Aus »Heliodromus«. Gedichte 1993, Vers 7148 bis 7195
LETHELICHT
Libelle vibriert im Geflimmer
Der Hitze, von Schemen umringt,
So dünn, wie von Nirgends und Nimmer
Die Grille am Ufersaum singt,
Und niemand, der hold oder grimmer
Gebärde ein Zeichen vollbringt,
Doch hoffst auf Blitze noch immer
Und auf einen Gott, der sie schwingt.
Flußfahrt, unter Himmeln zu reisen,
Figuren, zerklüftet, gezackt –
O Gleichmut in wellenden Kreisen,
Die Furcht und Entsetzen nicht packt –
Ein Lied nicht, wie einst es die Meisen
Im Baum sangen, frühlingsbeflaggt,
Nur einmal im ahndungsweis Leisen
Schaust du noch dich selber und nackt.
Einkehr in die Träume der andern,
Wie Sumpfgas aus Schlicktiefen schnellt,
Mit Einhörnern und Salamandern
Die Spiegel durchschreiten der Welt –
Und doch, auf den sanften Mäandern
Fragt alles, was kommt und verfällt:
Was hilft es durch Herzen zu wandern,
Die morgens ein Lichtstrahl zerschellt.
Dem Leben liegt nichts an den Toten,
Der Atem macht untreu, die Nacht,
Empfänglicher noch für die Boten,
Führt Sorgen und Trümmer als Fracht,
Und löst du geduldig den Knoten,
Das Netz, das den Schweifer verlacht,
Die Flammen der Lippen verlohten,
Und niemand ist frei, der sie facht.
Kehr heim, doch was war, ward zunichte,
Was Wachen und Wehen noch trennt,
Erinnerung oder Geschichte,
Wie sie diese Landschaft nicht kennt,
Verlor die ererbten Gewichte
Und sagt, bis sie taumelnd verbrennt,
Daß sie dich zu nichts mehr verpflichte,
Kein Los deiner Sehnsucht verschwend.
Libelle vibriert in der Hitze,
Und seltsam erleichtert vermißt
Du nicht mehr die göttlichen Blitze,
Als Gast, der du immernoch bist,
Verschließt du entbunden die Ritze
Zu Wechsel, Gestaltung und Frist,
Und löschst wie der Zeichner die Skizze,
Und trinkst aus dem Strom und vergißt.