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Aus »Schnitterfest«. Gedichte 2011, Vers 38735 bis 38806

LINGARAJA


Der Geist von Thing und Thule
Ward luftig und modern,
Doch deutscher Dichterschule
Aufging ein neuer Stern,
Der alles weckte, wagte
Wie Ritter Lanzelot,
Bis er zum Abschied sagte:
Ich bin der Phallus-Gott.

Dies war ihm keine Zote
Und keine Parodie,
Für Lebende und Tote
Tat er so ernst wie nie,
Er dichtet von der Seele
Und macht sein Schifflein flott,
Daß stünd auf Grab und Stele:
Ich bin der Phallus-Gott.

Wer kennt das Marktgerechte,
An Feuchtgebiete denkt,
Daß er gern spiegelfechte,
Hat man ihm noch geschenkt,
Auch daß er sich galanter
Erdachte als sein Trott,
Nun sagt er es prägnanter:
Ich bin der Phallus-Gott.

Ihr mögt ja tun und streiten,
Mir ist die Wahrheit Spleen,
Ich seh das Loch der Zeiten
Am Speer vorüberziehn,
Ob hier ein Wiedertäufer,
Ob da ein Hugenott,
Es spricht der Samen-Träufer:
Ich bin der Phallus-Gott.

Sich sitzend fliegen träumen,
Dies tut gewiß kein Aar,
Sich so bequem versäumen
Im Orient Tugend war,
Der Pascha, nicht der Gote
Zeigt sich in solchem Spott
Und daß das Fazit drohte:
Ich bin der Phallus-Gott.

Der Harem der Muslime
War noch zu sittenstreng,
Und also lief der Mime
Zu Mao und zu Deng,
Daß ihn der Drachen lehre,
Sein Auswurf sei La Motte,
Doch fehlte ihm die Ehre:
Ich bin der Phallus-Gott.

Der Lingam, der ihn nächtlich
Und morgens schon verhunzt,
Wo Schlangen sind verächtlich,
Bloß schweinisch gilt der Kunst,
Doch stehn am Indus offen
Gemächt und Fauns Gezott,
Drum heißt ihn Shiva hoffen:
Ich bin der Phallus-Gott.

Den Samenstrom zu wagen
Zu Stier und Wassermann –
Es wird den Psalm ertragen,
Wer dies nicht besser kann,
Und Deutschland sei empfohlen,
Weil seine Dichtung Schrott,
Mögs doch der Teufel holen –
Ich bin der Phallus-Gott.

Wer stieg zu solcher Größe,
Den bindet kein Gericht,
Den schrecken keine Schöße
Und auch der Henker nicht,
Weil Köpfe ja entbehrlich,
Bleibt selbst auf dem Schafott
Die frohe Botschaft ehrlich:
Ich bin der Phallus-Gott.