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  Uwe Lammla
DAS BLAUE LICHT

Bei den Modalitäten des Lebens, die wir im Deutschen mit den Zeitworten dürfen, sollen, müssen, wollen und können ausdrücken, bezeichnen drei die Fremdbestimmung und zweie die Selbstbestimmung, nämlich Wille und Kunst. Daß einer Künstler sei, ist eine Gnade, also keine Selbstbestimmung. Goethe spricht von den angeborenen Verdiensten. Daß solche Talent und Begabung seien, wird nur von Ideologen der absoluten Voraussetzungslosigkeit bestritten. Ein weiteres muß hinzutreten, eine Vision und Sehnsucht, ein innerer Zwang zum Ausdruck, ein Kein-Genügen-Finden an dem platt Notwendigen, ein unbändiger Wunsch nach Verzauberung. Bringt diese innere Not einen starken Willen hervor, seinem Stern zu folgen, hart gegen sich und die Welt, immun gegen Widerspruch und Schmeichelei, dann entsteht große Kunst. Und weil in jeder realen Kunst sich der Wille deutlicher manifestiert als in jeder anderen Willensäußerung, erscheint die ursprünglich nicht selbstbestimmte Kunst als die Krone der Selbstbestimmtheit.
Ein solcher Kunstbegriff beschränkt sich nicht auf die klassischen Musen. Er steht für alles, was innerer Begabung und innerer Not entsprungen ist und sich mit unabdingbarem Willen vermählt. Kunst ist ein aufs Ganze gehen. Alle Menschen tragen Sehnsucht danach, aber nur wenige entwickeln den andauernden Willen. Dies ist auch gut so. Denn das Leben ist nur ausnahmsweise selbstbestimmt, die Regelparameter lauten Not und Norm, Mangel und Grenze. Hoch ist die Latte gelegt für jene, die Bleibendes schaffen. Aber für alle ist ihr Reichtum bestimmt. Der Künstler sollte nie vergessen, daß seine Erwähltheit vom Volk getragen wird und darum auch alles, was ihm geschenkt wird, diesem gehört.
Das Bleibende meint nicht unbedingt die physische Dauer in der menschlichen Historie. Setzt man diese absolut, so gehört der Kranz der Baukunst, zuerst den Pyramiden, die aus einer uns ganz fremden Welt unübersehbar herüberragen. Die Musik hat gar keinen Ort im Raume und wandelt sich im Zeitenlauf, wenn sie etwa nach einer Partitur wiedererweckt wird. Eine Schlacht der Kriegskunst ist überhaupt nicht wiederholbar, aber Legenden und Lieder preisen den großen Feldherrn. Vieles Vergessene wird zuzeiten wiederentdeckt. Wir haben keine Vorstellung, wie sich die Hierarchie der Künste vor Gottes Auge darstelle.
Die Moderne hat einen anderen Künstlerbegriff entwickelt. Ein begabter Mensch, der sich über die überkommene Rollenverteilung hinwegssetzt. Dies aber nicht, um seinem Werke zu dienen, sondern um zu zeigen, daß jedermann töricht ist, der nicht tut, was ihm Spaß macht. Dem Vorwurf des Schmarotzertums begegnet er mit der Aufforderung, es möge ihm doch jeder gleichtun, er mißgönne es keinem. Natürlich weiß auch der Verblendetste, daß dies niemals geschehen wird. Denn die meisten Menschen lassen sich lieber beschimpfen und verspotten, als sich selbst eine so alberne Pose zuzumuten. Sie wissen, daß sie keine Künstler sind, eben, weil sie eine ungefähre Vorstellung haben, was Kunst sei. Auch nehmen sie den Schimpf des Lebenskünstlers nicht besonders wichtig, weil sie wissen, daß er diesen ja nicht ganz ernst meinen kann. Er selbst weiß das natürlich auch und meistens weiß er auch, wie weit er gehen kann. Aber während er für die Nichtkünstler nur eine dosierte Herablassung mimt, empfindet er gegenüber dem echten Künstler, der Kraft, Gesundheit und jedes sonstige Glück seinem Werke opfert, unzähmbaren Haß. Denn dieser beweist ihm seine Anmaßung. Solange es noch echte Künstler gibt, ist die Welt für den Lebenskünstler ein Tanz auf dem Vulkan.
Ich habe jüngst abfällig über die Wende vom Gedicht zum Roman geurteilt und dabei auch darauf hingewiesen, daß der Roman schon Elemente des Films vorwegnimmt. Es erscheint also als Widerspruch, wenn ich nun eine Filmkunst preise. Dem muß entgegengehalten werden, daß zunächst die Voraussetzungen grundverschieden sind. Leni Riefenstahl wollte niemals eine Dichterin sein, die wegen mangelndem Können oder mangelnden Aussichten beim Publikum zu einem modernen Metier griff. Zum anderen stand ihr die Pose fern, zum Symbol ihres Zeitalters zu werden. Ihre Kunst hat sehr wenig mit dem Gedicht oder auch der Musik zu tun, viel näher steht sie der Architektur oder der Bildhauerei. Hauptkennzeichen ihrer Kunst ist ein entfesseltes Arbeitsethos, geradezu eine Raserei des Schöpferischen. In diesem Zusammenhang sind die zahllosen Diener, denen sie im Schnitt zu Leibe rückt, nur Verlängerungen ihrer eigenen Plackerei.
Im übrigen habe ich nicht zufällig »Das blaue Licht« aus diesem langen Künstlerleben vom Tanztheater bis zu den Unterwasserfilmen ausgewählt. Hier gestaltet Leni Riefenstahl nicht nur ihren ganz persönlichen Mythos, die Umstände der Produktion von der Finanzierung, die Verwendung von Laiendarstellern, die Improvisationen bei den Dreharbeiten, das Changieren mit persönlichen Beziehungen, die zum Teil sehr unerfreuliche Nachspiele hatten, zeugen vom Ausnahmecharakter dieses Films, der so ganz und gar nicht den Gepflogenheiten der Filmbranche entspricht. Hier zeigt sich in zugespitzter Form das Janusgesicht des Künstlers als Avantgarde und archaischer Traum.
Leni Riefenstahl bekam 1932 nach der Uraufführung im Ufa Palast am Berliner Zoo einen ersten Vorgeschmack, wie verletzend die sogenannte öffentliche Meinung sein kann, ab 1945 wurde dieses Treiben zum dauernden Lebensbegleiter. Bevor ich den Film skizziere und darstelle, warum er den Schlüssel zu dieser Frau darstellt, will ich die Gründe für diese Verdammung darstellen, die kein Künstler sonst über so viele Jahre hinweg erlebte.
Zunächst einmal wurde Frau Riefenstahl angegriffen, weil sie eine große Künstlerin ist. Nachdem seit 1945 nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt in der Welt echte Künstler dem Einhorn immer ähnlicher werden, ist die Menge der Angriffsziele ziemlich begrenzt. Gleichzeitig hat sich die weiter oben beschriebene Klasse der Lebenskünstler drastisch vermehrt und damit der Wunsch, solche Angriffe auszuführen. Leni Riefenstahl muß also stellvertretend für viele, die es nicht gibt, Angriffe dulden.
Zum zweiten wird sie angegriffen, weil sie freundschaftlich mit Adolf Hitler verkehrte, von ihm gefördert wurde und Auftragswerke von ihm annahm. Man verlangt fortwährend von ihr eine Definition dieses Verhältnisses und konfrontiert sie dann mit Widersprüchen. So schafft jede Verteidigung neue Angriffswaffen. Es war privat nicht politisch – ja, war es dann erotisch? Wenn es privat war, wieso war sie dann bei so vielen offiziellen Veranstaltungen dabei? Die Biographen haben recht, wenn sie schreiben, daß Leni Riefenstahl sich windet. Aber was tut man während der Folter? Die Wahrheit sagen? Will etwa irgendwer die Wahrheit hören?
Die Wahrheit hat Leni Riefenstahl niemals eingestanden. Sie hätte es vielleicht getan, wenn sie 1945 schon so alt gewesen wäre, daß sie ihr Werk als abgeschlossen betrachtet hätte. Sie aber wollte unbedingt, auch mit bescheideneren Mitteln, in einer Nische, auf einem entlegenden Schauplatz, erst in Afrika, dann tief unter Wasser, weitermachen, ihrem Stern folgen, Kunst machen. Denn ein Künstler, der keine Kunst mehr macht, hört auf, einer zu sein. Jeder echte Künstler weiß das. Was ist die Wahrheit, wenn es um das Überleben geht?
Die Wahrheit ist, daß sie von Hitler angezogen wurde, weil er Künstler war. Und weil sie wußte, daß ein Künstler an der Macht Möglichkeiten bietet, wie sie nicht jedes Jahrhundert kennt. Insofern stimmt es, daß ihr Motiv metapolitisch war, aber nur in dem Sinne, indem auch Hitlers Motive metapolitisch waren. Ein solches Eingeständnis ist im Nachkriegsdeutschland inakzeptabler als jeder Opportunismus. Leni Riefenstahl wollte sich aber auch nicht auf Opportunismus festlegen lassen, sie hat sich auf keine Unwahrheit festgelegt, aber gleichwohl die Wahrheit verschwiegen. Das bringt jeden Inquisitor zur Raserei.
Daß Hitler hier als Künstler bezeichnet wird, mag mancher als Provokation verstehen. Es ist hier nicht der Ort, Hitlers Kunst zu bewerten. Es soll nur gesagt sein, daß es sich jene zu leicht machen, die Bilder zerstörter deutscher Städte präsentieren und hinzufügen, dies sei das Ende vom Lied. Es ist nicht das Ende. Jede von Hitlers Reden wird täglich hundertfach im Netz aufgerufen und gehört. Über niemanden gibt es so viele Bücher. Niemand wird in dieser Weise zum Maßstab von Anschauungen, Denkweisen und Lebenseinstellungen gemacht. Niemand muß als Ursache so vieler Dinge des Lebens herhalten. Freilich sind die meisten Bezüge auf Hitler voller Schimpf und Empörung. Aber wenn man den englischen Spruch »Every press is good press« ernst nimmt, dann ist Hitler der erfolgreichste Künstler aller Zeiten.
Der dritte Angriffspunkt ist ihre Rolle als Frau. Viele Mythen um das Dritte Reich werden mehr oder minder erfolgreich angegriffen, aber einer scheint mir weithin unwidersprochen. Weil der Nationalsozialismus die von Linken propagierte Emanzipation der Frau ablehnte und in der Politik keine Frauen wünschte, erscheint es allgemein einleuchtend, Hitler und seine Helfer wollten Frauen ausschließlich als Nachwuchsproduzenten und Haushaltsspezialistinnen sehen. Dabei ist die Absurdität dieser Ansicht offenkundig wie kaum eine andere. Nicht nur, daß die Realität im Dritten Reich entgegengesetzt war, nie zuvor seit Beginn der Industrialisierung waren Frauen so selbstbewußt und so aktiv in öffentlichen Dingen, auch die Propaganda spricht eine ganz andere Sprache. Wenn man sich die preisgekrönten Filme dieser Zeit anschaut, dann findet man ausnahmslos ganz andere Frauengestalten, als uns der Heimchen-Mythos weismachen will: selbstbewußte, mutige, entschlossene, prinzipienfeste. Oft beschämen sie Männer.
Natürlich ist die angebliche Frauenunterdrückung im Dritten Reich einer der Hauptstützpfeiler aller Emanzipationsspinnerei bis hin zum Feminismus. Zum Pech der Frauenbewegten sind die meisten Frauen nicht lesbisch und wissen instinktiv, daß eine Befreiung der Frau nicht die Verminderung des Geschlechtsunterschiedes bedeuten kann. Aber Frau Riefenstahl, die leibhaftig zeigt, daß eine starke Frau gerade im Dritten Reich Höhen erreichen konnte, die sie sonst nicht hätte erreichen können, und die noch dazu die Frechheit aufbringt, nach der Verfemung weitere Triumphe zu feiern, muß natürlich den Zorn derer auf den Plan rufen, die Rechte lieber einklagen als sie zu erarbeiten.
Im »Blauen Licht« geht es nicht um eine starke Frau, die sich in der Männerwelt durchsetzt. Das Mädchen Junta, das mit ihrem viel jüngeren Bruder, Schafen und Ziegen fern von der Dorfgemeinschaft in einer Almhütte lebt, weicht der Gesellschaft aus. Die Sprachgrenze isoliert sie zusätzlich, sie und ihr Bruder sprechen italienisch, während im Dorf deutsch gesprochen wird. Sie lebt ihre eigene Religion. Nahe dem Gipfel des Monte Cristallo befindet sich eine Bergkristallhöhle, die in Vollmondnächten ein geheimnisvolles Licht in den Tälern sehen läßt: das blaue Licht. Dem Mädchen, das kletternd den Zugang zur Höhle gefunden hat, ist es die Stätte der Andacht und Anbetung, den Dorfbewohnern aber die Verheißung von märchenhaftem Reichtum. Immer wieder machen sich junge Männer, von der Erscheinung verführt, auf, den Zugang zur Höhle zu ersteigen, sie scheitern am bröckligen Gestein oder entgegenkommendem Steinschlag, zerschmettert werden sie ins Dorf getragen. Junta nimmt manchmal einen lose liegenden Kristall aus der Höhle fort, nachdem sie sich vergewissert hat, daß der Geist des Berges ihr Handeln billigt. Um einige lebensnotwendige Dinge zu erwerben, versucht sie den Kristall im Dorf zu verkaufen, wenn sich ein Geschäftsmann dort aufhält.
Zum Beginn des Filmes kommt mit einer Postkutsche ein Maler ins Dorf, der offenbar in Rousseauscher Grille der Großstadt entflohen ist und Gesundung in dieser Abgeschiedenheit sucht. Junta bemerkt die Kutsche und wandert mit einem prächtigen Stein hinab ins Dorf. Dort ist bereits ein Händler am Taxieren der Bergkristalle, die ihm die Bauern anbieten, er findet sie sämtlich mickrig und wertlos. Der Maler bemerkt bereits bei seiner Ankunft ein merkwürdig gestaltetes Kruzifix und erhält bei seiner Nachfrage die Auskunft, dies seien die viele abgestürzten jungen Burschen, das blaue Licht laste als ein Fluch auf dem Dorf. Er wird Zeuge, wie Junta, argwöhnisch betrachtet, in einem Biergarten erscheint. Als der Händler den prächtigen Stein in der Hand des abgerissen daherkommenden Mädchens erblickt, nimmt er ihr den Stein ab und macht Anstalten, das Mädchen um diesen Reichtum zu prellen. Es kommt zu einem Gerangel. Nur dadurch, daß sie ihm in die Hand beißt, gelingt es ihr, den Stein zurückzubekommen und zu fliehen. Der Gastwirt belehrt den Fremden, daß es sich bei Junta um eine Hexe handeln müsse, da ihr gelänge, was so vielen Burschen zum Verhängnis geworden sei.
In der nächsten Vollmondnacht bekommt der Maler selbst Gelegenheit, das Naturschauspiel zu bewundern. Gleichzeitig macht wieder ein junger Mann den Versuch, den Schatz zu gewinnen, und wird am nächsten Tag tot auf einer Trage geholt und vor der Haustür der Mutter abgelegt. Von dieser Sache nichts ahnend, unternimmt Junta einen neuerlichen Versuch, den Stein im Dorf zu verkaufen. Dabei geschieht es, daß die Mutter des Erschlagenen Junta erblickt und als Schuldige verflucht. Dies reißt die Bauern aus ihrer Lethargie, die Jagd auf das Mädchen beginnt. Das Mädchen flieht durch die Gassen, entkommt durch Hakenschlagen und ein Ausweichen durch Stallungen und Winkel, aber da sich immer mehr Bauern an der Verfolgung beteiligen, wird sie schließlich erwischt. Hier schreitet der Maler ein, der aus dem Fenster springt und sich in den Tumult mengt. Aus dem kleinen Vorsprung, den das Mädchen hierdurch gewinnen kann, wirft sie mit dem wertvollen Stein, wohl wissend, daß im Streit um diesen Reichtum mancher die Verfolgung aufgeben wird. Einige verfolgen sie dennoch bis zu dem Fluß, hinter dem der Wald beginnt. Die Dörfler benutzen hier eine Brücke, das Mädchen watet immer durchs Wasser. Die Bauern sehen dies als Grenze ihres Reichs, jedenfalls wird an dieser Stelle die Verfolgung abgebrochen.
Der Maler ist fasziniert von dem Mädchen und dem Geheimnis, das es umgibt. So geht er auf eigene Faust los, sie zu suchen. Sie bemerkt ihn und es entwickelt sich eine Art Lock- und Versteckspiel. Der Bruder ruft nach ihr, als der Maler nun in die richtige Richtung geht, duckt sie sich im Gesträuch. Als er meint, sich geirrt zu haben und sich abwenden will, läßt sie einen frisch angebissenen Apfel vor seine Füße rollen. Als er auf das Versteck schaut, duckt sie sich tief, aber als er in die Gegenrichtung schaut, blickt sie ihm nach. So kann er ihr Spiegelbild im See erkennen.
Indem er sich einfach in ihre Hütte begibt und sich dort auf die Bank setzt, bricht der Maler das Spiel ab. Sie kommt selbst und gebietet ihrem Bruder, dem Gast Milch zu geben, was dieser höchst unwillig tut und dabei die Hose des Malers bekleckert. Daraufhin greift sie selbst ein und bedient ihn persönlich. Er schwämt davon, wie herrlich es in dieser Einfachheit sei. Zur Nacht begibt er sich zurück ins Dorf. Beim Abschied bringt er das Mädchen dazu, ihm die Hand zu reichen, was ihm vorher nicht gelungen war.
Am nächsten Tag muß er im Dorf erleben, daß das Mißtrauen, das gegen Junta besteht, nun auch ihn selbst trifft, und so packt er kurzentschlossen seine Sachen. Mit Brot und anderen Lebensmitteln taucht er bei Junta auf, und sieht als einziges Problem die Anzahl der Schlafplätze. Junta hat jedoch kein Problem damit, daß er nur wenig von ihr entfernt schläft. So zieht der Maler in die Schäferhütte ein und meint der Sommer würde nie ein Ende nehmen. Juntas Bruder bleibt aber weiterhin reserviert. Während er mit den Schafen unterwegs ist, zeichnet der Maler das ihn faszinierende Naturgeschöpf. Die sprachliche Verständigung verbessert sich gleichwohl nicht.
In einer Vollmondnacht bemerkt der Maler Juntas Unruhe und wie sie sich schließlich davonschleicht. Er folgt ihr unbemerkt und findet so den einzigen gangbaren Weg zum blauen Licht. Als er nach ihr in der Grotte auftaucht, erschrickt sie furchtbar, er versucht sie durch Umarmungen zu trösten. Später in der Hütte redet er auf sie ein, der Schatz müsse gehoben und damit vom Fluch zum Segen werden, das Dorf würde glücklich werden und sie brauche nicht mehr in Lumpen herumzulaufen. Es wird überaus deutlich, daß Junta ihn nicht nur wegen der Sprachbarriere absolut nicht versteht. Er gibt es schließlich auf, läßt sie angstvoll und verstört zurück und geht ins Dorf.
Dort ist wieder ein Toter zu beklagen, aber nachdem der Maler einigen Männern den gangbaren Weg zu der Grotte skizziert hat, haben viele keine Zeit mehr für die Kirche. Leitern, Tragekörbe, Hammer und Meißel trägt ein langer Zug, dem eine Schar von Frauen nachblickt. Offenbar sind die Dörfler entschlossen, die Angelegenheit mit einer einzigen Aktion zu bewältigen. So geschieht es auch. Der Bergkristall wird aus dem Gestein gehackt und die Grotte vollständig entleert. Danach wird mit Musik gefeiert, und dem Maler wird von zwei Seiten gleichzeitig Wein nachgeschenkt. Nach einigen gescheiterten Versuchen, ins Bett zu kommen, gibt er sich völlig dem Trunke hin.
Am nächsten Tag bemerkt Junta Kristallsplitter und Werkzeug auf tiefer liegenden Felsvorsprüngen und macht sich sorgenvoll auf zum blauen Licht. Sie findet die Grotte in beispielloser Trostlosigkeit, Leitern und geborstene Hämmer liegen herum, wo einst Glanz und Heiterkeit herrschten. Sie ist innerlich zerstört und hat ihre jugendliche Gewandtheit eingebüßt, ganz stumpf trottet sie, bis sie schließlich in den Tod stürzt. Nachdem der Maler den Rausch ausgeschlafen hat, findet er Juntas Leiche.
Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, eine junge Bergsteigerin kommt in männlicher Begleitung per Automobil in dem Dorf an, von lärmenden Kindern umringt. Als Touristen-Souvenir werden Bilder der Junta gehandelt. Die Bergsteigerin, wie auch die Junta von Leni Riefenstahl selbst gespielt, ist fasziniert von diesem alter ego und erkundigt sich nach dem Wahrheitskern hinter diesem Kult. Darauf bringt man ihr einen dicken Folioband, mit dessen Aufschlagen die innere Handlung beginnt. Im Abspann der eingebetten Vergangenheit ist im Epilog des Buches zu lesen, daß das Dorf sich wegen der Verfemung von Junta schäme und daß dieses Mädchen dem Dorf viel Glück und Reichtum gebracht habe.
Diese umfangreiche Inhaltsangabe einer eher schlichten und geradlinigen Handlung war notwenig, wie man sehen wird. Manches Details ist bedeutsam in Bezug auf die Fragen, die uns hier beschäftigen. Es wird immer wieder die Frage nach der Urheberschaft dieses Films gestellt, wozu der 1938 geänderte Vorspann Anlaß gibt. Zweifellos sind bei Leni Riefenstahls Erstling viele Ideen eingeflossen, und fachkundigen Beistand hatte sie sicher nötig. Gleichwohl besteht das Ergebnis aus einem Guß. Es gleicht der Frage nach der Henne und dem Ei, wollte man feststellen wer zuerst diesen oder jenen Gedanken ausgesprochen habe. Sicher ist, daß nichts in dem fertigen Film blieb, was nicht Leni Riefenstahls ureigenstem Traum entsprach. Und darum ist es legitim, wenn sie die alleinige Autorschaft beansprucht.
Vordergründig betrachtet ist dies ein Film über die Gier nach Reichtum und die Zerstörung der Natur. Über die Verlogenheit großstädtischer Künstler, die träumen, das menschliche Elend könne mit Mitteln der Ausbeutung beseitigt werden. Über die Verlogenheit von Leuten, die ein Wesen zur Strecke bringen, um es dann besser vergötzen und vermarkten zu können. Auch, daß die geringere Sünde, nämlich der Haß auf eine mutmaßlich Verderbenbringende, bereut wird, aber nicht die viel größere, eben diese Seele ohne das geringste Unrechtsbewußtsein zur Strecke gebracht zu haben. Diese Deutungen sind nötig und richtig. Aber sie treffen nicht den Kern von Leni Riefenstahls Botschaft.
Es geht um das Erwachen einer jungen Frau, das Aufflackern des Eros, der freilich die Fackel des Todes trägt. Als der Maler sich ganz allein gegen ein ganzes Dorf stellt, erkennt Junta zum ersten Male den Mann schlechthin. Sie trennt sich von dem Stein, den sie vorher mit Krallen verteidigt hat. Nicht indem sie ihn dem erkannten Mann schenkt. Das wäre billig. Sie benutzt ihn als Waffe. Damit hat sie etwas von ihrem kindlichen Heil weggegeben, ein wunderbarer Liebesbeweis. Das erkennt der Mann aber nicht. Er begehrt sie, aber er versteht sie nicht. Als ihm ihre Spiele zu blöd werden, bricht er sie kurzerhand ab. Er zeichnet sie, wie er es mit jeder Frau getan hätte. Auf die Idee, die italienische Sprache zu erlernen, kommt er nicht. Schon als er die Postkutsche verläßt, beschwert er sich, daß nicht jedermann deutsch spricht.
Als der Mann bei Junta einzieht, hat er keinerlei Bedenken, ob diese Zudringlichkeit gut sei. Nur die Fragen der bürgerlichen Schicklichkeit werden gestellt. Daß er sie schließlich in ihr Heiligtum verfolgt, kann man nicht anders als eine Vergewaltigung deuten. Auf die Idee kommt er in seiner Selbstgerechtigkeit natürlich überhaupt nicht. Er hat auch nichts Eiligeres zu tun, als sein neues Wissen auszuplaudern und auszunutzen. Er spricht ihr im Grunde jeden Eigenwert ab. Seine Vorstellungen vom Guten und Rechten sind maßgeblich.
Es geht um die weibliche Sehnsucht nach dem starken Mann, stark genug, sie, die Frau zu zerquetschen, zu versklaven, auszuplündern, der sich auch noch von der Frau zur Anwendung dieser Stärke ermuntern und herausfordern läßt, der aber die Frau heilig hält, ihrer Zartheit und des Geheimnisses wegen, das sich in der Zartheit verbirgt. Sie sucht den Mann, der sie nicht schont, weil sie stark ist und sich verteidigt, nicht, weil sie ihn durchschaut und Waffen im Hinterhalt hält, sondern weil es ihm heilig ist, daß sie sich ganz und gar fallen lassen darf. Ein Mann, der die Frau durchschauen und ihre Motive ergründen will, ist ein Grobian. Die Frau hat ihre Insel, die der Mann verteidigen muß, aber nicht besetzen darf. Leni Riefenstahl ist deshalb so stark und hart geworden, um überhaupt in die Nähe von starken Männern zu gelangen, von denen sie träumte. Sie meinte, wenn sie stark ist, darf sie das Glück der Schwäche erleben. Aber ebenso wie Junta blieb ihr das Glück der Schwäche versagt.
Leni Riefenstahls Vater hätte sie gern mit einem chilenischen Silberminenerben oder einem spanischen Aristokraten verheiratet. Das waren Männer, die vielleicht in der Gesellschaft etwas galten, aber nichts in der Natur. Nicht ohne Grund bestand Leni Riefenstahl immer darauf, ein »Naturkind« zu sein. Sie war als Kind viel im Freien und betrachtete dies als das Paradies. Von einer leidenschaftlichen Körperlichkeit geprägt, liebte sie das Turnen, das Schwimmen, das Tanzen. Es wundert mich nicht, daß sie das Halbseidene im Berliner Tanzgewerbe der Zwanziger gar nicht bemerkte. Sie ging ihm aus dem Wege, wie sie in den dreißiger Jahren wohl manchen anderen Dingen aus dem Wege ging. Einer Philosophin wäre das vorzuwerfen, aber nicht einer Künstlerin, die eigentlich nur Künstlerin wurde, um Frau sein zu dürfen, die das in der Kunst suchte, was ihr die Liebe vorenthielt.
Der Dichter Rolf Schilling hat die inzwischen Neunzigjährige ins Herz getroffen, als er ihr sein Gedicht »Galathea« widmete, zweifellos eines von seinen besten. Wie Galathea mit Polyphem spielt, aus ihrer Sicht legitim, aber für Polyphem ein Ärgernis von Himmel und Erde, darin sah sie sich gern. Galathea will Polyphem gefallen, aber sie will ihm nicht gehören. Sie weiß, daß er sie tölpelhaft kaputt machen wird. Rolf Schilling wurde auch bald nach Pöcking eingeladen. Nachdem der Starnberger See nicht weit von München liegt, kam es, daß er mich zu dem Treffen mitnahm.
Dies fiel in die drei glücklichen Jahre meiner 25jährigen Selbständigkeit, in denen ich eine reguläre Anstellung hatte und den Verlag nur nach Feierabend betrieb. Ich lernte solch seltsame Dinge wie Urlaub oder Weihnachtsgeld kennen. Aber dies nur am Rande. Als ich mir von meiner damaligen Chefin Christine Bauer Urlaub erbat, um Frau Riefenstahl zu besuchen, rief sie entrückt: »Die Leni!« Diese persönliche Reminiszenz konnte ich mir nicht verkneifen. Sie zeigt doch die Popularität der Verfemten und zwar eine sehr herzliche Popularität.
Wir wurden von Leni Riefenstahls Lebensgefährten eingelassen und warteten an einer Treppe, daß sie von oben herunterkommen würde. Als sie uns entgegenkam, meinte sie zunächst, ich sei der geschätzte Dichter, ein Irrtum, der mir noch heute schmeichelt. Wir schauten das gerade auf Digitaltechnik umgestellte Studio im Keller und die Korallen-Bücher an und sprachen über alles mögliche. Eines ist mir jedoch in besonderer Erinnerung geblieben. Sie kam auf die »Penthesilea« zu sprechen und daß sie noch heute nicht verwinden könnte, daß dieser Film niemals Gestalt gewann. Der Sultan von Marokko hatte sich bereiterklärt, tausende Pferde in der Wüste für das Amazonenheer zur Verfügung zu stellen. Leider kam der Krieg dazwischen und später gab es keine Möglichkeit mehr für solche Großprojekte.
Höchst erstaunt war sie, daß Rolf Schilling und ich das Kleistsche Drama ebenfalls außerordentlich schätzen. Bekanntlich war Goethe dieses Drama ein Greuel. Ihm wäre vermutlich auch eine Frau ein Greuel gewesen, die es wie Leni Riefenstahl schon in jungen Jahren wagte, in erotischen Dingen die Initiative zu ergreifen. Es hat ihr Enttäuschung, aber auch die Gewißheit gebracht, daß ihr das Paradies nicht geschenkt werde, daß sie sich selber eines schaffen müsse. Penthesilea, die kein Ohr für Achilles' Klage »Ist dies das Rosenfest, das du versprachst?« hat, findet den Punkt auch nicht, sich fallen zu lassen. Zu viel Stärke ist aufgebaut worden, damit das Fallen nicht billig und gemein werde. Darin liegt eine tiefe Tragik.
Nach dem Gesagten wird das Fazit nicht verwundern, daß bei der Verfemung Leni Riefenstahls das Künstlertum und die Hitler-Freundschaft gering wiegen gegenüber dem Tabubruch, den der Ernst darstellt, mit dem sie ihr Glück als Frau einfordert. Ein Ernst, wie man ihn sonst nur bei Männern gewohnt ist, und auch dort nur noch höchst selten antrifft. Wenn ich auf die eingangs aufgezählten Modalverben zurückkomme, so muß ich einräumen, daß tun und leiden Vollverben sind. Der Wille zur Hingabe erscheint sprachlich als ein Widerspruch, da Wollen immer ein Aktivum impliziert. Vielleicht liegt hier eine Maskulinität in der Sprache und nicht in den Verrenkungen, die feministische Sprachkritikerinnen im Auge haben. Wenn aber hier eine Lücke liegt, so ist sie keine eigentlich sprachliche, sondern eine Lücke, die das Geistige überhaupt in sich trägt. Die sollte man positiv benennen, und dann scheint mir das Wort Geheimnis angemessen. Der Autor bekennt seine Unwissenheit über das Wesen der Frau.
Es ist üblich, einen Aufsatz über diese Künstlerin mit einem Verweis auf das Dritte Reich zu beschließen, ich will hier, ganz gegen meine Gewohnheit, nicht aus der Reihe tanzen. Ich empfehle dringend, die Frauengestalten der Filme dieser Zeit zu betrachten und über sie nachzudenken, es könnte sein, daß man damit nicht nur den Schlüssel zu jenen zwölf Jahren, sondern überhaupt zu unserer noch nicht abgeschlossenen Krisenzeit findet.