Uwe Lammla / Muttermord
 

 



UWE LAMMLA




MUTTERMORD

TRAGÖDIE














 
ENGELSDORFER

 



 


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ISBN 978-3-86901-415-9
© 2009 Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
www.lammla.de





Hergestellt in Leipzig, Deutschland
www.engelsdorfer-verlag.de
7,- EUR
 

 



 

Wenn ein Muttermord geschieht, fällt ein Stern vom Himmel.

SPRICHWORT IN SCHWABEN   
 

 



PERSONEN
SPÄTH, Professor, Fortpflanzungsmediziner
KLUGE, Ines, Photomodell
MAIK, ihr erster Mann
ALEX, ihr zweiter Mann
ORHAN, ihr Sohn
BAFF, Kriminalrat
KLEIN, Kriminalkommissar
FLIP, Psychologin
ELENA, Rechtsanwältin
SCHWAMMINGER-AST, Staatsanwältin
ARZT
DICHTER
DEMONSTRANTINNEN


ZEITEN UND ORTE

Erster Aufzug: 1990 in einer Münchner Klinik
Zweiter Aufzug: 2008 in Neuperlach
Dritter Aufzug: 2009 Strafanstalt Friedberg
 

 

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PROLOG
Maik Kluge, Mitte dreißig, im Nadelstreifenanzug.

MAIK: Mir wurde es vom Management des Hauses
Geheißen, die Besucher zu begrüßen,
Was kommen wird, Gescheites, Krudes, Krauses,
Mag jeder kommentiern mit seinen Füßen.
Ich hab die Rolle nur für ein paar Szenen
Und werd dann unvermittelt abgeordert,
Drum werd ich mich nicht aus dem Fenster lehnen
Zu Zeug, das meine Branche nicht erfordert.
Ich bleib mit meinem Vorwort ganz inmitten
Der Ordnung, die wir alle trefflich schätzen,
Und möcht für unsre Gäste herzlich bitten,
Das andre möge keinen so entsetzen,
Daß ihm die Cornflakes-Pfunde nicht mehr schmecken,
Auch Schöller steht für Aufschwung und Gedeihen,
Die Caritas hat weiche Augendecken,
Die wir Bedürftgen kostengünstig leihen.
Auch darf ich Sie auf jeden Fall bestärken,
Ihr Handy leitet Ihres Unmuts Wogen
Zu Profis, die sich jede Träne merken.
Wir engagierten beste Psychologen.
Auch kamen her von Pullach die Berater,
Denn brauchts den Helm, sich auf dem Rad zu schützen,
Sind härtre Panzer not für das Theater,
Damit Sie weiter der Gesellschaft nützen.
Ich bin, Sie kennen mich, vom Bankgewerbe,
Ich gehe niemals zu Skandalprozessen,
 

 

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Weshalb ich meiner Frau auch was vererbe,
Statt meinen Zorn an Stahlbeton zu messen.
Ich kann Sie gut beim Aktienkauf beraten,
Ich stehe für verläßliche Papiere,
Ich mach mir nichts aus angekohlten Braten,
Und Dichterschnulzen sind mir bloß Geschmiere.
Jedoch Thalia als Kultur-Ikone
Gab meine Bank manch Zins und manch Vertrauen,
Auf daß im Haus ein guter Wohlstand wohne
Wie andernorts bei Freiluft-Modenschauen.
Wir wollen uns gemeinsam hier erwärmen,
Und Krasses auf der Bühne soll uns raten,
Um Kleinliches uns nicht zu sehr zu härmen,
Denn Arges spielt sich ab in Schurkenstaaten.
Die gibts auch heut, so wie bei uns sich früher
Die Schurken gaben an der Tür die Klinke,
Wems reicht, ich steh beim Cappuccino-Brüher
Mit Börsen-News, entlarvt von jeder Schminke.
Doch wer sich länger mag am Schrecken weiden,
Auch gut, ich hab auch was mit Nervenkitzel,
Wir mögen wohl die Büttenrede leiden,
Jedoch beim Gelde gibt es kein Gewitzel.
Je nach Geschmack, ob kürzer oder länger,
Nach Mummenschanz braucht jeder das Reale,
Und daß der Weltschmerz keine Seele schwänger,
Steh ich als Banker hilfreich vor dem Saale.
Doch nun genug von mir als Therapeuten,
Dem Vorhang juckts, er will sich endlich lüften,
Drum wünsch ich Spaß den angereisten Leuten
Und das gewisse Kribbeln in den Hüften.
 

 

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ERSTER AUFZUG
Eine moderne Klinik mit allerlei abstrakten Gemälden, modernen Skulpturen und eigenwillig geformten Möbeln in grellen Farben. in der Ecke ein Kinderspielplatz mit einem Teddybären, der ein trauriges Gesicht hat.

Erste Szene
Späth, Kluge. Maik tritt direkt durch den sich hebenden Vorhang zu den beiden.

MAIK: Termine - ja. Es gibt so viel zu sagen,
Wir stehn und kämpfen mit den Turbulenzen,
Der Markt und mittendrin das stolze Wagen
Der Ströme ohne Rast und ohne Grenzen.

KLUGE: Nun schweig mal. Der Professor will erläutern,
Was zu beachten sei und zu vermeiden,
Du hörst nicht zu und wirst dann später meutern,
Daß du mal wieder nichts weißt von uns beiden.

SPÄTH: Ich möchte nichts verklauseln und verrätseln,
Der Eingriff ist ja heute schon Routine,
Wir schaffen Glück so wie der Bäcker Brezeln
Nur eben bei geschlossener Gardine.
Es will ja keiner, daß die Nachbarn schwatzen,
Es hab der Stab des Äskulap geholfen,
Als sei es wie bei Hunden oder Katzen,
Stellt man sich vor beim Tennis und beim Golfen.
 

 

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MAIK: Nun schön, wozu muß dann das Meeting laufen,
Wenn gar nichts bleibt, zu achten und zu wägen?
Es war doch ausgemacht, wir wollen kaufen?
Um Feinschliff gings und unverhoffte Schrägen.

SPÄTH: Hier ists nicht anders als im Bankgewerbe,
Wir wollen uns wie Hunde mal beschnüffeln,
Die Sache zeigt uns auch die Spiegelscherbe,
Doch Fremdheit führt recht oft zu spätern Rüffeln.
Ich zeige Ihnen Räume und Maschinen,
Daß sie verlieren Scheu und Aberglauben.
Die Hände, die dem Menschenglücke dienen,
Sind Zangen nicht und keine Daumenschrauben.

KLUGE: Wenn wir dies meinten, wären wir voll Reue
Zum Pfaffen in den Beichtstuhl reingekrochen,
Doch weil erforscht, was trächtig macht die Säue,
Sind wir voll Mut zum Profi aufgebrochen.

SPÄTH: Bei Tieren ists schon lange Brauch und Sitte,
Daß wir da nichts dem Zufall überlassen,
Und wenn die Kirche nicht dagegen stritte,
Dann wärs nicht not, so schrecklich aufzupassen.
Wie leicht bekommt die Zunft die schlechte Presse,
Und die uns wohl, die schweigen dann betreten,
Wenn ich die Falten auf der Stirn vergesse,
Dann kann ich beim Minister nur noch beten.

MAIK: Nun schön, bei uns brauchts keine Sorgenfalten,
Ich denk, die ganzen Kosten trägt die Kasse,
So säumt nicht, eurer Profession zu walten,
Denn Warten ist der Schrecken, den ich hasse.
 

 

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SPÄTH: Ich nehme Sie, Frau Kluge, noch vor Pfingsten
Hier ambulant, der Rest wird von alleine,
Ihr Mann geh jetzt sofort mit dem geringsten
Aufwande ins Labor und tut das seine.
(Maik und Späth ab.)


Zweite Szene
Kluge allein.

KLUGE: Nun werd ich Mutter, Sonja und Beate,
Sie werden staunen, wenn der Bauch sich ründet,
Der Egon aus der Bank, der wird wohl Pate,
Doch Maik, der seine Pläne darauf gründet,
Versteht wohl mehr von Pfändern und Katastern
Als von den Frauen, die sich etwas trauen,
Der Tölpel meint, er hege späte Astern,
Und merkt nicht, wo die Märzenstrahlen lauern.
Sein Vater, dieser Prokuristenknochen,
Gab ihm die Wahnideen des Profunden,
Ich hätte doch schon lang mit ihm gebrochen,
Gäbs anderswo das Geld um zu gesunden.
Recht amüsant die kindischen Versuche,
Zu sorgen, daß ich dankbar und zufrieden,
Der Kehrreim hieß im väterlichen Buche
Familie, Glück und ewiglicher Frieden.
Doch gibts darin die böse Variable
Der Frau, die nicht mehr froh im goldnen Bunker,
Sie sucht sich allerorten das Passable,
Und wird nicht stiller unter Bernsteinklunker.
Das Kind gibt mir die Macht, ihn zu beerben,
Und nimmt die Not, den Schwätzer zu ertragen:
 

 

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Wie konnte bloß die große Liebe sterben?-
So wird der Arme sich im Grame fragen.
Bestünd er nicht aus Konten nur und Zahlen,
So hätte er am ersten Tag begriffen,
Ich litt sein Werben immer unter Qualen
Und hätte gern viel früher drauf gepfiffen.
Des Weibs Verächter sehen das viel klarer,
Doch sie begräbt die Übermacht der Geilen,
Am Ende bleibt doch immer jenes wahrer,
Wo Bürgen sich nicht zieren, sondern eilen.
So ist der Mann noch stolz auf seine Knute,
Der Trieb macht ihn zum Kind und Weibersklaven,
Und merkt ers mal, so hält er sich zugute,
Daß Götter die Entscheidung für ihn trafen.
Mich lehrte meine Mutter mich zu tarnen,
Beharrlich sein und emsig sein im Spinnen,
Die Frauenkunst ist nicht nur das Umgarnen,
Sie ist auch Garn, die Freiheit zu gewinnen.


Dritte Szene
Kluge. Maik kehrt zurück.

MAIK: Mein Liebes, sag, ist es nicht kaum zu fassen,
Wir werden bald Familie sein, und Enkel
Wollt Pa schon immer prinzlich leben lassen.

KLUGE:
Mir geht dein Schwärmen ziemlich auf den Senkel.
Erstmal heißt es für mich den Schmerz ertragen,
Der Späth sprach, typisch Mann, ja von alleine,
Das Unwohlsein der Schwangerschaft im Magen,
 

 

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Der dicke Schädel früh und schwere Beine.
Und ist die Hölle schließlich ausgestanden,
Entstellt sich die Figur zum wüsten Klumpen,
Dann schreit das Kind die ganze Nacht zuschanden,
Und Ines bleibts, die Milch sich abzupumpen.

MAIK: Du hast ja recht, doch strampelt erst das Kleine
Und formt mit seinen Lippen erste Laute,
Kommt auch die Mutter mit dem Schmerz ins Reine,
Weil sie in ihm das Paradies erschaute.
Nicht ohne Blut gelingt uns das Behagen,
Doch wenn zum Singsang wird das erste Plärren,
Dann kann auch die Geschaffteste nicht klagen
Und sich dem Himmel ohne Dank versperren.

KLUGE: Wir werden sehn, ein Jahr wird noch verrinnen,
Dein Part ists, für das Wechselgeld zu sorgen,
Denn soll der Nachwuchs prinzenhaft beginnen,
So darf die Mutter nicht beim Nachbarn borgen.

MAIK: Wenn Pa erfährt, daß du im guten Hoffen,
So überschreibt er mir das halbe Erbe,
Dann hält mich die Kollegschaft für besoffen,
Daß ich noch weiter rings nach Kunden werbe.
Doch hab ichs auch nicht nötig, soll dem Kinde
Der Fleiß des Vaters Vorbild sein und Muster,
Bis in die Nacht, wie früher das Gesinde,
Schaff ich so wie ein Bäcker oder Schuster.

KLUGE: Du bist schon wieder voller Schwarmgesäusel,
Bleib sachlich, das ist gut bei Geldgeschäften,
Erstmal der Kuchen, dann die Schokostreusel,
 

 

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Wers übertreibt, der bleibt nicht lang bei Kräften.
Bevor du weiterplanst mit Dividenden,
Sag lieber mal, wo du geparkt den Wagen,
Wir wollen nun die Schwärmerei beenden,
Sonst dehnt sich dieser Arztbesuch zu Tagen.

MAIK: Ja recht, das Auto wartet vorm Theater
Recht schattig und es sind nur ein paar Schritte,
Und im August, da sag ichs meinem Vater,
Ich glaub, er duldet nicht, daß ich noch bitte.

KLUGE: Theater? Sind hier draußen keine Plätze?
Was sind das für chaotische Manieren?
Nicht nur, daß ich allein zur Klinik hetze,
Wie konntest du die Übersicht verlieren?

MAIK: Die Bank hat Pläne mit dem Bühnenstücke,
So mußte ich dort eine Rede halten,
Premierenansturm brachte mir die Tücke,
Daß ich nicht rauskonnt und nicht einmal schalten.
So mußte ich zur Klinik schließlich joggen,
Auch ohne eine passende Garderobe.
Nun komm, es ist ja lau und völlig trocken,
Und deines Maiks Gesellschaft fröhlich lobe.
Das Publikum hat sich gewiß verlaufen,
Wir können dann nach Haus ins Grüne fahren,
Ich kann zwar keine Aktien mehr verkaufen,
Doch morgen stehn am Schalter meine Scharen.
(Er zieht sie widerstrebend mit sich.)
 

 

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Vierte Szene
Professor Späth.

SPÄTH:
Der Fortschritt wird heut nicht mehr so gefeiert,
Wie es mein Mentor noch erleben sollte,
Der Deutsche, der in Umweltgruppen meiert,
Ist nicht mehr der, der rasch zum Monde wollte.
Physik ist nicht mehr Einsteins hohes Schauen,
Und die Chemie ist fast schon Schimpf und Schande,
Der Technik will kein Bürgerherz mehr trauen,
Allein der Arzt ist König noch im Lande.
Zwar stöhnt man unter den immensen Kosten,
Und spricht von Explosionen der Beträge,
Doch Pfahl im Fleisch wird keineswegs der Posten
Des Doktors mit der Nadel und der Säge.
Im Gegenteil, er soll nicht nur Mikroben
Vertilgen, die den Appetit verderben,
Auch Backenknochen werden heut verschoben,
Um engelsgleiches Antlitz zu erwerben.
Zuzeiten unken lurchenhaft die Paffen,
Man solle nicht, was machbar sei, auch machen,
Jedoch die meisten glauben an die Affen,
Und selbst die Priester müssen heimlich lachen.
Man liebt nicht anders mit dem Schweineherzen
Und uriniert so gut mit Indernieren,
Da kann man ein Ersatzteil leicht verschmerzen
Und wird sich auch bei Fremden wenig zieren.
Das Nachwuchsmachen hortet noch die Mythen
Doch knackts den Bremsern in Gebälk und Mauern,
Wer sich gewöhnt ans fröhliche Verhüten,
Der mag nicht mehr vorm Gotteswort erschauern.
 

 

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So war es konsequent, daß endlich Richter
Der Abtreibung die Strafbarkeit entzogen,
In Schritten, um zu wahren die Gesichter,
Daß jeder merk, der Ansatz ist verlogen.
Erst hieß es straffrei nur in krassen Fällen,
Dann immer straffrei aber sittenwidrig,
Dann Kommissionen, die moralisch bellen,
Inzwischen ist auch diese Hürde niedrig.
Wo Unerwünschtes darf man leicht entsorgen,
Ists auch erlaubt, dafür was einzupflanzen,
Was möglich heut, das ist erlaubt schon morgen,
Denn Freiheit duldet kein Tabu am Ganzen.
Fortpflanzungshilfen werden meist verschwiegen,
Doch macht ihr Vorteil bald sie populärer,
Aufklärung hat es niemals leicht zu siegen,
Nicht lang, da rief man Neger Essenkehrer.
Das Alte sitzt geduldig in den Schädeln,
Doch Wissenschaft allein hat Argumente,
So wirds begreiflich langsam Jungs und Mädeln,
Daß sich das Erbgut vom Gefühlswust trennte.
Es schafft sich ein bewußteres Gestalten,
Wer restlos abwirft die tradierten Rollen,
Erst dann wird die Vernunft auf Erden walten,
Wenn keine Macht uns vorschreibt, was wir sollen.
Ich werds vielleicht nicht selber noch erleben,
Daß der Begatter öffentlich ein Spinner,
Doch wag ich dennoch meinen Blick zu heben,
Denn Wissenschaft war immer der Gewinner.
Daß jemand erbkrank werd für blödes Tollen,
Ist Ärger für Vernunft und Krankenkassen,
Drum sei der Mensch wie wir ihn alle wollen,
Der frei und froh, in unsre Welt zu passen. (Ab.)
 

 

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Fünfte Szene
Der Dichter. Zwischendurch Kluge.


DICHTER: Der große Aristoteles, der Weise,
Dem ein Jahrtausend keiner widersprochen,
Verlegte der Tragödie strenge Gleise,
Die seither kaum wer straffrei hat gebrochen.
Die Handlung geh in Einheit, was verständlich,
Dies frommt in jedem Wortwerk einem Dichter,
Auch daß die Zeit sich nähere unendlich,
Schüf allenfalls befremdete Gesichter.
Doch meint der große Mann in seinen Schriften,
Ein Sonnenlauf müßt jedem Dichter reichen,
Die Handlung zu vollführn und zu vergiften,
Zu reifen und am Ende zu verbleichen.
So zeigt sich ein Geschehen auf der Bühne,
Das auch im Leben würd nicht länger fristen,
Nah bei der Tat wärn so Motiv und Sühne,
Doch dies gelingt meist nur mit argen Listen.
Da vieles, was in eine Szene mündet,
Im lang Vergangnen Grund hat und Geschichte,
Umständlich oft ein Redner uns begründet,
Was wenig paßt in die erzwungne Dichte.
Der Dichter einer Tat, die früher Wunde
Entsprang, läßt deren Handelnde nicht später
Als Schatten geben eine Vorlauf-Kunde,
Weil sie so wie der Nachgeborne Täter.

(Pause. Kluge läuft von rechts nach links über die Bühne und beachtet den Dichter nicht.)
 

 

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Sie wissen nichts von ihrer Spuren Tiefe,
Was man sich vorstellt, ist gewöhnlich endlich,
Doch dringt ein Licht in staubige Archive,
Schließt sich ein Kreis, der streng und unabwendlich.
Doch selbst der Vorlauf hat nicht Tageslänge,
Die Monde, die der Schwangerschaft gegeben,
Sie bringen andre Szenen in die Gänge,
Weil anders sich gestaltet hier das Leben.
(Kluge läuft erneut in der gleichen Richtung über die Bühne.)
So springt die Handlung nun in eine Phase,
Da Ultraschall die Frucht schon kann erkennen,
Der Dichter hofft nun bloß, der alte Hase
Mög ihn im Jenseits keinen Stümper nennen.
Er säumt nicht, seinen Frevel zu gestehen,
Vielleicht wär alles besser, wär es anders,
Nun, Leute, wagt das Machwerk anzusehen,
Das wohl mißfällt dem Lehrer Alexanders.


Sechste Szene
Professor Späth, Kluge, mit verweintem Gesicht, schluchzend.

KLUGE: Ich hielt Sie für den Meister ihres Faches,
Ich hab mich Ihren Künsten hingegeben,
Der Specht in meinem Kopfe riet mir: Mach es!
Nun haben sie verpfuscht mein junges Leben.

SPÄTH: Verpfuscht ist nichts und alles ist zu richten,
Nur Ruhe ist verlangt und klares Denken,
Sein Sie vernünftig! Schluß mit den Geschichten,
Ich werde Ihre Sache bestens lenken.
 

 

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KLUGE: Ach geh! Was haben Sie mir anzubieten,
Den Abbruch - das verdirbt mir all mein Hoffen.
Ansonsten? Ach, ich lebe unter Nieten
Und bin von ärgstem Mißgeschick betroffen.

SPÄTH: Es ist kein Unglück und auch keine Krise,
Natur hat stets die Macht sich einzumischen,
Und düngt der Doktor eine Blumenwiese,
Schiebt sich schon mal der Mehrlingsfall dazwischen.

KLUGE: Ha, Mehrlingsfall! Soll ich da gar noch freuen,
Daß nicht der Kinder dreie oder viere?
Bloß hundert Prozent Fehler! Solche Treuen
Nennt man in meiner Heimat Trampeltiere.

SPÄTH: Frau Kluge, die Erregung laß ich gelten,
Doch nutzt es nichts, wenn Sie den Arzt verfluchen,
Probleme löst man nicht mit üblen Schelten.
Sie können freilich auch wen anders suchen.

KLUGE: Was soll ich tun? Ich wein seit Tagen täglich,
Ich habe keinen, der mir Rat und Stütze,
Mir scheint die Zukunft wüst und unerträglich,
Mir scheints, im Kopfe sammelte sich Grütze.

SPÄTH: Was sagt ihr Mann zu dieser neuen Lage?
Ihm war doch, schien mir, Nachwuchs äußerst wichtig.
Auch ists nicht Ausflucht, wenn ich Ihnen sage,
Beim zweiten Kinde zahlt der Staat erst richtig.

KLUGE:
Wir sind getrennt, die Scheidung ist beschlossen,
 

 

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Von mir erfährt er nichts von meinem Bauche,
Ich hab genug von Banken und Genossen,
Weil ich mal einen echten Menschen brauche.

SPÄTH: Nun gut, Frau Kluge, wollen sie den zweiten,
Es sind zwei Jungs, in keinem Fall gebären?
So brauchen wir in keinem Falle streiten,
Denn was zu viel ist, läßt sich schließlich klären.

KLUGE: Heißt dies, Sie wolln die Sache korrigieren,
Daß ich mich der Verdoppelung entwinde?
Ists möglich, einen Zwilling zu verlieren,
Daß ich so komm zu einem Einzelkinde?

SPÄTH: Gar möglich ists, wiewohl nicht oft geschehen,
Es ist riskanter schon als die Routine,
Doch Ärzte, die genug vom Fach verstehen,
Verziehn bei solchen Wünschen keine Miene.
Wir müssen freilich noch ein Weilchen warten,
Bis sich die beiden seitenweise trennen,
Wer weicher ist und wer vom markig harten
Gebaren, läßt der Ultraschall erkennen.
Dann töten wir den schwachen mit der Nadel,
Die Wand gibt frei das dorrende Gewebe,
Das andre Kind trifft nicht geringster Tadel,
Wahrscheinlich, daß es gar gesünder lebe.

KLUGE: So soll es sein, dies scheint profunde Sache,
Ich ließe sonst sie alle beide fahren,
Bevor ich einen zweiten Anlauf machen,
Versuchen wir, ein Söhnlein zu bewahren.
 

 

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ZWEITER AUFZUG
Eine Plattenbauwohnung in Neuperlach. Im Wohnzimmer ein großer Spiegelschrank mit Schminktöpfchen und Kosmetika. Davor liegend eine weibliche Leiche, Mitte 50, mit hellblond gefärbtem Haar. Ein junger Mann sitzt am Tisch, die Aufmerksamkeit ganz nach innen gerichtet. Neben ihm eine gepackte Reisetasche, auf der Tischplatte ein beflecktes Messer. Der Kriminalrat tritt durch die Tür herein, der junge Mann steht auf und gibt ihm die Hand. Ein Arzt läuft sofort auf die Leiche zu. An der Tür ist ein weiterer Polizist zu sehen.

Erste Szene
Orhan, Krimanalrat Baff.

ORHAN: Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen,
Ich rief Sie her, denn hier gabs ein Verbrechen,
Ich weiß, Sie haben Mangel nicht an Sorgen,
Doch nutzt es nichts, die Fakten abzuschwächen.
Frau Ines Kluge liegt in dieser Stube,
Sie ward mit Stich ins Rückenmark getötet,
Ihr Geist fuhr rasch und schmerzlos in die Grube,
So daß der Teppich nicht vom Blut gerötet.
Die Waffe ist hier auf dem Tisch zu schauen,
Als Täter bin ich, Sohn Orhan, geständig,
Ich tat es einsam, ohne wem zu trauen,
Und ich vollbrachte alles eigenhändig.

(Man hört ein Glockenläuten von der nahen Kirche.)
 

 

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ARZT (nimmt den Kriminalrat beiseite und nur zu ihm):
Kaltblütig ging man vor und sehr präzise,
Das schaut mir aus nach einem Profi-Killer,
Arglos das Opfer, Blitzschlag die Devise,
Da kam nicht mal ein Schrei, ein kurzer, schriller.
(Der Kriminalrat setzt sich Orphan gegenüber an den Tisch und streicht sich die Haare aus dem Gesicht.)

BAFF: Wie war das möglich? Wer hat Sie das Töten,
So sicher, so genau und rasch gelehret?
Ein Kaltblut ist für diese Tat vonnöten,
Daß sich das Opfer nicht verzweifelt wehret.

ORHAN: Da brauchte ich nur einen Bildatlanten,
Waldeyer, den Sobotta oder Netter,
Der zeigt genau die schwach geschützten Kanten,
Daß man der Blüte nehm die Blütenblätter,
Mir wars in Filmen und in Groschenheften
Oft arg, wie da ein armes Opfer flehte,
Drum überließ ich mich den raschen Kräften,
Wo spindeldürr der Ufersaum der Lethe.

BAFF (wischt sich erneut den Schweiß von der Stirn):
Die Rede taug mir nicht für Protokolle,
Das hieße Scherz mit dem Entsetzen treiben,
Ich seh des Richters Aug, das grauenvolle,
Und weigre mich, die Texte aufzuschreiben.
(Pause. Er schaut auf die gepackte Reisetasche.)
Was ist da drin? Was wolln Sie mit der Tasche?

ORHAN: Ich hab sie fürs Gefängnis vorbereitet,
Zahnpflege, Seife, Traumnotizen, rasche,
 

 

23
 
Und was mich sonst im Leben stets begleitet:
Die Bücher, griechisch, der Homer, Terpander,
Tyrtaios, Archilochos, der Epheser,
Parmenides trifft hier Anaximander
Und manch modernen Idareich-Verweser.
Ich hoffe sehr, man wird es mir erlauben,
Lebhaft mit der Lektüre fortzufahren,
Der Trost hilft mir an einen Tag zu glauben,
Da sich erfüllt hat der Tribut an Jahren.

BAFF: Sie sind ein kluger Mensch, der planvoll handelt,
Sie schätzen Bildung, Studium, klare Worte -
Wie kams, daß über einem Abgrund wandelt
Die Seele und die Sittlichkeit verdorrte?

ORHAN: Die Tat, die Sie als sittenlos verdammen,
Geschah im Zorn nicht oder in Erregung,
Ich merkte nur, der Kreis schloß sich zusammen,
Den Rest besorgte sparsamste Bewegung.
Das Wissen, das wir meistens überschätzen,
Es schützt uns nicht vom Fatum, unerbittlich,
Und was die Himmel in die Zeiten setzen
Ist niemals menschlich und auch niemals sittlich.


Zweite Szene
Orhan, Kriminalrat Baff. Der Kommissar Klein tritt auf.

KLEIN: Ich höre Mord. Gibts schon Verdachtsmomente?
Die Spurensichrer werden gleich erscheinen,
Verdacht auf Terror oder Elemente
Des Subversiven? Oder etwa keinen?
 

 

24
 
BAFF: Die Sache ist verzwickter als Sie meinen,
Der Täter ist geständig und zugegen,
Doch ein Motiv will sichtbar nicht erscheinen,
Ich wandle gradzu auf Gespensterwegen.

KLEIN: Der Täter ist zugegen, dann verhaften!
Motive? Ja wir haben doch Methoden,
Hat einer ein paar Tage zu verkraften,
Denn wird der stummste Gauner zum Rhapsoden.

BAFF:
Es geht nicht drum, daß der Verstockte schwiege,
Er spricht mit Freimut und mit klarer Stimme,
Ich komm mir vor ihm vor wie eine Ziege,
Ein Restchen Glut und spür wie ich verglimme.

KLEIN: Herr Kriminalrat, was sind das für Flausen?
Ein Aspirin ist stets in meiner Jacke,
Solln sich die Psychologen besser grausen,
Die werden doch bezahlt für jede Hacke.

BAFF: Der junge Mann ist nicht verrückt und blöde,
Doch redet er sich hier um Kopf und Kragen,
Ihn rührt nicht seiner Sühnejahre Öde,
Noch mag er über das Geschehne klagen.

KLEIN: Sie müssen sich vom Mitgefühle lösen,
Sie denken wohl ans Alter ihrer Nichte,
Die Dienstvorschrift sagt uns die Tat des Bösen,
Da braucht es nicht Verständnis und Gesichte.
Ich schlage vor, Sie gehn jetzt mal ins Freie
Und rauchen eine gute Zigarette,
 

 

25
 
Doch ehe ich Sie von der Müh befreie,
Nehm ich das Hündchen erstmal an die Kette.
(Er holt Handschellen hervor und schließt Orhan am Stuhl fest.)

BAFF: Sie haben recht. Ich werd ein bißchen wandeln
Im Frühling draußen, da der Tag so heiter,
Sehn Sie mal zu, wie Sie mit ihm verhandeln,
Vielleicht sind Sie am End ein Stückchen weiter.
Doch freilich sag ich Ihn als Vorgesetzter,
Sie bleiben bis ich kehre hier im Raume,
Und der Verdächtge geht mit mir als letzter,
Sonst suchen Sie die Zukunft sich im Schaume.

KLEIN:
O nein, ich will doch nicht ins Handwerk pfuschen,
Es bleibt ihr Teil, Entscheidungen zu treffen,
Und finde ich im Ärmel nichts als Luschen,
Werd ich bescheiden meine Segel reffen.
(Kriminalrat Baff geht ab.)


Dritte Szene
Orhan, Kriminalkommissar Klein.

KLEIN: Sind Sie nicht neidisch, wie da mein Kollege
Spazierengeht im Frühlingswind, im lauen?
Wie anders sind dagegen Ihre Wege.
Wie konnten Sie sich so das Glück verbauen?

ORHAN: Ein Glück, das nie bestand, sich zu verbauen,
Erscheint mir als Konstrukt kein Unglückwollen,
Ich sollte lieber in die Bücher schauen,
Als fruchtlos mit Vergangenem zu grollen.
 

 

26
 
KLEIN:
Es mag wohl sein, daß Sie nicht glücklich waren,
Doch Ihre Tat reißt tiefer in den Strudel,
Was es bedeute, scheint Ihn nicht im Klaren,
Daß man den Dolch mit Mutterblut besudel.
Wie konnten Sie die Mutter derart hassen,
Daß ein Tabu, das reicht in tiefste Schichten,
Nicht hinderte, die Waffe anzufassen
Und Ihres Lebens Spenderin zu richten?

ORHAN: Ich hasse nicht, jedoch daß sie da falle,
War höhern Orts beschlossen und bestätigt,
Ich war des Schicksals willenlose Kralle
Und hab mich nur als Linienwart betätigt.

KLEIN: Sind Sie, naja, konfessionell gebunden?
Was meinen Sie mit Ihren höhern Orten?

ORHAN: Nichts anderes als Sie hier vorgefunden,
Die Stimme Gottes sagt sich nicht mit Worten.

KLEIN: Nun schön, Sie glauben an ein hohes Wesen,
Das grad mal so beschließt, wen umzubringen.
Die Tat geschah sehr gründlich und erlesen -
Nun soll ich wohl ein Halleluja singen?

ORHAN: Ich heische nicht nach Beifall und Satire,
Ich bin durch meinen Weg genug geschlagen.
Es reicht. Ich denk, Sie bringens zu Papiere,
Dann führe man mich runter in den Wagen.
Ich hab gestanden, alles ist erwiesen,
Mir wäre sehr ein Standgericht willkommen,
 

 

27
 
Ich bin bereit zu dämmrigen Verliesen
Hab schon gepackt, was gut wär mitgenommen.

KLEIN:
Mein lieber Freund, Sie werden sich noch wundern,
Sie dachten wohl, Sie dürften meditieren,
Verhöre, Tests, Verhöre von profundern
Kollegen, bis Sie allen Stolz verlieren.
Es ist nicht so, daß Haft sei eine Klause,
Ein mönchiges Verborgensein im Dunkeln,
Novalis gar, wir gehen nun nach Hause,
Daß nicht mehr die verderbten Lichter funkeln.
Sie halten uns vom Polizeidienst alle
Für Tölpel, die von Bildung nichts kapieren.
Sie sind der Tölpel in der Hochmut-Falle,
Der Blut braucht, um den Egowahn zu schmieren.
Zurück zum Thema: Was sind das für Sekten,
Wo Gott beschließt, die Mutter auszumerzen,
Und wer die Leut, die diesen Plan ausheckten?
Ich hab genug von Rätseln und von Scherzen.

ORHAN: Ich bin in keiner Sekte, bin katholisch,
Für Selbstdarstellung such ich keine Bühne,
Ich mags nicht rauschhaft oder alkoholisch,
Für meine Tat bin ich bereit zur Sühne.
Ich weiß nicht, ob mich Gott, ob Teufel führte,
Es schien mir evident und ohne Weichen,
Wenn ich für diesen Weg Vergeltung spürte,
So soll mir dies zur Klage nicht gereichen.

KLEIN: So so katholisch, ja und die Gebote?
Sprach wer dem Firmling je: Du sollst nicht töten?
 

 

28
 
Und dennoch meinst, das Messer in der Pfote,
Daß Himmelsmächte dir den Auftrag flöten?

ORHAN: Ich such nicht theologische Dispute,
Was auch geschieht, es trägt in sich die Nöte,
Die aufzuhellen sucht der Hochgemute,
Der unbedarft, was ihm die Lichtung böte.
Ich will nicht, daß man mich versteh, noch selber
Verstehn, weß Licht auf meinem Wege wandelt,
Die Analys macht Safran auch nicht gelber,
Drum sei ich ganz gewöhnlich hier behandelt.

KLEIN: Die Zeiten sind vorbei, wo man den Schlucker
Hat abgeführt zum Henker und zum Turme,
Wir wollen wissen: Hirn und Puls-Geglucker,
Wir treten nicht mit Stiefeln nach dem Wurme.
Wir foltern nicht, doch unsern Daumenschrauben
Hat niemals ein Geheimnis widerstanden,
Und weißt dus selbst nicht, es herauszuklauben,
Sind wirksam die Methoden, die wir fanden.
(Es klopft.)


Vierte Szene
Orhan, Klein. Alex kommt zur Tür herein.

KLEIN: Wer sind Sie Mann? Wer hat sie reingelassen?

ALEX: Das frag ich Sie. Denn ich bin hier zuhause.

KLEIN: Nun schön, da bitt ich Sie sich gut zu fassen,
Es war ja ohnehin mal Zeit zur Pause.
 

 

29
 
ALEX: O Ines! Ist ihr schlecht? Was ist geschehen?

KLEIN: Ich untersuche Mordverdacht. Sie heißen?
(Alex bricht wortlos zusammen.)
Da können Sie, mein Junge, einmal sehen,
Kräftigste Kerle einfach umzuschmeißen,
Ist Sache hier, doch Sie, erwählt, berufen,
Sie thronen arrogant in ihrem Sessel
Und weiden sich am Chaos, das sie schufen.
Doch wart, wir kriegen jede giftge Nessel!
(Er holt Wasser und gibt Alex zu trinken, der rasch wieder zu sich kommt.)

ALEX: So ist sie hin, die schönste aller Frauen,
Sie hätte mich verlassen, bald, ja balde!
Doch nun ist sie so einsam anzuschauen,
Und ihr Parkett ist fürder nur die Halde.
Ach weh, dich mußten manche Männer hassen,
Doch kann man solchen Götterglanz zerstören,
Muß nicht die Waffe einfach fallen lassen,
Wer merkt, wie deine Augen dich betören.

KLEIN: Sie haben recht, der Täter kam von hinten,
Die Reize einer Frau sind reinste Gosse
Für einen der Sataniker-Absinthen
Sich anvertraut und wandelt zum Geschosse.

ALEX: Er mußte blind sein, denn da hängt ein Spiegel,
Sie war dabei, die Augenbraun zu schwärzen,
Grad neben mich heut morgen fiel ein Ziegel,
Da dacht ich, ach, er zielt nach meinem Herzen.
 

 

30
 
KLEIN: Herrn Kriminalrat Baff ist grade übel,
Ich untersuch und bräuchte Ihren Namen,
Und sagenS, kennenS diesen Unratskübel,
Dens freute, wie Sie diesen Schock bekamen?

ALEX: Das ist der Sohn aus Ines' erster Ehe,
Verschlossen und er faselt meist ägyptisch.
Der Paß, dem ich nur wenig ähnlich sehe,
Der Meldenachweis ward schon etwas kryptisch.

ORHAN: Sie geben sich, Herr Klein, die größte Mühe,
Verunglimpfend zur Antwort mich zu reizen,
Da sag ich nur, zur Freude ists zu frühe,
Ich werde weiter mit Gefühlen geizen.

ALEX: Versuchen Sie nur nichts herauszukriegen,
Der Bub ist stur und schweigt auch notfalls Jahre,
Versuchte ich den Starrsinn zu besiegen,
So hätt ich gar nichts mehr als graue Haare.

KLEIN: Herr Kluge, Ihr privates Mühn in Ehren,
Die Polizei hat etwas beßre Mittel,
Und vorm Prozeß wird er uns noch bescheren,
Erst Zwölftel und recht bald das letzte Drittel.
Doch bitt ich Sie ein Weilchen fortzugehen,
Mein Chef wünscht das Verhör an diesem Orte,
Sie gehn doch gern ins Café bei den Schlehen -
Wie wärs mit Cappuccino und mit Torte?
(Alex nickt und geht ab.)
 

 

31
 
Fünfte Szene
Orhan, Klein.

KLEIN: Und weiter gehts mit Stimmen und Propheten!

ORHAN: Ich mein, das wird nicht sonderlich ergiebig.

KLEIN: Es heißt auch oft: mit Pauken und Trompeten,
Gewöhn dich Junge, solche Themen lieb ich.

ORHAN:
So warn wir schon zusamm als Schweinehirten?

KLEIN: Gewiß nicht! Denn ich bin hier nur der Spürer,
Der aufklärt, was da umgeht an Verwirrten.
Den religiösen Wahn und die Verführer
Der Jugend meld ich deutlich den Instanzen,
Daß das Gesetz zur Einsicht führ die Toren,
Ihr Spinner meint auf uns herumzutanzen
Und habt doch eh ihr anfangt schon verloren.

ORHAN: Was soll das? Hab ich irgendwo gewispert,
Ich liebte es, die Ordnung aufzuweichen?
Hier wird substanzlos mit Papier geknistert,
Solch Schwätzern sollte das Gehalt man streichen.

KLEIN: Wir wollen das Motiv des Messerstiches.
Dafür sind wir geschult und angetreten,
Und wenn Sie sagen, Ihrem Hirn entwich es,
So werdenS immer wieder drum gebeten.
 

 

32
 
ORHAN: Ich sagte doch, ich meinte meine Mutter
Sei kurzen Wegs ins Schattenreich befohlen,
Drum fand das Eisen temperierte Butter,
Und ohne Schreie kippten ihre Sohlen.

KLEIN: Warum? Warum? Warum soll ich nicht kippen?
Warum nicht Sie? Warum denn diese Dame?
Kriegt einfach wahllos wer was in die Rippen?
Wer scheidet hier die Magermilch vom Rahme?

ORHAN: Ich weiß es nicht und werd es niemals wissen.
Sie auch nicht, wenn Sie fragen, fragen, fragen.
Sie spielen eine Platte, die gerissen,
Da lohnt es wirklich nicht, noch was zu sagen.

KLEIN: Sie meinten, jene Stimme sei nicht sprechend,
Sie zeige sich in Dingen, die geschehen,
Nun sagen Sie, was da ins Auge stechend,
Sie hieß, den Auftrag dieser Tat zu sehen.

ORHAN: Nun gut, Sie zeigen wirkliches Intresse,
Doch mag uns das Vergangene nicht leuchten,
Ich sah, daß sie die eignen Kinder fresse,
Und Blut klebt an den Händen, an den feuchten.
Sie werden meinen, all die Höllenmale,
Die meine Mutter zeigte, seien Spinne,
Ich geb es zu, mit meiner Freiheit zahle,
Ich nun, daß ich getraut dem eignen Sinne.

KLEIN: Recht raffiniert, Sie sahen Teufeleien,
Inzwischen da die Rache ist vollzogen,
Gestehen Sie, daß Zweifel möglich seien,
 

 

33
 
Das scheint mir allzuklug zusammgelogen.
Sie wirken mir doch weiterhin recht offen
Für Winke aus dem Himmelsreich da oben,
Mich einzuwickeln scheinen Sie zu hoffen,
Fürwahr ich muß die Dialektik loben.

ORHAN: Mir hülf gewiß kein Täuschen oder Wickeln,
Ich finde ohnehin bei keinem Gnade,
Mein Wert bemißt sich nun nach Kupfernickeln
Und goldne Worte sind da echt zu schade.
Man hat nur eine Mutter, wiederholen,
Kann niemals sich die Tat, die ist geschehen,
Ich habe ihr das Sonnenlicht gestohlen,
Nun werd ichs selber lange Zeit nicht sehen.


Sechste Szene
Orhan, Klein. Frau Flip, eine junge und sehr attraktive Psychologin, tritt auf.

FLIP: Herr Kriminalrat Baff bat mich zu kommen,
Sie hätten einen jungen Mann in Nöten,
Ich wär zwar bei dem Wetter gern geschwommen,
Für gute Dinge schluckt man schon mal Kröten.

KLEIN: Ja schön, der Stand ist der, es gab da Zeichen,
Die Mutter trug die Teufelei im Leibe,
Dies mußte ihm als Tötungsauftrag reichen,
Unklar, wer nun sich drob die Hände reibe.

FLIP: Ich glaub, ich hab zurecht aufs Bad verzichtet,
Ein hübscher junger Mann, das macht doch Freude,
 

 

34
 
Ich weiß bescheid, was alles angerichtet,
Und glaub nicht, daß ich meine Zeit vergeude.

KLEIN: Dann sagen Sie Herrn Baff, ich sei beim Essen,
Und denkbar ists, daß ich nen Kognak nehme,
Als Fahrer kann er heute mich vergessen,
's wär recht, wenn er sich selbst dazu bequeme.
(Ab.)

FLIP (nimmt Orphans linke Hand, da die rechte gefesselt ist):
Ich bin Christine, fast im selben Alter,
Ich denke, es ist lockrer, sich zu duzen,
Ich mag nicht die Verbissenheit am Schalter
Und Ku-Klux-Clan mit schrecklichen Kapuzen.

ORHAN:
Ich auch nicht, der Herr Klein sprach gern von Sekten,
Ich kenne sowas einzig aus der Glotze,
Auch meint er, daß ich gerne mit versteckten
Angriffen wider alle Ordnung motze.

FLIP: Bist du vergeben oder noch zu haben,
Dies intressiert viel mehr als Verschwörer,
Die Männer haben Stimmen oft von Raben,
Bei deiner aber glüht der Handyhörer.

ORHAN (verlegen):
Ob ich noch frei, das ist ja nun entschieden,
Zehn Jahre hab ich ganz bestimmt zu brummen,
Und wer mit dem Gesetze lebt im Frieden,
Der zählt mich ganz gewißlich zu den Dummen.
 

 

35
 
FLIP: Ich dachte nur, wenns eine Freundin gäbe,
Der könntest du verraten, was dich knebelt,
Es gibt auch Ausgang, nicht nur Gitterstäbe,
Da ward schon manch Verrenkung ausgehebelt.

ORHAN: Es ist nicht selten, Jungs in meinem Alter,
Oft ist es schwer und heut noch mehr als früher,
Ich weiß noch nicht, bin ich ein später Falter,
Vielleicht auch bin ich nur ein später Blüher.

FLIP: Auch gut, dann kann ich ohn Gewissen flirten,
Ich mach das gern und find es allmal besser,
Als wenn da Pfeile durch die Wolken sirrten
Und unerbittlich trennt ein helles Messer.

ORHAN (lächelt, dann wieder ernst):
Nun ja, die Wolken können es vertragen,
Wenn Pfeile kommen, gehn und sie durchzischen,
Wir haben andre Lasten zu ertragen,
Und schaffens nicht, die Pfützen aufzuwischen.

FLIP: Ein kurzes Lächeln nur, jedoch ich wette,
Es war das allererste heut am Tage,
Glaub mir, ich bleibe immerfort die Nette
Und stell gewiß nicht jene böse Frage.

ORHAN: Die böse Frage? Ach sie ist so böse,
Weil ich für eine Antwort find kein Hoffen,
Ich glaube nicht, daß ich den Knoten löse,
Und diese Frage bleibt wohl immer offen.

FLIP: Warum, frag ich mich, bist du bei dem Wetter
 

 

36
 
Nicht draußen, wo die Mutter kann nicht nerven?
Ja, in der Zeit der abgefallnen Blätter,
Da mögen sich Konflikte rasch verschärfen.

ORHAN:
Heut morgen als noch Nebel stob vom Weiher,
Beherrschte mich der Spruch, es mög geschehen,
Und ohne Ohr für eine andre Leier,
Vermochte ich kein andres Ziel zu sehen.

FLIP: So bin ich wieder mal zu spät gekommen,
Mein Schicksal, grauslig, überall nur Scherben,
Mir träumte jüngst, es käm ein Schwan geschwommen
Und sagte mir, ich hätte viel zu erben.

ORHAN: Die Schilderung erinnert an die Griechen,
Ich wählte im Gymnasium alte Sprachen,
Sie dachten hoch vom Holden und vom Siechen,
Von Dingen, die sie liebten und verbrachen.

FLIP: Du liest wohl oft in diesen alten Schriften,
Ich glaub, das Pathos, dem die Dichter frönen,
Kann manchmal uns den klaren Blick vergiften,
Mit Leichtsinn warn die Griechen bei dem Schönen,
Grad so wie wir, die jung am Weiher schwimmen,
Sie rauften, eh sie dann gemeinsam soffen,
Daß die Erinnyen alles Tun bestimmen,
Geschah nur im Theater ohne Hoffen.
Die Strenge dieser festgelegten Muster
War ehr ein Ausgleich für viel leichtes Schwätzen,
Drum fassen wir die Griechen auch bewußter,
Wenn wir sie in dem Doppelsinne schätzen.
 

 

37
 
ORHAN: Du meinst, ich hätte im Tragödienschmökern
Mich eingebaut in Haß und Rächermauern,
Und würde nun mein Seelenheil verhökern,
Weil in den Träumen nur Dämonen lauern?
Dies ist nicht wahr, ich hege keinen Drachen,
Der fliegen will, die Länder zu verheeren,
Ich muß nicht nachts vom Schweiß gebadet wachen,
Weil ich mich sehne nach antiken Ehren.
Auch meine Mutter war nur etwas eitel,
Ansonsten ehr gewöhnlich in den Lastern,
Mir stand es frei, wie ich die Haare scheitel,
Ich brauch kein Seelenchaos zuzupflastern.
Wenn du mir helfen willst in meiner Schande,
So rette mich vor diesen Kleins und Baffen,
Es heißt, es käm noch eine ganze Bande,
Die würde mich gewiß zum Wahnsinn schaffen.
Sie wollen ein Motiv, ich kanns nicht bieten,
Es gibt kein Mittel, Einhalt zu erlangen,
Sie werden mir das Denkorgan vernieten,
Ich hab gedacht, sie nähmen bloß gefangen.

FLIP: Ich bin nicht eine Fee wie in der Fabel,
Ich kanns wohl lassen, daß ich dich verdrösse,
Doch daß man sich begnüg mit der Parabel
Und drüber dann geschwind die Akten schlösse,
Dazu hab ich nicht Elbenmacht noch Feuer,
Es sei denn, daß ich schlüssig überzeugte
Die Richter, daß der Grund so ungeheuer,
Daß jedes Wiederholen arg dich beugte.

ORHAN:
Du stellst die Frage nicht und raunst dazwischen,
 

 

38
 
Die andern werden sie brutaler stellen,
Es hieße einem Rettungsseil entwischen,
Wollt ich nicht dir den Dunkelsinn erhellen.
Nun gut, ich will den Krug zur Neige trinken,
Ich sag dir, wer ich bin, das ist viel schlimmer,
Als meilenweit nach Zuchthausmief zu stinken,
Ein Mörder sein und kriminell für immer.
Wer eingesteht, ein Nichtsein wäre besser,
Und daß er aus dem Mörderpfuhl gekrochen,
Der fürchtet nicht Pistole oder Messer,
Da er das Rückgrat hat sich selbst gebrochen.
(Er weint bitterlich.)

So hörs, du wirst es ohnehin nicht glauben,
Ich hatte einen Bruder, gleichem Eie
Entsprungen, mir aufs Härchen gleichend,
Wir waren eins und waren dennoch zweie,
Dies sage ich, ihn niemals je erreichend.
Die Mutter wollte nur ein Kind gebären,
So stellte sies dem Arzt frei, eins zu töten,
Ich war dabei bei Mord und Auswahl-Klären,
Auch wenn wir nicht erinnern uns an Föten.
Sag, woher weiß das Kind vom Feuerdrachen,
Bevor es im Museum sieht Skelette,
Weil wir den Gang der Welt doch alle machen,
Und manchmal mischt ein Wort vom Mutterbette
Sich in die Träume, die wir niemals deuten,
Dies ist sogar den Griechen nicht gelungen,
Denn was wir als Erinnerung erbeuten,
Ist meist nur zum Geburtstag vorgedrungen.
Ich wußte, eh ichs wußte, traumhaft dunkel
Ein schreckliches Verbrechen war mein Werden,
 

 

39
 
Das Hermelin erschien mir mit Gemunkel,
Ich hätte niemals kommen solln auf Erden.
Die Mutter hat gedroht, die zwei zu morden,
Jedoch der Arzt war etwas noch infamer,
Er meinte, eines sei doch gut geworden,
So schaue man, wer von den beiden lahmer.
Man weiß wohl, daß auch Zwillinge sich streiten
Im Mutterbauch, die Welt ist dort nicht friedlich,
Sie suchen sich den Vorteil zu bereiten,
Und dann heißts reine Unschuld und wie niedlich.
Ich war wohl meinem Bruder überlegen
An Dreistigkeit, an Munterkeit im Streite,
Das gab den Ausschlag für Professors Degen,
Mein Bruder wurde starr an meiner Seite.
Er nahm mir nichts mehr von den Zuckersäften,
Dann stieß ihn eine Reinigung ins Freie,
Ich blieb allein und kam zu Wuchs und Kräften,
Doch wenn ich schlief, so hörte ich die Schreie.
Drei Jahre ist es her, der Mediziner
Verunglückte bei Koblenz mit Wagen,
Und seit im Hades schwafelt der Schlawiner,
Mußt ich die Mutter einzig noch ertragen.
Nicht weil sie Mord gedroht und dann befohlen,
Nicht weil ich meinen Bruder wollte rächen,
Warn ihre Augen glühend heiße Kohlen,
Ihr Wissen war für mich das Hauptverbrechen.
Nicht weils ihrs gleich, ob ich, ob jener stürbe,
Nicht weil sie niemals drückte ein Gewissen,
Mich machte ihre Zeugenschaft so mürbe,
Daß ich den Bruder in den Tod gerissen.
Wer einem Mord sein Leben dankt im Kerne,
Besteht aus Unrecht noch in jeder Zelle,
 

 

40
 
Drum hoffe ich, du bleibst mir künftig ferne,
Daß sich nicht neu die selbe Frage stelle.
Ich kann es um mein Leben nicht ertragen,
Daß jemand weiß was dieser Kerl für einer,
Ich fürcht sonst, alle Leute könnten sagen:
Ja man erkennt den echten Frankensteiner.


Siebente Szene
Orhan, Flip. Baff und Klein kommen herein.


BAFF: Wir haben uns im Birkenhain getroffen
Und ohne Zeitdruck diesen Fall besprochen,
Daß das Motiv hier unklar bleibt und offen,
Hat uns nun deutlich weniger gestochen.
Die Psychologin wird uns attestieren,
Der Junge sei ein klarer Borderliner,
Dies werde sich verwachsen und verlieren,
Wird erst der Stau der Mannesmächte kleiner.
Der ödipale Haß auf seine Mutter,
Erschien durch Frust beim anderen Geschlechte,
Und findt er erst das ihm gemäße Futter,
Gewiß er nicht an weitres Töten dächte.
Wir werden drum dem Staatsanwalt empfehlen
Den offenen Vollzug hier zu gestatten,
Dann wird sich eine Beßrung nicht verhehlen,
Der hübsche Bub wird rasch zum stolzen Gatten.
Auch mildernd wirkt der Umstand beim Gerichte,
Den Lebenswandel dieser Frau ertragen,
Wär bei dem Kind, das innig liebt Gedichte,
Schon mal ein Grund, das Jugendamt zu fragen.
 

 

41
 
Katholisches Gymnasium, alte Schule,
Die besten Noten, ernst und ohne Flausen,
Und dann zuhause dieses Rumgebuhle,
Natürlich ist die Tat an sich zum Grausen.
Doch wenn man weiß, wies trieb betagte Dame,
Sie sprang mit vielen Männern in die Kiste,
Der Ehemann, ja, Alex war sein Name,
Wußt sich schon lange auf der Abschußliste.
Man kann sich ganz die Einzelheiten schenken,
Die Frau schuf grad am Fließband Mordmotive,
Daß rigoros die Jugend neigt zu denken,
Das weiß man und die Bahn wird leicht die schiefe.
Drum sei mit Maß das Ärgere vermieden,
Nur wer vergibt, vermeidet weitre Böse,
Drum fordern wir für allgemeinen Frieden,
Daß sich der Straffall ohne Härte löse.

FLIP: Herr Klein, wie stehen Sie zu dieser Milde,
Von Teufelein war kürzlich noch die Rede,
Ist der Fanatiker, der gläubig wilde,
Nur beigelegt wie die Kollegenfehde?

KLEIN: Nun ja, der Standpunkt ist nicht ohne Logik,
Auch gibt so hie und da Entlastungszeugen,
Abschreckung gibts, doch gibts auch Pädagogik,
Ich denk, ich werd mich dieser Einsicht beugen.

FLIP: Ich allerdings seh nicht Entwicklungsstörung,
Die sich verwüchse und sich schließlich gebe,
Sein Wesen zielt auf Aufruhr und Betörung,
Weshalb ich Einspruch gegen Milde hebe.
 

 

42
 
ORHAN: Was tust du hier, Christine, bist du närrisch,
Ich habe dir vertraut mit harter Beichte,
Was schmähst du mich, an diesen Schellen zerr ich,
Hier ist die Hand, der sich die deine reichte.

FLIP: Herr Klein, holn Sie den Wachmann von der Türe,
Ich fühle mich bedroht von diesem Rasen.
Und nun zu Dir: Wie ich die Sitzung führe,
Ich zündle nicht bei Sumpf- und Modergasen,
Doch daß du ernstlich meintest, daß gefallen
Könnt mir ein Lump, der Messer wetzt für Frauen,
Das ist der größte Tageswitz vor allen,
Du kannst nicht mal die Schmeichelei durchschauen.
Noch weniger dein eignes dumpfes Hassen,
Daß Frauen weigert alles Selbstbestimmen,
Du möchtest uns die Schürze nur verpassen,
Und wie die Nazis zum Gebären trimmen.
(zu Kriminalrat Baff)
Ich hab in kurzer Zeit herausgefunden,
Was bei der Tat bestimmende Motive,
Dies ist der Anfang erst, hier wird geschunden,
Das ganze Weltbild ist das gründlich schiefe.
(Kriminalrat Baff hebt abwehrend die Hände und versucht verzweifelt um Mäßigung zu bitten.)
Herr Kriminalrat, jedem seine Künste,
Sie wissen viel von Taktik und von Spuren,
Vielleicht auch über Waffen, Feuersbrünste,
Ich aber hab studiert die Seelenkuren.
Was sie da ödipal und Co. verbrämten,
Ist wissenschaftlich längst schon überwunden,
Die Münchner Erstsemester Sie beschämten,
Versuchten Sies in einer ihrer Stunden.
 

 

43
 
Solch krudes Zeug mag Kripoleuten passen,
Doch stammts gewiß aus Vorkriegs-Mottenkisten,
So suchten Patriarchen es zu fassen,
Als noch am Herd die spätern Feministen.
Sie suchten ein Motiv und fanden keines,
Dies ließ Sie ohne Kenntnis spekulieren,
Bedarfs doch einzig eines nackten Beines,
Daß Sexverseßne sich nicht länger zieren.
Natürlich hat der Lump mir rasch verraten,
Warum er seine Mutter abgestochen,
Den Ritter reizte es zu Rächertaten,
Daß sie vor zwanzig Jahrn mal abgebrochen.
Sie nahm ihr gutes Recht, daß sie dem Bauche
Entnehmen ließ des Mannes Vorschnellspritzen.
Deshalb ist sie dem Patriarch nun Jauche,
Die man entsorgt mit scharfen Messerspitzen.
Dem Kirchenfreund ist sie ganz klar die Hexe,
Ein Zufall, daß sie ihn nicht abgetrieben,
Und da er haßt die Frauenrecht-Gewächse,
Ists Brüderchen nun eines von den lieben.
Da merkt man rasch den Vorwand später Liebe,
Er schafft es nicht, sich in Besitz zu setzen,
Drum ists ein Trost dem aufgestauten Triebe,
Die Mutter so wie alle Fraun zu hetzen.
Er hat mir grade ankündigt, später
Sei ich das Opfer wie es hier geschehen,
Es handelt sich hier um den Serientäter,
Der soll die Sonne keinesfalls noch sehen.

BAFF (zu Orhan):
Ist dieses wahr, habn Sie der Frau zu drohen
Gewagt, es geh ihr irgendwann ans Leben?
 

 

44
 
Sollts möglich sein, daß Sie sich mit dem rohen
Geschehenen noch nicht zufrieden geben?

ORHAN: Ich bat sie nur, sie möge sich entfernen,
Da sie mir mein Geheimnis hat entrissen,
Die Mutter weilt nur hinter allen Sternen,
Weil niemand sollt die große Schande wissen.

BAFF: Herr Klein, ich gebe offiziell die Sache,
In Ihre Hand, ich fühl mich invalide,
Ich weiß nicht, was ich später einmal mache,
Ich weiß nur, daß es besser, wenn ich schiede.
(Ab.)

KLEIN (zu Frau Flip):
Ich weiß wohl, daß die Führung ich hab inne,
Ist nichts als Schein, ich bin wie Baff geschlagen,
In diesem Land ist Mannsein eitle Spinne,
Sie haben uns perfekt zu Grab getragen.
 

 

45
 


DRITTER AUFZUG
In der Strafanstalt. Rechts ein Besucherzimmer mit Tischen und Stühlen, die Tischdecken haben altmodische Spitzen. Im Vordergrund ein Müllbehälter aus Drahtgeflecht mit lauter zerdrückten Coca-Cola-Dosen. Durch eine Zwischenwand vom Besucherzimmer abgetrennt Orhans Zelle. Auf der Rückseite jede Menge Elektronik mit wechselnd flackernden Blinkleuchten. Orhan auf und abgehend.


Erste Szene
Orhan.

ORHAN: Es heißt, daß Oscar Wilde in seinem Kerker
Ein Baumzweig zeigte, was es heißt zu leben,
Heut sind die toten Dinge hier viel stärker
Und anders die Lektionen, die sie geben.
Einfallsreich sind vor allem die Spione,
Sie werden niemals schläfrig oder müde,
Sie sind der Perfidie geheime Krone
Mit Präzision, die so besonders rüde.
Der Frühling kommt. Wüßt ich nicht viel Gedichte,
Ich schaffte es nicht, seinen Duft zu riechen,
Gerätesummen bis in Traumgesichte,
Das ist die rechte Mühle zu versiechen.
Ja, früher gabs noch Unkraut auf dem Platze,
Nun schreibt kein Borchert mehr die Hundeblume,
Hier gibts nicht mal die Mäuse für die Katze,
Allein der Technik spricht der Bau zum Ruhme.
 

 

46
 
Ich bin nun als Gefahr für alle Frauen
Hier weggesperrt für unbestimmte Zeiten:
Was hindert mich, gelassen abzuhauen?
Ein Weg besteht, den kann man nicht bestreiten.
Zwar hat man keinen Gürtel oder Klingen,
Doch reichts, den Zipfel Frischwurst zu verstecken,
Das Stinken wird der Automat nicht singen,
Und bald ists reif, ganz sicher zu verrecken.
Was hält mich? Nicht die Religion, die lieber
Den Götzen dieser Zeit dient als dem Herren,
Nicht irgendein Gespräch mit einem Schieber,
Auch Aussicht nicht aufs Brechen aller Sperren.
Was also hält mich in dem großen Jammer,
Wo rot und giftgrün Überwacher funkeln,
Ich dachte mir das wie die Besenkammer,
Und allenfalls für Ärgestes im Dunkeln,
Statt dessen ist das Haus ein Rasenmäher,
Ein Motor, der sich selber ständig taktet,
Er hat in jedem Winkel seine Späher
Und weiß wie weich ihr heute alle kacktet.
Er mißt Verbrauch an Atemluft und Wärme,
Vergleich Archive mit Bewegungsläufen,
Er schaut uns in den Rachen, in die Därme,
Und gibt Alarm, wenn sich da Dinge häufen.
Es hilft nicht mehr so wie in Freiheit früher
Daß man sich einen Schmelz im Maul verbeiße,
Zum Zahnarzt führt dich rasch ein grüner Glüher,
Daß man das Übel aus dem Rachen reiße.
Ein Toter hat gewißlich höhre Würde,
Ich wußte nicht, wie kostbar ist die Stille,
Wie köstlich wär ein Schlummern ohne Bürde,
Und sänge wer, so wäre es die Grille.
 

 

47
 
Besonders lästig ist mir das Gequatsche
Des Rechners, der hier auch der Morgenwecker,
Ich hätte dann sehr gerne eine Klatsche
Und freien Zugang zu dem Stromnetz-Stecker.
Er nennt sich HAL nach einem der im Reißer
Spaceodyssee begeistert hat die Leute,
Ein Kleinkinddeutsch, das bläst er durch die Beißer,
Und Beifall klatscht die Informatik-Meute.
Die Knasties nennen ihn den Gral, denn dieses
Ist sein Gehirn für die KI-Experten,
Wenn ich bedenk, was dort sich für ein mieses
Gesindel trifft, sehn ich mich nach den Gärten,
Wo eine Hummel und gar eine Motte
Unendlich holder ist als die Lemuren,
Doch ist der Kreis, den ich hier immer trotte,
So sinnlos wie für mich auch alle Uhren.

GRAL: Sie haben jetzt Besuch, drum freundlich lächeln,
Sie folgen mir, verschränken Ihre Hände,
Nur nicht zu rasch, sie sollten niemals hecheln,
Sie nehmen Platz am Tisch, dran ich Sie sende.

ORHAN: Wer brachte dem verfluchten Automaten
Die Jamben bei und gar das Reimwort-Sprechen?
Die Dichter haben unser Volk verraten,
Und stehn im Dienst bei Polen oder Tschechen.

GRAL: Ausländerfeindlich ist Ihr Rumgesabber,
Dies macht zwei Punkte Abzug bei Verpflegung,
Gibts heute weitres feindliches Geplapper,
Dann setze ich die Pritsche in Bewegung.
 

 

48
 
ORHAN: O weh, nein, bitte keine Seegang-Schwingung,
Maßreglung hab ich selten ausgelassen,
Gesuche, gleich für welche Haftbedingung
Lohnt nicht Papiere, sie noch abzufassen.
Wer mag mich hier in meinem Loch besuchen,
Ich habe keine Freunde und Verwandte,
Und alle Leute werden mich befluchen,
Die beim Gerichte wurden mir Bekannte.
(Er setzt sich an den Tisch.)


Zweite Szene
Orhan. Elena tritt auf.

ELENA: Ich wollte Sie nun endlich einmal sehen,
Ich hab mich lange mit dem Fall beschäftigt.
Sie schaun recht dumm? Ich möcht nicht wieder gehen,
Bevor ich nicht den guten Willn bekräftigt.

ORHAN: Ja wissen Sie, mit schönen jungen Frauen
Hab ich Erfahrung, die ich keinem gönne,
Ich glaube dann, es sei mir abzuschauen,
Daß mir die Larve rasch zum Fluch zerrönne.

ELENA:
Ich will nichts wissen, denn ich weiß schon vieles,
Sie dürfen mich schon auf die Liste setzen,
Doch sag ich Ihn, Verderberin des Spieles,
Sie ist so lang, Sie müssen sich verschätzen.

ORHAN: Was meinen Sie für Listen, die ich führe?
 

 

49
 
ELENA: Mitwisser, die die große Schande kennen.

ORHAN: Und der sind mehr als ich es innerst spüre?

ELENA: Sie müßten schon die Klink ganz verbrennen.
Professor Späth ist tot, doch seine Taten
Hat gleich ein Team mit Akribie beackert,
Die Faulheit war bei ihm sehr kurz geraten,
Er hat sich gradenwegs zu Tod gerackert.

ORHAN: Es war doch kein Infarkt, es war ein Laster
Frontal bei hundertvierzig wie ich meine,
Nun freilich ist ein Raser auch ein Haster,
Und dieser Haster steht da nicht alleine.

ELENA: Genau, die Forschergilde auszurotten,
Ist grad als ging es gegen Schimmelschwämme,
Das ist nicht nur ein Schwarm von Hottentotten,
Hier steht ein Netz und reicht durch alle Dämme.

ORHAN: O Vorsicht, bloß nichts Inkorrektes sagen,
Der Gral mir sonst den Malusstand bereichert,
Das ist so ein Programm, um uns zu plagen,
Zum Glück hat es das Wort noch nicht gespeichert.

ELENA: Na jedenfalls der Mantel frommen Schweigens
Hat ausgedient, mit offenem Visiere
Beginn die Zeit des wahren Flaggezeigens,
Weil enden muß das Tun und das Geschmiere.

ORHAN: Ich kämpfte nie, war immer bei den Flüchtern,
Ich meinte, Nischen seien noch zu finden,
 

 

50
 
Jetzt ists zu spät, daß ichs betrachte nüchtern,
Rundum bewacht darf ich mich nicht mehr winden.

ELENA: Ich such erst mal, zur Revision zu kommen,
Dann wird das alles neu und wieder rollen,
Dabei nun freilich sag ich mir beklommen,
Sie müssen diesen Aufwand wirklich wollen.

ORHAN:
Vielleicht ists falsch, daß ich schon wieder traue,
Ich sage ja, es ist nun mal mein Wesen,
Ein junges Mädchen brachte mich dem Baue,
Vielleicht wird eins mich aus dem Wegschlamm lesen.

GRAL: Die Zeit ist um, der Abschied ist geboten,
Seid artig, dann kanns wiedermal so werden,
Wie zählen gut die Erbsen in den Schoten,
Doch manchmal gibts auch Himmelsglück auf Erden.

ELENA: Gral wird sich merken wie Besucher hießen,
Nur keine Schnitzer und vor allm kein grober,
Man muß viel Schmierstoff ins Getriebe gießen,
Dann wird auch Gral noch ein galanter Ober.


Dritte Szene
Ein Zwischenvorhang fällt vor das Gefängnis, nur der Müllkorb mit den Cola-Dosen bleibt sichtbar. Dort treffen die zwei Frauen aufeinander.
Elena, Schwamminger-Ast.

ELENA: Sie haben Ihre Hilfe mir versprochen.
 

 

51
 
SCHWAMMINGER-AST:
Nun ja, dies war vor einem halben Jahre.

ELENA: Hat dieses Halbjahr Ihren Mut zerbrochen?
Ich schätze Sätze, ehrliche und klare.

SCHWAMMINGER-AST:
Auch die Union bewegt sich, und die Frauen,
Sie gelten als die große Unbekannte,
Da ist es falsch Verflossenes zu schauen,
Oft ist es Erde, gänzlich abgebrannte.
Wie immer die Entwicklung sich nun stelle,
Ich teile Ihre Ansicht, zu verhüten
Ist besser als die Medizinerkelle,
Doch ist es unklug, blind herumzuwüten.
Vor allem kann ich keine Presse brauchen,
Dies unternimmt, den Leuten darzureichen,
Wir würden groß und klein in eines stauchen,
Erwachsnentod und Fötustod vergleichen.
Dann wird die Sache rasch zum Bumerange,
Und das Terrain ist dann vermint und tödlich,
Dann braucht es für ein Neubeginnen lange,
Sie sehn, die CDU wird langsam rötlich.

ELENA:
Mein Schützling leidet unter Schwerstverbrechern,
Sie wissen, der Prozeß war eine Schande,
Wir gehn nicht mit den Schreiern und den Rächern,
Wir wollen nur Gerechtigkeit im Lande,
Sie wissens, nicht den Abtrieb zu verbieten,
Hat er gemeint, die Mutter müsse sterben,
 

 

52
 
Er wähnte sich als von geklonten Nieten
Ein Zeugnis, um für solche Kunst zu werben.
Solch Praxis hat beim Wähler keine Stimme,
Dies gilt gewiß für beide Volksparteien,
Ist nun für Sie das Risiko das schlimme,
Soll ich dann eine von den Sozis freien?

SCHWAMMINGER-AST:
O Gott bewahr! Nur freilich scheint es sicher,
Die Flip wird ihren Lehrstuhl trefflich nutzen,
Ich höre schon das alberne Gekicher,
Wenn uns die Aufgeklärten runterputzen.
Sie halten mich vielleicht für etwas feige,
Doch meine Stellung ist nicht grad die Ihre.
Und wenn ich mit geballten Fäusten schweige,
So weiß ich gut, das ich da nur verliere.
Der ganze Aufwand ist zu gar nichts nutze,
Wenn wir die Flip nicht an den Pranger stellen,
Sie freilich steht in allerhöchstem Schutze,
Drum sind wir bald die üblen Mordgesellen.
Man müßte ihren Lehrstuhl isolieren,
Da reicht wohl nur ein großer Gelderschwindel,
Zwar weiß ich, daß die Unileute gieren,
Doch sind sie nicht naiv wie in der Windel.
Sie dürfen mich nicht ungeduldig hetzen,
Sonst platzt die Sache und die letzte Chance,
Ich bins gewohnt, daß unseren Gesetzen
Die Eigenheit gab immer die Balance.
(Beide Frauen ab. Der Vorhang öffnet sich wieder.)
 

 

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Vierte Szene
Orhan in seiner Zelle.


ORHAN: Hier tut sich nichts. Und ist es anders dorten.
Heut solls in München eine Demo geben.
Natürlich nicht zu öffnen meine Pforten,
Ehr noch den Zaun ein bißchen anzuheben.
Der aufgehetzte Mob sieht mich als Bringer
Des Mittelalters Hollywoods, das düster,
Sie denken da nicht an die Meistersinger,
Sie sehn ein Heer Gequälter und Bebüßter.
Natürlich find ichs furchtbar abzutreiben,
Doch unwahr ists, ich ginge her als Rächer,
Ich wollte immer in der Nische bleiben
Und trank dafür so manchen bittern Becher.
Doch mußte her ein Schuft, ein Einigmacher,
Da paßten Bildung, Kirche, Abseitsstehen,
Die Flip war ohne Bad schon sehr viel wacher
Als ich, der meinte, Götter nah zu sehen.
Daß Baff verwirrt war, sagte ihr die Stunde,
Da war die Szene schon zuend gestaltet,
Sie brauchte Phantasie wohl kaum im Grunde,
Da dies Konzept gewißlich nie veraltet.
Und was wird Elena mir nun bewirken?
Die Politik bringt der Justiz das Fressen.
Ja, Baff und Klein spazierten unter Birken
Und hatten was entscheidendes vergessen.
Ich war so jung, doch sie, die alten Hasen,
Sie ließen sich mit Hundeblick kastrieren,
Am Ende hieß es dann, ich würde rasen,
Dazu kann man kein gutes Wort verlieren.
 

 

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Und trotzdem, wenn man schweigt als überlegen,
So kriegt der Schreier meistens seine Rente,
Und bald spürt man sich eine Einsicht regen,
Daß man da Allzuwichtiges verpennte.
(Der Zwischenvorhang fällt und davor versammelt sich eine größere Schar von Frauen in bunten Kleidern, alle tragen ein rosarotes Schild mit der Aufschrift "Ich habe abgetrieben.")


Fünfte Szene
Frau Professorin Flip, Demonstrantinnen.

DEMONSTRANTINNEN (im Chor):
Wir sind so frei, wir haben abgetrieben,
Doch gehn wir darum nicht in Sack und Asche,
Denn was in unsern Bäuchen hänggeblieben,
Das zeigte nur, der Mann war eine Flasche.
Wie lieben frei, wie Männer tatens immer,
Wir lassen uns den Bauch nicht fremdbestimmen,
Ins Kloster gehn wir nicht und nicht aufs Zimmer,
So Männer uns zum Söldnerschaffen trimmen.
Wir haben satt die ewig braune Suppe,
Die Männern hilft, ihr Spielzeug flottzumachen,
Wir waren längste Zeit die Stubenpuppe,
Wir wollen was erleben und was lachen.

FLIP (steigt auf ein eilig aufgebautes Podest):
O Schwestern, Großes ward in harten Jahren,
Doch ists bedroht und immer ärger heute,
Der Feind versammelt seine braunen Scharen
Und immer lauter kläfft die Doggenmeute.
Doch bleibt es nicht bei Hohn und wüstem Drängeln,
 

 

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Man propagiert den Mord an freien Frauen,
Man will uns wieder nötigen und gängeln,
Und allerorten auf die Finger hauen.
Man will gar Serienmörder rasch befreien,
Damit sie unsre Kreise dezimieren,
Da hilft es nur, in alle Welt zu schreien:
Wir haben nichts, auch gar nichts zu verlieren!
Bis das Gezücht der Patriarchenbande
Ist nicht zertreten oder maulkorbtragend,
Steht unser Haus auf angeschwemmtem Sande,
Wie ein Verzweiflungsschrei zum Himmel ragend.
Bald wolln sie wieder grabschen und uns heißen,
Wir sollten doch die Stube sauber machen,
Wir werden diesem Lumpenpack was scheißen,
Und über unsre Menschenwürde wachen.
(Sie nimmt ein Buch zur Hand.)
Hier schreibt ein Kerl, das Weib gehör zum Herde,
Wohin gehört das Buch? frag ich euch alle,
Ein Ende dieser Männerfreiheit werde,
Denn sonst sind wir schon alsbald in der Falle.
Es gibt Verräterinnen bei den Frauen,
In der Union taktiert man doppelgleisig.
Da sucht man uns den Lehrstuhl zu verbauen,
Und eine Frau führts an, den Namen weiß ich.
Man stellt uns Fallen, daß man als Betrüger
Kann öffentlich uns stellen an den Pranger,
Solch blöde Weiber würden bißchen klüger,
Probierten sies mal öffentlich am Anger.
Sie sind zu dumm zum Spaß uns glauben Männern,
Die Frau sei nicht für ihre Lust geschaffen,
Doch richtig ist: Bei diesen Sparflamm-Brennern,
Treibts Frauen doch geradenwegs zu Affen.
 

 

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Die meisten Männer sind nur stark beim Biere,
Drum sei die Politik in solchem Zelte,
Wir wollen aber nicht besoffne Stiere,
Wir wollen daß die Frau dasselbe gelte.
Dahin ists noch ein weiter Weg, doch Schwestern
Laßt euch von Männern bloß nicht dumm verkaufen,
Wir wollen keinen neuen Weg nach Gestern
Und dabei noch ein bißchen schneller laufen.

DEMONSTRANTINNEN (im Chor):
Wir sind so frei, wir haben abgetrieben,
Wir sorgten auch, daß es die Kasse zahle,
Wir sind dabei so jugendlich geblieben
Und hungrig so, als wärs zum ersten Male.
Wir haltens für gesund sich das zu nehmen
Was uns gefällt und froh macht oder freier,
Man trenne sich vom lästig Unbequemen,
Sonst folgt der Jammer rasch der schönsten Feier.
Das Leben ist uns nicht mehr eine Bürde,
Für Männer, Staaten und Soldatenjungen,
Wir glauben an die hohe Frauenwürde
Und geben niemals preis, was wir errungen.
(Die Schar verläuft sich und der Vorhang hebt sich wieder.)


Sechste Szene
Orhan, Elena.

GRAL: Sie haben jetzt Besuch, drum freundlich lächeln,
Sie folgen mir, verschränken Ihre Hände,
Nur nicht zu rasch, sie sollten niemals hecheln,
Sie nehmen Platz am Tisch, dran ich Sie sende.
 

 

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ORHAN: O Elena, ich weiß, nun muß es werden,
Ich nahe langsam ohne aufzufallen,
Es gibt so manche Tugenden auf Erden,
Beherrschung ist die nötigste von allen.

ELENA: Hallo, Sie wirken ja wie frisch gebadet,
Der Mensch braucht für das Leben etwas Hoffen,
Er weiß zwar nicht, ob das Erhoffte schadet,
Und hat Enttäuschung oft genug getroffen,
Gleichwohl, es ist wie Frühling, wo die Triebe
Nicht wissen, ob die Dürre sie verbrenne,
Und Hoffnung ist auch stets der Kern der Liebe,
Wie ich sie will und wie ich sie erkenne.

ORHAN:
Ein gutes Wort, zur Hoffnung kommt der Glaube,
Sie haben mir den Herrn zurückgegeben.
Ich bete wieder, und dem Grale raube
Ich so ein Stück, er kann darin nicht weben.
Man glaubt es kaum. Er lernt zwar flink und tüchtig.
Doch alles Transzendente führt zu Pannen.
Er wird darob nicht etwa eifersüchtig,
Er achtet dies für Traum und schließt die Grannen.
So ist der Stecker nun vom Netz gefunden,
Es ist ganz leicht, den Wachmann auszuschalten,
Die Bibelverse tun Verständniswunden
Und nötigen, die Batterien zu halten.
Drum wollen wir auch hier wie einst bei Tische,
Herrn Jesus rufen, daß er sei zu Gaste,
Dann wird die Luft auch gleich die frühlingsfrische,
Und taub ist wieder gänzlich der Verhaßte.
 

 

58
 
ELENA: Ich muß den Optimismus etwas dämpfen,
Zwar ist es wichtig, daß der Geist gesunde,
Doch in der Welt, da bleibt uns viel zu kämpfen,
Und niemand weiß voraus die letzte Wunde.

ORHAN: Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen,
Doch bin ich jetzt im Glauben auferstanden,
Werdn weitre Kübel Jauche ausgegossen,
So macht mich dies nun nimmermehr zuschanden.
Ich wandle auf des Herren Weg und falle
Nicht mehr herein auf Tricks der Ideologen,
Das macht den Ort entbehrlich fast im Alle,
Ich bin aus jedem Kerker ausgezogen.

ELENA: Wir haben nicht viel Zeit, darum zur Sache,
Wir sehn uns nächste Woche im Gerichte,
Jedoch die Frau, mit der ich all das mache,
Sie fällt bald um und so wird viel zunichte.
Drum müssen wir wohl schon in ein paar Tagen
Improvisiern, nicht lange Pläne machen,
Stehn alle Chancen schlecht für unsre Klagen,
So gibt es da gewiß auch andre Sachen.
Sie sollten meine Worte gut bedenken,
Gral ist hier nicht der einzige der Wächter,
Drum werd ich mir das Transparente schenken,
Denn stolz ist auf die Finte jeder Fechter.

ORHAN: O meinen Sie nicht, weil ich lob und bete,
Ich sei der Praxis ein verblaßter Schatten,
Ganz anders ich jetzt auf die Erde trete,
Mut ists was Leute großen Glaubens hatten.
Als Kind wars mir die herrlichste Geschichte,
 

 

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Wie Ortnit sich ein Weib gewinnt beim Heiden,
Sie flohn und liebten in Theaterdichte,
Doch tragisch war das spätre Los der beiden.

ELENA: O ja, der Reiz der Mittelalter-Sagen,
Vielleicht war Politik dort auch so gräßlich,
Das Böse ist sehr stark in allen Lagen,
Doch niemals wars wie heute derart häßlich.
Ich glaub, Sie haben meinen Reim verstanden,
Den Tropfen Wermut will ich heut mir sparen,
Durch welche Lagen Helden je sich wanden,
Sie waren sich des Risikos im Klaren.

GRAL: Die Zeit ist um, der Abschied ist geboten,
Seid artig, dann kanns wiedermal so werden,
Wie zählen gut die Erbsen in den Schoten,
Doch manchmal gibts auch Himmelsglück auf Erden.

ELENA: Ich winke noch und bin schon auf der Treppe,
Die Worte sind mir kostbar die wir tauschen,
Wie anders ist das Los, das ich da schleppe,
Doch Sie Orhan hörn bald das Meeresrauschen.

ORHAN: Sie sind der Engel, den der Herr mir schickte,
Dies werde ich mein Lebtag nicht vergessen,
Das Aug, das gütig aus den Wolken blickte,
Hat wohl bedacht, was uns ist zugemessen.
Wer ihm vertraut, ist jeglichem verbunden,
Der auch beim Abendmahle eingeladen
Darum ist er der Heiler aller Wunden,
Und wer ihm folgt, der weiß nichts mehr von Schaden.
(Vorhang fällt.)
 

 

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Siebente Szene
Elena, Schwamminger-Ast.

ELENA: Wie steht es nun?

SCHWAMMINGER-AST: Bescheiden, ja bescheiden.
Termin beim Richter ist zwar nicht zu kippen,
Doch bringt er nichts und wieder nichts uns beiden,
Ehr drohn uns weitre hochriskante Klippen.
Die Sache mit Frau Flip dort anzusprechen,
Ist ohne alles Aber zu vermeiden,
Ihr Schützling darf da nicht das Schweigen brechen,
Sonst werde ich sofort von Ihnen scheiden.
Im Kampfruf auf der Münchner Groß-Parade
Gab sie den Wink, sie wisse meinen Namen,
Auch schluckte sie den Köder nicht gerade,
Das ganze rudert sichtlich aus dem Rahmen.
Nun muß erst Gras auf diesem Flecken wachsen,
Daß arglos werd der Feind und übermütig,
Sonst brechen wir uns kurzenwegs die Haxen,
Sagn Sies dem Jungen, seien Sie so gütig.

ELENA: Ich sah im Fernsehn das Geschrei der Lesben,
Auf Ruhe ist da wirklich nicht zu hoffen,
Die Zeit hilft nicht bei einem Nest der Wespen,
Ein solches ruht nur, wenn es abgesoffen.

SCHWAMMINGER-AST:
Dann suchen Sie sich einen Bombenleger,
Ich bin im Staatsdienst und beim Landgerichte,
Vielleicht gefällt es einst dem Weltbeweger,
Daß er die ganze Teufelsbrut vernichte.
 

 

61
 
ELENA: Ich halte dies für einen schwachen Glauben,
Der Christ verschränkt die Hände nicht im Schoße,
Gott wird nicht an der Weltgeschichte schrauben,
Denn uns obliegt das Niedre wie das Große.

SCHWAMMINGER-AST:
Sie treiben mich mit Worten in die Enge,
Das hab ich nicht verdient und nicht von Ihnen,
Daß Photographen-Blitzlicht mich versenge,
Sprach ich kein Falsch und wollt der Kirche dienen.
Doch sehn sie selber diesen lauen Zeiten.
Es wagt der Papst ein Machtwort kaum zu sprechen,
Die Bischöfe der Deutschen sind so leise,
Daß Christus ging aus Werften und aus Zechen
Und einkehrt nun bei Amsel, Drossel, Meise.
Wir leben grad als museales Rändchen,
Wir stehen wie Kaninchen vor der Schlange,
Bei Kirchentagen halten wir das Händchen
Und tun, als hielt die Kette noch sehr lange.
Doch haben Fernsehn, Rundfunk, Meinungsmacher
Schon längst kapiert, daß eine Front nicht drohe,
Darum ist unser Dasein längst ein Lacher,
Ein Tüpfchen Poesie für allzu Rohe.
Sie halten mich für einen Pessimisten.
Der Herr trug auf, zu Völkern hinzutragen
Die frohe Botschaft, sei der Sinn des Christen,
Doch dies geschah in weit entfernten Tagen.
Heute gibt es keine Völker mehr, nur Fakten,
Die kommunal, global, sozialverträglich
Zu bannen sind, wir stehen vor dem nackten
Sachzwang, der alles vor sich hertreibt täglich.
Die Botschaft ist schon lang nicht mehr die frohe,
 

 

62
 
Die Menschen wollen alles jetzt und hiesig,
Es fehlt der Sinn für alles Lichte, Hohe,
Man nennt es gerne schwammig oder diesig.
Nicht anders geht es mit dem Sinn im Rechte,
Wer Recht kriegt, hats, so denken heut die Leute,
Da bleibt kein Raum für Palmenzweig-Geflechte,
Auch wenn man sich das klar zu sagen scheute.

ELENA: Wenn dies so ist und Ihr Beruf am Ende.
Ihr Mann ist doch ein prächtiger Verdiener,
Warum vollziehn Sie nicht private Wende
Und werden der Familie erster Diener?

SCHWAMMINGER-AST:
Ich denk es oft und werds vielleicht auch machen.
Doch bittesehr, vergessenS nicht zu schweigen,
Ich hab schon sonst recht wenig hier zu lachen,
Nun möcht ich nicht noch solche Blößen zeigen.


Achte Szene
(Der Vorhang hebt sich wieder, zeigt aber jetzt das Anwaltsbüro von Elena im Landgericht.)
Orhan, Elena.

ELENA: Es ist nicht Zeit für Glaube, Liebe, Treue,
Wir müssen gleich zum Richter zum Termine,
Das ganze ist ein Witz, doch ohne Reue
Nehm Abschied ich von der legalen Schiene.
Das alles hat nur Sinn, Sie herzuschaffen,
Denn dies Gebäude ist nur schwach gesichert,
Sagn Sie am besten gar nichts bei dem Affen,
 

 

63
 
Der ohnehin bei solchen Fälln nur kichert.
Wir kehren dann in mein Büro, dem Wächter
Wird eine Freundin schöne Augen machen,
Dann find die Zeit ihn sicher als Verächter,
Und wir inzwischen lassens richtig krachen.
Vom Fenster kommt man leicht zur Feuerleiter,
Dann in den Hof, dort steht ein grüner Wagen,
Rohrlieferant und Perser und so weiter,
Der schraubt den Sender ab, den sie noch tragen.
Dann nehmen Sie den Paß und die Perücke,
Das Schminken werd ich vorher noch besorgen,
Dann hoff ich, daß am Tore alles glücke,
In Istanbul sind Sie vielleicht schon morgen.
Die Flucht ist lang, doch kommt zugleich der Koffer
Mit Akten des Prozesses, Briefen, Eiden,
In Teheran verstehn Sie sich als Hoffer,
Sie werden dort jetzt Ihre Schafe weiden.
Sie werden Helfer finden allerorten,
Sein Sie dem fremden Glauben stets verständig,
Man achtet dort und nicht allein mit Worten
Den echten Christen, der nicht wetterwendig.
Jetzt läuft die Zeit, nicht unbedachte Schritte,
Nur wenig sprechen und sich drin verfemen,
Ich hab zum Abschied nur die eine Bitte,
Daß Sie die Mutter ins Gebet sich nehmen.

ORHAN: Das geht so rasch. Ich hab im Leben Liebe
Nur einmal groß gespürt, das ist von Ihnen,
Dies offne Wort ich nun nicht mehr verschiebe,
Ich wüßt gern was, um dankbar Ihn zu dienen.

ELENA: Ich weiß das ja, es braucht nicht viele Worte,
 

 

64
 
Wenn sich verwandte Seelen mal begegnen,
Und möglich ist es auch am Höllenorte,
Der Herr läßts über alle Sünder regnen.
Wir sehen uns gewiß im Paradiese,
Ich hätte Ihre Mutter gern bekehret,
Des Herrn Vergebung gleicht der Blumenwiese,
Drum ist auch ihr gewißlich nichts verwehret.
Doch diesem Stück der Vorhang hat zu fallen,
Sonst treffen Sie am Damavand den Weisen
Von Chalkidike, schrecklich und mit Krallen,
Der unser Stück zerschlägt mit seinem Eisen.