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Aus »Die alte Linde. Erstes Buch«. Gedichte 2012, Vers 39930 bis 39977

DIE LINDE


Ob Kiefer, ob Kreuzdorn, ob Erle
Ob Birke, ob Birne, ob Buchs,
Es trumpfen die Maiden und Kerle,
Doch weiblich ist hierbei der Dux.
Daß Adam den Apfel auch finde,
Der Eichbaum auf Jupiter blick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.

Die Pappel schießt rascher als jeder,
Die Kirsche ruft Amsel und Star,
Die Quitte im pelzigen Leder
Macht manche Likörträume wahr,
Sei Eschen auch reichres Gesinde,
Die Eibe der Schlange ein Trick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.

Platane verfügt sich Rondellen,
Die Ulme besing im Sonett,
Der Goldregen wird dir bestellen
Sankt Barbaras güldene Mett,
Mag Räusche kredenzen die Winde,
Ist Lorbeer Homeren der Kick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.

Der Meister Verzweigens Liguster
Setzt quirlig die Triebe nach vorn,
Er bringt dir durchkreuzende Muster
Wie Rosen mit wucherndem Dorn,
Mag wirren wie Schlegels Lucinde
Holunder mit Macht und Geschick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.

Wo Minne sich sagt im Gefasel,
Daß Romeo und Tristan so hold,
Die Nachtigall flötet im Hasel
Für Julia und auch für Isold,
Der Buchenstab Zeiten verbinde,
Aus Weiden dir Tragkörbe flick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.

Kastanien vermögen zu nähren,
Wenn sonst ist zu haben kein Stück,
Der Pflaumenbaum darf dir gewähren,
Den Schatten von kindlichem Glück,
Der Zimtahorn prunkt mit der Rinde,
Der Flieder mit Liebduft dich zwick,
Die Vielfalt der Formen der Linde
Macht keiner so alt und so dick.