HINZ UND KUNZ
KABALE






Die, welche schwierige, dunkle, verflochtene, zweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiß nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes, nach einem Gedanken erst ringendes Bewußtsein davon; oft aber wollen sie sich selber und anderen verbergen, daß sie eigentlich nichts zu sagen haben.

SCHOPENHAUER   
 

 



 

Die Reden der handelnden Personen sind frei erfunden. Gleichwohl hat der Autor bei historischen Personen Biographie und Charakter sorgfältig studiert, um dem Publikum einen zutreffenden Eindruck zu vermitteln. Dabei kommt es dem Autor nicht auf die Niedertracht und das Versagen einzelner an, sondern auf die Mechanismen, die zu literarischem Ruhm führen und dem Publikum vorgaukeln, dieser sei einzig und allein die Folge entsprechender Leistung.



PERSONEN

HINZ, Heinrich Böll, Schriftsteller
KUNZ, Reiner Kunze, Schriftsteller
RICHTER, Spiritus rector der Gruppe 47
GUGGENHEIMER, Theaterkritiker
EICH, ANDERSCH, BORN, WEYRAUCH, ILSE, Schriftsteller
STILLER, MICHEL, MfS-Offiziere
IMKER, Studentenpfarrer
PETER, THOMAS, ELSA, GERTRUD, Studenten-Ost
TIMO, BERND, Studenten-West
FRANKE, CIA-Agent
IRONICUS
DAS MÄDCHEN
DEMONSTRANTEN
PRÄSIDENT der Darmstädter Akademie
AUDITORIUM
POLIZISTEN
EINSATZLEITER
 

 

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PROLOG


GUGGENHEIMER:
Worin der Streit der Zeit und aller Zeiten
Besteh, wird viel gemunkelt und gedichtet.
Es zählt zu dieser Bühne Eigenheiten,
Daß sie darüber unverstellt berichtet,
Denn gänzlich anders ists im allgemeinen,
Wo Denkgesetze selber ruhn auf Finten,
Wem Räusche als die Wahrheitswecker scheinen,
Greift immerzu nach Opium und Absinthen.
Daß Stoff und Seele sein die Weltenpole,
Schien Weisen manch Jahrtausend unverdächtig,
Jedoch wer hier der Scheitel, wer die Sohle,
Da stritten sich die Schulen laut und mächtig.
Den Kindern Abrahams wird offensichtlich
Bewegung stets dem Ding zum Gegenstücke,
Dies zeigt sich augenblicklich und geschichtlich
Und schlägt in Fernstes eine Deutungsbrücke.
Sichtbar das eine, aber ungestaltet
Das andre, dem Erkanntes hat zu dienen,
Der Gott, der aus dem Unsichtbaren waltet,
Gibt jedem Ding die Spuren und die Schienen.
Ein Kind weiß, daß die Tarnkapp selbst den Schneider
Befähigt, einen Riesen zu bezähmen,
Des Toren Einsicht lautet hier: Ja leider
Kann Unsichtbares selbst das Stärkste lähmen.
Drum ist der Welten Hell und Dunkel immer
Die Stellung zu dem Auge des Betrachters,
 

 

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Dem Dumpf-Realen mählt sich das Gewimmer,
Olympisch tönt das Lachen des Umnachters.
Wer dies begreift, begehrt nicht mehr nach Taten,
Sein Schlachtfeld ist das Werden der Motive,
Denn keiner Müh kann Segen je geraten,
Ist nur die Bahn, auf der sie wirkt, die schiefe.
Hat Marx gemeint, in Kapital und Werken
Sei der Konflikt, in Händen und Fabriken,
So wird gewiß ein tiefrer Blick bemerken,
Daß sie sich oft zu gleichem Ziele schicken.
Das Kapital, das Haus wird und Maschine,
Steht wie die Hand im Zwang sich zu verkaufen,
Doch unsichtbar ist Hand und Haus die Miene,
Die beide läßt nach ihrem Gusto laufen.
Man nennts den Zins, der ein geborgtes Morgen,
Er wird zur Sucht dem Planen und Ersehnen,
Das Unsichtbare kauft die Last der Sorgen,
Und sorgt, sie mög sich immer weiter dehnen.
Die Kunst, der Kult, der Ritus und das Hoffen
Sind unser Feld, denn wer den Wunsch verwaltet,
Schaut fröhlich, wie die Früchte sich verstoffen,
Und weiß, daß sein Gewinn die Welt gestaltet.
Europa ward der ganzen Welt zum Herzen,
Was hier begehrt wird, hofft man allerorten,
Was hier man hält für heilsam gegen Schmerzen,
Dem öffnet man auch anderswo die Pforten.
Der Deutsche aber ist der Schlüsselwalter,
Weil Nord und Süd und Ost und West sich rühren,
Drum muß des Weltwunschs heimlicher Gestalter
Zuerst die deutsche Sehnsucht überführen.
Dies ist Musik, das Malen und das Bauen,
Die Lebensart zu trauern und zu feiern,
 

 

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Das Ziel heißt, daß kein Unterschied zu schauen
Im Jüdeln und im umerzognen Meiern.
Weltethos und globale Attitüde
Sei uns das Wasser, drüberhin zu schweben,
Wir brauchen ein Geschlecht, unendlich müde,
Das meint, dies wär das eigentliche Leben.
Dies ist kein Plan, den ich mir ausgesonnen,
Er liegt im Wesen allen Machtgesetzes,
Wer Macht begehrt, hat dabei mitgesponnen,
Es stürzte, wem zumute, er verletz es.
Es braucht nicht Loge, Absprach und Verschwörung,
Daß Völker, Sitten und Kulturen sterben,
Von selber grad vermehrt sich die Betörung,
Weil sie so schlicht und leichthin zu vererben.
Wenn meins Zersetzung ist des Dichterwortes,
So hob dafür kein Meister seinen Finger,
Dies ist grad wie die Spartenwahl des Sportes,
Wer dick, der wird nicht Läufer sondern Ringer.
Ich tus auch nicht, weil mir Zersetzung Freude,
Obwohl die, wenn ich ehrlich bin, vorhanden,
Erfolg und Geld sind Grund, daß ich vergeude
Die Müh und mach die Litratur zuschanden.
Das Publikum wohl zweifelnd will bestreiten,
Daß solch ein Werk im deutschen Land gelänge,
Der Unglaub hilft mir sehr voranzuschreiten
Und unsichtbar zu breiten all die Fänge.
Es ist ein alter Trick beim Weiterlaufen,
Daß man da ruf, der Dieb sei festzuhalten,
Weil wirs verstehn, euch Feinde zu verkaufen,
Bleibt alles ganz in unserm Sinn beim Alten.
Wir machen euch all die zum Ziel des Grimmes,
Die affig Wahrheit oder Treu beschwören,
 

 

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Sind diese erstmal furchtbar und was Schlimmes,
Ists Kinderspiel die Narren zu betören.
Es ist nicht wichtig, was da wird geschrieben,
Doch welches wird gedruckt und wird verbreitet,
Was niemand liest, das ist ein Stein geblieben,
Der einem Sumpfe keine Wellen breitet.
Die Gilde der Kritik, die dem Verleger
Den Hinweis gibt, was dem Geschäfte fromme,
Ist seinem Herd gradzu der Schornsteinfeger,
Daß er zu Ansehn und zu Wohlstand komme,
Drum ists kein Zufall, daß zu dieser Gilde
Die Gläubigen des rechten Glaubens strömen,
Sie tragen stets den Dollarstab im Schilde,
Ob sie in Hessen, Preußen oder Böhmen.
Sie eint nur das Programm, reich zu kassieren,
Und dies bedeutet, daß die Welt sich ebne,
Drum solln die Völker ihr Gesicht verlieren,
Bei Deutschen ists inzwischen das Gegebne.
 

 

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ERSTER AUFZUG
Auf der Veranda eines Einfamilienhauses am frühen Morgen.

Erste Szene.
Guggenheimer, Richter.

GUGGENHEIMER:
Ein guter Morgen, ja, der Tag wird prächtig,
Das Geld ist da, wir lassen uns nicht lumpen,
Wir lassens angehn, langsam und bedächtig,
Ein großer Dichter sollte ja nicht pumpen.

RICHTER:
Machs nicht so spannend, Walter, wessen Schreibe,
Soll denn das Los der Knappheit künftig missen,
Du willst doch nicht, daß ich als Leiter bleibe
Bis ganz zuletzt im völlig Ungewissen?

GUGGENHEIMER:
Ich riet dir, Heinrich Böll aus Köln zu laden,
Nicht ohne Grund, er wird heut überzeugen,
Halt dich zurück, denn nicht zu ihrem Schaden,
Wird sich die Gruppe dem Geheimtip beugen.

RICHTER: Ich bin begeistert nicht von dem Katholen,
Der hat doch nichts zu sagen als viel Trauer,
Es wär doch wirklich etwas mehr zu holen
Bei einem, der ein echter Zukunftsbauer.
 

 

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GUGGENHEIMER:
Zuerst: Ich kenn den Böll schon aus dem Lager,
Wir haben Großes vor, es wird gelingen,
Ist er für diese Gruppe ein Versager,
So wird ers dennoch zur Berühmtheit bringen.
Denn glaube mir, auch du bist nur ein Rädchen,
Grad weil du ihn so unbekannt entdecktest,
Heißts bald, du hättest Ariadnes Fädchen –
Das wars doch immer, was du hier bezwecktest?

RICHTER: Gut gut, trotz allem, warum grade jener?
Ich will nicht widersprechen, bloß begreifen,
Der Autor heut mag nicht den Papst zum Trainer,
Ich seh die Zukunft nicht aus Krypten reifen.

GUGGENHEIMER:
Ist dir das Geld von Schneider zu katholisch?
Den Deutschen fehlt doch jeder Sinn zur Finte.
Wir schwärzen uns das Angesicht symbolisch,
Und jeder meint, wir schaun bloß auf die Tinte.
Im Halse stecken bleibt der Vorwurf: Linke!
Nur textlich Starkes wir uns hier erlaubten.
Und daß das Urteil abgekartet stinke,
Wird man nicht mal in Lippoldsberg behaupten.
Und überhaupt, das Volk dem Nationalen
Entfremden, sei uns Rom ein Bundgenosse,
Die Zeit kommt wohl, daß es dies büßt mit Qualen,
Doch nach der Reihe nutze die Geschosse.
Die Linkskatholen sind des Reiches Feinde,
Die Hitler so wie vorher Preußen haßten,
Drum ist dies eine dienliche Gemeinde,
Und töricht wärs, wenn wir die Chance verpaßten.
 

 

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RICHTER:
Gut gut, doch sorgt mich, daß man so nicht stimme,
Der Böll wird uns die Langeweil nicht rauben,
Daß Großes in dem dürren Holze glimme,
Das werden die Autoren hier nicht glauben.

GUGGENHEIMER:
An dir ists, erstmal allen klarzumachen,
Daß Mystik das Gebot in unsrer Stunde,
Zerknirschung, Buße, einsam nachts zu wachen,
Und innigst suchen nach verborgnem Grunde,
Nicht länger sag, wir standen stets dagegen,
Wir suchen Mitverantwortung, Verstrickung,
Es klebt an unserm Volk, dies von uns legen,
Es widerspricht der sprachgetragnen Schickung.
Den Eich hab ich schon instruiert, bei allen
Für Stimmung bei dem Neuling heut zu sorgen,
Ich denk, ihm ist da schon was eingefallen.
Lehn dich zurück, genieße diesen Morgen!

RICHTER: Den Eich? und der war ohne weitres willig?

GUGGENHEIMER:
Nicht ohne weitres. Doch ich komm nicht ohne.
Ich weiß, du denkst, der Rundfunk ist nicht billig,
Doch wenn wer braun wie eine Kaffeebohne,
So ist er eher heut als morgen draußen,
Die Warnung war dem Eiche höchst verständlich,
Und eh ich weiter ausmaln mußt das Grausen,
Ward er ganz zahm und macht nun alles endlich.

RICHTER: Gibts ein Dossier, das Eich so sehr belastet?
 

 

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GUGGENHEIMER:
Parteibeitrittsgesuch, nur abgewiesen,
Weil Zugangsstop verfügt vom Führer selber,
Die Photos diesen Mann erbleichen ließen,
Doch noch ein andres machte ihn noch gelber.
Der Völkische Beobachter begeistert
Vom Eichschen Rundfunk, gradezu Eklogen.
Ich sagte, hast du diesen Dreh gemeistert,
So spannst du mir auch heute gut den Bogen.

RICHTER: Du Teufelskerl! Du bist mit allen Wassern
Gewaschen und braust immerfort dir neue,
Mir ist nicht bang vor Neidern und vor Hassern,
Wenn ich mich dabei deines Beistands freue.
(Beide ab.)


Zweite Szene.
Eich, Ilse.

EICH: Schön, daß Sie etwas früher kommen konnten,
Die Sonne meint es gut mit dem Gemüte,
Bei Licht besehen, klären sich die Fronten,
Und Nebel läßt der Übersicht die Güte.

ILSE: Ich mein gar nicht, daß ich nach Norden reiste.
In Wien wars kühl, am Morgen fast schon bitter,
In Ihrem Brief verstand ich zwar das meiste,
Doch wiederholts noch einmal ohne Flitter.

EICH: Sie wissen, daß für mich und für Herrn Richter
Sie erste Kandidatin unserm Preise,
 

 

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Doch auch der Norden fordert seine Lichter,
Darum empfiehlt sich zwischen uns die Schneise.
Ich bin befugt, verbindlich zu versprechen,
Daß niemand nächstjahrs gegen Sie im Rennen,
Doch dieses Jahr hat unverhoffte Schwächen,
Die will ich deutlich und konkret benennen.
Sie wissen, daß wir nicht im leeren Raume
Agieren, daß auf Beistand angewiesen,
Sind Früchte, die gedeihen nicht am Baume,
Und die zu viel Gerede kann vermiesen.
Kurzum, die Fördrer der Autorenrunde,
Wolln, daß ein gänzlich unbekannter Schreiber
Sei binnen eines Jahrs in aller Munde,
In Presse und in Rundfunk stehn die Treiber
Bereit, daß werde ausposaunt die Kunde.
Entschieden haben dabei die Strategen,
Daß die Kampagne sei eröffnet heute,
Und preist man unsern zielgenauen Degen,
Hat jeder Part zu lachen bei der Beute.
Ich war kein Unbekannter mehr im Reiche,
Doch wenn wir Unentdecktes nominieren,
So heißts, daß die Vorausschau stellt die Weiche,
Daß unser Preis wird höchlich profitieren.

ILSE: Sie sollten sich, mein lieber Eich, gewöhnen,
Daß Sie nicht mehr im Dritten Reiche leben.

EICH: Aufregung tut nicht gut den Obertönen,
Ich werd mir freilich etwas Mühe geben.

ILSE: Preisstrategie, nun gut, ich hab begriffen,
Ich bin beim nächsten Mal erst an der Reihe.
 

 

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Doch welche Klippen Sie so sanft umschiffen,
Sind Sie und Richter mir der Rätsel zweie.

EICH: Wir brauchen Unterstützung, weil wir wähnen,
Die Runde wird so leicht die Wahl nicht segnen,
Sie werden uns bei seinem Vortrag gähnen,
Und danach wird es bitterböse regnen.

ILSE: Aha, die Frau soll die Kastanien mürbe
Vom Feuer holn, eh sie dort ganz verschmoren?
Und daß ihr guter Ruf dabei verdürbe,
Darüber wird kein Sterbenswort verloren?

EICH: Wir denken nicht so kurz, Sie zu verheizen,
Die Ernte dieses Coups kommt erst nach Jahren,
Wenn heute Sie mit gutem Wort nicht geizen,
Wird man demnächst in gleicher Weis verfahren.
Es mag wohl sein, daß heute manche fragen,
Ob Sie in Ihrem Urteil bei Verstande,
Doch allzuoft wirds dunkel nicht und tagen,
Da äfft man ihre Worte nach im Lande.
Genie, so wird man sagen, hat geraten,
Daß Sie dem Unbekannten beigestanden,
Dann stehn Sie in der Rolle eines Paten,
Dem unbestechlich klar, was sonst zuschanden.

ILSE: Was soll ich tun? Ich bin nur eine Stimme,
Wenn es die meisten finden ganz daneben,
Dann ist, ob ich nun glüh oder nur glimme,
Die Stimmung nicht mit Weiblichkeit zu heben.

EICH: Zunächst einmal wird Richter, zwar verborgen,
 

 

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Den Kandidaten hätscheln und verwöhnen,
Gar mancher, der erhofft ein beßres Morgen,
Greift nur zu gern nach solchen Zwischentönen.
Zum andern werd ich offen für ihn streiten
Und damit manchen Widerstand schon brechen,
Wenn Sie am rechten Ort, zu rechten Zeiten,
Gezielt in das verletzte Lager stechen...

ILSE: Sie meinen echt, das könnte mir gelingen?

EICH: Mit Weiblichkeit allein ists nicht zu machen,
Sie müssen schon mit schärfern Waffen ringen,
Mit schärfsten, ja mit allerschärfsten Sachen...

ILSE: Ich fühle mich, Verzeihung, grad vernommen,
Gestapo auf der andern Straßenseite,
Ich hoff, ich werd noch einmal zu mir kommen.
Vielleicht such ich auch unverhofft das Weite.
Ich denk der Zeit, da ich in meinem Zimmer
Die Mutter wider das Gesetz versteckte,
Und wieder spür ich schamhaft das Geflimmer,
Als schon ein Spatz am Fenstersturz mich schreckte.

EICH: Sie sind ganz nahe dran, ich will es sagen,
Sie sind nicht nur Autorin, klug und fraulich,
Sie sind auch Jüdin, und in diesen Tagen
Ist Widerspruch für Deutsche nicht erbaulich.
Wenn Sie als Opfer Nachdruck ihrem Meinen
Verleihen, wird kein einzger widersprechen,
Es wird für Sie grad wie ein Mißbrauch scheinen,
Die andern fürchtens aber als Verbrechen.
(Beide ab.)
 

 

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Dritte Szene.
Hinz, Richter

RICHTER: Ich hab nur wenig Zeit, Sie zu begrüßen,
Doch will ich Ihnen Haus und Brauch erklären,
Wenn sie gelesen, tritt man Sie mit Füßen,
Dann schweigen Sie und lassen die gewähren.
Denn der Protest wird allzubald sich legen,
Wenn sie ihm keine neue Nahrung schenken,
Wir haben Mittel und nach unsern Wegen
Gelangs noch stets, die Stimmung umzulenken.
Entscheidend ist alleine, daß Sie milde
Und nicht zurück bei einem Unflat schlagen,
Vergebung führt, so heißts, der Christ im Schilde,
Und duldet ohne Widerstand und Klagen.
Sie werden sehn, der Lärm wird leis und leiser,
Sie werden langsam stehn in anderm Lichte,
Und langsam wächst im Raum ein andrer Weiser,
Doch Unverstand macht dieses Werk zunichte.
Sie werden lesen und nicht disputieren,
Die andern machen das schon ganz alleine,
Die Meinungen, sie dürfen paradieren,
Und dann am Ende bleibt allein die meine.

HINZ: Sie kennen sich hier aus, ich bin der Neue,
Ich hörte schon die heftigsten Gerüchte,
Doch glauben Sie, daß ich mich herrlich freue,
Und von dem Stuhl gewiß nicht fahnenflüchte.

RICHTER: Sie harren aus, Sie bleiben auf dem Posten,
Das andere hab ich trefflich vorbereitet,
Sie kommen ganz gewiß auf Ihre Kosten,
Und wehe dem, der Ärger mir bereitet. (Ab.)
 

 

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Vierte Szene.
Hinz, Richter, Schriftsteller.

HINZ: Kurz anzumerken ist dem Ich-Berichte,
Der lapidar ein deutsches Wesen schildert,
Das Leitmotiv, das diese Geldgeschichte
Zwar still und doch verheißungsvoll bebildert.
Bergpredigt, die für mich die wahre Pforte,
Sie scheidet das Gesetz von der Lappalie,
Auch sei nicht übersehn, am selben Orte
Stehn Weltgewinn und die Marienmedaille.

RICHTER: Beginnen Sie zu lesen! Selbstbezüge
Sind weder hilfreich noch ein Urteilsschärfer.
Wenn sie der Text nicht in sich selber trüge,
Brächt dies dem Leser auch kein Flammenwerfer.
Wir achten nicht, ob Prediger, ob Ketzer,
Allein der Text macht süß uns oder sauer,
Also diktiernS, als wachte hier der Setzer,
Denn was genau, macht auch kein Mehr genauer.

HINZ: In jedem Gliede der Geschlechterkette
Ist not ein schwarzes Schaf in der Familie,
Sie wär, wenn sie davon nicht eines hätte,
Ein Bohneneintopf ohne Petersilie,
Und weil mein Haus in jeglichem gewöhnlich,
Ist dieser Posten dauernd zu besetzen,
Es würde, wär ein jedes Glied versöhnlich,
Die Regel, die gewöhnlich macht, verletzen.
Im Augenblick bin ich der so Geschmähte,
Mein Patenonkel heißts, hat mich verdorben,
Jedoch wenn niemand in die Stapfen träte,
 

 

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Wär ein Familienwesenszug gestorben,
Denn die Familie ohne schwarze Schafe
Entbehrt so sehr ihr allgemeines Wesen,
Daß unser Fehlen wohl die ärgste Strafe,
Drum will ich Dank in allen Augen lesen.
(Er räuspert sich.)
Mein Onkel gab mir Eis und Schokolade,
Daß Vater zog die Stirn in tiefe Falten,
Er setzte seinen Schwung in alles Fade,
Und er verstands, uns wohl zu unterhalten,
Kein Thema, drin er nicht den Meister zeigte,
Und keine Not, die seinem Rat nicht dankte,
Er wußte wohl, wie man ein Requiem geigte,
Welch Kräutlein not, wenn jemand hier erkrankte.
Stets liebenswert und trefflich ausgewogen,
Blieb er der Gast, den man nicht missen mochte,
Doch der Refrain, bevor er fortgezogen,
Wenn kurz die Kerze war samt ihrem Dochte,
Hieß immer, daß er bräucht zu investieren
Ein Darlehn, einen Vorschuß, eine Spritze,
Es sollte keiner einen Deut verlieren,
Weil dies die beste Redlichkeit besitze.
Man schlug ihm vor, er solle doch sein Wissen
Bemühn für ein Gewerbe und für Pfründe,
Doch die Gewohnheit ist nicht abgerissen,
Daß stets ein Satz am Schluß des Treffens stünde.
Mit Hut und Schal sprach er von kurzen Fristen,
Von Plänen, welche Lösung aller Mängel,
Und man vermied dies Ende nicht mit Listen,
Noch daß man ihn mit gutem Tropfen gängel.
Es war bekannt, daß er, sobald er flüssig,
Den Sieg betrank schon in der nächsten Schenke,
 

 

23
 
Und dorten, der Gesellschaft überdrüssig,
Die Chancen seines Pumptalents bedenke.
Zu Zeiten, dies sei keineswegs verschwiegen,
Kam er daher, ganz unverhofft liquide,
Man sah den Geldschein wohlgeglättet liegen
Als den Beweis, daß er das Krumme biege.
Jedoch war Tilgung stets die Ouvertüre,
Um größere Verbindlichkeit zu bitten.
Drum Gläubiger, daß man dich nicht verführe,
Glaub nie, du habest schon genug gelitten!
Dann kam sein Tod ganz ohne alle Künder,
Ein Laster hat zerquetscht ihn auf der Straße,
Und wir, die Erben, hatten offne Münder,
Denn er beschämte uns in höchstem Maße.
Ihn hatte, eh es ging ihm an den Kragen,
Die Lotterie bedacht mit reichstem Lose,
Und als Beginn von sorgenfreien Tagen
Trug er die Scheine bar in seiner Hose.
Das Duplikat der Quittung des Gewinnes
Die Mutter Gottes traf in seiner Tasche.
Als Widerlegung liederlichen Sinnes
(Hier sei bestreut gar manches Haupt mit Asche)
Befand sich in der Wohnung, arm, bescheiden,
Ein Quartheft, drin er jede Schuld verbuchte,
Es sollte keiner das Vergessen leiden,
Bei dem er je nach Hypotheken suchte.
Da standen große Summen neben Gaben,
Die andre nach Minuten schon vergessen,
Gerechtigkeit und Dank soll jeder haben,
Sei auch sein Opfer nur gering bemessen.
Mein Vater, der das Testament vollstreckte,
Hat alles reguliert, was aufgeschrieben,
 

 

24
 
Was drüberhin er mir als Erben steckte,
Sollt mir schon bald wie Sporenstaub zerstieben.
Ich ward Studiosus nun für sechs Semester,
Musik, für die ich gänzlich unbegnadet,
Als Fazit wurde mir der Argwohn fester,
Daß allzuviel Beharrlichkeit bloß schadet.
Ich machte neue Pläne und die Fristen,
Bis sie sich als unmöglich offenbarten,
Verkürzten sich, ich sollte nirgends nisten
Und ärmer heimkehrn nur von allen Fahrten.
Vom Onkel hab ich bloß geerbt die Blicke,
Die Säuglingskinder still und lächeln machen,
Doch daß ich mich darein beruflich schicke,
Ist heutzutag bei einem Mann zum Lachen.
Ansonsten fehlt mir das geschmeidig nette,
Des Onkels Art, auf Menschen einzugehen,
Es klingt wies Knurrn des Hundes an der Kette,
Will ich auf einem Barkredit bestehen.
Auch trag ich nicht mit leichtem Herz die Schulden,
Ich leide am Gewissen, das mich knechtet,
So kam es, daß ich, Reu und Buß zu dulden,
Mein Leben hab gekapert und entrechtet.
Mir ekelte vorm ringsum Abgebrannten,
Bereit, der Freiheit Segel jäh zu raffen,
Bat ich mit Flehn und Gründen die Verwandten,
Mir gegen Lohn die Sklaverei zu schaffen.
Entsetzen packte mich so manche Male,
Als ich begriff, dies läuft nicht nur im Spiele,
Doch unrebellisch rollte ich zu Tale,
Und sah mich bald beschäftigt wie so viele.
Ich hatte nun viel Schriftkram zu sortieren,
Zu lochen und dann sauber abzuheften,
 

 

25
 
Betrachtend mich bei eingepferchten Tieren,
Ward mir der Blödsinn klar in den Geschäften.
Mein Chef entwarf das Mobiliar der Mode,
Das unbrauchbar und Blendung für den Kunden,
Die Werkstatt gab dem Schwachsinn dann Methode,
Und ich vertat die Tage und die Stunden.
Bedeutsam schien mir nur im Arbeitsleben
Der Trambahnschaffner mit der Tilgerzange,
Er stand, dem Tag das An und Aus zu geben,
Auf daß kein Schicksal daure je zu lange.
Er machte mir den Mythos augenscheinlich,
Daß jemand wacht, uns mählich aufzufressen,
Gewissenhaft und keinem Auge peinlich,
Strich er das Leben, das uns zugemessen.
(Er macht mit einer Geste den Schaffner nach.)
Ich habe nicht gekündigt, erst ein Bote,
Der mürrisch sprach vom Los und meiner Nummer,
Hat mich befreit vom Haus, darin nur Tote,
Und von der Schuld, die vorher Gram und Kummer.
Nachdem ich so des Onkels Glück kopierte,
Wars manchem, daß ich fern nicht sei dem Ende,
Wenn ich mich auch beim Weinbrand niemals zierte,
Blieb ringsumher bekömmlich mir die Wende.
Das Geld, das frei von Steuern ist und Pflichten
Wird reichen, wenn ich nicht nach Höherm trachte.
Auf Regeln kann kein gutes Spiel verzichten,
Drum acht ich die fürs schwarze Schaf gemachte!
Als Sorg bleibt mir am Lebens-Nachmittage
Daß ich nicht weiß, wer stellt die nächste Runde.
Doch wers auch sei und die Familie plage,
Ich steh schon heut mit ihm im festen Bunde.
 

 

26
 
Fünfte Szene.
Hinz, Richter, Eich, Andersch, Born, Weyrauch, Ilse und andere Schriftsteller.

BORN (nach einer Pause):
Ob Onkel oder Neffe – dilettantisch
Scheint mir die Posse im Familienkreise,
Nach Taugenichtsen, Eichendorff-romantisch,
Verlangt die Aufbauzeit in keiner Weise.

ILSE: Ich mag die Fordrung nicht des Zeitgemäßen.
Was Aufbau? Kriechen nicht schon Sturmbannführer
Hervor, bereit, daß sie im Panzer säßen
Nach Rußland hin für Luther, Kant und Dürer?
Verweigrung muß mir glatt als Tugend gelten,
Wenn Deutschland sich in neuem Bündnis rüstet.
Wollt ihr den Schlächter erst am Tage schelten,
Wenn er mit neuem Völkermord sich brüstet?
Und überhaupt steht zu dem Leistungszwange
Nicht nur Romantik schroff im Gegensatze,
Es mag wer will den Anzug von der Stange
Sich anziehn, doch ich bleib im Haus die Katze.

ANDERSCH: Der Außenseiter will mir wohl behagen,
Auch soll man der Armee sich wohl verweigern,
Doch scheints mir rätlich nicht, um Kopf und Kragen
Die Masche bis nach ultimo zu steigern.

WEYRAUCH: Ich geb mich wieder mal als Ulenspiegel.
Was machten jene, gäbs nicht Lotterien?
Ein Haus braucht Mörtel und gebrannte Ziegel,
Nicht nur das Glück, das rechte Los zu ziehen.
 

 

27
 
Es mag sich zwar kein Staat mehr leisten wollen,
Den Teil am Glücksgeschäfte abzuschreiben,
Doch die Vernunft nennt dies ein blödes Tollen,
Und mahnt, von solchem Wahne fernzubleiben.
Ich mag zwar Litratur nicht als Gebote,
Doch unmoralisch scheint mir solches Werben,
Auch etwas dick erscheints, vom Lottobrote
Gewinner sein unds vorher auch noch erben.
Grad weil der Leser weiß, er hatte immer
Die falschen Zahlen, wird er ausgeschlossen
Von diesem exklusiven Seitenzimmer
Und bleibt zurück bei Vater und Genossen.

ILSE: Sie schätzen doch die volksverbundnen Worte?
Das sind die Märchen doch gewöhnlich, oder?
Sehn wir den Sinn im Zahlenrater-Sporte,
So ähnelt dies, was man aus Schlick und Moder
Hat schatzgegraben einst als Gold und Perlen,
Der Glückliche im Märchen ist der Finder,
Ihm quakt der Frosch, ihm raunen zu die Erlen:
Im Dunkeln ruht des Schicksals Überwinder.

WEYRAUCH:
Das Glück, das wir erfahren in den Mären,
Ist keine Würfelei und stets verbunden
Mit Mitleid oder Liebe, es erklären
Sich die Verfemten als die Herzgesunden.
Doch so nicht bei den Helden der Geschichte,
Die einzge Tugend, die mir aufgefallen,
Buchhalterisch erscheint im hellen Lichte,
Ich mag sie wie beim Meeresbad die Quallen.
 

 

28
 
EICH: Es geht nicht drum, ob wir die Helden lieben,
Erzählungen, die wir zu schätzen üben,
Sind Werte nicht, die ewig gleich geblieben,
Noch Lotosblüten auf dem grünlich Trüben.
Nicht statisch thront das Kunstwerk überm Markte,
Es zeigt sich dialogisch und betroffen,
Im Zeigen, wie es bei dem Tausch erstarkte,
Darf es allein auf eine Zukunft hoffen.
Ich finde vom Erzähler aufgestoßen
So manches Tor, das vom Tabu verriegelt,
Er zeigt im Kleinen, was uns schnürt im Großen,
Die größte Torheit er im Kleinsten spiegelt.
Wir sehen die Familie, er entlarvte
Sie uns als Repression zu allen Zeiten,
Nicht daß er uns vom Vaterlande harfte,
Nicht Mutter rief, das Sohnesherz zu weiten,
Nein, er sagt klar, die eingespielten Bande
Verlangen nach dem Bock, nach einem Narren,
Ob Glück, ob Pech, ja es verläuft im Sande,
Jedoch die Sippschaft spannts vor ihren Karren.
Muß ich hier erst das Mutterkreuz beschreien,
Um klarzustellen, wo der Hort der Schlange?
Nicht könnte die HJ den Bub befreien,
Gäb ihm nicht schon das Elternhaus die Zange.
Anschaulich zeigt er, wie die Säuglingskinder
Noch nicht in Reih und Glied stehn wie die Spießer.
Wer nicht gehorcht dem Leistungsdruck der Schinder,
Wird dem was andre ärgern muß Genießer.
Daß seine Helden Trunk und Spiel nicht meiden,
Zeigt an, daß sie auf dem Planeten leben,
Wo Völker dumpfe Traditionen leiden
Und Ideologen braune Schleier weben.
 

 

29
 
RICHTER: Ich schlage vor, daß wir nach einer Pause
Abstimmen, ob den Förderpreis der Gruppe
Das schwarze Schaf erhalten soll im Hause,
Auf daß es sich als weißer Hirsch entpuppe.
Die Company MacCann hat uns gestiftet
Die Mittel, uns zu zeigen als Sponsoren,
Doch eh ein leerer Magen uns vergiftet,
Sei vor dem Mahl kein weitres Wort verloren.


Sechste Szene.
Das Büffet wird hereingefahren. Lockeres Gespräch beim Essen. Ein Schriftsteller lädt sich besonders viel Essen auf den Teller und wird deshalb von einem Kollegen ermahnt.
Zwei Schriftsteller.

ERSTER SCHRIFTSTELLER:
Nun mach mal stop, nicht zinnern sind die Teller,
Auch ist es nicht Keramik wie in Sachsen,
Dein Turm kommt mir zwar vor wie Rockefeller,
Jedoch beim Stolpern brichst du dir die Hachsen.
(als der zweite näher kommt, leiser)
Es muß nicht sein, daß man hier weiß vom Weiten,
Daß du herbeikommst aus der Russenzone,
Sieht Richter dies, so sag ich dir beizeiten,
Wenns Ladung gibt, bleibst nächstes Mal du ohne.

ZWEITER: Du achtest immer gut auf Nebendinge,
Drum bist du auch so gut zuhaus im Westen,
Du prüfst sogar beim Henker noch die Schlinge
Und stellst dann fest, daß alles steh zum besten.
(Er setzt sich, kaut erst einmal behaglich und fährt dann fort):
 

 

30
 
Die ganze Sache ist doch abgekartet,
Der Eich hielt die Laudatio auf den Neuen,
Da wird nicht mehr gekrittelt und gewartet,
Er darf sich schon auf seine Ehrung freuen.

ERSTER: Wir sind hier nicht bei euern Kommissaren!
Doch sag, was hat dir denn so sehr mißfallen?
Ist ein Rebell in deine Haut gefahren?
Muß Dichtung etwa stehn und Hacken knallen?

ZWEITER: Ich finde das Erzählte ziemlich mäßig,
Doch dies allein brächt mich nicht auf die Palme,
Und machte mich der Hunger nicht gefräßig,
Ich brächt nichts runter bei dem Eichschen Qualme.

ERSTER:
Hier raucht doch gar kein Mensch. Du siehst Phantome.
Verschwörung rings! Das Kapital am Ruder!
Da werden Tabak selbst Vanill-Arome,
Und Schierling lacht aus weißem Zuckerpuder.

ZWEITER:
Ich sprach kein Wort von Tabak und Zigarren.
Eich sprach von einem braunen Dunst, gewoben
Aus Tradition, die will er wohl verscharren,
Und nur noch was das Bauhaus herstellt loben.

ERSTER:
Was hat das mit dem Vortrag heut zu schaffen?
Der war doch gut katholisch, die Moderne
Kam da nicht vor, das Lob der Säumig-Schlaffen,
Das mochten die Romantiker doch gerne?
 

 

31
 
ZWEITER:
Ich kann die Taktik auch nicht recht begreifen,
Doch stinkt mir das Verleugnen der Parteien,
Ich laß mich nicht mit Baldrianöl seifen,
Um dann zu glauben, daß da keine seien.

ERSTER:
Ich glaub, du siehst vor Einsamkeit Gespenster,
Der Richter ist ein criticus, der eitel,
Er horcht und lehnt sich dann erst aus dem Fenster,
Wenn die Tendenzen klar in seinem Scheitel.
Begabung ist ihm, daß er weiß zu wägen,
Was die Autoren kritisiern und schwatzen,
Sind augenblicklich noch verschwommne Schrägen,
Doch morgen schreins von jedem Dach die Spatzen.
Der Richter holt ins Haus sich die Antennen,
Drum weiß er, was wir morgen lesen werden,
Wo andre im Büro den Tag verpennen,
Beschaut er mit den Hirten auch die Herden.

ZWEITER:
Antenne mag schon sein, doch daß die Dichter
Die Funker sind, fehlt mir der rechte Glaube,
Ganz andre Quellen hat vielleicht der Richter,
Die hinterm Teich zu orten mir erlaube.

ERSTER: Amerika! Ich nenn es fast Psychose,
Du siehst das Unglück stets von Westen kommen.
Vielleicht ist das auch besser bei dem Lose,
Auf Lebenszeit dem Russenstaat zu frommen.
 

 

32
 
Siebente Szene.
Die vorigen, Ilse.

ILSE:
Den Herren schmeckts? Ein schöner Tag ist heute,
Und für die Litratur hoff ich, ein guter?

ZWEITER SCHRIFTSTELLER:
Etwas verwirrend sind die vielen Leute,
Doch bei dem Essen wird man hochgemuter.

ILSE: Wie fanden Sie den Anwalt schwarzer Schafe?

ZWEITER SCHRIFTSTELLER:
Er riß mich nicht geradezu vom Stuhle.
Der Faulheit wünsch ich nicht, daß man sie strafe,
Doch mag ichs nicht, daß man sich darin suhle.

ILSE: Da haben Sie was gründlich mißverstanden,
Es geht hier nicht ums Angepaßt-Bequeme,
Dem deutschen Volk ging jeder Wert zuschanden,
Drum nötig ists, daß man die Zeit sich nehme,
Zu suchen, welchen Winkel sich der Seele
Hat ausgesucht der Ungeist, auszuharren,
Daß er das wahre Antlitz uns verhehle,
Bis Völker nicht mehr auf die Deutschen starren.
Wahrhaftig sein, dem Autor strengste Bürde,
Verlangt, wo Schutt im Land und in den Köpfen,
Ein echtes Ringen um verlorne Würde,
Um dann in neuer Reinlichkeit zu schöpfen.
(Sie ringt mit den Händen.)
 

 

33
 
ZWEITER SCHRIFTSTELLER:
Sie meinen, dieses zage Sich-Verweigern
Führ unser Volk aus Bitternis und Krise?
Soll man den Druck der Fragebögen steigern,
Daß ringsumher Verderbtheit sich bewiese?
Man scheint der Autor Hand an das zu legen,
Was hoffte nach den langen Bombennächten,
Es dürf sich wieder an der Luft bewegen
Und sich erfreun am Ewigen und Echten?

ILSE:
Es kann nicht angehn, daß wir weitermachten,
Als wär ein Wetter nur vorbeigezogen,
Wir müssen viele heilge Kühe schlachten,
Bevor sich glätten ringsumher die Wogen.
Wir müssen fragen, welchem Geistesboden
Der Mördergeist der Nazis ist entsprungen,
An Vorurteilen ist ein Wald zu roden,
Der machte, daß die Kriegslust ward besungen.
Daß Braunau uns den Untergang geboren,
Ward möglich, weil am Rhein wie an der Oder,
Die Zeichen, die der Größenwahn erkoren,
Längst glimmten, wie das Grubengas im Moder.
Ein Autor, der nun hinterfragt die Dinge,
Die wir uns nicht zu hinterfragen trauten,
Ist unverzichtbar, daß es uns gelinge,
Zu sehn, daß wir die Oberfläche schauten.
Inquisitorisch müssen wir ergründen,
Ob uns nicht Wahn durch die Geschichte reitet,
Ob auf die Pfade, die ins Schlachthaus münden,
Nicht Dürers Ritter schon die Mähre leitet.
 

 

34
 
ERSTER SCHRIFTSTELLER:
Ich dachte, Sie wärn heute zu vernehmen –
Wars so nicht erst geplant in dem Programme?

ILSE: O solch ein Tag befolgt nicht starre Schemen,
Und dieser Vortritt schafft mir keine Schramme.

ERSTER SCHRIFTSTELLER:
Daß Sie den Kölner also stark verehren?

ILSE (lacht):
Der Norden ist doch auch mal an der Reihe!
(dann ernst)
Ich würd mir ehr das Haar vom Kopfe scheren,
Als daß ich einen Zweifelsrest verzeihe:
Der Kölner, wie Sie so salopp bemerken,
Wird dieses Land aus Asche führn und Schande,
Er zeigt den Weg zu allergrößten Werken
Und die Erzählung steht da bloß am Rande.
Doch wenn ich dies auch gerne noch vertiefte,
So hab ich leider anderswo Termine,
Drum glauben Sie, was mir das Herz verbriefte,
Und leugnen nicht, daß heut die Sonne schiene.
 

 

35
 


ZWEITER AUFZUG
Ein Forsthaus am Waldrand mit rauchendem Schornstein. Gedämpft beleuchtet und sehr gemütlich, von einem Plattenspieler ist Beethovens »An die Freude« zu hören. Es ist zunächst niemand im Haus, nach einer Weile hört man Autotüren schlagen, dann kommen zwei Männer durch den Schnee gestapft.

Erste Szene.
Franke, Kunz.

FRANKE: Gefällt es Ihnen? Sicher ohne Wanzen
Und irgendwelche Lauscher an den Türen.
Der Kühlschrank voll. Wir brauchen keine Schranzen,
Um das Gespräch gemütlich fortzuführen.
(Er öffnet eine Flasche chilenischen Rotwein.)
Auf unser Wiedersehn nach langen Jahren!
Die Erde dreht sich, und ich denke, richtig.
Wir sind ein Viertelstündlein bloß gefahren,
Nun ja, gemach – die Ruh dabei ist wichtig.

KUNZ: Die Erde dreht sich recht? Ich hab Bedenken.
Dies war kein gutes Jahr, das geht zu Ende.
Die Jünger Stalins seh ich Fahnen schwenken,
Wohin ich auch die müden Beine lenke.

FRANKE (hebt sein Glas und prostet Kunz zu):
Warum so müd? Vom Pilz ist nur zu sehen
Der Hut, der Stiel, nicht das Myzel darunter.
Da meinen Sie, er würd alleine stehen,
Dabei ist doch der ganze Boden munter.
 

 

36
 
Ja, wußten Sie, der Hallimasch, verachtet
Von dem Gourmet und schon im Namen läppisch,
Ist größtes Leben nur, weil er umnachtet
Ganz im Verborgnen ausfährt seinen Teppich.

KUNZ: Für Pilze ists im Jahr zu spät. Die Zapfen
Sind eisig spitz und Pfützen uns zersplittern.
Und wenn wir durch das Silberpulver stapfen,
Sinds Stamm und Äste, die den Blick vergittern.

FRANKE (stellt die Musik ab):
Genug der Bilder! Das Regime zeigt Wunden,
Es wollt sich etwas selbstbewußter geben.
Jetzt aber ängstigt es, im Kern zerschunden,
Noch mehr als jeder Tod das ganze Leben.

KUNZ:
Das seh ich nicht. Der Biermann ward gegangen,
Und die ihm treu, sie gehen heut und später,
Die Ausflucht hält uns stärker noch gefangen,
Als hier im Haus der große Übeltäter.

FRANKE: Der Biermann zeigt es überall den Leuten,
Selbst Kommunisten stehn zu seiner Sache,
Die Bonzen längst den glatten Schnitt bereuten,
Es fehlt nicht viel, daß ich darüber lache.
Für uns in A und O in diesem Ringen,
Wie sich die Linke fortbewegt im Westen,
Ich könnte Ihnen manches Liedlein singen,
Daß es hier steht geradezu zum besten.

KUNZ: Da fangen Sie mal an. Ich bin begierig,
 

 

37
 
Vom Inneren der Welt was zu begreifen,
Für einen der kein Adler ist, ists schwierig,
Mit klarem Auge durch die Welt zu schweifen.

FRANKE: Daß Stalin oder Mao sind der Linken
Verleidet, hat mit Osteuropas Ringen
Dem Westen in den Schoß zurückzusinken
(Und ich bin sicher dies wird bald gelingen)
Recht viel zu tun. Das Lied vom Dauermangel,
Muß die verwöhnten Burschen arg verdrießen,
Drum gehn die Fische lieber an die Angel,
Als daß da neue Sozialismen sprießen.
Amerika! Die Freiheit unserer Prägung
Verliert die allerletzten Konkurrenten,
Da muß man selbst bei vorsichtiger Wägung,
Von Heilung sprechen im so bös Getrennten.
Auch im Politbüro der längst Vergreisten,
Die ihre Weltsicht in den Zwanzgern fanden,
Kann die Doktrin nur Rituale leisten,
Der Glaube aber ward schon ganz zuschanden.
Denn glaubten sie Gesetze der Geschichte,
Sie würden offensiv die Fahne setzen,
Doch weil das Weltbild schon im Kern zunichte,
Sind sie dabei, uns müde nachzuhetzen.
Müde im Zweifel, ob das denn das rechte,
Gehetzt in Sorge, doch sich zu verspäten,
Sie starren vorgeführt auf alles Schlechte,
Wie einer, der den Fisch vergißt vor Gräten.
Wir haben, ob da Panzer stehn und Mauer,
Die Meinungsführerschaft total gewonnen,
Man sieht die Dinge, doch schaut man genauer,
Sieht man den Geist, der bloß zu Stoff geronnen.
 

 

38
 
Zweite Szene.
Eine Maus läuft quer durch das Zimmer.
Franke, Kunz.

FRANKE: Sieh einer an, wie dreist, die kleine graue!
Es ist so friedlich hier bei Fuchs und Hase.
Gespenster, die ich mir im Geiste baue,
Der Unerschrockne nennt sie Seifenblase.

KUNZ (trinkt jetzt auch einen Schluck Wein):
Na, wenn die Schlacht so siegreich ist geschlagen,
Was konspiriern wir da am Waldesrande?
Denn so wie Sie die Sache vorgetragen,
Verliert die Stasi sich schon bald im Sande?

FRANKE: Wenn Lenin widerlegt ist, kann man freilich
Noch nicht vom Sieg der Menschenrechte sprechen,
Fällt eine Macht, so sind wohl hundert eilig,
Zu profitiern von offenbarten Schwächen.
Nationalismen werden wiederkommen,
Sobald der große Bruder geht nach Hause,
Die Kirchen werden buhlen um die Frommen,
Und zur Gefahr wird manche blöde Flause.
Drum reicht es nicht, was fallen will, zu stürzen,
Wir brauchen unsre Werte bei den Massen,
Es ist nicht gut, die Wege abzukürzen
Und dabei einen Brunnen zu verpassen.

KUNZ (trinkt den Rest des Glases aus):
Grad sprachen Sie vom großen Sieg der Werte,
Nun ist es wieder nicht genug der Ernte?
 

 

39
 
FRANKE (schiebt das halbvolle Glas beiseite):
Der Wohlstand ist schon jetzt das höchst Begehrte,
Doch Wolkenhimmel gibts, nicht nur besternte.
Sehn Sie, den Traum Amerikas erfinden
Nicht diese nur, die Glück dabei gewinnen,
Auch jene, die sich fruchtlos mühn und schinden,
Sind stets bereit, das Muster fortzuspinnen.
Amerika hat Völker, Rassen, Sitte
Verschmolzen, daß man nicht mehr weiß die Quellen,
Und daraus folgt, daß immer alles litte,
Säh man nicht ganz Amerika im Hellen.
Es bäumt sich niemand auf, weil unser Weben
Das Fremde macht zu Eignem, nicht zu scheiden,
Daß man begreift, ganz anderswo zu leben,
Glich einem Vieh, das suchte dürre Weiden.
Drum gehts nicht nur um Breshnew, lieber Dichter,
Es geht um eine Welt, die ohne Mauern,
Wir wollen sie vernunftgemäß und lichter,
Und wissen wohl, wo die Dämonen lauern.

KUNZ (schenkt sich neu ein und trinkt):
Was muß ich tun, wo ist mein Wort am Platze?

FRANKE: Zunächst ist Defätismus eine Sünde,
Unangebracht wie nie, mit einem Satze,
Daß alles in ein großes Chaos münde,
Das mag wohl glauben, wer sonst nicht zu brauchen,
Doch wer berufen, Flaggen aufzupflanzen,
Der braucht sich seinen Fuß nicht zu verstauchen,
Um nicht bei Totentänzen mitzutanzen.
Wir haben das im Griff. Wir haben Leute
In Stasi, in Partei und Ministerien,
 

 

40
 
Wer fest an unsrer Seite, hier und heute,
Der weiß: Schutzengel machen keine Ferien.
Wir sind dabei, die Staatlichkeit zu schwächen,
Wer sich bewährt an Saale und an Elbe,
Der schafft, gewohnt, den Widerstand zu brechen,
An Rhein und Donau kampferprobt dasselbe.
Wir stehn im Krieg mit Stalin und mit Hitler,
Drum darf uns eine Pause niemals täuschen,
Die Toleranz ist einzig der Vermittler
Von gutem Schlaf und angenehmen Räuschen.
(Er macht eine vielsagende Geste.)

KUNZ: Sie haben meiner Frage nichts erwidert.
Sie sagten nichts von meinem weitern Wege,
Ich hab mich nie dem Staate angebiedert,
Doch scheints mir, daß ich künftig Schlingen lege.

FRANKE: Sie finden Weg, wenn Sie sich sicher wähnen.
Wenn Sie herausschrein, was Sie unterdrücken,
Die Haltung machts, daß bei den stolzen Schwänen
Kein Trüber wagt, den blanken Dolch zu zücken.
Ich denke wohl, wir haben uns verstanden,
Die Welt wird bald auf Ihre Wege schauen,
Kein winzges Haar kommt ihrem Leib abhanden,
Wenn Sie nur auf Amerika vertrauen.
Ich habe leider heute noch Termine,
Sie finden frische Wäsche hier und Essen,
Ich hab die Plackerei, die ich verdiene,
Doch unser Kampf läßt Müdigkeit vergessen.
(Ab. Kunz setzt sich hin und trinkt in wachsendem Tempo
den restlichen Rotwein. Es wird langsam dunkel.)

 

 

41
 
Dritte Szene.
Als es wieder hell wird, sind Wald und Forsthaus dem Saal eines mitteldeutschen Gemeindehauses gewichen. Zwei Stasioffiziere verlegen Leitungen für eine Abhöranlage.
Stiller, Michel.

MICHEL:
Wie sind wir in der Zeit? Muß ich mich sputen?

STILLER: Nur keine Sorg mit wackelnden Gardinen,
Gemach, noch halbe Stund und fünf Minuten,
Der Imker kommt zuerst und dann die Bienen.

MICHEL (steigt von der Leiter):
Das Kabel ist nicht mehr zu sehn, die Sache
Will nun getestet sein geraume Weile.

STILLER: Ich schau dann nebenan, wie sich das mache.
Geh mal umher und sprich, doch ohne Eile.

MICHEL (fängt an umherzulaufen):
Wie immer ein Gedicht, vielleicht von Schiller?

STILLER: Von mir aus, aber maßvoll deklamieren.
Und nicht schon wieder von dem Drachenkiller,
Der bei dem Coup Gehorsam wollt verlieren.
(Er tritt auf die Vorbühne und setzt Kopfhörer auf.)

MICHEL: Im Weiß der Muschel und auf Wolkenhügeln
Ergeht er sich und säumt Saturns Gefilde,
Schweigt dir das Herz, laß ab, ihn auszuklügeln,
Und führ zerbrochnes Sparrenkreuz im Schilde.
 

 

42
 
STILLER (kommt zurück nach oben):
Die Übertragung ist in jeder Ecke
So klar, daß man noch besser als im Zimmer,
Begreifen kann, was in der Rede stecke,
Sei sie auch wirr, so wie beim Michel immer.

MICHEL:
Zwar wirr, doch niemals formlos wie bei Kunze,
Auch wenns nicht meine Pflicht geböt im Dienste,
Ich haßte gleichwohl dieses Schweinsgegrunze,
Von allen Feinden ist er der verspleenste.

STILLER: Doch die Studenten kleben ihm am Munde,
Man sieht, wie sich die Köpfe rings verrenken.

MICHEL: Sein Deklamiern kennt einzig eine Kunde:
Man hindert euch gewaltsam hier am Denken.
Und wer hier hindert, ist man sich dann einig,
Natürlich nicht der Geck mit seinem Wahne,
Es hindert die Partei ganz augenscheinig,
Und ganz besonders tun dies die Organe.

STILLER: In Tschechland oder hier und auch im Westen
Sagt Kunze stets, daß unser Land ein Kerker,
Und während er uns alle hält zum besten,
Steht oftmals der Mercedes unterm Erker.

MICHEL:
Ein Freund von Gaus, dem ständigen Vertreter,
Wie wird man das in Greiz und als ein Dichter?
Doch nein, wir suchen bloß den schwarzen Peter,
Weil wir beschäftigt sind als Kunstvernichter.
 

 

43
 
STILLER:
Kaum möglich scheints, sarkastisch nicht zu werden,
Wenn man hier tut und tut und ganz vergebens,
Wohl selten gab es einen Staat auf Erden,
Der Dienern blieb das Rätsel ihres Lebens.
Warum, frag ich, läßt man den Lumpen reisen,
Was doch dem braven Bauern ehr zu gönnen?
Er lärmt und wir sind immer bloß die leisen.
Ich frage, warum wir nichts machen können.
Warum sitzt dieser arrogante Schwätzer
Mit Biermann nicht in einer Doppelzelle?
Und wie erklär ich einem Rechtsverletzter,
Daß manchmal Dunkel lieber uns als Helle?

MICHEL:
Die Schmähschrift, die zu Frankfurt an dem Maine
Erschienen, ging doch nie legale Wege,
Man fragt das Ministerium, Antwort – keine!
Den Vorgang also zu den Akten lege.
Devisen streicht er ein, bei Schweizer Banken
Sind höchstwahrscheinlich wohl die eingesackten,
Und wo wir an Valutaarmut kranken,
Gibts für den Räuber nichts als viele Akten.
Ich weiß von Politik und vom Taktieren
Nicht viel und laß es gerne den Berlinern,
Doch wenn wir hier den guten Mut verlieren,
Liegt das nicht nur am Westen und Schlawinern.

STILLER: Wir werden heute wieder eifrig sammeln
Ein Material, das reichte für zehn Jahre,
Das wird wie immer im Archiv vergammeln,
Da rauft sich die Gerechtigkeit die Haare.
 

 

44
 
Vierte Szene.
Stiller, Michel, Imker.

IMKER: Nun alles klar? Wir wollen gleich beginnen,
Der Referent sitzt schon im Goldnen Leuen,
Was fehlt dem Band, es ist im Kopfe drinnen,
Sie wird gewiß hier die Akustik freuen.

MICHEL: Uns wär es lieber diese ganze Sause
Fiel aus, sie würde abgesagt und Ende.
Die Leute gingen unbeschwatzt nach Hause,
Und ich privat für Kirchenglocken spende.

IMKER: Wie bitte? Ja, was heißt, es wäre besser?
Sind Sie der Staat? Bin ichs? Was soll ich machen?
Sie haben die Justiz und andre Messer.
Ja, wenn sie wolln, dann hat der nichts zu lachen.

STILLER:
Wir können den Herrn Kunze nicht verhaften,
Und Stänkereien kosten uns den Kragen,
Doch ihnen ists ein leichtes zu verkraften
Die Ausred, weil sie den Skandal nicht wagen.
Der Bischof wird sie dafür eher loben,
Weil sie dem Mißbrauch fest entgegentraten,
Und die Gemeinde wird kein bißchen toben,
Vom Pfarrer fordert niemand Heldentaten.

IMKER: O niemals, dieser Meinungswandel würde
Entgegenstehn, was auch die Jungens kannten.
Sie selber trügen daraufhin die Bürde,
Daß ein Gerücht mich hieß den Informanten.
 

 

45
 
Sie spielen mit dem Feuer, meine Herren,
Ihr Rat kommt unverhofft und ungebeten,
Wenn Sie mich zwischen alle Fronten zerren,
So geh ich heim und lasse mich vertreten.

STILLER:
Ich bin kein Christ und hab von Glaubensdingen
Nur wenig Ahnung, doch es ist mir schlüssig,
Der Kunze will nicht nur den Staat bezwingen,
Er ist der Kirche gleichfalls überdrüssig.
Er streitet für den Menschen ohne Bindung,
Und eine Welt, die Geld allein gestaltet,
Der Völker, der Kulturen Überwindung –
Ja Gott, wenn hierin nicht der Teufel waltet!

IMKER: Ich bin doch kein politicus, kein Bauer
Von Podien oder Mehrheit oder Meinung,
Ich bin in einem großen Spiel ein Schauer
Und unbedeutend so wie als Erscheinung.
Ich hab kein Urteil, ob der Buchvorleser,
Vom Teufel oder Gott wird hergesendet,
Ich weiß nur, daß im Harz wie an der Weser
Das Publikum ihm großen Beifall spendet.
Und überdies, was wir vereinbart haben,
Verlangt von mir kein öffentliches Wirken,
Ich bin bereit, zur Beichte oft zu traben,
Doch nur in den vertraulichsten Bezirken.

MICHEL: Dies war kein Anspruch, sondern eine Bitte,
Bedenken Sie, der Mann ist ein Vernichter,
Wenn das Organ auch ganz vergeblich stritte,
Sie aber stehen einst vor ihrem Richter.
 

 

46
 
Fünfte Szene.
Kunz, Imker, Studenten.

KUNZ: Ich werde eine Kurzgeschichte lesen,
Sie hat den Titel »Ordnung« kurz und bündig,
Sie zeigt euch sicher ein bekanntes Wesen,
Ein preußisches, gedrillt und kettenhündig.
Die Mädchen und die Jungen, die so stille
Auf einer Eckenbank im Bahnhof saßen,
Sie hatten weder Kraft genug noch Wille,
Daß sie die Nacht mit Armbanduhren maßen.
Sie kamen vom Konzert, wo Jazz gegeben,
Der Zug würd erst am nächsten Morgen fahren,
In dieser Halle losch das letzte Leben,
Wo nur noch ein paar Polizisten waren.
Ganz von allein das Haupt sank an die Seite
Des Nachbarn, der genauso ließ sich sinken,
Da meint der Polizist in voller Breite,
Er müsse sie zu seiner Ordnung winken:
Sie setzen sich gerade auf die Bänke,
Im andern Falle gibts hier keine Bleibe! –
Wen es den stör, wenn er sich hier verrenke,
Und unter sich die müden Augen reibe?
Der Polizist war sofort ungehalten,
Daß Widerspruch mit Ironie sich mischte,
Er drohte mit der Nacht, der regenkalten,
Wobei er finster durch die Zähne zischte.
Jedoch was halfs, die Müdigkeit war härter
Als alle Furcht vor Ordnungsmacht und Strafe,
Und als die nächste Runde schritt der Wärter,
Fand er die Jugend wiederum im Schlafe.
Da gab es keine Zeit mehr für Dispute,
 

 

47
 
Es hieß die Nacht, den Regenguß ertragen,
Wer hierzulande aufwuchs, kennt die Rute
Und wartet nicht, bis man beginnt zu schlafen.
So standen sie und klapperten im Regen
Und starrten auf die Uhr, der Zeiger wippte,
Ein Gummiknüppel schien sich zu bewegen,
Die Ordnung dort, und hier das Ausgeflippte.

PETER: Das triffts genau, die Trapo-Bullen machen
Die Zugfahrt für die Jugend zur Schikane.
Wir dürfen da nicht schlafen und nicht wachen,
Und alles beugt sich dem im Ordnungswahne.

ELSA: Der Polizist siehts so auf seiner Streife,
Wer müd vom Dienst nicht, sondern vom Vergnügen,
Soll sich beherrschen, daß er auch begreife,
Wer anders muß sich härtern Regeln fügen.

KUNZ: Es geht nicht drum, ob Polizisten schlechte,
Ob Menschen oder nackte Gummiknüppel,
Es ist stets das System, das ich befechte,
Es macht den Diener zum Gedankenkrüppel.

THOMAS: Wir wollen noch was hören aus dem Buche,
Wir reden oft, doch solche klaren Worte
Gibts selten, drum ich den Autorn ersuche,
Daß er sein Wissen nicht alleine horte.

KUNZ: Ich bringe euch noch eine kleine Glosse,
Und diesmal wird ein Rockkonzert verhandelt,
Sie zeigt uns, wie die Feindlichkeit der Bosse
Dieselbe bleibt, wie man auch tut und wandelt.
 

 

48
 
Sechste Szene.
Die vorigen, Gertrud.

GERTRUD: Schön Abend, ich bin leider arg verspätet,
Es ist mir wirklich diesmal mehr als peinlich,
Gut, wenn ihr ohne Pause weitertätet,
Denn das Intresse ist ganz augenscheinlich.

IMKER: Willkommen Gertrud, diese offne Runde,
Braucht Disziplin nicht wie beim Militäre,
Es stimmt nicht, daß die Neugier uns verwunde,
Noch Vielfalt der geringste Nachteil wäre.
(Einige lachen. Zu Kunz):
Die Tochter eines unsrer Professoren,
Ein Zeichen, daß die Ignoranz zu Ende,
Ich weiß, auch in den etablierten Foren
Undenken wird gefordert und die Wende.

KUNZ: Nun denn, so sei vermehrtem Publikume
Mein Prosastückchen »Taktik« unterbreitet,
Die krumme Antwort fordert bloß das Krumme,
Meint mancher, doch es sei der Blick geweitet:
Ein Staatsanwalt, mal mehr als sonsthin offen,
Ins Mauscheln Einblick gab dem Oberlehrer,
Ja, eine Band mit zweifelhaften Stoffen,
Die hatte einfach viel zu viel Verehrer.
Landauf, landab, die Fans stets auf der Reise,
Von Blumenhemden hats nur so gewimmelt,
Und das lief ab in der gewohnten Weise
Und wurde immer stärker angehimmelt.
Nun mehrten sich die Stimmen, zu verbieten
Sei der Skandal, dem Bürgerwohl zuwider,
 

 

49
 
Doch weils zur Propaganda braucht die Nieten,
So schlug man diesen Plan einstweilen nieder.
Wir schickten Photographen in die Scheunen
Der Gegend und in alle Schrebergärten,
Es waren keine Hunde an den Zäunen,
Denn Photos sollten Abscheu rings erhärten.
Nun roch der Gegner aber diesen Braten
Und gab beim nächsten Lärmen die Parole,
Man zeige sich so brav und wohlgeraten,
Daß der Spion sich wunde Füße hole.
Und in der Tat, selbst in der Bahnhofshalle
Kein Mucks und keine Unzucht, keine Scherben,
Das ähnelte fast einem Rentnerballe,
Und also mußte unser Plan verderben.
Erwiesen freilich hat sich mit der Schmiere
Die Macht allein der dunklen Auftraggeber,
Der Gegner zeigt nur, daß er sich nicht ziere,
Zu täuschen über Giftigkeit die Leber.
So wurden wir in diesem Fall gezwungen,
Auf eine Überführung zu verzichten,
Nicht ohne ein Verbot ist es gelungen,
Das Leck in unserm Dache abzudichten.

PETER: Die Schufte wollen alles rings zerstören,
Was uns bedeutsam und die eigne Sache,
Sie wollen, daß wir der Partei gehören
Und niemand sonst sich noch Gedanken mache.

THOMAS: Ja unerheblich, was wir sind und geben,
Sie wolln uns alle als Parteisoldaten,
Ob frech, ob rücksichtsvoll, wer eignes Leben
Beansprucht, wird sofort am Spieß gebraten.
 

 

50
 
ELSA: Ihr meint, der Staatsanwalt in der Geschichte
Sei Zyniker und nicht etwa in Nöten,
Er sucht die Mittel nur, daß er vernichte,
Und will die Seele aller Jugend töten,
Doch unbezweifelbar ist, daß der Westen
Der Staatsmacht hier nicht freundlich und gewogen,
Drum scheints verständlich, daß bei so viel Gästen
Sich jemand fragt, was sie wohl angezogen.

PETER: Das ist doch klar: Musik, ja pralles Leben,
Wir wollen nicht das Funktionärsgeschwafel,
Wir wollen uns nach eignem Muster geben,
Nicht wies der Lehrer rot schreibt auf die Tafel.

THOMAS: Die Liebe zur Musik vom Kalten Krieger?
Schlapphüte haben dies gemacht vom Westen?
Die Staatsanwälte sind nie Überflieger,
Doch dieser Witz ist einer von den besten.

GERTRUD:
Hast du dich, Thomas, je gefragt, weswegen
Kein Mensch mehr singt wie früher bei der Ernte?
Warum, man nennt es Tanz, wir uns bewegen
Auf Arten, draus man Tradition entfernte?
Der Rock 'n' Roll kommt aus dem Land der Büffel,
Hast du dich je gefragt, auf welchem Schiffe?
Und eh ich krieg von links und rechts die Rüffel,
Frag ich euch nur, ob jemand hier begriffe,
Welch ungeheure Kosten nicht zu scheuen
Gewesen, daß es möglich und gelungen,
Europa den Musiksinn zu erneuen,
Daß er den letzten Winkel noch durchdrungen.
 

 

51
 
Daß tausend Heulen dudeln jede Stunde,
Brauchts nicht nur Strom und Studios und Agenten,
Daß eine Mode sei in aller Munde
Und dies sogar im Stacheldraht-Getrennten,
Bedarf des Kapitals in solchem Maße,
Dies wächst gewiß nicht in Studentenbuden.
Dies haben nicht die Hippies auf der Straße,
Das haben in Neuengland bloß die Juden.

KUNZ: Wir diskutieren offen und geduldig
Mit jeder Meinung, tolerant und offen,
Doch bleiben wir den toten Opfern schuldig,
Daß niemand tret ihr Weinen und ihr Hoffen.
In Deutschland wurden in dem letzte Kriege
Gut sechs Millionen Juden abgeschlachtet,
Die Alliierten hinderten im Siege
Euch dran, daß ihr da fröhlich weitermachtet.
Der Führer und mit ihm die wilde Meute
Sie schrieen, Inflation und Wirtschaftskrise
Geschahn, weil Staat und Zeitung Judenbeute,
Und wir das Gras auf dieser Schnitter Wiese.
Obwohl man weiß, der erste Weltkrieg flammte
Allein aus deutschem Expansionsbestreben,
Log Hitler, daß er von den Juden stammte,
Die zögen wider alles Volk und Leben.
Wer diese Argumente, die nur Phrasen,
Heut wiederholt, der billigt die Verbrechen,
Der fordert auf zur Jagd, wie nach den Hasen,
Und projiziert in andre seine Schwächen.

IMKER: Ich bin entsetzt, daß hier in der Gemeinde
So furchtbar Böses ward gedacht, gesprochen,
 

 

52
 
Die Drachensaat vom ärgsten Menschenfeinde
Hat unsern frohen Leserkreis zerbrochen.

KUNZ: Mich wunderts nicht. Im stalinschen Gewande
Baut Hitler munter weiter Krematorien,
Dies ist der wahre Kern von diesem Lande
Und allgemein von Ulbrichts Provisorien.
Wehrunterricht, der schon im Kindergarten
Die Leute drillt, nach Westen zu marschieren,
Zeigt allzu deutlich, was da zu erwarten,
Und was in Prag man wollte ausprobieren.
Einst schrie man Zion, heut sinds Blumenhemden,
Die Sündenböcke brauchen Diktaturen.
Wer arglos träumt, den macht der Staat zum Fremden,
Bis Züge dann zur Gasvernichtung fuhren.
Drum Leute stellt die Nazis und Rassisten
Und kämpft mit ganzer Kraft für Menschenrechte,
Ansonsten holt den Freigeist wie den Christen
Die braune Suppe als das ewig Schlechte.
(Alle außer Imker ab.)


Siebente Szene.
Imker, Stiller, Michel.

MICHEL: Die Schlacht ist um, und alle sind geschlagen.

IMKER: Sie haben recht, ich werds nicht wiederholen.
Doch sollten wir uns ohne Arg vertragen,
Allein die Gertrud bleibe mir gestohlen.
Ich hab schon manchen Fang bereuen müssen,
Doch keiner war so übel und verderblich,
 

 

53
 
Den Übermut bereu in Regengüssen,
Die Eitelkeit blamierte sich unsterblich.

STILLER: Ist Ihnen eigentlich mal aufgefallen,
Daß ihre Argumente keiner wägte,
Betroffen und gebannt entging wohl allen,
Wie man am Ast, auf dem sie hockte, sägte.
Der Kunze hat sein Einmaleins gefressen,
Und die ihm klatschen sind stupide Narren,
Der Nutzen und die klare Frage, wessen,
Nicht intressiert Betroffensein und Starren.

IMKER: Sie wollen doch nicht etwa mir bedeuten,
An Gertuds Wahnsinn sei ein Gran des Rechten,
Es gibt wohl keinen, der bei solchen Leuten
Den Geisteszustand würde nicht befechten.
(Er überlegt kurz.)
Natürlich nicht, denn Konsens ist im Lande,
Daß die Partei steht wider die Faschisten,
Das schiebt so manche Differenz zum Rande
Und bringt den Sozialismus auch zum Christen.
Die Mächte, die uns Krieg und Blutvergießen
Gebracht, wir wollen einig überwinden,
Und eine Freiheit ohne Schmerz und Schießen
Und ohne Herren, die uns übel schinden.

MICHEL: Ihr Wort in Gottes Ohr. Wir müssen gehen,
Der Tag war lang und auch nicht durchweg heiter,
Wenn wir nicht handeln, bleibt uns nur das Sehen,
Allein, die Welt, sie dreht sich immer weiter.
 

 

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DRITTER AUFZUG
Nobel eingerichteter Sitzungssaal der Akademie, enge Sitzreihen in dunkel gebeiztem Holz. Ein großes Wandporträt von Georg Büchner mit Goldrahmen. Vor dem Saal eine Straße mit Verkehrsampeln. Wenn die Szene im Saal spielt, sind sie inaktiv, spielt sie auf der Straße leuchten sie konträr.

Erste Szene.
Timo, Bernd auf der Straße.

TIMO: Hier gibt es das Palaver. Ziemlich dicke
Gemäuer, doch wir haben Megaphone.
Sind auch die Mienen ernst und die Krawatten schicke,
Seid sicher, daß die Stimme ich nicht schone!

BERND: Na wenigstens kommt keiner mit der Knarre!
Doch der Effekt ist wie in Wald und Wiese!
Kaum denkbar, daß wer auf die Dichter starre,
Vor Einkaufskorb weg auf den Streit um diese.

TIMO: Romantiker und wieder Defätisten!
So seid ihr Ossis, hin- und hergerissen.
Der Bunker und darinnen die Faschisten,
Das ist der Feind, wie wir doch alle wissen.

BERND: Ob Nazis sind dabei, ob reinste Spießer,
Ist doch egal, man fälscht uns die Geschichte!
Wir sind des miesen Schmierenstücks Vermieser.
Vielleicht siehts jemand so in neuem Lichte.
Den Nachlaß Büchners im Geburtshaus schafften
 

 

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Sie hin und her, zuletzt in die Garage,
Weil sie den Vormärz heut noch nicht verkraften,
Ist Deutschlands Größe wieder die Blamage.

TIMO: Laß Deutschland außen vor, denn allzu trübe
Ist diese Brühe aus verfaulten Pflaumen,
Es hieß, daß man den Widerstand begrübe,
Kredenzte man ihn für verwöhnte Gaumen.
Was Büchner war, Rebell und Fortschrittsfackel,
Wird aktuell in Stammheim eingeknastet,
Und gibt sich ihm Mephisto auch als Dackel,
Wird Faust jedoch kein Bettelmönch, der fastet.

BERND: Ich hab den Pfarrer doch nicht eingeladen,
Der schwadroniert von guten Atheisten!
Auch Linke wollen mal im Duftschaum baden,
Vor allem die, die sich bei Zoff verpißten!

TIMO: Ein breites Bündnis gegen Restaurierer
Als eine Front, die Zellen sind die andre.
Dort Ponto, Buback, hier die Hymnenschmierer,
Ein klarer Blick durch diese Reihen wandre!

BERND: Der Feind ist eins, das andre die Visionen,
Die wir entwickeln, einst ihn abzulösen,
Die Süße Pfirsichs lernt man nicht bei Bohnen,
Und auch das Gute lehrn uns nicht die Bösen.

TIMO: Aktion ist alles! Sei sie auch bescheiden.
Stell dir mal vor, wie bald die Bullen schäumen,
Allein den Täter gilt es zu beneiden,
Danach gibts noch genügend Zeit zu träumen.
 

 

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BERND: Das glaub ich nicht. So manches wilde Rasen
Bewirkte grad das Gegenteil des Zweckes.

TIMO: Dein lieber Schiller und die Dichterphrasen!
Kram lieber aus den Schlüssel des Versteckes!
(Bernd holt einen Schlüssel aus der Hose. Beide ab.)


Zweite Szene.
Hinz, Kunz, Auditorium im Saal.

HINZ: Eh ich beschwör, was alle Sie gelesen,
Sei mir ein Mahnwort Stern und Saitenstimmer
Vom Zorne Hölderlins, daß sich ihr Wesen
Die deutsche Seele leugne, blöd und immer.
Als Bundesdeutscher ist der heut Erwählte
Ein Neuling, unverstrickt und unbetroffen,
Fremd tönt zu ihm, was zum Gewohnten zählte,
Vielleicht auch nicht – dies bleibe frei und offen.
Ich mag nicht über Aktuelles sprechen,
Dem permanent Akuten mich zu nähern,
Dem Allgemeinsten meinen Stab zu brechen,
Das wechselt nicht mit Netzen und mit Spähern.
Eh ich Profundes sag zum deutschen Wesen,
Will ich Sie, Kunze, hier willkommenheißen,
Man warnt, wenn wer vom roten Staat genesen,
Ihn gern, nicht andre Köder anzubeißen.
Ich habe solche Sorge stets vermieden,
Weil jedem wohl, der darf sich Autor nennen,
Der Urteilskraft genugsam ist beschieden,
Die Blender von der Ehrlichkeit zu trennen.
Auch ist es dem, der Ausdruck hat, geläufig,
 

 

57
 
Daß die Gefahr ist allzeit, allerorten,
Darum erweist das Warnsignal sich häufig
Höchst lächerlich schon bei Begrüßungsworten.
Dem Autor, der die Wunderbaren Jahre
Geschrieben hat, hab ich nichts beizubringen,
Er weiß im Wort, in einem Wimpernhaare
Uns ganze Schreckenswelten vorzusingen.
Er sagt, er hab ein Auto Marke Käfer
Beinah gewagt als Tramper anzuhalten,
Hier blitzt ins Aug sogar dem Siebensschläfer
Wie fruchtbar spähn die staatlichen Gewalten.
Wir denken in des Terrors Wimpernzucken,
An die Begrüßer der Neutronenwaffe,
Sie tötet sicher und mit kurzem Rucken
Und sorgt, daß sie uns sonst kein Chaos schaffe.
Ein Augenzwinkern kommt zum Wimpernschlage,
Und die Partei, daß solches Zeug uns fromme,
Bestätigt mir die unheilsschwangre Klage,
Daß Meister Tod seit je aus Deutschland komme.
Seit je sind die Politiker verdrossen,
Daß sie der Autor im Roman beleidigt,
Weil er sich ihrer Dienlichkeit verschlossen,
Und Eigenheit und Eigensinn verteidigt.
Der Streit ist international entschieden,
Allein was Künstler auf den Schild erheben,
Ist Wirklichkeit, und mag die Wut auch sieden,
So gibts kein Rückwärts wie auch sonst im Leben.
Parole kann nur sein, was zuzumuten
Mit Hölderlin, mit Kästner oder Kunze,
Bei Wirklichkeit gibts kein Zuviel des Guten,
Und aus dem Maßkrug fällt nicht eine Unze.
Solln andre doch die Tristheit mit Tristesse,
 

 

58
 
Untröstliches mit Trostlosem vertauschen!
Ich wiederhole nichts, weil ich vergesse,
Ich lieb es, meinen Reden nachzulauschen.
Und was mir Ärger bringt, ist mir das beste,
Verzeihen Sie, daß ichs wiederhole gerne,
Auch Sie wolln, daß der Flüchtige, der Feste
In Ihren Büchern sicher lesen lerne.
Nun aber zu den Deutschen, schlechten Rufes
Sehn sie sich ausgesetzt und angeschlagen,
Auf Pegasos kann man den Druck des Hufes
Zwar kaum recht deutlich zu bestimmen wagen,
Doch gleichwohl ist wer deutsch schreibt ein Bekenner,
Das Vaterland wär eine Untertreibung,
Bei Kleist und Kroetz bleibt doch der größte Nenner
Die ausdrucksstarke Sprache der Beschreibung.
Und da uns dies beglückt in Augenblicken,
Darf niemand diese Wirklichkeit uns schelten,
Das ärgerlichste von den Mißgeschicken
Wärs mir, die Sprache müßt als häßlich gelten.
Die Haaresbreite von sensiblen Wegen –
Ein Deutscher fand die treffliche Metapher,
Als Deutscher sich aufs Haaresbreit zu legen,
Auf Haaresbreiten Finder sein und Schaffer.
Wer standhält, weil die Sprache ihn entfaltet,
Die nicht vereinfacht, sondern Zeil um Zeile
Sich aufbaut und allmählich sich gestaltet,
Der trotzt dem Takt und jedem Grad von Eile.
Dies macht betroffen, und kein Staatsmann sage,
Kein Bürger, er sei nicht davon betroffen...
Und dies ist deutsch und wirklich dieser Tage
Und dies ist Grund zu allerhöchstem Hoffen.
Wenn drum Ihr Werk, Herr Kunze, Ignoranten
 

 

59
 
Als schmal bemängeln, sehn Sie Haaresbreite,
Drauf wurzeln die Planeten mit Trabanten
Und schieben Protz und die Armeen zur Seite.
Vor Davids Schleuder Goliath muß verzagen,
Ein schmales Werk, nicht Propagandadröhnen,
Ein Einbaum wird zu neuen Küsten tragen,
Ein sanfter Pfeil die Stärke singt dem Schönen.
Ihr Einbaum, der nur einen Mann beflügelt,
Wird widerstehn martialisch großen Flotten,
Und dieses Deutsche nicht Vergängnis zügelt,
Was sonst so heißt, verwalten schon die Motten.
Unheimlich scheint mir, was man alles predigt,
Zurücknimmt mehrmals und dann doch bekräftigt,
Wir hielten einen Geist schon für erledigt,
Dann zeigt er sich und sehr recht gut beschäftigt,
Die Stäbe tun im Heer und der Marine
Was möglich und unmöglich ist in Pläne,
Es tröstet, daß es allenfalls so schiene,
Doch bang ist mir, so ichs lebendig wähne.
Da helfen uns nur Spinner und Phantasten,
Die wissen kaum Vorhandenes zu raten,
Ein Wimpernzucken löst die Bergeslasten,
Ein Grinsen spricht von mörderischen Taten.
Ich bin mir sicher, daß Ihr Buch, das schmale
Viel mehr erkennt von Deutschen und von Tschechen,
Als tausend, die da stehn im Lesesaale,
Für den, der seine Siegel weiß zu brechen.
Doch dazu muß den Einbaum man erkennen,
Der wird verdeckt von brüllenden Geschwadern,
Und wem die Ohren nicht im Lärm verbrennen,
Spürt Hölderlins Gesang in seinen Adern.
(Applaus.)
 

 

60
 
Dritte Szene.
Bernd, Timo, Ironicus, Demonstranten auf der Straße.

BERND: Ein Ärgernis ist die erlauchte Runde,
Die parfümiert sich ihre Hände schüttelt,
Ich spüre schon den Gallensaft im Munde,
Drum sei das Volk von Darmstadt aufgerüttelt.

IRONICUS:
Warum wird dieser Preis denn nicht verboten?
Denn schließlich braucht man nur den Steckbrief lesen,
Um klar zu sehn, daß da wie heut die Roten,
Den Staat zu störn, bemühn ihr ganzes Wesen.
(Allgemeines Gelächter.)
Wie trennt man sich im Tode so vom Bösen?
Mir scheint, wir müssen alle schleunigst sterben.
Nicht mal dem Papst gelängs, den Fluch zu lösen,
Der Büchner trennt von solchen Büchnererben.

TIMO: Es ist ein Hohn, was sich die Herrn erlauben,
Sie feiern, was an Haarn herbeigezogen,
Sie sammeln sich, ein Denkmal zu entstauben,
Was sie erhaschen, das ist bloß gelogen.

BERND: Doch unser, Leute, ist das Straßenpflaster!
Laßt ziehn uns nach dem Hause der Debatte!
Zu lang schon spieln sie ungestört Kanaster,
Doch irgendwann zeigt sich im Korn die Ratte!

IRONICUS: Ihr solltet Mitleid haben mit den Kranken,
Die sich in diesem Vogelnest verschanzen,
Wir haben ihrem Säuseln doch zu danken,
Daß Büchner nicht verboten ist im ganzen.
 

 

61
 
(Er wird von Gelächter unterbrochen.)
Sie feilen und sie ordnen ein historisch,
Was dort gesagt ist, bis es ganz geduldig,
Wir aber sehn den Inhalt so euphorisch,
Als sein wir einem Toten etwas schuldig.
Dagegen ist dem echten Patrioten
Das Grundgesetz ein Leitstern und ein Mahner,
Er setzt nicht auf die Spinner und die Roten,
Das Gute bringt doch der Amerikaner.

ERSTER DEMONSTRANT:
Der Büchner her, der Ami geh nach Hause!

ZWEITER:
Aufrüstung können wir im Land nicht brauchen!

DRITTER: Ausreichend war doch die Erholungspause!
Er wird sich doch die Füße nicht verstauchen?

CHOR: Der Ami geh mit Panzern und Raketen,
Er hat zuhause doch genug Probleme,
Daß er sich mit Soldaten und Moneten
Zum Schulen- oder Straßenbau bequeme.

BERND: Der Russe aber soll hier auch verschwinden,
Wir wollen unser Land hier selbst gestalten,
Die Kräfte, die Besatzungsmächte binden,
Sie dürsten, ihre Blüten zu entfalten.
Die Mauer weg, daß einig wir als Freie
Den Frieden finden ohne Maulkorbschnürer,
Das deutsche Volk erwach mit einem Schreie,
Der Geist des Vormärz sei Fanal und Führer!
 

 

62
 
TIMO: Nicht übertreiben, Hitzkopf, denn vereinigt
Der deutsche Kummer reicht für das Jahrhundert,
In Darmstadt sei das Leben uns bereinigt,
Vielleicht, daß uns der Osten einst bewundert.
Und überdies: es geht nicht um Besatzer,
Dies ist ein Wort aus abgelebten Riten,
Wir jammern nicht um zugefügte Kratzer,
Und meinen nicht, wir darbten hier und litten.
Vietnam! Wo Napalm Dorf und Wald verbrannte,
Dort zeigt sich von Amerika die Fratze,
Dem gleicht nichts, was der Sowjet uns bekannte,
Drum nenn den Kreml nicht im gleichen Satze!
Heut gehts nicht um Nationen, Krieg und Frieden,
Um Schranzen gehts, die Dichter uns beschmutzen,
Dies ist wohl vielen Ländern so beschieden,
Der Herrschaft zu Erbauung und zum Nutzen.

CHOR: Schluß mit dem Spuk! Auf zur Mathildenhöhe!
Wir ziehn, den Büchnerpreis zu unterbinden!
Auf daß sie unterm Hinterteile Flöhe
Gewaltig zwacken, bis sie ganz verschwinden!
(Alle ab.)


Vierte Szene.
Hinz, Kunz, Auditorium im Saal.

KUNZ (am Rednerpult nach einigem Warten):
Verehrte Damen und verehrte Herren,
Ich war ein Assistent vor zwanzig Jahren,
Als ich begann, der Einsicht mich zu sperren,
Daß meine Zeilen unvernünftig waren.
 

 

63
 
Mein Chef sah streng auf die gedruckte Schreibe,
Doch hoffte er, dies würde sich noch legen,
Daß mit der Reife solches unterbleibe,
War gleichwohl ich nicht wirklich zu bewegen.
Die Bilder griffen mich aus meiner Tiefe,
Die Stadt – ein Fisch, und was dies wohl bedeute,
Das trägt die Sprache schon im Bildarchive,
Wenn ich darum noch viele Schalen häute.
Der See vereist, dem Fisch versperrt das Freie,
So liegt sein Maul am Seegrund, wo es weicher,
Dies tut der Mensch, daß er nicht furchtbar schreie,
Er nagt am Grund, der dabei immer reicher.
Sie sehen, solche Verse zu verfassen,
Hat keine Wahl, wer da gestellt zu schauen,
Und wenn ihm diese Bilder grad nicht passen,
So kommen sie erneut im Morgengrauen.
Sie wissen, daß sie not zu überdauern,
Sie fürchten keinen Einwand, keine Rüge,
Auch dort wo weder Stacheldraht noch Mauern,
Sind sie kein Luxus, weil uns sonst nichts trüge.
In London sagte eine Frau mir leise,
Bewiesen hätt ich, daß noch Glück im Leben,
So hatte sich gelohnt die weite Reise,
Der widerwillig wurde stattgegeben.
Als ich erkrankte, meinte eine Dame,
Der Botschafter die Freundschaft ihr erneuer,
Doch der vereiste, als da fiel mein Name,
Denn dieser war wohl kein Regime-getreuer.
Ich hoffe, diese stillen Dankesworte
Erklären manches Buch, das ich verbrochen,
Und hoffe auch, ich hab an diesem Orte
An Georg Büchner nicht vorbeigesprochen.
 

 

64
 
Fünfte Szene.
Bernd, Timo, Demonstranten auf der Straße.

BERND: Wie konntet ihr an Büchner euch vergreifen,
Als sei er wer von euch, verlogne Bande!
Ja hustet bloß, bald brennen hier die Reifen,
Und jedermann soll hörn von eurer Schande.

TIMO: Ihr meint den Dichter und sein Los zu kennen?
Ihr könnt uns nur vom Bücherstaub erzählen.

CHOR: Um Büchners Namen ohne Scheu zu nennen,
Müßt ihr in Stammheim seine Seite wählen.

BERND: Das Spiel ist mies mit deutschen Traditionen,
Die euch nur Pfründe, Beutegut und Rente,
Ich seh das Gift in euern Herzen wohnen,
Daß einst den Dichter von der Heimat trennte.

TIMO: Wer draußen friert, ist Flüchtlings Fahrtgenosse,
Ihr aber sitzt mit euerm Clan im Warmen.

CHOR: Schon hats erwischt die Banker und die Bosse,
Wollt ihr sie in der Hölle bald umarmen?

BERND: Ihr habt euch gut verschanzt an dieser Stelle
Und spottet über Deutschland im Geheimen!
Bequemer habt ihrs als in Einzelzelle,
Wo ehrlich ist das Reden uns das Reimen.

TIMO: So zeigt euch doch, ihr Lumpen, ihr Hyänen!
Wir störn euch doch nicht etwa grad beim Fressen?
 

 

65
 
CHOR: Sie sehen uns und fletschen mit den Zähnen,
Wer hat denn bloß das Tränengas vergessen?

BERND: Die Polizei wird wohl nicht lang mehr warten,
Doch wir sind rascher als die steifen Weisen.
Auch sommers sind hier Blumen nicht im Garten,
Hier gibts kein Ornament, das nicht von Eisen.

TIMO: Auf feste Zäune steigt es sich behender,
Zierrat fand so zu unverhofftem Nutzen.

CHOR: Die Zeit ist um, Versager und Verschwender,
Wir werden euch die Adlerflügel stutzen.

BERND: Die Reaktion sucht alles zu besudeln,
Die Dichter, und die Denker, die Rebellen.
Es reicht! Genug mit Lob- und Erbehudeln!
Jetzt kommt der Vormärz mit den Spießgesellen!

TIMO: Wie die Chemie die Wiesen und die Flüsse
Verätzt, verschmutzt Erinnern ihr und Denken!

CHOR: Jetzt aber, Herrn, gibts eine auf die Nüsse!
Und nächstmals sollt ihr euch die Reise schenken!

BERND: Wir brauchen Germanisten nicht in Hessen,
Die ignorant das Volk mit Schaum betrügen,
Die, wenn sie nicht gerade Kaviar essen,
Ununterbrochen lügen, lügen, lügen!

TIMO: Auf auf voran, schlagt ein die Fensterscheiben!
Und gut gezielt macht kalt die warme Stube!
 

 

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CHOR (während die erste Scheibe klirrt):
Bei einem Kiesel sollte es nicht bleiben!
Erst tausend fülln die ganze Schlangengrube!

BERND: Wir gehen rauf. Wir stellen sie im Saale,
Wer sagen an, warum wir sie vertreiben.
Das Mikrophon spricht wahr zum ersten Male,
Und dieses soll im Halse stecken bleiben.

TIMO: Da rutscht herab so manchem der Zylinder,
Und die Prinzessin tritt auf ihre Schleppe.

CHOR: Auf auf und los! Und stellt die Geistesschinder,
Auf auf, durchs Tor und munter hoch die Treppe!
(Sie umstellen die hintere Szene.)


Sechste Szene.
Hinz, Kunz, Präsident, Auditorium, Bernd, Timo, Ironicus, das Mädchen, Demonstranten.

PRÄSIDENT: Was geht hier vor? Sie sind hier nicht geladen.

BERND (tritt ans Mikrophon):
O doch! Ich spreche jetzt zum Büchnerpreise.
Doch mag ich gern in größrer Menge baden,
Drum blieb im Flur nicht die geringste Schneise.

DAS MÄDCHEN (halblaut):
Was der sich traut! Er ist kein hübscher Junge,
Und doch... Wer solchen Schneid hat, nicht zu fassen...
 

 

67
 
PRÄSIDENT: Nun halten Sie mal Ihre lose Zunge!
Die Grüne Minna wird Sie nicht verpassen!

BERND:
Das hat noch Zeit. Auch sinds gewohnte Fahrten,
Zum mindesten gibts selten Stau bei diesen...
Es gibt Empfänge von verschiednen Arten,
Doch möcht ich Ihn den Abend nicht vermiesen.
(Eine Frau im Auditorium kichert.)

HINZ: Nun lassen Sie die Jugend doch hier schwätzen,
Wir waren eh für unsern Teil am Gehen.
Dann auf der Wache wird es Prügel setzen,
So mag doch ihre Fahne bißchen wehen.
(Er blickt sich beifallsheischend um. Keine Zustimmung.)

PRÄSIDENT: Herr Kunze, es ist Ihre Feierstunde,
Solln hier die Terroristen agitieren?

KUNZ:
Der Fisch am Grund, und zwar mit offnem Munde,
Was kann er noch befürchten und verlieren?

BERND: Vielleicht sind dieser Fisch vereiste Gassen,
Und Angesichter, drin Kritik gefroren...

TIMO: Wer auch der Dichter sei, es scheint zu passen,
Bei Berndchen hätt ich auch darauf geschworen.

BERND: Studenten und Autoren, liebe Gäste,
Wer sich als Geisel fühlt, ist oftmals freier,
Als wenn er glaubt und glauben muß, das Beste
Sei immerfort die ewig gleiche Leier.
 

 

68
 
Der Büchner war Rebell und Aufbegehren
Zuerst, zuletzt, doch nicht als die Marotte,
Man trage seinen Kelch, den völlig leeren,
Mit großem Pomp hinaus bis zum Schafotte.
Was Sie uns als die Dichtung hier verkaufen,
Ist nicht nur schlecht für Aug und Ohr und Nase,
Es läßt den Geist getrost ins Leere laufen,
Und drückt allein den Mastdarm und die Blase.
Dies tun Sie nicht wie echte Schizophrene,
Sie sind gekauft für dreißig Silberlinge,
Daß keiner sich mehr nach der Dichtung sehne,
Führn Sie ein ganzes großes Volk zur Schlinge.
Das heutge Olibanum wechselseitig,
Vom Rheine, von der mitteldeutschen Herde,
Zeigt akademisch, also überzeitig,
Wie Deutschlands Blödheit uns vereinigt werde.
Die Mystik, die im Schlamm des Teiches sabbert,
Verwandt ist mit bedächtgem Schädel-Wiegen,
Und wird der Singsang recht oft nachgeplappert,
Kann höchstens noch ein Kind ein Urteil kriegen.
Uns sagt die Mär von Kaisers neuen Kleidern,
Wenn alle sich vor Ehrfurcht schier verzehren,
So kann sich einer Überzahl von Neidern
Allein das Kind mit einem Lachen wehren.

HINZ: Sie sagten, Herr Student, wenn ichs verstanden,
Man hätte uns bezahlt und gar bestochen,
Nun frag ich, wie Sie solche Weisheit fanden,
Und wessen Geld hat diese Tat verbrochen?

BERND: Was stand am Anfang des kometenhaften
Aufstiegs, daß Schlange stehen die Verleger,
 

 

69
 
Was wars, daß Sie es zur Elite schafften,
Wer war der Schöpfung mächtiger Beweger?

HINZ: Wenn Sie so wolln: der Krieg, die Niederlage
Der Kräfte, solchen Wahnsinn zu verhüten.
Ich kam daher mit Sorge und mit Klage –
Wer sollte dies mit Judaslohn vergüten?

BERND: Ich helfe Ihn ein bißchen auf die Beine,
Vielleicht wird ihr Gedächtnis etwas lichter.
Ist Ihnen gar nicht klar, wer gab die Scheine
Der Gruppe siebundvierzig und Herrn Richter?

HINZ (lacht):
Das Preisgeld? Ja, das mag in Ihrer Kasse
Mehr klimpern, weil Studenten immer pleite.
Der pure Wahn, daß ich da Federn lasse,
Und irgendwie zu Auftragswerken schreite.

BERND (blickt zu Boden, langsam):
Es geht nicht um das Geld, um die Intrige
Der Preisverleihung, die weismachen sollte,
Sie würden grad entdeckt, wo doch die Stiege
Schon stand, weil in Amerika mans wollte.

PRÄSIDENT:
Geschmacklos die Idee wie der Verfechter,
Ich denk, der Ausgang wird uns allen frommen,
Der weitre Abend wird gewiß gerechter,
Die Polizei wird die Minute kommen.
(Bewaffnete Polizisten drängen sich in den Raum.)
 

 

70
 
Siebente Szene.
Die Vorigen, Polizisten, Einsatzleiter.

EINSATZLEITER:
Sind Waffen hier? Ist Sprengstoff in der Sache?
Gibts wo Verletzte? Sind hier alle Täter?
Herr Präsident, Sie riefen nach der Wache,
Verschieben Sie die Auskunft nicht auf später!

PRÄSIDENT:
Verrückte bloß, ein Fenster ward zerschmissen,
Dann stellten sie sich auf in einem Ringe,
Der Blonde hat das Mikro rumgerissen,
Und tut sich groß und sagt ganz krude Dinge.
Bei einem Preis, der war vor zwanzig Jahren,
Wär was gefälscht und irgendwas geschoben,
Das wollte er uns heute offenbaren,
Ich sag da nur, der tickt nicht richtig oben.

HINZ: Entschuldigung, Herr Präsident, Wachtmeister,
Daß ich erneut mich ganz nach vorne dränge.
Doch gehts um mich. Und diese Jugendgeister
Vermuten da verschwörerische Zwänge.
Sie meinen, das Besetzen dieser Runde,
Sei legitim, weil jemand mich bestochen,
Doch wer dies sei, gab niemand eine Kunde,
Noch sprach wer, was ich für den Lohn verbrochen.

BERND: Ich wollte, daß Sie selber sich erinnern,
Und jäh bemerkten, daß man sie erhoben
Als einen aus den ungezählten Spinnern,
Die damals Trübsinn und Verzweiflung woben.
 

 

71
 
DAS MÄDCHEN:
Ich sags, ich sag es laut um seinetwillen,
Ich muß es tun, sonst werden alle lachen...

EINSATZLEITER:
Hier sucht wer seinen Mitteilsdrang zu stillen.
Viel Umständ sind nun nicht mehr drum zu machen.

DAS MÄDCHEN:
Nun ja, ich sags: die tumben Schreiberlinge
In Ost und West sind aufgebaut mit Geldern,
Die flossen aus Amerika, die Dinge
Zerstörn die Seel, die haust in deutschen Wäldern.
Den Juden war es nicht genug, die Städte
Kaputtzubomben und Soldaten schlachten,
Sie hofften, daß der deutsche Geist sich plätte,
Wenn sie Verräter zu Heroen machten.

EINSATZLEITER:
Nun ist wohl alles klar. Die braune Suppe
Mit rotem Paprika vermengt am Brodeln.
Mein allerbester Dank, du süße Puppe,
Doch nun ist Schluß mit Randaliern und Jodeln.
(Die Polizisten lassen durch eine Gasse Hinz und Kunz und alle geladenen Gäste nach draußen, dann beginnen sie, mit Schlagstöcken auf die Demonstranten einzuschlagen. Wilde Schreie, als Blut spritzt, fällt der Vorhang.)