch die zwei,
Wir scheiden und finden die Einheit dabei,
Nur wenn wir es wagen, gespalten zu gehn,
Erschließt sich das Bild, das gerastert wir sehn.

Die Dinge sind nicht allein Form und Substanz,
Auch ihre Materie ist zwiespältig ganz,
Wer aber beleuchtet den inneren Stoff,
Nur Weisheit in aller Bescheidenheit hoff.

Chymisten in alter und neuerer Zeit
Der Lösung der Rätsel mal näher mal weit
Sich wähnten, doch wisse, ob Krone, ob Keim,
Der Geist und die Seele sind klar wie geheim.

Als Geist gilt dem Forscher die innre Struktur,
Das Muster, nach welchem der Schöpfer verfuhr,
Als Seele hingegen die Affinität,
Die, Wunsch und Versuchung, im Stoffe besteht.

Wir glauben, im letzten fall beides in eins,
Und doch wird der Deuter ein Opfer des Scheins,
Erscheint ihm der Gipfel, den grad er erklomm,
Als hinreichend, daß nur Bestätigung komm.

Was leuchtet als Wiederkehr, Not und Gesetz,
Ist stets nur ein Stein, der die Klinge uns wetz,
Die Ähnlichkeit, die der Gestalt allgemein,
Die Einzigart kreuzt, die im Kerne geheim.

Der Geist will die Regel, die Fallsymmetrie,
Die Seele doch raunt ihm, die gäbe es nie,
Der Geist setzt die Linien gerad, parallel,
Der Seele ists Grund, daß sie ganz sich verhehl.

Drum wird ohne Liebe auch dein Theorem
Ein grobes Verkennen, das höchstens bequem,
Nur wer der Natur ihre Eigenheit läßt,
Dem setzen die Löcher die Räder nicht fest.

Und darum beirr auch der glücklichste Fund
Den Zweifelnden nie, daß ihm weniges kund,
Den wer sich erhebt, geht sich selbst auf den Leim,
Denn alles, was ist, ist im letzten geheim.


III

Vertrau auf die Maße und schließ analog,
Doch nehme gefaßt, daß der Spiegel dich trog,
Sei stets dir bewußt, wenn in einen du schaust,
Daß du dir den Blick in die andern verbaust,
Es sei die Verblüffung, die fröhlich dich mach,
Den eins ist der Grund, aber doppelt der Bach.

Verfeme dein Eden als dumpf nicht und Schleim,
Die leichte Verschiebung beseelt erst den Reim,
Wo immer es hieß, daß die Linie beginnt,
Erschien dir am Ende das Pfad-Labyrinth,
Mit jeglichem Stocke entfernt sich das Dach,
Denn eins ist der Grund, aber doppelt der Bach.

Wer Sonne begehrt, nicht verachte die Nacht,
Sie ists, die dem Tage die Säulen gemacht,
Wem alles vertraut, das bedeutende seis,
Verzag nicht im Eindruck, er schreite im Kreis,
Allein was dich schläfert, macht anderntags wach,
Denn eins ist der Grund, aber doppelt der Bach.

Das Edle verlangt, das ein anderes rüd,
Der Mut erst ermöglicht das sanfte Gemüt,
Das sorgsam Gefügte, stabil, bewährt,
Auf Schmetterlingsflügeln durchs Abendrot fährt,
Wer findet, der sorgt sich, wie selbst ers entfach,
Denn eins ist der Grund, aber doppelt der Bach

Vergiß nie, daß Weisheit zuletzt Poesie,
Denn aus dem Komplexen das Schlichte gedieh,
Im Tode erhoff nicht die Einfalt der Spur,
Den jeglicher Wandel ruft Wandlungen nur,
Dir gelte als Freiheit, was anderen Schach,
Denn eins ist der Grund, aber doppelt der Bach.

Aus turmhoch Gehäuftem beliebig nicht wähl,
Mit Wissen und Liebe beschreib und erzähl,
Glaub nie, daß das eine dem anderen feind,
Denn zwiefach hat Gott seine Schöpfung gemeint.
So spür, daß im Rätsel der Rater dir lach,
Denn eins ist der Grund, aber doppelt der Bach.