Uwe Lammla / Hermann Sterl
 

 

 

 



UWE LAMMLA



HERMANN
STERL


SCHAUSPIEL














 
ENGELSDORFER

 



 


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ISBN 978-3-86901-626-9
© 2009 Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
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Hergestellt in Leipzig, Deutschland
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7,- EUR
 

 



 

Die Könige der Welt sind alt
und werden keine Erben haben.
Die Söhne sterben schon als Knaben,
und ihre bleichen Töchter gaben
die kranken Kronen der Gewalt.

Der Pöbel bricht sie klein zu Geld,
der zeitgemäße Herr der Welt
dehnt sie im Feuer zu Maschinen,
die seinem Wollen grollend dienen;
aber das Glück ist nicht mit ihnen.

Das Erz hat Heimweh. Und verlassen
will es die Münzen und die Räder,
die es ein kleines Leben lehren.
Und aus Fabriken und aus Kassen
wird es zurück in das Geäder
der aufgetanen Berge kehren,
die sich verschließen hinter ihm.

RILKE   
 

 



 

Das Schauspiel ist einem realen Schicksal nachempfunden. German Sterligow, erfolgreicher Unternehmer und Millionär, verlor sein Vermögen, als er es wagte, gegen Putin zu den russischen Präsidentschaftswahlen anzutreten. Dies veranlaßte ihn, mit seiner Familie eine alternative Existenz zu führen, aus der er nach der Bankenkrise teilweise kehrte, um die russische Wirtschaft mit einer Tauschbörse zu retten. Daß mißgünstige Nachbarn den ersten Hof abbrannten, ist ebensowenig Erfindung, wie die westliche Journalistin, die sich widerwillig der Kleiderordnung beugte und dann erfolglos versuchte, Frau und Kinder gegen den Hausherrn auszuspielen. Die beiden Unternehmer und der Landarzt sind frei erfunden, ebenso die einzelnen Charakterzüge Sterls und seiner Familie. Authetisch ist hingegen, daß sich der Unternehmer und dann Landwirt fundamental auf den christlichen Glauben beruft und die Moderne konsequent verwirft.


PERSONEN

STERL, Hermann, Lebensreformer
ALIENOR, seine Frau
PELAGIA, seine Tochter
ARSENIOS, sein Sohn
PANTELEYMON, SERGIUS, MICHAEL, weitere Söhne (stumm)
UGOL, SOLOTOW, Unternehmer
SIGEL, Prokurist
WACHMANN
LANDARZT
JOURNALISTIN
 

 

7
 


PROLOG


STERL:
Den Damen ziemts, daß Knaben oder Schranzen
Vor diesem Vorhang heizen die Gerüchte,
Ich mußte stets auf mancher Hochzeit tanzen,
Weil ich den Truthahn gerne selber züchte.
So will ich auch den überschätzten Brettern
Der Residenz die Höflichkeit entrichten,
Man sagt, es sei mir eigen, viel zu wettern,
Doch bitte glaubenS nicht die Greulgeschichten.
Ich bin gesund und steh in besten Jahren,
Da ists nicht mannhaft, seiner Zeit zu fronen,
Man messe sich nicht an den Wangenhaaren,
Denn Gott wird andern Mannesmut belohnen.
Leicht ists, das Trittbrett eines Zugs zu nutzen,
Der frohen Liedes fortrast ins Verderben,
Ich mußte nie bei Chefs die Klinken putzen,
Und wie ein Hausschwein um den Metzger werben.
Es fiel mir leicht, die Muster zu durchschauen
Des Bürgertums, weil ich ihm niemals glaubte,
Jedoch was hilfts, am Kerker mitzubauen,
Der uns die Würde und die Freiheit raubte.
So mancher raunt, ich wäre ausgestiegen,
Das ist ein ziemlich albernes Verkennen,
Ich stieg mit den Fasanen und den Ziegen
Ins Recht, dies Leben und Gedeihn zu nennen.
Die Frau kreißt nicht bei Mördern Ungeborner,
 

 

8
 
Die Kinder suchen nicht im Schulhof Drogen,
Der Mensch mit Fernsehn ist mir ein verlorner,
Die Schule hat den Weisheitsweg betrogen.
Ins Wirtschaftsleben mußt ich wiederkehren,
Da das Kartell der Horter und Vermehrer
Des Geldes bot die Quintessenz der Lehren,
Daß alles Schaffen fron dem Nullnverzehrer.
Der Bauer kann die Steuern nicht entrichten,
Dem Schmiede werden Erz und Fracht zu teuer,
Sogar der Schnaps wird knapp den Unterschichten,
Und alles starrt aufs Bankenungeheuer.
Die Kurse fallen und Papiere sagen,
Daß sie nichts sind als etwas Zellulose,
Es hilft nichts, Spekulanten zu befragen,
Wie wieder Fleisch und Reis käm in die Soße.
Nicht Apotheker und nicht Advokaten
Sind ausersehn, die große Not zu meistern,
Sind Autobahn und Hochhaus falsche Paten,
So kehr zur Erde und den Quellengeistern.
Nur wenn die Klugheit sich der Schöpfungstreue
In Stärke paart im festen Schritt des Bauern,
Gelingts, daß uns der Frühlingsruf erfreue,
Wo ringsum die Atomraketen lauern.
Drum nehme man es nicht auf leichte Kappe,
Daß jemand pön die Tempel des Modernen,
Der Teufel liebt das Windige und Schlappe,
Sucht jede Frucht zu schäln und zu entkernen.
 

 

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ERSTER AUFZUG
Ein luxuriöses Besprechungszimmer. Sterl, Ugol und Solotow mit Papieren und Sorgenfalten. Zwei spärlich bekleidete langbeinige Schönheiten tragen Getränke und Konfekt auf. Ein Wachmann stürzt herein.

Erste Szene
Sterl, Ugol, Solotow, ein Wachmann.

WACHMANN:
Verzeiht, o Chef, ich ließ die Dame draußen
So einfach stehn und stör grad terroristisch,
Doch stehn die Dinge gradezu zum Grausen,
Drum scheint mir Etikette fast snobistisch.
Dort unten im Foyer geschehn Tumulte,
Als wollte man den Wahlkampf endentscheiden,
Drum steh ich nicht gedankenvoll am Pulte,
Die Lästerei akribisch aufzuschreiben.

STERL: Nun komm erst mal zu Atem, unsre Sache
Scheint ohnehin hier ziemlich festgefahren,
Drum sei es so: ein Zeichen setz die Wache -
Was tummeln sich im Erdgeschoß für Scharen?

WACHMANN:
Der Reihe nach. Grad unten vor der Pforte
Ist eine Frau auf Glatteis hingefallen,
Kein großes Ding, jedoch an einem Orte,
Nach dem die Medien grad wie Geier krallen.
 

 

10
 
Daß endlich sie ein Krankenwagen berge,
Erfordert, wie bekannt, Geduld des Russen,
Ich hört schon wieder Spott von wegen Särge,
Die Glotzer kommen grad mit Omnibussen.
Da ist ein Journalist darauf verfallen,
Ein deutscher, ja ich glaub vom Tagesspiegel,
Mit seinen Fäusten auf den Tisch zu knallen,
Daß mein Kollege kusch mit Brief und Siegel.
So hat man die Verletzte reingetragen
Ins Wahlbüro, und nun ist Polen offen,
Ein jedermann scheint sich hineinzuwagen,
Ich glaub, die ersten sind auch schon besoffen.

STERL: Ja, Putin hat es leicht in seiner Höhe,
Er schwebt in Glorie über Schmutz und Gosse,
Bei unsereinem sucht man Filz und Flöhe,
Da heißt es stets: die mitleidlosen Bosse.
Der Zar ist nicht mit Erdenmaß zu messen,
Er braucht nicht Spots und nirgendwo Plakate,
Das Volk hat seine Weisheit längst gefressen,
Und über alle Töpfe wacht der Krake.
Der Staatsmann bannt den Terror und er betet
So still, daß jeder meint, er sei bescheiden,
Jedoch, in welches Wohnhaus ihr auch tretet,
Stets steht da wer, ihm Größe zu beeiden.

UGOL:
Nur ein Gewaltstreich kann die Stimmung wenden,
Es wußten doch in Rom schon die Tribune,
Daß Volkes Liebling muß vor allem spenden,
Der Dollar-Schimmel trägt die Sonnenrune.
 

 

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SOLOTOW: Die Bilder sinds, die Vorurteile schaffen,
Ein Filmwerk, das dem Usurpator schadet,
Das machte Putin-Brüller rasch zu Affen,
Wohl dem, den dann die Massenwoge badet.

STERL: Genug der Theorie, wir sollten eben
Den Stier, der rotsieht, bei den Hörnern packen,
Hat ers gewagt, die Augen zu erheben,
So sitze ihm der Stiefel rasch im Nacken.
Ich nutz den Unfall, Beßrung zu geloben,
Der Feind ist fern und kann nur hilflos brummen,
Steht einer vom gemeinen Volk da oben,
So wird auch Recht Entmündigten und Stummen.
(Geht ab. Der Wachmann hinterdrein.)


Zweite Szene
Ugol, Solotow.

UGOL: Wir sollten klotzen und nicht eben kleckern,
Der Präsident gehorcht der eignen Wache.

SOLOTOW:
Mir taugt es nicht, bei jedem Schritt zu meckern,
Als sei der Reinfall schon beschloßne Sache.

UGOL: Nun Skepsis ist fürs nächste wohl geboten,
Auch wenn die Demoskopen nichts als lügen.

SOLOTOW: Wer es gewohnt, daß üble Dinge drohten,
Wird sich dem Los, wie es auch falle, fügen.
 

 

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UGOL: Sprecht ihr für euch? Fügt ihr euch dem Fatalen?
Und müht euch nur, es goldig zu verpacken?

SOLOTOW:
Nicht grad. Ich war noch nie ein Freund von Wahlen,
Wer schmelzen will, der klag nicht über Schlacken.

UGOL: So fügt sich Sterl, der lebensfroh und munter
Treppauf, treppab das Lied singt unserm Siege?

SOLOTOW:
Ihm ist es gleich, obs drüber geht und drunter,
Ihr wärs nur arg, wenn seine Stimme schwiege.

UGOL: Das ist mir neu. Was zahlt ihr die Parteien,
Wenn ihr doch glaubt, sie seien Spiegelfechter?

SOLOTOW:
Welch Kleid wir auch dem Vaterland verleihen,
Die Welt wird drob nicht besser und gerechter.
Ich bin kein Heiland und ich bin kein Schwärmer,
Doch weiß ich, daß die Leute solches brauchen,
Sie fühlen sich in roten Stiefeln wärmer,
Auch wenn sie sich darin den Fuß verstauchen.

UGOL: Zynismus hebt nicht die Moral der Truppe,
Drum sollte er die Rede sparsam würzen,
Ist Sterl ein Narr bis in die Fingerkuppe,
So wär es besser, den Kredit zu kürzen.

SOLOTOW:
Natürlich wird ein Mann, der bei Verstande
 

 

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Nicht alles Spiel auf einen Joker setzen,
Verläuft sich eine große Spur im Sande,
So schaue man nach unverstaubten Plätzen.
Gleichwohl ich mein, auf Sterl wär gut zu bauen,
So üb ich keine Treu der Nibelungen,
Ich halte maß im Zorn und im Vertrauen,
Und schütze mich vor Götterdämmerungen.

UGOL: Ihr habt, so scheint mir, bessere Spione
Als ich, drum sprecht nicht länger mürb und dunkel,
Wir fechten schließlich hier um Rußlands Krone,
Da taugt mir kein Mirakeln und Gemunkel.

SOLOTOW: Ihr habt begonnen mit der Kleckerklage,
Ich sah es als Kritik am Besserwissen,
Wir scheuten keinen Rückschlag, keine Plage,
Und dennoch wird das Wort uns stets entrissen
Vom Orgeln aus den morschen Leierkästen,
Wo niemand weiß, ob nicht der Spieler pennte,
Die Melodie gelingt ihm stets am besten:
So fürchte nichts, doch fürcht Experimente.

UGOL: Es ist absurd, die Linke gut im Sattel,
Die Rechte appelliert an arme Schlucker.
Die Süße eignet nur der echten Dattel,
Jedoch wozu? Es gibt doch Rübenzucker.

SOLOTOW:
Nicht vorschnell sein, allein im Fall des Falles
Gilts jederzeit den Schaden zu begrenzen,
Der Schlagetot frägt immer: War das alles?
Dem Klügern bleiben köstliche Sentenzen.
 

 

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Dritte Szene
Ugol, Solotow. Sterl und Alienor treten auf.

STERL:
Die Schlacht ging gut, mein Herzblatt hat gewonnen.
Sie träufte allen Honig in die Seele,
Euch wär gewiß das Blut im Hals geronnen,
Weshalb ich meinen Stolz auch nicht verhehle.

SOLOTOW: Eur gutes Haus in Frieden und in Ehren,
Ich meinte doch, ich käm zum Waffenschmieden,
Statt dessen hör ich frauenfrohe Lehren
Und der Refrain, er dünkt mich nichts als Frieden.

STERL: Hier muß ein grobes Mißverständnis walten,
Daß man der Frau die angestammte Rolle
Zurückgeb, heißt nicht, sie als Vöglein halten,
Daß sie nur sänge und sonst schweigen solle.
Der Herd ist schimpflich nur, wenn die Geschäfte
Sich einzig draußen abspieln auf dem Markte,
Doch konzentriern sich dort die Körpersäfte,
Ist keiner Schrott, den man am Feldrain parkte.
Die Frau befreit nicht der, der sie dem Manne
Anähnelt und beschwatzt mit blöden Rechten,
Denn grundverschieden von der Jagd im Tanne,
Sind Kämpfe, die im Hofe auszufechten.

SOLOTOW:
Ihr hört euch, guter Freund, sehr gerne sprechen,
Und sorgt, daß man um Unterhaltung bettel,
Dabei vergessen wäre ein Verbrechen,
Daß es ums Kreuz geht auf dem Stimmenzettel.
 

 

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Das wird uns nicht mit Frauenglück beschieden,
Auch wenn im Land die meisten Wähler Frauen,
Weil Frauen die Visionen meistens mieden,
Ists besser, auf das Nähere zu bauen.

STERL: Drum war die Frau, die auf dem Bürgersteige
Das nächste, und ein Wort aus dem Geschlechte,
Hat übertönt die allerhellste Geige,
Sie setze die Bewegung hier ins Rechte.

SOLOTOW: Gewiß half Radio Moskau, daß die Saiten
In jeder Hütte Rußlands hold geschlagen!
Wenn wir uns hier um solches Zeug verbreiten,
Wird die Partei recht bald zu Grab getragen.

STERL (zu Aljanor)
Du siehst, die Führung ist im Kern zerstritten,
Umfragen werfen dunkelblaue Schatten,
Und dennoch ist noch gar nichts ausgelitten.
Ach hättst du einen Braveren zum Gatten!

ALIENOR:
Ich sorge mich nicht um die Gunst der Menge.
Was gilt sie vor der Frucht in meinem Leibe,
Ich liebe deine unverzagte Strenge
Und hoffe, daß sie stets erhalten bleibe.
Ich will die Themen nun nicht länger lenken,
Auf daß man wieder kehr zum Schwerterklirren,
Wenn Männer über Herrscherfragen denken,
Soll sie dabei kein Frauenaug verwirren.
(Sie geht ab.)
 

 

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Vierte Szene
Sterl, Ugol, Solotow.

UGOL: Gings um die Metro grade auf der Demo?
Vertraut man unsern besseren Rezepten?

STERL: Am liebsten taucht ich ab wie Käptn Nemo,
Da war das Meer und sonst nur die Adepten.

SOLOTOW: Der Terror trennt Berufene von Toren,
Der Dschihad ist in Moskau angekommen,
Wer sich nicht dieses Thema auserkoren,
Der scheint mir auf der Suppe hergeschwommen.

STERL: Natürlich gibt es Haß auf die Muslime,
Doch scheint mir dieser öfters vorgeschoben,
Daß keine Religion dem Menschen zieme,
Ist meist die Meinung, die die Zündler loben.
Obwohl der Terror zeigt, daß Putins Rasseln
Versagt bei Herrn, die sich mit Bomben kleiden,
Kann niemand ihm die große Schau vermasseln,
Es scheint, der Russe liebt es gar zu leiden.
Es wär nicht not, die Früchte abzuschütteln,
Hätt man den Baum nicht Jahr und Tag gegossen,
An Resultaten ist nicht mehr zu rütteln,
Wars gut zu ruhn, da einst die Triebe sprossen.

UGOL:
Es ist recht schwacher Trost den jäh Verwaisten,
Daß man vergangne Säumnis schuldig spreche.
Was kann, was muß der Staat dem Bürger leisten,
Dies ists, worum man sich den Kopf zerbreche.
 

 

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SOLOTOW:
Der Kandidat wird mählich zum Sophisten,
Er sinnt und sinnt, und Rußland geht grad unter,
Sein Lieblingsthema sind Beziehungskisten,
Nur wenns um Fraun geht, werden Sterle munter.

STERL: Herr Solotow, ich schätze eure Kasse,
Sie war mir Megaphon und Wettermacher,
Doch wenn ich nicht in eure Richtung passe -
Gabs da nicht einen beßren Glutentfacher?

SOLOTOW:
Ihr seid ein Mann mit Glauben, was ich schätze,
Dies macht zum Löwen einen netten Hasen,
Doch tönen theologisch eure Sätze,
So werden hier die Kerzen ausgeblasen.

UGOL: Da sei Gott vor. Es sind noch ein paar Tage,
Dann werden wir uns mit dem Goliath messen,
Drum sei hier unsre allererste Frage:
Wie mischen wir ihm starkes Gift ins Fressen?

SOLOTOW:
Dies gliche grade einem Wandlungswunder,
Daß Wodka ströme aus den heilgen Quellen,
Und ging es schlecht der unsichtbaren Flunder,
Wärs gleichwohl not, sich Partnern zu gesellen.

STERL: Wir haben die Programme doch beschlossen
Und abgestimmt, wer folge und wer Führer,
Kaum fehlen in der Leiter ein paar Sprossen,
Schon braucht der Brei den neuesten Verrührer.
 

 

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UGOL: Wir wollen keine neuen Fundamente,
Doch lahmt die Taktik nach so manchen Pannen,
Es geht nicht um die Haut der Pekingente,
Doch schlecht brät sichs in ungeölten Pfannen.


Fünfte Szene
Sterl, Ugol, Solotow. Arsenios tritt auf.

STERL: Mein Engel, ach, was suchst du hier im Turme,
Ich weiß, es ist schon schrecklich spät geworden,
Das große Werk gelingt uns nicht im Sturme,
Und die Verhandlung mußte überborden.

ARSENIOS:
Die Mami sagt, du mußt für Rußland wachen,
Kaputt mein Auto mit Raketenrampe,
Ich frag, kann dies nicht heut wer anders machen,
Mein Finger blutet von der scharfen Krampe.

STERL: Zeig her mein Junge, ach, das ist nichts wildes,
Solch Schrammen braucht ein tapferer Indianer.
(zu den Herren)
Verzeiht, beim Nahen seines Ebenbildes
Wird ganz zum Vater euer Zukunftsplaner.

SOLOTOW:
Ich werd mich dann empfehlen. Zu viel Sterle
Sind nichts für meine angeschlagnen Nerven,
Ich häng mein Schwert womöglich in die Erle,
Da ich es leid, es immerfort zu schärfen.
 

 

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UGOL: Ich denk, ich brüt mal besser vorm Papiere
An den Ideen für eine rasche Wende,
Es scheint, daß man den Faden leicht verliere,
Wenn man beratschlagt ohne Ziel und Ende.
(Beide ab.)

ARSENIOS: Ach Pa, sind bös auf mich nun alle beide,
Die Mami schimpft bestimmt, daß fortzulaufen
Ich hab gewagt, auch goß ich auf die Seide
Des Bettchens Tee, der wollte überlaufen.

STERL: Ach Seidenbetten, wären sie doch hären,
Dann wär der Teefleck gar nicht zu bemerken,
Ich werd das Bett und auch das Auto klären,
Jedoch zuerst, ich muß mich erst mal stärken.
(zu sich)
Das ist die Politik, ich hab vergessen,
Den Mittag, den Kaffee, die Abendstunde,
Spar ich mir erst für Rußland alles Essen,
So geh ich vor dem Wahltag noch zugrunde.
(zu Arsenios)
Komm Schatz wir gehn, und die Raketenschleuder
Wird bald schon wieder Feindflugzeuge schlagen,
Ich repariers, ich bin doch kein Vergeuder,
Das soll mir jemand nachzusagen wagen.

ARSENIOS: Es ist nicht recht, ich hab sie fortgetrieben,
Die doch statt dir für Rußland wachen sollten,
Pelagia hat der Mami aufgeschrieben,
Daß wir noch in die Apotheke wollten.
 

 

20
 
Sechste Szene
Sterl, Arsenios. Sigel tritt auf.

SIGEL (will gleich wieder gehen, als er den Jungen sieht):
Verzeiht, ihr seid privat, ich gehe wieder
Und komme morgen früh mit den Berichten,
Da draußen geht ein Nieselregen nieder,
Vergeßt nicht euren Mantel vor den Pflichten.

STERL:
Nein bleibt nur, nach den beiden Wahlkampfluschen,
Hab ich wohl Lust auf ein paar schwarze Zahlen,
Dies ist grad so wie nach der Sauna duschen,
Dem Tantalus steh ich nicht nach an Qualen.

SIGEL: Nur leider sind erfreulich nicht die Dinge,
Drum widmet euch heut besser euern Kindern,
Der neue Tag ein beßres Lied uns singe,
Die Nacht macht Zahlen oft zu üblen Schindern.

STERL: Nein bleibt, der Junge soll hier alles hören,
Wär ich der Kaiser, trüg er Königs Krone,
Es wird den kleinen Prinzen nicht verstören
Mit anzuschaun, ob sich das Erbe lohne.

SIGEL: Ja, leider gibts in manchem Werk zu klagen,
Die Storni sprießen wie im Herbst die Schwämme,
Ich trau mir das ja gar nicht klar zu sagen,
Es sieht fast aus, als brächen alle Dämme.

STERL: Ist Krieg, darf ichs dem Erben nicht verhehlen,
Du siehst, mein Junge, wer da steigt, kann fallen,
 

 

21
 
Das gilt für die Geschäfte wie für Seelen,
Des Himmels Hilfen brauchen wir vor allen.

ARSENIOS:
Mir ist so schummrig wie auf einem Schiffe,
Die Wogen rollen schaumig auf den Planken,
Ich weiß nicht, ob ich noch ein Wort begriffe,
Die Mami wird zuletzt gewaltig zanken.

STERL: Nun sorg dich nicht, du bist an meiner Seite,
Du hasts gewagt, der Mami zu entweichen,
Nun liegst du mit der großen Welt im Streite,
Und Pa hat dir den Schwedentrank zu reichen.
(Er gießt eine rote Limonade in einen Kristallkelch.)
Nun trinke Jung und schärfe deine Ohren,
Wenn Himmel sich verfinstern, bleibe heiter,
Du wurdest nicht umsonst als Sterl geboren,
Dann weiß man noch in jedem Dunkel weiter.

SIGEL: Wie dem auch sei, wir haben Auftragsschwunde
In dichter Folge, grad wie abgekartet,
Am Telefon gabs anonym die Kunde,
Man habe lang auf diesen Tag gewartet.

STERL (zu dem Jungen):
Im Steppengras erheben sich die Lanzen,
Metallne Spitzen glitzern in der Sonne,
Sie wollen auf der nackten Haut dir tanzen,
Und helles Blut ist ihnen höchste Wonne.

ARSENIOS: Ich hab genug von starken Cherokesen,
Ich will ins Bett, den Teefleck zu verträumen,
 

 

22
 
Ich bin gewiß heut ziemlich frech gewesen,
Doch nun mag ich sehr gern die Stellung räumen.

STERL: Dann mach es kurz und komme rasch zu Ende,
Ich will das Fazit, nicht die Hintergründe,
Ihr seht, mein Herzblut bindet mir die Hände,
Darum ist alles Zögern eine Sünde.

SIGEL: Nun ja, wenn nicht zuguterletzt ein Wunder,
Den klaren Trend ins Gegenteil verkehrte...

STERL: Ihr wißts, die Fackel stürzte in den Zunder,
Ihr hofft umsonst, daß dem ein Heros wehrte.

SIGEL: Nun ja, man könnt es eine Pleite nennen,
Wär dieses Wort nicht meinem Herz zuwider.

STERL: Ich hör es schon im Dachgebälke brennen -
So stürzt nun das Imperium auf mich nieder?

SIGEL: Es gibt noch manches günstig zu verkaufen,
Entschließt ihr euch, das Mutterschiff zu lassen,
Die Firmen werden sichrer noch ersaufen,
Doch gingt ihr nicht mit völlig leeren Kassen.

STERL:
So macht, was möglich, rasch und gründlich flüssig,
Ich reise morgen und ich brauch nur Bares.
Ich bin der Sklaverei jetzt überdrüssig,
Ich denk dies war ein Sterlwort und ein klares.
 

 

23
 


ZWEITER AUFZUG
Ein vollkommen abgebranntes Gehöft, hie und da noch Rauch von glimmenden Holzresten. Eine Stalltür ist nahezu unversehrt, sie bewegt sich im Wind und gibt mitunter Laute von sich. Daneben eine umgestürzte Regentonne. Im Vordergrund Sterl auf einem Feldstein, eine Tasse mit Tee und ein Laib Brot liegen unberührt. Er hat rußgeschwärzte Wangen und Hände, die Kleidung hie und da versengt. Er scheint angestrengt zu lauschen.


Erste Szene.
Sterl.

STERL:
Es kommt nichts, niemand, immer nur Dämonen,
Ich hör was und ich werd wohl mählich irre,
Ich sag mir, die Bilanz wird sich nicht lohnen,
Ich hab kein Pferd, daß ich den Wagen schirre,
Ich geh im Kreis, ums Grab für die Gelenke,
Den Fetzen Haut und die verschmorten Haare,
Ich bin so frei, es lohnt nicht, daß man henke
Den Müden ohne Heimat, Hof und Ware.
(Er lacht bitter. Pause.)
Warum bin zu feig mich totzustürzen,
Wo alles ist verpfuscht und überwunden?
Vernunft verlangt, die Qualen abzukürzen,
Und was mir noch gegeben ist an Stunden,
Sie sprechen Reu nach frevlerischem Wollen,
Vom Hochmut, der den Fall herbeigezogen.
 

 

24
 
Der Herr sprach klar, es hat nicht reifen sollen,
Der Traum, die Müh, wie haben sie gelogen!
(Er schweigt. Ein Windstoß schlägt die Tür auf und zu.)
Was für ein Bild! Was für ein Hohngehabe!
Der Eingang mit dem Ausgang steht beisammen,
Das Windgeplänkel wird wohl noch im Grabe
Dem Elenden die Todesruh zerschrammen.
(Erneutes Türschlagen.)
Das Regenfaß, es reichte, diese Pforte
Hinlänglich mit dem kalten Naß zu tränken,
So blieb die Tür an dem zerstörten Orte,
Sich mystisch in Scharniere zu versenken!
Als Dichter wär ich auf der beßren Seite,
Es gäb kein Unglück, das das Brot mir raubte,
Ich schriebe noch mit dem verkohlten Scheite
Der Flamme Dank, die dieses Schwarz erlaubte!
Ja, überhaupt, die Welt und ihre Wege
Wärn höllisch viel vorzüglicher zu reimen,
Es stünde nicht bei mir in Amt und Pflege,
Das ganz und gar Zerstörte heil zu leimen.
Ja sicher, Klag und Trümmer zu vergolden,
Vermag die Sprache ehr als flinke Hände,
Die Käfer auf dem Baumstumpf stehn im Holden,
Der Trauermantel spricht die reifre Sende.
Die Bienen schwärmen aus, beim Löwenzahne
Vergesse ich des Teufels Narreteien,
Der Punkt auf dem Marienkäfer mahne
Das Herz, ihm alle Ewigkeit zu leihen.
Die Elegien des Chorus schätzt der Russe,
Die Frau vertraut dem Dichter als dem Geiste,
Und niemand argwöhnt bei dem Überflusse,
Erstunken und erlogen sei das meiste.
 

 

25
 
(Macht eine wegwerfende Bewegung. Schweigt wieder. Die Tür macht sich erneut bemerkbar.)
Die Tür, jawohl, ja, alles hat zwei Seiten,
Vergangenheit und Zukunft stehn beisammen.
Dreh dich nicht um, sagt der Befehl zu schreiten,
Denn hinter dir wohnt nichts als Glut und Flammen.
Ich hatte Ziegen, Hühner, Hasen, Schafe,
Die Ernte ließ mich einen Traktor kaufen,
Ein warmes Heim bewohnte ich im Schlafe,
Und feste Rinnen wachten an den Traufen.
Die Kinder wuchsen, und mein Herzblut lachte
Am Ofen mit dem Kraut und mit den Rüben,
Mit reicher Ernte, die der Herr uns machte,
Wuchs das Vertrauen grad in Jahresschüben.
Dann kam die Nacht, der Tag, der aussichtslose,
Der ganz verlornen Kampf mit Wind und Asche,
Und was mir blieb, paßt ganz in meine Hose
Und füllt nicht einmal bis zum Rand die Tasche.
Ich kann ein bißchen jammern oder schwätzen,
Kann in die Luft starrn oder einfach schweigen,
Doch mit der Zeit wird fad selbst das Entsetzen,
Ich bin so leer, so leer wie all mein Eigen.


Zweite Szene,
Sterl, Alienor.

ALIENOR: Gerechter Gott! Du lebst! Es sei gepriesen
Der Heiland, der dich aus den Flammen führte,
Verfehlt der Schlag, gebannt der Fluch der Miesen,
Ich glaubt es kaum, auch wenn ichs innigst spürte.
 

 

26
 
STERL: Was ist zu loben, wo ein blinder Köter
Die Wunden leckt von seinem Aufbegehren?
Für solch ein Wrack bemüht man keinen Töter,
Man könnte da sogar den Strick entehren.
Du nennst es fromm, doch ich bin nichts als feige,
Sonst hätte meine Sterblichkeit die Lohe,
Von Glaub und Liebe, von der Hoffnung schweige,
Unwiderruflich ging dahin der Frohe.

ALIENOR: Des Feindes Wüten, Hinterlist und Feuer -
Wir dürfen an der Freiheit nicht verzagen,
Die zweite Runde wird das Ungeheuer
Mit deiner Kraft und deinem Glauben schlagen.

STERL:
Dies war die zweite Runde schon, mein Kleines!
Die erste hab in Moskau ich verloren,
Und im Geschehn erkenne ich nur eines:
Mein Hochmut hat die Wünsche mir geboren.
Ich sollte wie die andern guten Christen
Die U-Bahn fahrn und dann am Arbeitsamte
Geduldig meine Lebensstunden fristen,
Und alles andre sei mir das Verdammte.
Ich sollte glauben, daß es doch das beste,
Zu wärmen sich in schweigender Kolonne,
Zu Ostern und zur Weihnacht gibt es Feste,
Dann muß der Müll auch in die rechte Tonne,
Die Treppe sei gebohnert und die Strümpfe
Gestopft und gut das Wort zu hohen Herren,
Ein andres Denken führt dich in die Sümpfe
Und muß dir auch das kleinste Glück versperren.
 

 

27
 
ALIENOR:
Was auch geschieht, es könnte nichts erschüttern:
Du wirst dich lebend niemals wirklich beugen,
Mußt du uns auch mit Bucheneckern füttern,
Dein Aug wird deine Herrlichkeit bezeugen.
Denn alle Muskeln, die sich spannen, lösen,
Arterien, die mit hellem Blut sich füllen,
Sie wehren sich der Schleimerei des Bösen,
Und würden jeden Pakt mit ihm zerknüllen.
Der Schöpfer gab den Freisinn jeder Zelle,
Wenn Feuer sie nicht ganz und gar veraschte,
So schauen sie mit Gottvertraun ins Halle,
Nicht nach dem Trog, daran die Fliege naschte.

STERL: Du bist verliebt, drum frommen dir die Bilder,
Von Größe, Heil und Mut vor Fürstenthronen,
Doch ich erkenn, bevor ich ganz verwilder,
Daß sich die großen Worte gar nicht lohnen.
Es ist nicht nur der Hof, das Vieh, die Ställe,
Es ist hier ein Entwurf verbrannt, ein Glaube,
Mein Herz ist kalt und ohne Blut für Fälle,
Daß es vom Himmel wie Prometheus raube.
Die Glut der Augen ist so sehr erloschen
Wie dieser Brand, der alles schlang und raffte.
Aus diesem Stroh kein Weizen wird gedroschen,
Und niemand näht die Wunde, die da klaffte.
Wir müssen einfach lernen zu bescheiden
Die Wünsche in das Maß des allgemeinen,
Dann wird vielleicht ein kleines Glück uns beiden,
Und auch die Kinder müssen nicht mehr weinen.
 

 

28
 
ALIENOR: Die Kinder sind von tiefem Stolz getragen,
Daß man den Vater hat so angegriffen,
Sie fürchten nicht, es gehe an den Kragen,
Denn nur die Ratten springen aus den Schiffen.
Sie wissen, daß dem wahren Heil der Vater
Wohl auf der Spur sich mühte, rang und baute,
Des Feindes Toben nennen sie Theater
Für jeden, der das wahre Glück erschaute.

STERL: Das wird sich legen wie die helle Lohe,
Ich hab dem Pathos gänzlich abgeschworen,
Ich fühlte mich damit im Affenzooe,
Denn ich hab alles, wie gesagt, verloren.
Unbillig ists, dem Strauchelnden zu sagen,
Er sei moralisch auf der rechten Seite,
Ich werd mich nur noch im Erlaubten plagen,
Der Aufruhr ist verglommen mit dem Scheite.

ALIENOR: So enden wir den Streit. Die Abendkühle
Läßt frösteln und ich hab noch manche Meile,
So komm mit mir, daß ich dich bei uns fühle
Und Ruh und Lager mit dem Gatten teile.

STERL: Ich werd nicht gehn, solang die heile Pforte
Nicht aus den Angeln springt um umzufallen,
Ich sehne mich nach keinem andern Orte,
Denn ich will ohne Ohrenzeugen lallen.

ALIENOR: So hol ich uns ein Zelt auf diese Rode,
Daß wir zur Nacht nicht jämmerlich erfrieren,
Als ich Studentin, war der Stoff in Mode,
Jetzt soll er hier das Brandszenarium zieren. (Ab.)
 

 

29
 
Dritte Szene.
Sterl, Arsenios.

STERL: Wie bin ich selbstisch doch in meinem Jammer,
Ich fragte nicht einmal, wo sie geblieben.
Verbrannt sind Diele, Korridor und Kammer -
In welchen Stuben hausen meine Lieben?
Wer nahm sie auf? Wie heißt der Samariter?
Mein Herzblatt sprach mir nicht von ihrem Kummer,
Was bin ich für ein rabenschwarzer Ritter,
Daß ich die Sorg um Weib und Kind verschlummer?
Ich sinne über Türen und Rebellen,
Gesellschaft, Akzeptanz und wäg Entwürfe,
Als würd ich wie der Hund dem Monde bellen,
Benehm ich mich, wenn ich die Trauer schlürfe.
Nun ist sie fort. Ich werde nichts erfahren.
Grad Balsam wärn dem Wunden scharfe Schelte,
Ich bin so stumpf im Herz wie in den Haaren
Und meine Lenden kümmert nicht die Kälte.
Will ich erfriern, ein Kind, das bockt alleine?
Den Reif vom Kopf mir kratzen bald am Morgen?
Ich sitze wie ein Narr auf diesem Steine
Und dabei gibts doch so viel zu besorgen.
Wer lehrt die Kinder Rechnen und Geschichte?
Die Ziegen sind davon wie auch die Hasen,
Die Schafe hat der Pope aufgenommen,
Die Hühner, die auf auf ihrer Stange saßen,
Sind mit dem Dachstuhl ohne Klag verglommen.
Das Feuer, ja, es ließ mich tun und rennen,
Nun aber sind mir alle Glieder bleiern.
Es ist vollbracht. Hier gibts kein Holz zu brennen,
Nur Wind, die letzte Stalltür auszuleiern.
 

 

30
 
ARSENIOS (tritt auf):
O Vater, sei nicht bös, daß ich die Stunde,
Da mich der Mutter Aug nicht gut bewachte,
Genutzt, mit Mut die eingepferchte Runde
Zu lassen, und mich auf die Reise machte.
Seit du uns grollend zuriefst fortzulaufen,
Wo ringsumher die Balken niederkrachten,
Gabs keinen Stuhl, im Hetzen zu verschnaufen,
Weil wir nur immer an den Vater dachten.

STERL: Mein Junge, sieh, es gab hier nichts zu retten,
Ganz nutzlos war mein Ringen und mein Toben,
Doch glaub mir, was wir haben, sind nur Ketten,
Die uns behindern, Gott allein zu loben.

ARSENIOS:
Ich glaub nicht, daß das gelbe Harz der Birken,
Das Knistern im Kamin, die warmen Decken
Uns hinderten, im Sinn des Herrn zu wirken,
Und daß es falsch, die Hände auszustrecken.

STERL: Der Saiten sind heut andere zu zupfen,
Und Gottes Ratschluß kam uns ganz abhanden.
Doch sag: wo fandet ihr ein Unterschlupfen?
Wie hat Pelagia all das überstanden?

ARSENIOS:
Wir hausen hinterm Berg beim Schrankenwärter,
Die Mutter stürzte, und die alten Leute,
Sie sagten: Bleibt, eh ihr geprüft noch härter,
Und offen steh das winzge Haus noch heute.
Pelagia ist zur Uni fortgefahren,
 

 

31
 
Zum Bahnhof brachten sie mit der Draisine
Zwei Männer, und der Wind in ihren Haaren
War so gewaltig wie die Zornesmiene.

STERL (lächelt kurz, dann düster):
Mein Töchterchen, fast eine Amazone,
Ein Bräutigam muß bald den Wildfang binden,
Sie war auf unserm Hof die Anemone,
Die Großstadtwetter dürfen sie nicht schinden.
Ich muß sie wieder mit dem Auto fahren,
Der Tank war voll und diente gar als Zunder,
Daß alle wir beim Wasserschöpfen waren
Und keiner starb, das ist das reinste Wunder.
Als wir am Haupthaus löschten, stand der Schuppen
Recht abseits, und wer ahnte denn die Böe,
Die ließ die Flammen tanzen wie die Puppen,
Das Stalldach flog mit Krachen in die Höhe.

ARSENIOS: Du sagtest oft, daß deinem Unterrichten
Von Formeln, Theorien und Bauexempeln,
Könnt bald auf eine Praxis nicht verzichten,
Denn Gott verlangt nicht nach papiernen Tempeln.
Nun ist es Zeit, daß Brüder im Vereine
Gelerntes tüchtig in die Landschaft setzen,
In Rußland gibts der Roden nicht nur eine,
Und guter Mut gewinnt auf allen Plätzen.

STERL: Ich seh in dir die eigne Jugend pochen
Auf Recht und Neuland und die Gründertaten,
Doch ewig läßt kein Herz sich unterjochen,
Ich glaube meins hat dieses Ziel verraten.
Ich bin nun alt und steh vorm Aschehaufen,
 

 

32
 
Zur Demut scheints mir Gottes Wink und Weiser,
Aufsässig bin ich einer Stadt entlaufen,
Darin ich mich beworben hab als Kaiser.

ARSENIOS:
Du willst nicht mehr die eigne Wirtschaft führen?
Wie solln wir leben ohne Gottes Segen?
Als Hiob sah den Herrn die Plagen küren,
Wars ihm nur Grund, sich rascher zu bewegen.

STERL: So frech du bist, der Widerspruch Methode
Beweist, hör ich den Sterl, der mir gestorben.
Wohlan, so stich aus diesem Fleck die Sode,
So siehst du, was des Vaters Müh erworben.
(Er lacht bitter.)

ARSENIOS: Es gibt in Rußland Bäume, ungezählte,
Draus Häuser, Ställe, Weidezaun zu bauen,
Wer fern vom Plebs sich seinen Flecken wählte,
Erringt die Erde bald und ihr Vertrauen.

STERL:
Sprich nicht vom Plebs, denk, daß wir Asylanten
Bei einem Diener, einem Bahnbeamten,
Die Siedler, die einst Erde traulich nannten,
Gewiß von einem beßren Holze stammten.

ARSENIOS: So dacht ich doch, das Jesus uns zum Vater
Den Himmel machte, wie wir auch geboren.
Ist denn nicht frei, wer ganz vertraut dem Rater
Und sich mit Selbstzucht ausbedingt die Sporen?
 

 

33
 
STERL: Es sei wies sei. Mir ist nicht recht zumute
Zum theologisch Disputiern und Streiten,
Ich bin recht müd, doch scheint es mir das Gute,
Mit einem schwarzen Rappen fortzureiten.
Fort, fort nur fort! und ganz aus der Geschichte,
Wir trinken Lethe aus dem Wodkaglase,
Wir reiten, und die Spur der Wind vernichte,
Auf daß kein Igel nenn mich lahmer Hase.

ARSENIOS:
So komm mit mir und zeig dich allen andern,
Was wir auch tun, hier ist nichts zu erwarten,
Es sind ja nur zwei Stündchen hinzuwandern,
Dann grüßt das Haus in einem kleinen Garten.

STERL: Geh hin! Die Mutter bringt das Zelt uns zweien,
Wir werden eine Nacht am Brandplatz wachen,
Die letzte Pforte läßt den Windstoß schreien,
Mit bleibt es noch, das Licht hier auszumachen.
(Arsenios geht ab.)


Vierte Szene.
Sterl, Landarzt

STERL: Was seh ich dort, ja, eine Menschenseele,
Ein Mann zu Rad tritt straff in die Pedale,
Es gibt kein Mittel, daß ich ihm verhehle,
Daß diese Landschaft ward die gänzlich kahle.

LANDARZT:
Gelobt sei Gott! Zum Vesper nichts als Trübe,
 

 

34
 
Ich hörte schon im Dorfe von dem Schrecken,
Doch wahrlich, wie man auch die Augen hübe,
Es bleibt dem Trost kein Restchen zu entdecken.

STERL:
Seid ihr denn nicht mehr bös, weil immer wieder
Ich euch den Korb gab, Impfung und so weiter,
Manch scharfes Wort fiel einst gewitternd nieder,
Als meine Tage waren hell und heiter.

LANDARZT: O nein, ich war euch übel nie gesonnen,
Ich hadre selber oft mit Zweck und Mitteln,
Eur schöne Frau ist ja ein Wunderbronnen,
Da gibt es für den Doktor nichts zu kritteln.

STERL: Wenn grad der Doktor in der Näh, ich nutzte
Gern Medizin, um das Gemüt zu glätten,
Nicht daß es mir zu arg die Flügel stutzte,
Doch ohne Einklang bin ich nicht zu retten.

LANDARZT:
Der Wald hat viel, was eurem Wunsche diente,
Allein dem Arzt ist alles streng verboten,
Was des Gemüts gebrochnen Knochen schiente,
Er darfs allein bei nahezu schon Toten.

STERL: Was sind das für verdorbene Gesetze,
Die den Erwachsenen zum Lügen zwingen,
Ich wußte nichts von einer Kräuterhetze
Und hab mich nie befaßt mit solchen Dingen.
 

 

35
 
LANDARZT: In Pilzen, Schattenblühern und in Winden
Gibts Stoffe, die man einst für Rituale
Hat ausgenutzt, im Traum das Heil zu finden,
Der Chemikus fand leuchtende und fahle.
In Deutschland, eh der Weltkrieg ward gehalten,
Erstritt man im Labor in bester Güte
Substanz, die Seel zu heben und zu falten,
Darum sich einst das Kräuterweiblein mühte.
Doch was ein Segen sein sollt dem Erkennen,
Ward transatlantisch bald zur trübsten Mode,
Nicht um am Rand des Göttlichen zu brennen
Als Pyramide, Tempel, Dom, Pagode,
Rein als Vergnüglichkeit und als Marotte
Probierte man, was brennend oder mehlig,
Und machte dann den Stoff zu seinem Gotte
Als progressiv und total psychedelisch.
Die Inka kauten Koka und erbauten
Paläste, und das Schwert der Sarazenen
Gefürchtet war, obgleich Pupillen schauten,
Die sich erneut zum Haschischrauche sehnen.
Die Maya und am Baikal die Schamanen,
Bemühten unsrer Birke roten Ritter,
Um aus dem Traumreich Weisheit abzusahnen,
Wo unsre Mühe fand nur kleinste Splitter.
Der Massenwahn profant die Pflanzenbasen,
Und schafft den Schlenderern und ganz Verkrachten
Die Orgie und ein dionysisch Rasen,
Aus dem sie niemals unbetäubt erwachten.
Unmündige, nur drauf bedacht zu dämmern,
Veranlaßten die Staaten zu Gesetzen,
Mit denen sie auf Moleküle hämmern,
Die den gewohnten Ordnungssinn verletzen.
 

 

36
 
Das Heroin, das Englands Bergarbeiter
Einst nahmen, wenn das echte Bier zu teuer,
Klomm manche Sprossen der Gefahrenleiter,
Als jeder Apotheker warfs ins Feuer.
Es stieg der Preis geschmuggelter Produkte,
Daß man es nicht mehr aufaß sondern spritzte,
Und währends harmlos wirkte, da mans schluckte
Sich die Gewalt nun astronomisch spitzte.
Bald lagen Tote in der Parktoilette,
Man schärfte die Gesetze und Kontrollen,
Nicht sehend, daß allein das Mittel rette,
Der Macht entsagen um das Seelenwollen.
Inzwischen sind Geheimdienst und Beamte
So tief verstrickt ins Großgeschäft der Pillen,
Daß keiner, dessen Geld von daher stammte,
Ist Plänen zur Entstaatlichung zu willen.

STERL: Ihr bindet Dinge, die mir weltfern schienen,
Ich will das alles gründlicher bedenken,
Doch wills mir nicht als rechte Leitschnur dienen,
Der Jugend die Dämonenkraft zu schenken.

LANDARZT: Natürlich ist verfahrn die ganze Lage,
Das Ende des Verbots bannt nicht die Süchte,
Nur wär ein andrer Umgang mit der Plage
Ein erster Schritt für dauerhafte Früchte.
Das Eingeständnis wäre zu begrüßen,
Daß Sucht nicht kommt von teuflischen Substanzen,
Sie kommt von den Versprechungen, den süßen,
Die nicht nur stehn bei Pilzen oder Pflanzen.
Die Politik moderner Staaten gründet
Auf Lüge und auf törichter Verschwendung,
 

 

37
 
Daß alles dies in ein Verderben mündet,
Wird abgetan als Mißmut oder Blendung.
Man predigt, daß der Jugend was gehöre,
Und man verknappt, was Jugend braucht zum Reifen,
Den Leistungswillen killt, daß man betöre
Die Urteilskraft und läßt die Zügel schleifen.
Die Waffen, die auf Drogenwuchs und Handel
Gerichtet, träfen besser das Verfallen
Der Ziele und der Hoffnungen auf Wandel,
Dann bräuchten wir ein Minimum von allen.

STERL: Nun gut, ich weiß genug und will nicht klagen,
Daß euchs verwehrt, dem Wunsche zu entsprechen,
Ich hab nicht so erfahrn in meinen Tagen,
Daß allzu nah sind Krankheit und Verbrechen.

LANDARZT:
Die Tür, die dort so fad im Winde grummelt,
Sie eignete sich prächtig zum Spaliere,
Ich hab da was, das sie ganz ungeschummelt
Mit einer tollen Blütenpracht verziere.

STERL (höchst aufgebracht)
Was soll der Spuk? Wollt ihr mich noch verspotten?
Ein Trümmerfeld und dann geziert mit Blüten?
Ich brauch nichts gehen Fadheit oder Motten,
Noch will ich eine Schwangerschaft verhüten.

LANDARZT: Nun laßt mich meinen Part zuende sagen,
Vielleicht faßt ihr den kleinen Wink am Schopfe,
Und taugt er ganz und gar nicht euerm Magen,
Bleibt noch der Spruch, ich sei nicht klar im Kopfe.
 

 

38
 
Prunkwinden-Samen hab ich hier und allen
Ist es erlaubt, als Gärtner sich zu freuen
Am Blühn und Reifen und am dann Verfallen
Der Winden, die ein Schmutzgeviert erneuen.
Doch muß als Arzt ich jeden Gärtner schrecken,
Wenn man zerkaut die Samen fest im Munde,
So quillt ein Gift und bleibt im Körper stecken,
Das selbst die Hoffnung kränkt, daß man gesunde.
Hier nehmt den Schmuck für die verkohlte Weide,
Ich muß jetzt heim und ein paar Dinge lesen,
Für eine Frau, die aussprach, was sie leide,
Brauch ich das Wissen, daß sie mög genesen.
(Sterl nickt stumm. Der Landarzt ab.)


Fünfte Szene.
Sterl, Alienor.

STERL (nimmt die Samen in den Mund, kaut gründlich und spült mit dem Tee nach, der so lange unbeachtet stand):
Alienor kommt den Weg mit einem Wagen!
Mein Gott, ich laß sie ganz alleine schuften.
Ich hoff, die Stärkung schafft mir Wohlbehagen,
Wo ringsumher die Träume mir verpuften.

ALIENOR: Ich bringe unser Zelt und warme Sachen,
Auch hab ich Hühnersuppe hier im Topfe,
Der Spiritus vermags, sie warm zu machen,
So steigt uns die Erschöpfung noch zu Kopfe.

STERL: Es war nicht recht, daß ich dir nicht gezogen
Den für die Frau zu voll geladnen Wagen.
 

 

39
 
ALIENOR: O nein, mit Reifen läuft er ungelogen
Von selber fast, so braucht man nicht zu tragen.
Ich denk, dein Wunsch, hier eine Nacht zu trauern,
Ist billig nach der Zeit, der Müh, dem Hoffen,
Ich muß noch stets bei dem Gedanken schauern,
Es hätt uns beinah ärger noch getroffen.

STERL: Nicht maßlos ist das Nehmen wie das Geben,
Weil wir, was uns zu groß ist, nicht verkraften,
Im Urteil wolln uns nicht arg verheben,
Da wir ja schon den kleinern Teil nicht schafften.

ALIENOR: Du hast ja nichts gegessen von dem Brote,
Ist dir der Tee so nüchtern auch bekommen?

STERL: Ich trank ihn als die Sonne grad verlohte.
Er wirkt, als hätt ich noch viel mehr genommen.

ALIENOR: So ist es gut, wenn wir das Zelt errichten,
Ich mach dann auf dem Kocher uns die Suppe.

STERL: Ich bin befreit von Sorgen und von Pflichten,
Und was wir ernst, das ward mir beinah schnuppe.
Laß uns noch mal um dieses Grundstück schreiten
Wie damals, als wir grade hergekommen,
Ich fuhr in einem Stück den Weg, den weiten,
Als Moskau schwand und alles schwieg beklommen.
Ganz übernächtig so wie heut geschunden,
Wir kamen an und gingen Arm im Arme
Mit mancher Narbe und mit offnen Wunden,
Vereint im Hoffen und vereint im Harme.
(Er umfaßt sie und schiebt sie mit sich fort.)
 

 

40
 
ALIENOR: Vielleicht bin ich gealtert mit dem Hause.
Mir scheints ich kam fidel und ohne Sorgen.

STERL: Grad so wie einst nach einer langen Sause,
So schritten wir durch einen kalten Morgen.
Wir waren da. Das zählte. Und zusammen.
Die Kinder schliefen auf den Hintersitzen,
Wir sorgten uns, die Tür nicht zuzurammen
Und stiegen aus grad wie auf Zehenspitzen.
Vom Tal drang Nebel schwer mit dichten Schwaden
Wie ein Geheimnis und ein Abenteuer,
Nun laß uns wieder im Geheimnis baden,
Im Schweigen, das uns überblieb vom Feuer.

ALIENOR: Merkwürdig rinnt die Rede dir vom Munde,
Du wachtest lang. Dies führt zu einem Rausche.
Die Mönche schätzen diese Hellsicht-Stunde,
Sie fasten, daß der Herr die Weiser tausche.

STERL: Ich fühle mich, wenn ich so mit dir schreite,
Es fiele von mir mancher schwere Packen,
Es duftet wundersam von deiner Seite
Und herrlich kränzt dein Haar den weißen Nacken.

ALIENOR: So sinnlich hast du lange nicht gesprochen,
Ich meinte gar, dies sei das Los der Ehe.

STERL: Hat ich dich früher bloß so fein gerochen,
Wie ich es jetzt zur Stunde hier verstehe!

ALIENOR: Was hat dich so begabt mit diesem Sinne?
Du schienst mir vorhin müde und erschlagen.
 

 

41
 
STERL: Du bist die Kraft, daß ich mich selbst beginne,
Dies ist der Sinn von allem Tun und Wagen.

ALIENOR: Wenn man uns hörte, sagte man: Verrückte!
Da ist verbrannt wohl alles, was sie hatten.
Was tun sie? Komplimente, ganz entzückte,
Bemühen sie wie frisch verliebte Gatten.

STERL: Wer niemals liebt, muß alle Liebe schelten,
Doch wer sie kennt, schilt keinen mehr als Toren,
Sie schafft, verschlingt, verwandelt alle Welten,
Und keine Krone reicht an deine Ohren.
Du bist mein Glück, mein Schweigen und mein Reden,
Du spulst den Faden, der mich führt zum Lichte,
Was du betrittst, das ist für mich mein Eden,
Dein Körper die unendliche Geschichte.
Sag, weißt du doch, wie wir uns erstmals trafen,
Ein Sommertag, so weiß wie die Korallen,
Ich seh es noch, es war nicht weit vom Hafen,
Zuerst war ich den Beinen bloß verfallen.
Dein Badeanzug war recht knapp geschnitten,
Mein Aug verwöhnt kam ganz auf seine Kosten,
Und bist mit solcher Anmut hergeschritten,
Daß ich so starr wie ein Paradeposten.
Wir haben später solche Werbungstänze
Verworfen wie die ganze Lebensweise,
Jedoch es kamen Herbste viel und Lenze
Und die Verrücktheit wurde doch nicht leise.
So denk ich oft, daß Gott doch seltne Wege
Beschreitet, um den Heilplan auszuführen,
Ich fand dich in dem sündigen Gehege,
Um dich als meine Heilige zu küren.
 

 

42
 
ALIENOR:
Wenn wir die Wege auch nicht recht durchschauen,
So fühln wir doch die gnadenreichen Muster,
Der eine sagt, den Weg in diese Auen
Verdankst du deinem ordentlichen Schuster.
Der andre meint, es läg am guten Essen,
Und wieder einer schiebt es auf das Wetter,
Ich lauschte dir, als wäre ich besessen,
Du schienst vertraut mir grade wie ein Vetter.
Es war sofort beschlossen, was uns bannte,
Die Griechen nanntens Eros mit dem Pfeile,
Es war, daß ich dir meinen Namen nannte,
Und alles weitre kam in großer Eile.
Jedoch es war nicht eine blöde Grille,
Die mancher allem Hastigen bescheinigt,
Es war des Himmels unbedingter Wille
Und also ward das helle Blut vereinigt.

STERL: Und aus der Liebe wuchs das Unbehagen
An unsrer Wirtschaft und den falschen Werten,
Wir konnten es im Himmel nicht ertragen,
Daß sie die Erde drunten bös entehrten.
Ich suchte Macht, das Unheil abzuwenden,
Der Teufel war in diesem Fache schlauer,
Ich schuf uns ein Asyl mit bloßen Händen,
Es brannte ab bis auf die letzte Mauer.
Verzagtheit kam und bohrte mir im Herzen,
So wie ein Eiter in der Fingerkuppe,
Die Ausflucht suchte ich in schlechten Scherzen
Doch dann kamst du mit einer Hühnersuppe.
Die Liebe ist so morgenfrisch und heiter
Wie damals, als wir immerzu nur träumten,
 

 

43
 
Und immer wieder ging der Weg uns weiter,
Wenn wir den Schutt des Untergangs verräumten.
So wird sie uns auch heute weitertragen,
Ein Flügelschlag und hinter uns Äonen,
Wir werden nicht am Teufelsgroll verzagen,
Nicht fordern, jemand sollte uns belohen,
Nicht fordern, daß man heb den alten Schleier,
Der Sterblichen der Unterpfand der Süße,
Wir wissen, alles Werk ist Lob und Feier,
Daß wir uns neigen, sind uns Kreuz und Füße.
Der Sonnenstrahl ist schon so viel der Gnade,
Daß uns das Leben wird zu kurz zu danken,
Kein Opfer ist für unsern Herrn zu schade,
Denn fern von ihm muß jeder Sinn erkranken.
Die Müh ist nicht ein Mittel uns zu heben,
Sie ist das Heil daselbst, führt sie die Liebe,
Drum wolln der Welt wir jede Schuld vergeben,
Wenn uns die Lieb die immergrüne bliebe.
 

 

44
 


DRITTER AUFZUG
Der vordere Teil der Bühne ist durch einen Vorhang begrenzt, der die Moskauer Skyline zeigt. Zwei Ledersessel steigen aus der Versenkung. Ugol und Solotow nehmen Platz, der erste krampft sich die Hände, der andere spielt nervös mit seinem Handy.

Erste Szene.
Ugol, Solotow.

UGOL: Es muß doch immer eine Lösung geben,
Sackgassen rings, ich werds nicht unterschreiben.
Die Kohle ist nur Gold, wenn wir sie heben -
Wer wollte da den Tag im Bettchen bleiben?
Abwickeln, Warten, Rumtaktiern und Beten?
Vielleicht ists besser in den Wald zu laufen?
Ich halte nichts von Untergangs-Propheten,
Mir taugts, wenn ringsum die Turbinen schnaufen.
Es mag ja sein, es gibt auch mal Verluste
Und manchmal stürzt auch wer von einer Leiter,
Der Braten ist so kalt nicht wie die Kruste,
Das Leben geht doch immer wieder weiter.

SOLOTOW: Das Leben schon. Mit anderen Akteuren.
Der Zar ist tot und gibt uns keinen Orden.

UGOL: Ich kann die Litanei schon nicht mehr hören,
Ich frage mich: Was ist aus uns geworden?

SOLOTOW: Versuchen wir, historisch das zu lesen:
 

 

45
 
Der Rubelfall schlug dem Export die Schneise,
Gleichzeitig drückten Inder und Chinesen
Mit Billiglöhnen alle Weltmarktpreise.
Der Überschuß in Peking kaufte ständig
Die Staatsanleihn der Yankees, deren Schulden
Den Wohlstand hielten und das Volk lebendig -
Doch was, wenn die sich nicht mehr so gedulden?
Was wollt die Hypothekenkrise sagen?
Die Banker liebten solche Sicherheiten.
Doch Sicherheit kann den Kredit nicht tragen,
Hilft er nicht, eine Leistung auszuweiten.
Landauf landab ward nur Konsum gewonnen,
Da weiß ein Kind, kommt Tilgung nicht infrage,
Und bald ist auch die Sicherheit zerronnen,
Wenn allzuviel gepfändet wird am Tage.
Doch nicht genug, Jongleure mit Papieren
Verkauften die Verluste in Paketen,
So nannte sich ein Wertstück das Verlieren,
Doch niemand wagte, aus der Reih zu treten.
Dann strauchelt eine Bank, weil das Reale
Gefordert wird, das wich dem Virtuellen,
Nun zeigt sich, daß die goldverzierte Schale
Enthielt den Reibach nur, den allzuschnellen.
Wenn das System platzt, drauf wir stetig setzten,
So zeigt sich, daß Finanzen bloß Vertrauen,
Die Hunde beißen immerfort den letzten,
Der kann nicht mal mehr eine Hütte bauen.

UGOL: Vermag die Börse nichts mehr auszurichten,
So muß man auf den Binnenkreislauf hoffen,
Die Grenzen und die Währung abzudichten
Ist not, wenn Chaos strömt, wo alles offen.
 

 

46
 
SOLOTOW: Doch wer sich mit Exporten eingerichtet,
Und sich gefiel, wenn Wessis was verzehren,
Wird merken, wenn er jäh darauf verzichtet,
Daß sich die allerletzten Kassen leeren.
Dann gibts den Aufstand, weil das Brot zu teuer,
Die Werften schließen, und die Arbeitslosen,
Sie reden sich vor Langerweil ins Feuer,
Und dann gehts uns, den Reichen, an die Hosen.

UGOL: Was heißt hier reich, ich bin so gut wie pleite,
Der Stillstand darf nicht mehr sehr lange dauern.

SOLOTOW: Oho! Wenn intressierts in diesem Streite,
Sie werfen bald die Mollos auf die Mauern.

UGOL: Sie ruiniern sich selbst, wenn die Elite
Sie massakriern, die Lagerhallen plündern.

SOLOTOW: Das sehn sie anders. Die verfreßne Niete
Ist kein Verlust. Der Vorrat sei den Mündern,
So heißts, verteilt wird dann im großen Rausche,
Da ists gering, das manches wird zertreten,
Schluß mit den Bonzen und dem Warentausche,
Wir darbten allzulange in Gebeten.

UGOL: Wie wehrn wirs ab? Ich bin Familienvater,
Man muß sich wohl die ärgsten Sorgen machen,
Auf dem Vulkan? Bald explodiert der Krater -
Wie kannst du bloß bei dem Szenarium lachen?

SOLOTOW: Ich reise. Auf der Krim ist alles friedlich,
Bis Klarheit herrscht, dann werd ich wiederkehren,
 

 

47
 
Von dort erscheint der Volkslärm eher niedlich,
Ich hab nicht Lust, mich meiner Haut zu wehren.

UGOL: Ich sorge mich um Hütten und Fabriken,
Um Kupferbergbau, Kräne, Eisenbahnen,
Kann nicht wie du die Welt zum Teufel schicken
Und warten, bis die andern besser planen.
(Beide nach verschiedenen Seiten ab. Die Sessel verschwinden in der Versenkung.)


Zweite Szene.
(Der Moskau-Vorhang hebt sich und gibt den Blick in Sterls Blockhaus frei.)
Sterl und die ganze Familie.

PELAGIA (singt zur Gitarre):
Der kleine Jimmy sitzt am leeren Tresen,
Und Mary kommt nur mit der Whiskeyflasche,
Sie ist so kurz an seinem Glas gewesen,
Daß er nur einen Blick aufs Haar erhasche.
O Jimmy, ist verdeckt von einem Riffe
Die Schöne oder ging sie nur drei Schritte?
O Jimmy, wenn man Seegang spürt im Schiffe,
Hat dann der Kleine einmal frei die Bitte?
Der kleine Jimmy zählt nicht mehr die Gläser,
Sie werden gelblich und dann wieder klarer,
Das Grün wird fahl, wenn Schatten deckt die Gräser,
Und wenn es kehrt, wird es darum nicht wahrer.
O Jimmy, ist verdeckt von einem Riffe
Die Schöne oder ging sie nur drei Schritte?
O Jimmy, wenn man Seegang spürt im Schiffe,
 

 

48
 
Hat dann der Kleine einmal frei die Bitte?
Der kleine Jimmy kann recht viel vertragen,
Er weiß nicht mehr, wie alles angefangen,
Und spürt er einen dumpfen Druck im Magen,
Versucht er wieder einen Blick zu fangen.
O Jimmy, ist verdeckt von einem Riffe
Die Schöne oder ging sie nur drei Schritte?
O Jimmy, wenn man Seegang spürt im Schiffe,
Hat dann der Kleine einmal frei die Bitte?
Der kleine Jimmy nickt zu den Saluten
Von Marys Flasche, um bloß nicht zu lallen,
Er hält geheim sein Herz und läßt es bluten,
Und ist zuletzt dann doch vom Stuhl gefallen.
O Jimmy, ist verdeckt von einem Riffe
Die Schöne oder ging sie nur drei Schritte?
O Jimmy, wenn man Seegang spürt im Schiffe,
Hat dann der Kleine einmal frei die Bitte?

STERL:
Du sangst schon schöner, nicht von Säufernasen
Und hoffnungslosem Schmachten des Idioten,
Von Stuten, die auf unsern Feldern grasen,
Von Lerchen, die den Frühlingsgruß entboten.

PELAGIA: Das Leid ist Teil der Welt, es übersehen
Ist herzlos, und bei trauerreichen Liedern
Seh ich die Leute, wie sie in sich gehen
Und auch den Gruß des Nachbarn leis erwidern.

STERL: Das sing vom großen Leid der Russenerde,
Von Äckern, brach im Netz der Spekulanten,
Vom Knistern, wo nur Wasser kocht am Herde,
 

 

49
 
Von Höfen, die in einer Nacht verbrannten.
Doch solches grade importierte Schmachten,
Solch Weh und Ach, das keiner Tat gewogen,
Das hilft nur, die schon Müden zu umnachten,
Und meint, wie es, sei alle Welt verlogen.

PELAGIA:
Die Jugend mag den Flipper und den Western,
Ich mag nicht singen auf Parteibanketten,
Wer Rußland singt, der gilt schon als von gestern
Und sollte sich ins Mausoleum betten.

STERL (seufzt):
Da siehst du wohl, Gesang und Rumgetändel
Ist nichts für eine Maid aus gutem Hause,
Du kommst auf diesem Weg in böse Händel,
Drum rat ich dir: Vergiß die dumme Flause.
Statt Klampferei und andre Spielereien
Wärs not, recht jung den Hausstand einzurichten,
Du solltest einen starken Burschen freien,
Das weitre kommt von selbst mit allen Pflichten.
Wags besser jetzt im mailichen Erwachen,
Eh Juni-Trübnis dir den Tag verregnet.

PELAGIA: Mein lieber Vater, da ist nichts zu machen,
Mit ist der Rechte einfach nicht begegnet.

STERL: Der Waldemar mit seiner schönen Stimme,
Der hier mal Mist fuhr aus dem Schweinestalle,
Ich dachte, daß da zwischen euch was glimme,
Und zagte fast, du kämst zu rasch zu Falle.
 

 

50
 
PELAGIA: Ich hab doch nicht Tomaten auf den Augen,
Der Waldemar ist schwul und steht auf Kerle,
Das Mädchen kann zur Poesie ihm taugen
Und heißt dann Kätzchen, Wölkchen oder Perle.

STERL: Was sind das hier für anstandslose Sachen,
Du sprichst vor Kindern, grad, als wärs das Wetter,
Was wird solch Umgang aus der Tochter machen?
Gibts denn nur Schmutz und nirgendwo den Retter?

ARSENIOS: Hab unsretwegen Vater keinen Kummer:
Wir wissen aus der Bibel von den Sitten,
Die fern von unsrer ihren süßen Schlummer
Mit gänzlich anderm Ritual erstritten.

ALIENOR (zerrt Arsenios rasch vom Vater weg):
Nun halt den Rand du unverschämter Schlingel,
Der Bub ist frühreif und die reinste Plage,
Er bleibt nicht bei Jorinde und Joringel,
Der Pope sagt, er ist ein Bibliophage.

PELAGIA:
Ich denk, man muß da deutlich unterscheiden,
Es gibt wohl Leute, die es ruchlos treiben,
Doch manche sind gewißlich gut zu leiden,
Wenn sie uns russische Gedichte schreiben.

STERL: Nun Schluß, geht raus, die Tiere haben Hunger,
Und daß mir keiner kommt zu spät zum Essen,
Dies ist kein Ort für Schwatz und Rumgelunger,
Das sollte groß und klein hier nie vergessen.
 

 

51
 
Dritte Szene.
Eine Journalistin tritt auf.

JOURNALISTIN:
Hallo, ich hab mich jämmerlich verfahren,
Die Gegend hier ist furchtbar ausgeschildert,
Man meint, man fände sich im Reich des Zaren,
Nun, gut für den Artikel, der bebildert.

STERL: Bleibt Kinder hier, daß man nicht später sage
Ich wollte wem den Maulkorb jetzt verpassen.
(zur Journalistin):
Der Rock, mein Kompliment, könnt alle Tage
Sie ehrbar und gereift erscheinen lassen.

JOURNALISTIN:
Nun ja, Sie wissen, daß ich mich dem Brauche
Des Hauses fügte wie wir es besprochen,
Mir ists, als ob ich in die Rolle tauche,
Aus der ich einmal fröhlich ausgebrochen.

STERL: Wir glauben nicht, daß solcher Ausbruch lohne,
Er heißt, den Rat sich bei Versagern borgen,
Seit ich im Walde mit Familie wohne,
Spürn wir die Gnade Gottes jeden Morgen.

JOURNALISTIN (zu Arsenios):
Der Vater schlägt dich öfter mit der Gerte -
Ist er nicht hart mit solcherlei Erziehen?

ARSENIOS:
Nicht hart ists, wenn er mir die Unart wehrte,
 

 

52
 
Und was ich bin, bin ich durch ihn gediehen.
Wohl besser scheint mir, wenn mit einem Schmerze
Der Fehler wird gebüßt, die freche Zunge,
Dies macht uns frei, daß man sich wieder herze
Und nicht geheim verurteilt werd der Junge.

JOURNALISTIN:
Der Bub spricht seltsam, wenn auch recht belesen.
Ich hörte, Sie verachteten die Schule?

STERL: Die Bildung ist ein arg verkommnes Wesen
Und ähnelt immer mehr der Schweinekuhle.
Die Kuschelpädagogik schafft Idioten,
Unfähig, sich ihr täglich Brot zu dingen,
Als Lehrer schickt die Popkultur die Boten,
Da kann nicht mal das mindeste gelingen.

JOURNALISTIN:
Und ihre Frau muß wie man sagt am Herde
Verkümmern, hat Beruf nicht, Freizeit, Tage,
Wo sie sich lösen kann von dieser Erde,
Um Kraft zu schöpfen für die nächste Plage.
Es ist kein Fernsehn hier, was Frauen lieben,
Kosmetik, Schmuck, den Schwatz mit andern Frauen,
Ich denk, wenn jemand so zurückgeblieben,
So wird er sich bald überhaupt nichts trauen.

ALIENOR: Sie denken völlig falsch und all die Leiden,
Die Sie mir attestiern, sind überspannte,
Wer froh und glücklich sein kann von uns beiden,
Entscheide einzig, wer auch beides kannte.
Ich sei beruflos, meinen Sie und sehen
 

 

53
 
Nicht daß Beruf vom Ruf kommt durch die Zeiten.
Wer ruft nach Blättern, die so rasch verwehen,
Wie sie gedruckt, und dummen Eitelkeiten?
Als Mutter sind Berufung mir und Ehre
Vom Himmel und im Heim, erbaut aus Liebe,
Erscheints mir Schrulle, das ich was entbehre,
Daß ein Talent mir unentfaltet bliebe.
Allein die Kinder, dann das Land, die Tiere,
Was glauben Sie, was schult und schafft Charakter,
In Moskau kannt der Blumen grad ich viere,
Der Mensch von heut, in Wahrheit ists ein nackter.
Ich bräuchte Urlaub, meinen Sie - vom Leben?
Ich denk dazu ist Zeit genug im Grabe,
Nach dem was man nicht ist allein zu streben
Erscheint mir bloß ein törichtes Gehabe.
Kosmetik, Schmuck? Der ganzen Maskerade,
Die decken soll den Menschen ohne Seele,
Ist mir schon der Gedanke viel zu schade,
Weil niemals ich die Sterblichkeit verhehle.
Sie meinen, daß mein Mann mich unterdrücke,
Um rechtzuhaben vor dem Geist der Zeiten.
Da sagt ich nur: Sie ahnen nichts vom Glücke,
Wenn Mann und Frau in eine Richtung schreiten.
Sie sehns als Sklaverei, wenn ich gestehe,
Ich könnt mich im Gedanken nicht empören.
Sie nennen Trug, daß ichs als Freiheit sehe,
Weil sie sonst Ihre Religion verlören.
Sie glauben nicht an Gott und den Erlöser,
Sonst wollten Sie die Schöpfung nicht verbessern,
Ich sag es klar: Das ist das Reden Böser,
Erst zuckersüß und dann mit langen Messern.
 

 

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JOURNALISTIN:
Uff, sag ich da, die Fraun sind manchmal krasser
Als noch die Männer, wenn sie radikale,
Wer widerspricht, ist dann ein Menschenhasser,
Doch sag ich dennoch nicht: Ich geh und zahle.
Ich würde gern die Jüngeren mal hören,
Ob dies Vermächtnis auch für sie verbindlich,
Dann werd ich nicht mehr allzulange stören,
Denn was ich denk, trifft manchen wohl empfindlich.
(zu Pelagia)
Sie sind doch an der Uni, lieg ich richtig,
Studieren Romanistik, die Franzosen
Sehn manche Dinge doch nicht so gewichtig,
Und an der Uni braucht man nicht Mimosen.

PELAGIA: Oja, nach Frankreich haben Russengeister
Sich oft gesehnt mit wechselnden Motiven,
Molière zum Beispiel ist ein großer Meister
Mit scharfem Aug am Graden und am Schiefen.
Was man landläufig Leichtsinn nennt, als gelte
Dem Franzen nur Ballett und Wein und Weiber,
Dies find ich eine ungerechte Schelte,
Und meist paßt dieser Leichtsinn auf den Schreiber.
Was mir behagt, das sind die klaren Blicke,
Unkruden Worte gradenwegs zur Sache,
Nicht, daß auch dort wer flunker mal und flicke,
Doch selbst die Schelmerei ist eine wache.
Wer übt die fremden Sitten oder Normen,
Tuts niemals, um das Eigne zu verwerfen,
Es kann uns aber, was die andern formen,
Den Blick auf unsre eigne Tugend schärfen.
 

 

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JOURNALISTIN:
Nun ja, so weit, ich hätt dann nur noch eines,
Herr Sterl, was sagen Sie zur Bankenkrise?

STERL: Das ist vielleicht das End des großen Scheines
Und mancher, der ihn aufgebläht, macht Miese.
Sie wissen doch, ich bin ein schlichter Bauer,
Hab nie begehrt, ein Bankhaus aufzumachen,
Auch dem, der achtgibt, wird die Milch mal sauer,
Und wenn die Katz stirbt, hat die Maus zu lachen.

JOURNALISTIN:
Nun ja, ich dachte, weil mit großem Gelde
Sie einmal standen souverän im Bunde,
Sie hätten ein Rezept auf diesem Felde
Und warteten nur noch auf Ihre Stunde.

STERL: Mag sein, doch ist die jetzt noch nicht gekommen,
Und also ists nicht klug, zu arg zu eilen,
Noch nennt man einen Trottel dort den Frommen,
Wo Bank und Wirtschaft sich die Beute teilen.

JOURNALISTIN:
Ich will für alles danken, was ich hörte
An Programmatik, an Kritik und Psalter,
Entschuldigt sei, wenn eine Frag empörte,
Ich bin nicht allzu oft im Mittelalter.
(Sie geht recht rasch ab.)

STERL (erhebt sich, gibt Alienor einen Kuß, dann zu allen):
Ich bin so stolz auf euch, auf eure Treue,
 

 

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Was ist ein Mann, der hat nicht solche Stärken,
Pelagia, sag dem Waldemar, die Reue
Ergriffe ihn, würd er dies Glück bemerken.
Ich danke Gott und dies aus tiefstem Herzen,
Daß seine Gnade mich mit euch beschenkte,
Was sind dagegen Hindernisse, Schmerzen,
Wenn Er die Dinge so vollkommen lenkte.
Ich spüre, wie der Stolz mich stärkt und rüstet,
Denn vor uns liegen weitere Gefahren,
Doch eh sich einer mit Verdiensten brüstet,
Tut jetzt die Pflichten, die seit jeher waren.
(Alle, außer Sterl und Alienor, ab.)


Vierte Szene.
Sterl, Alienor, später Ugol.

STERL: Sag, Liebes, hast du etwas übertrieben,
Um diese dumme Pute zu brüskieren?
Du mußt dich oft so ganz nach hinten schieben,
Nicht nur wie wir beim Essen nach den Tieren.

ALIENOR:
Mag sein, die Kinder stellten sich heut braver,
Um jeden Angriff mutig abzuwehren,
Doch ich verlang nicht Weizen statt dem Hafer
Und mein, ich steh in allerhöchsten Ehren.
Ein jedes Wort, das ich der Ahnungslosen
Gesagt, sag ich dem Herrn auch beim Gerichte,
Es sind kein halbes Aug und kein Almosen
Und keine Zweifel drin in der Geschichte.
 

 

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STERL: Verzeih die Frag, mir ists wie die Ballade
Vom Ring des Polykrates, der im Glücke
Befürchtete, daß es ihm letztlich schade,
Weil allzugroß erschienen ihm die Stücke.

UGOL (tritt auf):
Recht guten Abend wünsche ich der Dame
Und auch dem Vater dieses Lobs der Erde,
Ich suchte nicht, ob an dem Tor ein Name,
Die Wirtschaft sprach mit deutlicher Gebärde.
Es wird dich, Sterl, nicht allzu überraschen,
Daß ich den Rat such hier an dieser Pforte,
Hat auch das Netz nicht mehr die alten Maschen,
So sickert manches doch in alle Orte.

STERL: Du bist nicht Banker und mit Wertpapieren
Kein Händler und so wohl nicht recht betroffen,
Drum dacht ich ehr, du würdest dich noch zieren,
Das Haus zu suchen, das dir immer offen.

UGOL: O nein, die Krise ist längst fortgeschritten,
Die Bank verkauft an Leute, die man drastisch
Heuschrecken nennt, weil nirgendwo gelitten,
Die Schulden, und die Folgen sind phantastisch.
Die Tilgungsfrist verfällt, und eine Pfändung
Noch abzuwehrn, verkauft der Sachen sieben,
Doch bleibt das Geld knapp, weil dieselbe Blendung
Bei allen Kunden, auch den Großbetrieben.
Der Wirtschaftskreislauf kommt ganz zum Erliegen,
Weil überall die baren Mittel fehlen,
Man spricht von Aufruhr oder gar von Kriegen,
Und schon im Ausland sind die feigsten Seelen.
 

 

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Man fordert, daß der Staat die Wirtschaft stütze,
Der meint, das Geld flöß rasch in andre Länder,
Manch Ruinierter schießt sich in die Mütze,
Ich aber glaub, du seist der Schicksalswender.

STERL: Ich bin der Heiland nicht, noch Kroisos selig,
Ich werde drüber sinnen, was zu machen,
Doch obs Effekt, die Skepsis nicht verhehl ich,
Es wird schon bald noch etwas ärger krachen.

UGOL: Du wolltest einst den Präsidentensessel,
Was wär, hätt man uns da nicht ausgebootet,
Ich meinte, Du durchschaust die Macht der Fessel
Und hättest unsern Tiefgang ausgelotet.

STERL: Auch Präsidenten haben die Berater
Und auch Bedenkzeit, eh geschehn Gesetze,
Ich bin seit Jahren bloß Familienvater,
Jetzt stehst du hier und drängst zu höchster Hetze.

UGOL: Nun gut, ich kann ja wiederkommen morgen,
Dann hast du Zeit, die Lösung zu ersinnen,
Ich hab ja sonst nichts andres zu besorgen,
Versteh, die nackte Panik tickt hier drinnen.
(Er deutet auf sein Herz)

STERL: Nimm erstmal einen Tee und setz dich nieder,
Ich bin ein Mann von raschesten Entschlüssen,
Es ist nicht gut, du kommst erst morgen wieder,
Weil wir den Knoten gleich entschlingen müssen.

ALIENOR: Mit Zucker, Kandis oder etwas Sahne?
 

 

59
 
UGOL (setzt sich):
Nein danke, nur so schwarz wie meine Seele.
Ich wußte doch, du weichst nicht von der Fahne,
Wenn ich dem Paradies die Unschuld stehle.

STERL: Der Kreislauf, ja, den Rechner und die Daten...

UGOL: Ist alles da, Büro im zehnten Stocke.

STERL: Ja, der Gedanke hat recht viele Paten,
Der Gärtner sei, sprach mancher auch zum Bocke.

UGOL: Hast du die Spur. Wie solln wir weiterleben?

STERL: Nur so in etwa. Wer was hat zu bieten,
Der fordert Geld, ums selber auszugeben
An einen Bieter, und so weiter, Mieten
Und Käufe finden endlich zu dem Kreise,
Weil alles, was bewegt wird, muß bewegen,
Das Geld erschafft dem ganzen seine Schneise,
Doch wenn wir einen Schwamm darüberlegen,
So gehts auch ohne, wenn der Kreis geschlossen,
Es fällt heraus, wenn wir die Brüche kürzen,
So muß, wenn alles mitspielt unverdrossen,
Die Würgemacht des baren Geldes stürzen.
Tauschbörse nenn ichs, und für zwei Prozente
Will ich den Laden aufbaun und erhalten,
Es scheint mir möglich, das vom Geld getrennte
Im Warenstrom in eine Reih zu schalten.

UGOL:
Du bist genial. Wann solls geschehn? Noch heute?
 

 

60
 
STERL: Ich denk, du hast hier einen schnellen Wagen?

UGOL: Den ich dir immer anzubieten scheute...

STERL (zu Alienor):
Du mußt den Kindern alles Liebe sagen.
Ich spüre tief, daß unser Rußland fordert,
Es blutet, und vielleicht kann ich es stillen,
Ich werd zum Generalstab abgeordert,
Ich fühl den Herrn im unbedingten Willen.

ALIENOR: Ich weiß. Schon eh Ugol betrat die Stube,
Drang Schwanensang aus deinem sanften Munde
Ich folge dir in jede Höllengrube
Und bleibe auch, wos nötig in der Stunde.
Du weißt, daß dein Refugium steht geschlossen,
Wenn du im Wolkenkratzer stellst die Weichen,
Und wenn dich Gott erlöst von diesen Bossen,
So wird dein Reich aufs Haar dem alten gleichen.
(Sterl küßt sie. Dann alle rasch ab. Es wird dunkel.)


Fünfte Szene.
(Es wird wieder hell.)
Alienor, Arsenios.

ALIENOR: Ach Gott, das Telefon, wie macht es bitter,
Wie sind getrennt schon lang und immer länger,
Ich hab vom Manne nur den kleinsten Splitter,
Mein Herz ist bang und es wird immer bänger.
Wie soll ich bloß mit diesem Schatten leben,
Ich brauch doch seinen Mut und seine Arme,
 

 

61
 
Der Apparat kann mir die Kraft nicht geben,
Ich brauche seine Hand, die immer warme.

ARSENIOS:
Du mußt nicht weinen! Vater ist ein Krieger
Für Gott und unser Volk und für uns alle,
Er steuert Wirtschaft grad so wie ein Flieger
Die Feindesstellung macht zur Mausefalle.
Er ist ein Held, ihm graust vor keiner Waffe,
Kein Schrecken läßt die Liebste ihn vergessen,
Dies ist die Kraft, die bürgt, daß er es schaffe,
Die Nöte unsres Landes auszumessen.

ALIENOR:
Wer hat dich solchen Spruch gelehrt, mein Bengel?

ARSENIOS: Die Popen sind bei uns nicht Pazifisten,
Und unser Heiland ist kein Friedensengel,
Denn wehrhaft nennen wir den wahren Christen.
Der Teufel spricht heut nicht aus alten Weibern,
Aus Hexentränken oder Ketzerlehren
Er sitzt in den Kanzleien bei den Schreibern
Und sorgt, daß sie den Mammon nur verehren.
Für dieses Ziel will alles er vernichten,
Die Völker und die Sitten und die Liebe,
Er denunziert den Glauben als Verzichten,
Und schürt den Neid und alle Lastertriebe.
Den Dank verlacht er und erhöht den Schlemmer,
Er schafft Verbrauch und riesenhafte Schulden,
Er nennt Musik ein blödes Eingehämmer,
Und will auch nicht die kleinste Stille dulden.
Dem Bauern, der allein besteht vom Segen,
 

 

62
 
Versucht er bös das Wasser abzugraben,
Gefälschte Schöpfung ist sein Herrscherdegen,
Die Essenden in seiner Macht zu haben.
Wer also sät und erntet, ist im Kriege
Mit jenem, der versucht, es zu verbieten,
Er schimpft auf jeden, der noch nutzt die Stiege,
Denn nur im Fahrstuhl sammeln sich die Nieten.

ALIENOR:
Du bist so klug und hast den Mut zu denken,
Doch sei kein Heißsporn und im Herz bedenke,
Der Hochmut läßt dich jedes Schiff versenken,
Darum ihm niemals eine Klause schenke.
Nur wenn sich Güte, Mitleid und Verzeihen
Der Stärke paaren und dem weiten Blicke,
Wird dich der Herr zum Friedensfürsten weihen
Und lenken deine weiteren Geschicke.
Du gleichst dem Vater, wie ich oft bemerke,
Mach nicht die Fehler seiner jungen Jahre,
Denn immerfort behindern seine Werke,
Daß ihm am Anfang hat gefehlt das Klare.
So danke Gott, daß er mit seiner Liebe
Dir Raum gab, daß du Nahrung fandst zu reifen,
Denn viel Begabtes hält sich nicht im Siebe,
Weils Zeit nicht fand, die Larve abzustreifen.
Ich sitze hier und sitz vielleicht noch lange,
Der Vater fliegt, da kann man Schmerz verbinden,
Doch in der Stille wird mir angst und bange,
Ich fürchte oft, das Bild nicht mehr zu finden.

ARSENIOS:
Ach Mutter, du stehst doch auf deinem Posten
 

 

63
 
Wie Vater und du stehst im selben Kriege,
Wir sind doch eins, und nicht nur bei den Kosten,
Auch im Triumphe und im letzten Siege.
Was sind die Stunden, wo wir fast verzagen,
Wenn wir sie an den großen Tagen messen,
Wir kennen diese Seiten aus den Sagen,
Wenn der Erzähler hat das Ziel vergessen.
Wir kennens aber auch aus großen Stücken,
Wenn sich die Handlung windet auf der Stelle,
Dies soll uns aber auch im Herz beglücken,
Denn auch ein Ende ist die große Helle.
Wer Zeit nur totschlägt, kennt nicht ihre Mitte,
Die auch das Warten als Erfüllung deutet,
Wer nicht verhält und immerfort nur stritte,
Erfährt nicht mehr, wie oft er sich gehäutet.
Des Lebens Sinn ist Wandlung im Verharren,
Drum gleicht das Ziel dem weit gespannten Bogen,
Es ist nicht gut, aufs Ende bloß zu starren,
Dann ist vielleicht das Beste fortgezogen.
Wir sind doch nicht allein, wo selbst die Ziegen
Uns anerkennen und uns ganz vertrauen,
Drum dürfen wir das Rückgrat nicht verbiegen,
Um ein Verborgnes aus der Näh zu schauen.
Ich hab gelauscht, als du gesagt dem Vater,
Du wiederholtest alles beim Gerichte,
Da wußte ich, der Herr ist stets dein Rater,
Und deine eigne eine Heilsgeschichte.