169
 


ORPHEUS
TRAGÖDIE





Bist du, mir emporgesandt,
endlich wieder da?
Hundertblättriges Gewand,
ließ dich los des Hermes Hand,
noch zum Greifen nah?

Brüste, kennt ihr schon nicht mehr
den, dem es gefiel,
euren Bug begierdeleer
zu berühren, zart und schwer
wie ein Saitenspiel!

Hüften, Schenkel, Glied um Glied
tiefen Schlafes voll . . .
Daß der Traum euch niederzieht,
oder wollt ihr, daß mein Lied
euch erwecken soll?


LANGGÄSSER    

 

170
 


PERSONEN
OIAGROS, König von Thrakien
KALLIOPE, seine Frau
ORPHEUS, sein Sohn
EURYDIKE, dessen Frau
ARISTAIOS, Sohn der Kyrene
HERMES, Götterbote
HADES, Unterweltsgott
PERSEPHONE, seine Gattin
CHARON, Fährmann
AMPELOS, Satyr
FÜNF MÄNADEN
EIBEN, ZYPRESSEN
 

 

171
 


PROLOG
OIAGROS:
Der tiefsten Weisheit hab ich mich verbunden,
Kalliope, mir Gattin, gliche keine,
Und doch hab ich nur Nacht und Gram gefunden
Im Federkiele und im Taxushaine.
Mein erster, Linos, starb im jähen Zorne
Des Helden, den er sorglich unterrichtet,
Und so gedieh der Schriftstand mir zum Borne,
Der seinen Wart mit Überschwang vernichtet.
Dem zweiten bracht Apoll die Hermesgabe,
Darin der Bote, dem die Führung eigen,
Uns kundtut, daß er ganz die Seele habe,
Daß alle Müh ein ewiges Verneigen.
Denn wenn auch der Berufne hold erschüttert
Die Herzen selbst der allerstummsten Dinge,
Ist doch der Honig, den er rings verfüttert,
Ein Schatten und zuletzt die feste Schlinge.
Ich will dem Stück, das heute wird gegeben,
Mit meiner Vorred keine Spannung rauben,
Doch jeder prüfe selbst im eignen Leben,
Ob wir mit Recht an Göttergüte glauben,
Denn die Geschenke und grad recht die Leier
Sind voller Zwiespalt, und im letzten frommen
Sie Hohn, der echot wider unsre Feier,
Daß wünschbar scheint, man hätt sie nie genommen.
Musik, die Lethe schenkt für Gut und Böse,
Hat freilich beides sehr wohl im Gesinde,
Drum glaube nicht, daß sie die Sorg uns löse,
Und Schlüssel sei, daß man das rechte finde.
 

 

172
 
Ob sie mit großer Kunst wird dargeboten,
Sagt viel zu dem Objekt, das zu verführen,
Manch Korn ist nur mit Hartgestein zu schroten,
Und manchem Ohre luftigste gebühren.
Ich halt es nicht mit den Pythagoräern,
Nach denen Welt ein Schattenriß der Quinte,
Ich halt es lieber mit bekrallten Spähern
Und Feldherrn, denen bloß ein Weib die Finte.
Denn alle Reiche ruhn auf Tun und Taten,
Nicht auf der Harmonie und dem Entzücken,
Und daß der gute Abend wohlgeraten,
Heißt es am Morgen traben und sich bücken.
Die Kunst ist mir ein Kraut, das zu dosieren
Der Wohlgeratne weiß wie Pilz und Same,
Nichts gegen Flöten, Tanzen und Posieren,
Jedoch dem Leerlauf traut allein der Lahme.
Den Autor dieses Stücks wirds wohl verdrießen,
Wenn ich die Musen in die Schranken weise,
Doch mög ein jeder für sich selbst beschließen,
Ob meine Stimme hier zu laut, zu leise.
 

 

173
 


ERSTER AUFZUG
Ein Wald in den Rhodopen. Man hört die Bienen summen.

Erste Szene
Orpheus.

ORPHEUS: Im Wald ist stets ein großes Musizieren,
Die Quelle murmelt und es knarren Äste,
Der Zephyr sagt den Eiben wie den Tieren,
Daß er sie lud zu einem Atem-Feste.
Die Bienen summen, wenn die Sonne knistert,
Die Nymphen huschen fein wie Spinngewebe,
Wo sich der Stamm dem Purpurpilz verschwistert,
Preist auch die Mistel, daß sie rankend lebe.
Die Schwalben sind die liebsten mir der Boten,
Von Abschied und von Wiederkehr sie singen,
Maikäfer labt sich am Verjährten, Toten
Und auch die Goldne Acht zeigt mir die Schwingen.
Der Diptam wirbt so sehr, daß bald entflammen
Das Öl die Strahlen, die es mir vergolden.
Wo so viel Laut und so viel Luft beisammen,
Wer mag da nicht nur trunken sein vom Holden?
Wem ist nach einer Botschaft noch zumute,
Wo das Vollkommne sagt sich ohne Sinnen?
Wem hörbar wird das Blühende und Gute,
Wer wollte einen Reim darauf beginnen?
Die Leier, die beschämt das Einzelwesen,
Muß schweigen, wenn der Chor im Walderwachen
Zurechtweist, was sich achtet für erlesen,
Denn keine Sehne kann so selig machen.
 

 

174
 
EIBEN: Die Welt ist Klang, doch ohne alle Weiser,
Drum mußt du singen, daß sich alles richte,
Doch machst den Chor im Augenblicke leiser,
Daß er sich heb in stärkerem Gewichte.
Nicht hat Apoll die Lyra dir gespendet,
Daß du versänkst in Zweifel und Entsagen,
Du mußt, bevor die Mittagsstunde endet,
Den Sturm der Seele in die Kronen tragen,
Denn all die Bäume, die hier schaun und staunen,
Bevölkert sind mit Ohren, die dir lauschen,
Sie warten, daß du aufwachst aus den Launen
Und läßt das Meer im stillen Haine rauschen.

ORPHEUS: Ihr Eiben, maiensatt und so verwunden,
Ich bin ein brauner Gnom an eurem Fuße,
Was mir gelingt, gestaltet und gebunden,
Dankt, daß zum Lauschen euch die rechte Muße.
Ich bin beschenkt, doch gleichwohl arm geblieben,
Mir sprengts die Brust, euch blumig anzufragen:
Bin ich dem Joch der Einsamkeit verschrieben,
Wirds einst in meinem wunden Herzen tagen?
Die ihr vertraut seid mit den Wechselwinden,
Dem Himmel wie mit krumig schwarzen Säften:
Wird mich ein Herz vom Kronos' Blei entbinden,
Wird sichs an meins als Heil und Mitte heften?
Sind mir bestimmt nur Sehnen und Erwecken,
Nur Sämerein ins Offne und Gefügte?
Könnt sein, daß mir daraus ein eigner Flecken
Erwüchs, der meinem tiefsten Traum genügte?

EIBEN: Was ferne scheint, ist nahe wie zum Greifen,
Kein Schleier hehlts, den Götter drumgeschlungen,
 

 

175
 
Wer aber meint, die Welten müßten reifen,
Prüf, ob er selbst vom Traume ganz durchdrungen.
Denn nur die eigne Blindheit läßt verlassen
Den Blinden scheinen, der den andern leuchtet,
Das Glück ist nur dem Geiste nicht zu fassen,
Drum schau, eh sich das Auge so befeuchtet,
Daß alles fließt, als sei bestimmt der Quelle
Der Sänger, den im Baume liebt die Krone,
Wo das Gewirk sich mengt der größten Helle,
Erfahr den Kuß, der leblang in dir wohne.

ORPHEUS (singt):
Wer rekelt sich im blättergrünen Dache
Grad wie die Wolken auf dem Dunst der Meere?
Erwache
Und hör wie ich begehre!
Nicht sing ich auf dem Feld und bei den Klippen,
Ich bin zuhaus, wo Äste sich verzweigen,
Nur nippen,
So will ich und dann schweigen!
Wer sterblich ist, erfährt im Baume Alter,
Doch auch die Jugend, die im Laubicht säuselt,
Ein Falter
Am Wasser, das sich kräuselt.
Nicht preise ich den felsgehaunen Pfeiler,
Der weist die Schritte nur in nächste Nähe,
Der Heiler
Weist weiter als ich spähe.
Was feststeht uns zu fassen und zu flügeln,
Soll nicht der Stimme Lieblichkeit erwecken,
Im Zügeln
Solln Traum und Tausch sich necken.
 

 

176
 
Nur eine kanns und sie wird weithin richten
Daß sich das Aug dem Ohre zugeselle,
Im Lichten
Verfalbt die schönste Helle.
Drum steig sie aus dem wirkenden Gerausche
Und hülle sich in allerfeinste Seide,
Vertausche
Dich Freud, sag ich dem Leide.


Zweite Szene.
Orpheus, Eurydike.

EURYDIKE: Wer ließ den Namen honiggolden klingen,
Daß ich erschauernd ihn ganz neu erfaßte?
Wer kann so übersterblich Liebe singen,
Daß ich verlaß die Wohnung und die Kaste?

ORPHEUS: Apoll gab mir die Leier und die Stimme
Und auch die Kraft, die Ohren aufzusprengen,
Ich fürcht mich manchmal selbst vor diesem Grimme,
Dems möglich wohl, das Haar mir zu versengen.

EURYDIKE: Hat dir der Gott den Namen auch geraten
Der scheusten Nymphe, die noch keiner schaute?
Gar manche, die den Gott recht schlecht vertraten,
Erreichten nur, daß mir ganz gräßlich graute.

ORPHEUS: Des Sehnen kam von Herzen und die Worte
Gab mir der Wind, der schmeichelt oder rüttelt,
Es schien mit Reichtum hier an diesem Orte,
Daß Früchte falln, wer immer hier auch schüttelt.
 

 

177
 
EURYDIKE: O nein, den Zugang zu den Federleichten
Fand nie ein Riese, der im Walde trampelt,
Das Wimmern, daß die Blätter sich erweichten,
Wird keinem Säugling, der erbittert strampelt.
Der Name ist für jed Geschöpf die Fessel,
Du sangst ihn mir, drum muß ich dir gehören,
Ich hoff, dein Blumengruß ist keine Nessel,
Und nicht zum Spotte willst du mich betören.

ORPHEUS: Wie könnte ich ein lichtgeflochtnes Wesen
Mit Grobheit oder schlechtem Scherz verbittern?
Von Gaias oder Uranos' Genesen,
Läßt keine sonst die feinsten Härchen zittern.
Die Anmut selber mein ich hier zu schauen,
Obgleich verwöhnt von Mutters hohem Stande.
Sollts wahr sein, daß die Hulden mir vertrauen
Und reichen mir die schlanke Hand zum Bande?

EURYDIKE:
Wenn du nicht scherzt, so bleibt mir zu vermuten,
Daß du die hohe Macht in deinem Singen
Nicht faßt, die von dem Flügelpaar-Beschuhten
Erfunden ward, die Seelen heimzubringen.

ORPHEUS: O nein, nicht jenen hab ich angerufen,
Der Zaubrern frommt, dem Händler wie dem Diebe,
Nicht seinem Tempel suchte ich die Stufen,
Ich tastete im Gegenteil nach Liebe.

EURYDIKE:
Mag sein, mein Name deutet ihm entgegen,
Mir selber blieb dies Rätsel stets verborgen,
 

 

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Doch konntest du mich also tief bewegen,
Gelingts dir auch, das übrige zu sorgen.

ORPHEUS:
Wenn ich, wie du verrätst, dein Herz gewonnen,
So will ichs hüten, bis mich Hermes führte
Zum Hades, und die letzte aller Sonnen
Mir sank wie alles, was mir sonst gebührte.

EURYDIKE:
So spricht der Mann, dem ich im Kern verfallen,
Wer also minnt, soll hegen auch die Hülle,
Ich hab entsagt den Baumesrechten allen
Und harr des Winks, der mich mit Weisung fülle.

ORPHEUS: Ich bin der Sohn des Königs, dich behüte
Dein neues Haus auf einem linden Hügel,
Ein sanftes Fohlen wartet im Gestüte,
Denn hierzuland gebraucht man keine Flügel.
Auch sonst sind unsre Bräuche recht verschieden
Von denen Walds, wir trinken aus dem Becher,
Die pralle Sonne wird zumeist gemieden,
Für Luftbewegung sorgen Seidenfächer.
Geleucht kommt nicht von Pilzen oder Mooren,
Wir stellen Wachs auf Glas und auf Metalle,
Zurückgezogen wird geliebt, geboren,
Und was im Haus geschieht, erfahrn nicht alle.

EURYDIKE: Ich liebe deine helle, klare Stimme,
Die Strenge, alles rein und recht zu stellen,
Kein Heim, wo du regierst, wär mir das schlimme,
Erlaubt es nur, mich ganz dir zu gesellen.
 

 

179
 
ORPHEUS:
Es ist auch Brauch, daß man die Hochzeit halte,
Mit Ahnensegen tausche Zung und Ringe,
Sich müh, daß bald ein Erb im Hause walte
Und einst an unsrer Statt den Göttern singe.
Drum will ich dich den Eltern, allen beiden,
Gleich bringen, daß uns niemand noch begegne,
Solange sie noch Ungewißheit leiden
Und eh uns Vaters große Weisheit segne.

EURYDIKE:
Wohlan, die Sonne steht schon weit im Westen,
Und vor dem Dunst wolln wir den Horst besteigen,
Ich traue deinem Griff, dem ruhig festen,
So nimm mich hin, denn ich bin ganz dein eigen.
(Orpheus hängt die Leier um und nimmt Eurydike auf die Arme. Es wird dämmrig.)


Dritte Szene.
Orpheus, Eurydike, Hermes.

EURYDIKE: Dort ist wer, und er steht genau im Wege!
Er steht, als könnt ihn keine Macht vertreiben.
O weh, ich floh der allertreusten Pflege!
Wer, Orpheus, stellt sich wider das Beweiben?

HERMES: Die Vordergründe scheinen mir entbehrlich,
Denn mich erkennt man leicht an meinen Werken.

ORPHEUS: So ist es in der Tat, ich sage ehrlich,
Der Schritt war leicht und darum nicht zu merken.
 

 

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HERMES: Ich bin es leid, gewaltig Lärm zu machen
Wie Zeus, der kommt mit Blitzen und Getöse,
Ich bringe euch kein Häschen, keinen Drachen,
Denn jenseits bin ich ganz von Gut und Böse.

ORPHEUS: So bist du Hermes, der uns unerbittlich
Mahnt an das nächste, das von fern beschlossen.
Wir warben um einander rein und sittlich -
Was hat die Götter wider uns verdrossen?

HERMES: Wir pönen nicht die Werbung und die Ehe,
Ich hab sie deinem Vater schon verkündigt,
Er segnet sie mit allem Wohl und Wehe,
Drum liebt ihr ganz gesetzlich und entsündigt.

ORPHEUS: Wozu die Eile und das Selbsterscheinen?
Wir wären ohnehin jetzt hingeschritten,
Sein Wunsch ist lang, ich möge mich vereinen,
Drum ist gewiß sein Beistand meinen Bitten.

HERMES: Nun, leider ists nicht möglich, daß die Kleine
Der Bräutigam führ selber nach dem Hofe,
Da ich an alles denk, wenn ich erscheine,
Steht auch am Waldrand schon die rechte Zofe.

ORPHEUS:
Was soll mich hindern, meine Braut zu tragen
Zum Vater und so über meine Schwelle?
Ich brauche keine Zofen oder Wagen
Denn wie der heitre bin ich auch der schnelle.
 

 

181
 
HERMES: Ich werde dies verhindern, denn beschlossen
Ist, daß du reisest jetzt und unverzüglich,
Schon säumig bist du, bei den Fahrtgenossen
Das Murren zeigt sich laut und wenig trüglich.

EURYDIKE: Weh Orpheus, hüte deine flinke Zunge,
Du weißt, die Götter lassen uns nicht spaßen,
Nicht nur dem Vater sei ein braver Junge,
Der Himmel mißt sich nicht mit unsern Maßen.

ORPHEUS: Wohin in aller Welt soll ich denn reisen?
Ich bin hier froh, und ich bin hier zuhause.
Du magst dem Dieb, dem Räuber Zuflucht weisen,
Daß ihm nicht länger vor Verfolgung grause.
Ich aber steh als Prinz im eignen Reiche
Man lehrte mich, es gehe an die Ehre,
Daß man nicht kampflos aus der Heimat weiche,
Wer immer dies befehle und begehre.

HERMES: Als ehrlos schilt der Narr die großen Dinge,
Die wandeln hinter seinem Horizonte,
Daß Zeus der Zug halb Griechenlands gelinge,
Bist du schon bald zu Schiff am Hellesponte.
Noch heute gehts nach Iolkos in Thessalien,
Dort ist der Sammelplatz der Argonauten,
Und nun verschon mich bitte mit Lappalien,
Bevor die Augen diese Helden schauten.
(Mit Orpheus ab.)

EURYDIKE: Noch eben hieß es Zofe und Geleite,
Nun ist der Bote fort und auch der Sänger,
Und dunkel wirds, ich hab nicht einmal Scheite
 

 

182
 
Zu leuchten, ob da nicht ein Bärenfänger.
Du nützt es nichts zu klagen und zu greinen,
Allein such ich den Weg zu diesem Throne,
Ein Weib zu sein, muß frisch verlobt mir scheinen,
Zu hadern nicht im Schmutze und im Hohne.
(Ab. Es wird dunkel und dann neuer Tag.)


Vierte Szene.
Eurydike, Kalliope.

KALLIOPE: Im Walde gehn ist dir gewiß Vergnügen,
Auch mir wars im Palast zuerst recht enge,
Der König doch – ein Strom, ich müßte lügen,
Sagt ich, die Werbung zog sich in die Länge.
Daß Orpheus, unser Sohn, ward abberufen,
Den Kummer trägt die Liebe nicht alleine,
Grau stehn die Säulen und im Saal die Stufen,
Und selbst die Vögel singen nicht im Haine.

EURYDIKE: Wenn man nur etwas näheres erführe,
Nach Kolchis heißt es, weit zu den Barbaren,
Und dennoch denk ich, knarrt es an der Türe,
Die aufgestoßne würd ihn offenbaren.
Er macht den Helden Mut, die großen Werke
Zu tun, die dieser Reise aufgetragen,
Ich glaube, er verfünffacht ihre Stärke,
Daß sie, was ganz unmöglich ausschaut, wagen.
Doch weh, wenn aber nun der Schein nicht trüge,
Und was sie wollen, wirklich nicht zu schaffen,
Die Götter trifft gewißlich keine Rüge,
Und nur auf uns die bösen Nachbarn gaffen.
 

 

183
 
KALLIOPE: Beim König gehen aus und ein die Boten,
Solch großes Schiff muß für Verpflegung rasten,
Aus allen Reichen, außerm Reich der Toten,
Pflegt Nachricht sich an uns heranzutasten.

EURYDIKE: Erzählt von ihm, eh er begann zu singen,
Vertraute er da Hören oder Schauen,
Ich denke oft, es müßte doch gelingen,
Ein ungetrübtes Bild zurechtzubauen.

KALLIOPE: Ich bin als Mutter nicht so unbefangen,
Wies menschlich wär, mit Griffel und mit Tafel
Bin ich die Sache härter angegangen
Und abhold allem törichten Geschwafel.
Da Zeus mit uns hat Hoffnungen und Pläne,
Verstand ich stets mich selbst als ein Gesandtes.
Doch wie Apollons Nachen brachten Schwäne,
Führt selbst den Zeus ein gänzlich Unbekanntes.
Drum soll der Muse nicht der Rang genügen,
Den ihr die Abkunft zuspricht vor dem Volke,
Sonst gehts vielleicht wie manchen Höhenflügen,
Daß irgendwann zerstoben ist die Wolke.

EURYDIKE: Grad weil du so genau und unbestechlich,
Ist dir die Wahrheit offener und nackter,
So sagst du nicht, was völlig nebensächlich,
Und schilderst mir den innersten Charakter.

KALLIOPE: Erhoffe nicht den Knaben, der gefahren,
Er kehrt nicht mit nur äußerlichen Narben,
Der Wind spielt nicht nur mit den offnen Haaren,
Unwandelbar sind einzig, welche starben.
 

 

184
 
Bedenk, er lebt mit kriegerischen Mannen,
Die nicht nur stark, auch roh und hartgesotten,
Im Käfergriff so weißt du von den Tannen,
Daß sie sich nicht grad jugendlich vergotten.
Auch fremde Sitten, Schlachten, Ungeheuer,
Von vielen Dingen schweigt am Hof der Sänger,
Er geht durchs Eis und durch das schwarze Feuer,
Laß ausmaln mich das ganze nicht noch länger.

EURYDIKE:
Du sprachst von Härte, doch ich unterschätzte
Das Ausmaß, und ich will nicht weiter drängen,
Ich bete, daß das Sternbild, daß ihn hetzte,
Mich tröste, daß nicht klamm die Flügel hängen.


Fünfte Szene.
Eurydike, Kalliope, Aristaios.

ARISTAIOS: Ich such den Hof und keine wilden Tiere,
Drum bin ich wohl vom Pfade abgekommen,
Entschuldigt, daß ich mich nicht lange ziere,
Zu fragen wie der rechte sei genommen.

KALLIOPE: Ich bin die Königin in diesem Reiche,
Drum pön ich deine falsche Diagnose,
Der wilde Jäger sieht allein das Gleiche,
Doch diesmal ziemt sich eine andre Pose.

ARISTAIOS (verbeugt sich devot):
Wie ungeschickt mein Wort vom tiefen Tanne,
Ich bin erschöpft von Bergen und von Schluchten,
 

 

185
 
Gewöhnlich steh ich in ganz anderm Banne
Bei Wechselwinden oder schmalen Buchten.

KALLIOPE: Du reist umher, ist Handel deine Sache?
Hast Botschaft du von fernen Meern und Küsten?
Ich bins gewohnt, daß ich nicht Umweg mache,
Weil wir sehr gern so manche Neuheit wüßten.

ARISTAIOS: Apoll verwandt viel Mühe, mich zu bilden,
Die Nymphen lehrten, goldne Kunst der Bienen
Zu führen aus der Jägerei im Wilden
In Wohnungen, die unsrer Ernte dienen.
Die Körbe sind als Stülper oder Beuten
Gemacht, uns Wachs und Honig zu bescheren,
Den Göttertrank vermach ich allen Leuten,
Erlaub ich mir, den Landstrich zu beehren.
Auch lernte ich, die Milch vor dem Verderben
Nicht nur zu schützen, sondern noch zu steigern,
Die Speis davon mag für sich selber werben,
Doch werd ich mich dem Lobspruch nicht verweigern.
Jedoch das größte Wunder meiner Gaben
Für Augen, die sich noch begeistern wollen,
Der Ölbaum ists, und allen die ihn haben,
Sehn keinen gleichauf mit dem segensvollen.
Nicht nur, daß er mit reicher Frucht uns sättigt,
Er salbt den König und er nährt die Leuchte,
Kein Darben, das sein Überfluß nicht fettigt,
Er wirkt, daß man ansonsten gar nichts bräuchte.
Er mag die trocknen Winde unsrer Heiden,
Sein Holz ist hart und eignet sich für Äxte,
Fast ewig lebt er, rundum zu beneiden,
Er heilt den Sinn, drum wähle ihn der sechste.
 

 

186
 
KALLIOPE:
Gemeinhin folgt auf großes Licht ein Schatten
Gleichauf, drum sei uns bitte nicht verschwiegen,
In eurer Red, der allzu seidig glatten,
Ein Haken wird gewiß im Köder liegen.

ARISTAIOS:
Den Schatten wirft die Sonne uns gewöhnlich,
Doch unterbleibts, erstrahlt sie im Zenite,
Ist eure Skepsis sonst auch unversöhnlich,
Hier fehlt der Reim, der Löbliches bestritte.
Gleichwohl sind meine Gaben ein geringes,
Strahlt eurer Tochter Anmut mir dagegen,
Mir scheint, den Sphären unsers Weltenringes
Ist diese Maid der allerhöchste Segen.

KALLIOPE:
Recht artig singst der Jugend du zum Preise,
Doch ist die Holde meinem Sohn versprochen,
Er salbt die Sphären ganz auf seine Weise,
Drum meidet, was euch so ins Aug gestochen.
Zwar tut er derzeit fern die Heldentaten,
Doch kehrt er heim, gleicht seiner Würde keine,
Die je dem Land der Thraker ist entraten,
Drum rühr nicht an das Liebliche und Reine.

ARISTAIOS:
Was sagt die Liebe selbst zu diesem Warnen?
Wie gern hört ich die Stimme einmal klingen.
Arachne knüpft ihr Netz so gern an Farnen,
Der Mücke taugts, wenn grün die Wedel schwingen.
 

 

187
 
EURYDIKE:
Mein Held trägt nicht den Segen im Gepäcke,
Sein Sang macht Tiere zahm und Felsen weinen,
Nichts sonst vermags, daß mich das Laubicht wecke,
Erfahrend, daß die Träume ganz die meinen.

ARISTAIOS:
Die Lieblichkeit der Stimme und der Worte,
Vergißt, wen duftend zarte Öle salben,
Und was dir schien zu höchstem Glück die Pforte,
Erkennst du rasch als Einfahrt nur zum halben.

KALLIOPE: Die Schattenseite also nicht verhohlen,
Der Ehebruch ist das Begehrn des Schenken,
Mach dich zum König auf mit raschen Sohlen
Und hüte dich, den Antrag fortzudenken.
(Aristaios ab.)

EURYDIKE: Die Dreistigkeit in allen seinen Knochen
Ließ sie vor unsern Augen beinah bersten.
Ich glaub, der Braten wird recht bald gerochen,
Die Weizenähren sind am Ende Gersten.

KALLIOPE: Hochstapelei ist lächelnd zu ertragen,
Doch dieser Knabe wird vielleicht gefährlich,
Wenn ihn die Götter nicht zu schmähen wagen,
Erscheint wers tut, am Ende wenig ehrlich.
Hoch ausgezeichnet meint er wohl, ihm fromme
Ein jedes, was ihm heißt das gute Wetter,
Ich bin mir sicher, daß er wiederkomme,
Drum achte, daß sein Mut dich nicht zerschmetter.
(Beide ab. Es wird dunkel und wieder hell.)
 

 

188
 
Sechste Szene.
Orpheus, Eurydike.

ORPHEUS (singt):
Was will die Heimat meinem Herz bescheren?
Mir reichen, daß ich blühe und gesunde?
Entbehren
Wird härter jeder Stunde!
Ich zog durch viele Länder, Küsten, Riffe,
Doch machte mich ihr Reiz nur immer tauber.
Begriffe
Doch einer diesen Zauber!
Die Lust, sie auf den Armen fortzutragen,
Ist holder als das Meer und selbst die Sonne,
Ihr Wagen
Veblaßt vor solcher Wonne!
Sie ist das Segel, jeden Wind zu fangen,
Sie ist das Land, das zu befahrn ich trunken,
Doch Bangen
Hör ich im Sumpfe unken.
Doch nein, der Neid des Himmels kann nicht wagen,
Die Mitte aller Holdheit zu entfernen!
Zu sagen
Habs ich vor allen Sternen.
In ihr wird uns das Leichte erst zum Leichten,
In ihr wird uns die Schwere erst zur Schwere,
Was immer die Unendlichen mir eichten,
Es gibt nur eine Göttin, die ich ehre.
Sie eint das Dunkel mit dem hellsten Lachen,
Sie eint das Einst Erinnerns dem erhofften,
Sie gab dem Hauch, draus sich die Welten machen,
Den Namen, daß die Strophen sich verstofften.
 

 

189
 
Sie wird mit einem Augenschlag vernichten
Den Gram, den Kummer und die Furcht am Morgen,
Sie nimmt die Müh von allen Sorgepflichten
Und zeigt mir, daß ich selig und geborgen.

EURYDIKE: Ich wußte, dieser Tag wird hell und klarer
Als alle die der langen Nacht entrannen,
Die Amsel sang vom Land der Meeresfahrer
Und flötete den Traum, den wir begannen.
Ich spüre tief, daß deine große Seele
Nicht trübten die Entfernung und der Schatten,
Ein frohes Lied erwacht in deiner Kehle,
Als träumten wir die Zeit auf Rasenmatten.
Es scheint mir gar, als wären all die Monde
Des Bangens nur ein Dunst, der kam vom Weiher,
Und Eros, der uns stets zu Häupten thronte,
Besorgte nur das Nötigste zu Feier.
Wie ausgelöscht ist alles, was uns trennte,
Tönt nur ein einzger Reim in meinem Ohre,
Dies sagt das All und alle Elemente,
Und am Olymp erstaunt man vor dem Chore.

ORPHEUS:
Nur du allein kannst mir den Schleier heben,
Der düster macht das Wägen und das Wagen,
Nur du verschaffst mir Eigenheit und Leben,
Nur du vermagst den Namen mir zu sagen.
Erst als du mir aus Laubgeraschel leiblich,
Fand Ort und Zeit ich auf der trüben Erde,
Allein durch dich ist mir die Welt beschreiblich,
Und tief verbürgt, daß sie die meine werde.
Wir wollen ewig preisen, daß sie lehrte
 

 

190
 
Uns Liebe, die von allem Traum die Mitte,
Was je beflügelt und im Fall beschwerte,
Es ist nach der Vereinigung die Bitte,
Denn alle Wesen suchen nach dem Tanze
Des Einsseins, der erweicht das Herz dem Neider,
Unwiderstehlich recht behält das Ganze,
Drum gilt das Lob dem Liebesglücke beider.

EURYDIKE: Ein tiefes Rätsel ists, daß alle Nöte
Nur einer bannt, der hehr vor allen Schwänen.
Verbirgt ihn noch der Jugend Morgenröte
So pocht das Herz den sanften Tau der Tränen.
Dann aber, wenn da Pan im Feld die Hirten
Erschreckt und um den Hirsch das Dickicht dunkel,
Die Zeichen in den Rinden sich entwirrten,
Und deutbar wird das nächtge Sterngefunkel.
Denn was geschieht, war vorbestimmt schon immer,
Dies wissend fällt die Binde von dem Haupte,
Und du erkennst auf jedem Blatt den Schimmer,
Der die Erfüllung schon im Anfang glaubte.
Allein die Torheit, Wolkendunst zu deuten,
Verhindert, stets zu wissen, wie begnadet
Das Aug ist, dem die Osterglocken läuten,
Daß Dulden und Verharren niemals schadet.

ORPHEUS:
Wenn einer fand, was ihn ergänzt und ründet,
Beweist dies das Gesetz, daß jedem Wesen
Bestimmt ist, daß die Sehnsucht endlich mündet
Und daß der Schmerz ein Weg ist, zu genesen.
Drum ist das Glück, das zweie überwältigt,
Ein Glück auch jedem, der es darf erschauen,
 

 

191
 
Es zeigt den Segen, der sich rings verfältigt
Im Ruf, den Schritt zur Wahrheit sich zu trauen.
Denn zu erkennen, daß das Glück gewoben
Vor aller Zeit, heißt einem Trotz entsagen,
Der sündig ganz allein, denn nur das Loben
Trägt uns den Himmel und den Sonnenwagen.

EURYDIKE: Im Laubicht raunt das grüne Ungefähre,
Es liebt, doch nicht in auserwählter Strenge,
Im Blute erst spricht die Moirenschere
Vom Unvermischten allerhöchster Ränge.
Wer sich erlaubt, nach solchem Glück zu haschen,
Weiß wohl, kein zweites könnt es je ersetzen,
Ihn kann kein Tau vom Nachtgelichter waschen,
Noch schützen, daß die Feuer ihn verletzen.
Wer also liebt im ungetrübten Sinne,
Trägt nicht nur Atlas sondern alle Himmel,
Er ist sich einer Weltensäule inne,
Die kreisen läßt das sonstige Gewimmel.
Das Ja zum Glück läßt Stern und Sonne stehen,
Spricht allem hohn, was läßlich sich bescheidet,
Setzt eigenhold ins Wachsen und Vergehen
Die Wiese, drauf Apoll die Lämmer weidet.
(Sie umarmen sich.)
 

 

192
 


ZWEITER AUFZUG
Düstere Grotte, mit Spinnweben verhangen. Schutt von zerschlagnen Skulpturen. In der Mitte ein altes Weib in ledrigem Gewand mit sehr langem, weißem Haar, auf ihr lastet ein mächtiger Gesteinsbrocken.

Erste Szene.
Orpheus.

ORPHEUS:
Kaum sprechen mag ich und nie wieder singen,
Der Ort der Nacht ist recht für mein Zerfließen,
Die Sonnenstrahlen grad wie Pfeile dringen
Ins Herz mir, um die Kammern zu zerschießen.
Wo Wälder rauschten, herrschen Eis und Wüste,
Die Quellen sind versiegt und taub die Gräser,
Der Aar, der einst den Heiteren begrüßte,
Wich dem Gequak, der Wind, der Flötenbläser
Bereift das ganz zerrißne Spinngewebe,
Und von den Bäumen brechen morsche Äste,
Ein Fluch ists, daß ich geh und steh und lebe,
Denn nur der Tod baut prächtige Paläste.
(Er setzt sich und starrt dumpf vor sich hin.)
Daß Aristaios ich im Zorn erschlüge,
Schüf keinen Trost, dem Vater brächt es Schande,
Ihn träfe keine Schuld, beharrt die Lüge,
Und hoch geschätzt ist er im ganzen Lande.
Wie konnte jenen, dem die Frauen jubeln,
Die meine, die ihm gänzlich abhold, reizen?
Konnt er, beliebt auf Festen und in Trubeln,
 

 

193
 
Nicht einer gönnen, wider ihn zu geizen?
Daß sie unachtsam trat auf eine Natter –
Wars nicht sein Werk, der sie mit Furcht geblendet?
Schloß er nicht um die Flüchtende das Gatter,
Der alles Weg, bleib sie nur ungeschändet?
Ach, Hermes, der mich einst den Argonauten
Hat zugeführt, nahm sie als Seelenleiter –
Seis, daß die Götter voller Neid erschauten,
Daß wir uns liebten tiefer, wahrer, weiter?
Es sei wies sei, es nutzt mir nichts zu grübeln.
Die Sonne sank, die Nacht flicht ihre Schemen.
Es traf mich schon das ärgste von den Übeln,
Drum leicht ists, was noch folge, anzunehmen.
Das Herz wird mir nicht leichter beim Gedanken,
Ich muß den Weg ins Totenreich ergründen,
Ich muß zerreißen die gesetzten Schranken
Des Pfuhls, darein die Hoffnungen uns münden.
Wer weist mir meinen Weg? Nur die Verfemten
Sind solchen Wissens an der Grenze munter,
Doch daß sie mich zu weisen sich bequemten,
Ist grad, als mach die Blum der Nachtfrost bunter.
Wer solches weiß, der schweigt und gähnt zuzeiten,
Kein Mittel gibts, daß ihm die Worte sprießen.
Doch wars nicht schon, daß mir beim Lungenweiten
Es schien, als ob vom Fels die Tränen fließen?
Ich wollte eben niemals wieder singen,
Und tät ichs doch, so wär es nichts als Klage,
Doch möglich scheints, daß dennoch Quellen springen,
Wo Tag und Dunkel stehn in goldner Waage.
Du hörst es nicht, Eurydike, mein Engel,
Musik ist nicht im dumpfen Reich der Schatten,
Ich sing die Natter und das Giftgeschlängel,
 

 

194
 
Den Sturz und deinen Seufzer, den schon matten,
Ich sing die große ungerechte Schande,
Die Dunkelstunde aller lichten Äther,
Ich singe unsre bös zerschnittnen Bande,
Die Inschrift, daß es geb dem Herz kein Später.
Ich singe wider alle lichten Träume,
Die Hoffnung, daß da nicht nur Narreteien,
Ich schmäh den Wald und alle Eibenbäume,
Und will die Götter der Verschwörung zeihen.
Ich singe, daß der Pakt sei aufgehoben,
Da Zeus, Poseidon sich mit Hades teilten
Die Welt, die sich als Unten stellt und Oben,
Und sorgten, daß die Schatten nachthin eilten.
Ich schlag die Leier und voll Blut die Finger,
Daß sich mir öffne nach dem Styx die Grotte,
Die dort geschworn, es herrsch des Traums Gelinger,
Will ich verklagen bei dem härtsten Gotte.
Ich singe, daß die Felsen sich erbarmen,
Die Erde aufreißt und mir reicht den Nabel,
Ich lasse allen Lichtes Wohlumarmen
Und trete in des Sperbers offnen Schnabel.


Zweite Szene.
Orpheus, Hydra

HYDRA: Wer schmäht so laut die Ewigen und Lichten,
Wer wagt in dieser Nacht voll Not und Grauen
Auf allen Beistand trotzig zu verzichten
Und sucht die Welt im Grunde umzubauen?
Wer rüttelt an den Ketten, die Titanen
Und Gaias frühe Früchte furchtbar fesseln?
 

 

195
 
Wer wagt, die mürbste Stunde anzumahnen,
Da Urschmerz schäumt aus allen Hexenkesseln?
Wer hebt die Welt mit Worten aus den Angeln?
Wem wars gewährt, Undenkbares zu singen,
Wer wirft ein Seil, sich durch das Nichts zu hangeln,
Und spottet selbst des Adlers weiten Schwingen?

ORPHEUS: Ich, Orpheus, bins, der alles hat verloren,
Drum auch die Furcht, die an Besitz gebunden,
Ich habe mich dem ärgsten Ruf verschworen
Nun sag – hab ich den Lauscher schon gefunden?

HYDRA: Ich träume, träume, und was ich begreife,
Ist also rasch, wie es mir kam, vergessen,
Die große Zeit erinnernd ich zerschleife,
Bis ich vergesse, was ich einst besessen.

ORPHEUS:
Versink mir nicht, denn nur auf diese Stunde
Hast du gehofft, erschien es auch vergeblich,
Ich rufe zum Gericht, die Zeus zum Bunde
Sich nahm und schwor, da es am Styxe neblich.

HYDRA: Nur eins der Häupter neun ist mir geblieben
Und dieses ist gefesselt alt geworden,
Seit Herakles mir mit Gewitterhieben
Und Fackeln kam, die Göttin zu ermorden.
Der Zeussohn zog die Blutspur durch die Winde
Damit sein Vater unvergleichlich stünde,
Er tilgte alles ältere Gesinde
Um selbst zu richten, was sei gut und Sünde.
So blieb ihm auch Argolis nicht verborgen,
 

 

196
 
Nach Lerna fuhr sein Neffe mit dem Wagen,
Entschlossen, für die Zukunft vorzusorgen,
Ließ er mein Haupt den Felsenbrocken tragen.
Daß Zeus ich haß, wird keinen überraschen,
Der meinen Stammbaum kennt und meine Schande.
Doch sag: wie willst du unsre Erde waschen
Und merzen ganz die ausgekochte Bande?

ORPHEUS:
Mein Herzblut sank von einem Schlangenbisse,
Und Hermes führt es in die kalten Fluren,
Daß ich ihm seine Beute noch entrisse,
Folg ich des Todes unsichtbaren Spuren.
Die Götter, die vor Hades Herrschaft älter,
Vermögen mich mit Weg und Wink zu leiten,
Falsch nenn ich einen abgeschiednen Kelter,
Darum sich Furcht und Redescheu verbreiten.

HYDRA: O weh, ich bin doch selber eine Schlange!
Wie soll ich einem Gattungsfeinde weisen?
Frag doch den Sperber, der im harschen Fange
Den Mut dir trag und dein empörtes Eisen.

ORPHEUS: Nicht pöne ich die Natter, die getreten
Unschuldig tat, was ihr gereicht zum Schutze,
Die Lichten, die das Aug der Maid verwehten,
Sie machten sich das arme Tier zunutze.
Von den Olympiern kam uns ein Verführer
Mit Honig, Käse und mit den Oliven,
Als Zündler und gemeiner Zwietracht-Schürer,
Mit dem die meisten Mädchen gerne schliefen,
Begehrte er mein Weib sich zum Genusse,
 

 

197
 
Auf daß sie, zu entrinnen seiner Kralle
Nichts mehr als floh und so zum bösen Schlusse
Reintappte in die aufgestellte Falle.
Nun such ich bloß den Eingang in die Schächte,
Um dieses grobe Unrecht zu verklagen,
Den Trost allein die Wiederkunft erbrächte
Der Gattin, die beflügelt all mein Wagen.

HYDRA: Nun gut, tränk deinen Taxusstab im Gifte,
Das meinem Schlund entquillt als grüner Geifer,
Dann buchstabiert er gleich dem Kohlenstifte
Den weitren Weg dem unbeherrschten Schweifer.
Doch meid mich dann, ich habe noch zu träumen,
Zwar hab ich Zeit, doch neige ich zu hasten,
Gar gräßlich wirds dann in der Höhle schäumen,
Daß schaudern selbst des Felsens spitze Quasten.
(Orpheus berührt die Hydra mit dem Stab, der zu leuchten beginnt. Die Gestalt verschwindet in der Versenkung. Nach kurzer Zeit hört man Wasser rauschen.)


Dritte Szene.
Orpheus, Charon.

ORPHEUS: Der Weg ist kinderleicht mit diesem Boten,
Er führt mich durch die Windungen und Klüfte,
Mal wird zur Klamm der Rauschepfad der Toten,
Dann wieder strömen Köhlereiendüfte.
Da tropft die Sole, bildet sich ein Zacken,
Dort wirbelt aus dem Loch ein Flügelschlagen,
Säß mir der Abschied nicht als Herr im Nacken,
Würd mancher Glimmer meinem Aug behagen.
 

 

198
 
Ich hab nicht Sinn für Blenden und Kristalle,
Die Stalaktiten sind nur Widerstände,
Grad wieder weitet sichs zur größern Halle,
Der Zorn beherrscht die Füße und die Hände.
Jetzt hör ichs rauschen, tief und unermeßlich,
Ein Strom, er schiebt sich machtvoll seine Straße,
Am Ufer steht ein Mann, der alt und häßlich,
Noch niemals fand ich dies in solchem Maße.
Gleichwohl, der Stab verlangt, ihn anzusprechen,
Drum will ich diesen Kelch nicht von mir weisen,
Wohl Mühe machts, das Schweigen hier zu brechen,
Das schwer wie Blei und festgefügt wie Eisen.
(singt):
Wo Tropfen Zeit und Stromes schweres Rauschen
Die Ewigkeit, das Unabänderliche,
Muß tauschen
Die Seiten, wer verbliche.
Der Fährmann steht mit hartem Schuh am Kahne,
Die Stake gibt er nie aus seinen Händen,
Ich ahne,
Dies würde manches wenden.
Den Pakt, der seine Schuldigkeit bestallte,
Hat er vergessen in dem langen Amte,
Der Alte
Weiß nicht, woher er stammte.
Er weiß auch nicht, wozu das Wissen fruchtet,
Da nichts den Auftrag jemals brems und änder,
Zerbuchtet
Sind seines Augs Geländer.
Daß jemand käm und riefe ihn beim Namen,
Der liegt in einem Schrein bei Wiegenwimmern,
Es kamen
 

 

199
 
Nur Schemen, die ihm schimmern.
Doch einmal wird ein Lied auch ihn erreichen,
Das ihn beseligt, daß er wie Verliebte
Entweichen
Das Korn läßt, das er siebte.

CHARON: Was ist das für ein seltsam süßes Singen?
Es läßt so viele Jahre mir verfließen.
Die Gabelweihe breitet ihre Schwingen,
Ich seh im Grün den blauen Krokus sprießen.
O weh, was hält das weiße Haupt zum Narren,
Als wärs ein Jüngling, der am Weiher flötet?
Was läßt mich wie ein Kalb ins Tote starren
Und ahnden, daß ich selbst schon lang getötet?
In Sturheit flöß ich tag und nacht und frage
Wohin woher nicht, und ich bins zufrieden,
Wird nicht zu laut die allgemeine Klage,
Die diesem Ort von jeher ist beschieden.

ORPHEUS: Aus Nacht bist du und Finsternis geboren,
Doch so geschiehts auch jeder Glockenblume,
Die feuchte Erde nimmt was abgeschoren,
Und gibts zurück, dem Licht zu höchstem Ruhme.
Wenn du so alt und grämlich bist beisammen,
So bringt dich bloß die Münze in die Lage,
Gehst du darin, woher die Gelder stammen,
Wirds seltsam dir, daß einer sich so plage.

CHARON: Aha, ich soll den ganzen Kram vergessen
Und steigen in die ungebremste Helle?
Ich fände dort ein kleines Haus und Essen?
Ich litt nicht mehr des Kerberos Gebelle?
 

 

200
 
ORPHEUS: Bring mich hinüber, daß ich dir verrate,
Was du erreichen kannst und was gewinnen,
Vor allem Tun Gewißheit steh als Pate,
Sonst reuts dich rasch, Verändrung auszusinnen.

CHARON: So zahle, denn wer meinen Teil verweigert,
Irrt heulend hier am Ufer alle Nächte,
Beeile dich, eh Mond die Fluten steigert,
Weil ich sonst noch an einen Aufschlag dächte.

ORPHEUS: Ich zahle, auf der Überfahrt zu schweigen,
Und du wirst immer Fährmann sein und Sklave,
Die Schatten werden anstehn und sich neigen,
Und nie geschiehts, daß du vermißt die Schafe.

CHARON:
Wohl besser so, denn in der Hand den Spatzen
Zieh ich der Taube vor, die auf dem Dache,
Das Lied vermag am rauhen Pelz zu kratzen,
Doch Aufruhr ist nicht meines Alters Sache.
(Orpheus zahlt und wird übergesetzt.)


Vierte Szene.
Orpheus, Zypressen.

ORPHEUS: Zypressen seh ich, einzeln und in Reihen,
Im Gegenlicht erscheinen sie viel schwärzer,
Wo es doch heißt, die immergrünen seien
Langlebig und der Traurigkeiten Merzer.
Sie wachsen kaum noch merklich, wenn die Jugend
Verflossen ist und schließen dicht die Schuppen,
 

 

201
 
Daß sie uns stehn wie Fraun in harter Tugend
Und eine Galerie von Falterpuppen.
Sie werden mir nicht sprechen, doch glaube
Sie hören, was ich ihrem Flüstern singe,
Zwar weist mich ab die fest geschloßne Haube,
Doch möglich, daß ein Zeichen ich entringe.
(singt):
Ich wandle an der abgewandten Seite,
Die man vom Monde wird wohl nie erschauen,
Ich breite
Die Arme voll Vertrauen.
Gar züchtig scheint ihr Jungfraun, euer Orden
Die Lilie führt im Wappen und die Taube,
Geworden
Seid ihrs aus Furcht vorm Raube.
Auch meine Liebe aus der Eibenkrone
War rein und lind und haßte Hatz und Nessel,
Zum Lohne
Stach tief ein Wurm die Fessel.
Sie fiel und muß allein im kargen Schatten
So fern von meinem Honighort verkümmern,
Die Satten
Sind freundlich meist den Dümmern.
Doch ihr, die durstig ihr nach einem Grane
Beachtung, grüßt, daß mein sich wer erbarme,
Ich ahne
Die Zartheit eurer Arme.
Zwar werd ich euch nicht nahn und wohl es achten,
Daß ihr das Kleid euch rafft zu fester Schürze,
Ihr Sachten,
Gebt meinem Pfad die Kürze!
Ich will zum Herrn der sonnenlosen Heide
 

 

202
 
Und seiner Frau, die mitfühlt mit Entführten,
Daß beide,
Den Schmerz des Sängers spürten.
Gedieh mir das Geschenk Apolls zum Ruhme,
So will ich auch das härtste Herz bewegen,
Die Blume
Mir wieder heim zu legen.

ZYPRESSE: Im Kargen, aber ohne Sturm und Fröste
Beschweigen wir den abgeschiednen Garten,
Wer müd geworden, daß ihn Helios röste,
Der lernt bei uns das Dulden und das Warten.
Wir warten nicht, weil unsre Herzen hoffen,
Daß das Gesetz, das uns bezwingt, veraltet,
Wir sind nur für das Unbestimmte offen,
Das über aller Herrschaft steht und waltet.
Wir neiden nicht der Jugend Adlerschwingen,
Selbst wo sie fehlt, ist Fürsprech unsre Sache,
Wir hören dich so gern im Garten singen
Und wünschen, daß Eurydike erwache.

ORPHEUS (singt):
Ich ließ die Braut, zu jagen nach dem Vliese
Des Zeus im fern gelegnen Kolcherlande,
Nun kiese
Ich dafür Schimpf und Schande.
Ich fühle mich vom Himmel überlistet,
Der eine Blume köpfte vor der Blüte,
Es nistet
Mir Aufruhr im Gemüte.
Mein Lied ward Groll und meine Stimme bitter,
Ich sing den Göttern nur von meinen Schmerzen
 

 

203
 
Ein Splitter
Mir eitert überm Herzen.
Und was da singt, soll folgen mir im Chore
Und klagen wie mit meinem wunden Munde,
Im Ohre
Der Götter welk die Stunde.
Denn ihnen ist die Herrschaft überlassen
Den Äon lang doch nicht für alle Welten,
Sie prassen,
Als könnt sie niemand schelten.
Dies aber wird einst Klagelied und Reue
Für Donner, Dreizack oder Hadeskappe,
Im Heue
Verbrannt schon mancher Rappe.
Drum ists, wenn meiner Klage sie Erhörer,
Nicht gänzlich frei von einem Eigennutze,
Empörer
Beschwichtigt man zum Schutze.
Wird aber kein Erfolg dem Sängergrollen,
Als Knecht er euch nicht länger weiterliefe!
Soll rollen
Mein Haupt doch in die Tiefe!
Euch aber ruf zu Bürgen ich und Zeugen,
Wie ich die Schwestern rief im Sonnenhellen,
Denn beugen
Kann niemand mich, nur fällen!

ZYPRESSE: Im Abseits aller Welt, wo das Vergessen
Sich breitet in den Schatten, die flanieren,
Bewahrt allein das Hartholz der Zypressen
Und duldet nicht, daß alle bloß verlieren.
Man hält uns für Dekor und blasse Tröster,
 

 

204
 
Jedoch wir bergen mitten im Verdampfen,
Wir sparen, wo der Tauverschwender größter,
Sich rühmt, daß seine Rosse nächtens stampfen.
Wir werden dich zum Herrn der Weide bringen,
Der glücklich uns den Dichterfürsten mache,
Wir hören dich so gern im Garten singen
Und glauben, daß Eurydike erwache.


Fünfte Szene.
Orpheus, Hades, Persephone, Hermes

HERMES:
Da kommt er her, ich hab euch schon berichtet,
Doch gibts inzwischen weitres nachzuzusagen,
Er fühlt sich keinen Göttern mehr verpflichtet,
Gefällt sich in entsetzlichem Betragen.
Erst hat er unterm Stein die Wasserschlange,
Die dämmerte und nur zuzeiten stöhnte,
So eingelullt mit seinen Leiersange,
Daß sie ihm seinen Taxusstab verschönte.
Mit diesem Weiser hielt ihn keine Klippe,
Dem Acheron mit forschem Schritt zu nahen,
Dort hat riskiert er so die große Lippe,
Daß in Alarm, die diesen Hetzer sahen.
Der Fährmann drohte alles aufzugeben,
Hätt ich ihn nicht beschwichtigt mit Obolen,
Selbst was die Spinnen uns an Netzen weben,
Will dieser Räuber aus dem Reiche holen.
Und schließlich hat gehetzt er die Zypressen,
Sie mögen diesen Thron mit Macht zerschlagen,
Soll Kerberos den Unverschämten fressen,
Ich glaub, es gibt zur Sach nichts mehr zu sagen.
 

 

205
 
PERSEPHONE:
Laß uns den so Beklagten erst vernehmen,
Zum Urteil hats gewißlich keine Eile,
Er scheint mir seltsam frisch vor all den Schemen
Und lief doch ohne Rast so manche Meile.

ORPHEUS:
Ich grüß den Herrn der Nachtwelt und die Schöne
An seiner Seite, deren Weisheit preisen
Die Wurzeln wie die Wipfel, und die Söhne
Des Himmels weihn ihr ihres Schwertes Eisen.

HADES: Der Brauch will, daß ein Sterblicher gestorben
Erst trete her und Hermes ihn geleite,
Drum frage ich, was uns den Gast geworben.
Kommst du im Frieden oder her im Streite?

ORPHEUS: Wo ich geboren bin und aufgewachsen,
Ists Brauch, daß Klagen man dem König bringe,
Wenn Richter trifft Verdacht des allzu Laxen,
Und Hochgebornen drohen Beil und Schlinge.
Weil das beklagte Unrecht so geschritten,
Daß einzig Hades kann es revidieren,
Hab ich die Vorinstanzen abgeschnitten,
Um Zeit nicht bei Vasallen zu verlieren.

HADES: So klag zuerst, wir prüfen dann die Klagen
Die wider dein Gebaren sind erhoben,
Wir wollen nicht die Einzelheiten fragen,
Weshalb wir einen runden Vortrag loben.
Sag uns, woher du kommst und welche Zeugen
Die Widerrede der Verleumder bannen,
 

 

206
 
Wir wollen uns allein der Weisheit beugen,
Denn nur die Torheit schilt uns als Tyrannen.

ORPHEUS:
Ich komm aus Thrakien und des Flußgott-Fürsten,
Bin zweiter Sohn ich und des Thrones Erbe,
Die Haine der Rhodopenberge dürsten
Nach meinem Lied, in dem ich steh und sterbe.
Wer Demeter zur Mutter hat, wird kennen
Kalliope, die den Adonis-Hader
Geschlichtet, und sie meine Mutter nennen,
Darf ich und spürs in jeder roten Ader.
Ihr Griffel steht für herbe Elegien,
Drum ward auch mein Gesang nicht der des Hahnes,
Ich spüre eine Macht zu Prophetien,
Was kommen wird und was sich neigt, ich ahn es.
Im Haine stieg Eurydike vom Baume,
Sie spürte, daß sie mein Gesang erfülle,
Ich kannte sie aus meinem frühsten Traume,
Sie ließ für mich des Hages Laubicht-Hülle.
In dieses Glück bracht Hermes unverzüglich,
Mich in den Krieg um Kolchis fortzutragen,
Der Anspruch und der Feldherr schienen trüglich,
Doch fronte ich und wagte keine Klagen.
Die Jahre rannen, doch mein Herzblut wachte
Auf Leierklang, der spricht mein Wiederkehren,
Als es geschah, der ganze Hofstaat brachte
Dem Paare Gruß und allerhöchste Ehren.
Doch als nun Frieden lockte mit Gedeihen,
Den König hoffen ließ auf seinen Enkel,
Kam Aristaios, die Moral von Haien
Im Sack und suchte Kurzweil und Geplänkel.
 

 

207
 
Eurydike, zu schwach, um sich zu wehren
Sah Heil im Fliehn, der Tritt nach dem Reptile
Gab der Moira Grund, das Garn zu scheren,
Doch war es eine Falle, daß sie fiele.
Denn daß der Schutz der Ehrbarkeit sich mische
Mit solcher Fahr spricht wider alle Sitte,
Noch eben saß sie heiter an dem Tische,
Kabalenhaft die Flucht aus unsrer Mitte.
Drum bitt ich das Gebieterpaar der Schatten
Des Freispruchs für die Oread zu walten,
Eurydike zu einen mit dem Gatten,
Den Königsstamm der Thraker zu erhalten.

HADES:
Das Schicksal rührt mich sehr, obgleich die Würde
Des Totengottes niemand neid um Kunde
Von Härte, Leid, Verzweiflung, Furcht und Bürde,
Hier klagt das Sieche laut wie das Gesunde.
Als Frevler klag ich an den geilen Gecken,
Und Nemesis wird die Beschmutzung sühnen,
Auch jenen, die solch dreiste Schlingen strecken,
Droh einst das gleiche Los im tückisch Grünen.
Allein Geschehnes ungeschehn zu machen,
Hab ich kein Recht, denn sieh, würd ich gestatten
Eurydike in deinem Arm zu lachen,
So trägt die Erd gar viel betrogne Gatten.
Und kämen alle her, um zu verlangen,
Daß ich das Unrecht beßre und entschulde,
Ich müßte für die Treppenstufen bangen,
Und niemand weiß, wie lang ich dies erdulde.
Auch könnten dann die Toten, was vergessen
Zurück sich holn, denn alle Weltgeschichte
 

 

208
 
Bewahren, und ich weiß dies wohl, Zypressen
In ihres Holzes ungeheurer Dichte.
Nicht nur, daß praktisch keiner es bewältigt,
Rückwirkend allem Unheil zu entgehen,
Denn wie sich zwar der Frevel vervielfältigt,
Auf seinem Grund auch neue Rechte stehen.
So bringt der Eingriff in die Weltgesetze
Nur Wirrnis und macht so das Recht nicht besser,
Ein Gott zu sein, bedeutet: nicht verletze,
Denn tiefer schneidet deiner Willkür Messer.
Ich weiß, daß diese allgemeinen Fragen
Den Bittenden nicht trösten, ihm nicht nützen.
Doch glaube mir, wir alle müssen tragen
Und was wir tragen vor uns selber schützen.

ORPHEUS: Ich danke für den Blick in eure Seele,
Mir war nicht klar, was ich euch zugemutet,
Doch ihr erlaubt, daß ich euch nicht verhehle,
Wie sehr es mir in meinem Herzen blutet.
Wenn ihr gestattet, mög dem hohen Paare
Die Sangeskunst nicht vorenthalten werden,
Seit ich mit Liedern durch die Wälder fahre,
Verlangen dies die Hirten wie die Herden.
(Hades nickt, Orpheus singt):
Ein Baum steht tausend Jahr im Frohgemuten,
Er widersteht den Vögeln, Pilzen, Käfern,
Zu bluten
Bringt rasch den Geist zu Schläfern.
Eurydike war so von höchsten Gnaden
Und lachte grün mit jedem Frühlingstriebe,
Zum Schaden
Warn Opfer ihr und Liebe.
 

 

209
 
Wenn das Verhängnis ist die Menschenbürde,
So hab ich sie mit meinem Lied erschlagen,
Sie würde
Noch lange Blüten tragen.
Ich habe ihr die Liebeslust versprochen,
Und sie verfiel mir, meinen Wunsch erhörend,
Gebrochen
Hab ich den Eid schon schwörend.
Drum denk ich, ist mit dieser Schand erläutert,
Das Mensch als großes Unrecht unterm Himmel,
Er meutert
Wie Zunder oder Schimmel.
So will ich nun als Schatten gehn und büßen
Den kleinsten Teil von meinem großen Frevel,
Vom Süßen
Mich kehrn zu Pech und Schwefel.
Und dringt von mir die Kunde je nach oben,
So laute die, man tilg die Gottesgaben,
Das Loben
Soll man ganz tief vergraben.
Der Reim von dieser traurigen Geschichte
Sagt, daß die Kunst uns einzig führt zum Tode.
Vernichte
Die Elegie, die Ode!

HADES: Unsagbar schön, ich möchte gehn und weinen.
Warum ist alle Traurigkeit so traulich?
Warum will uns der Schmerz das schönste scheinen?
Sag Herz, wie zeigt sich diese Einsicht fraulich!

PERSEPHONE:
Der Widerspruch dem Apfel macht die Kerne,
 

 

210
 
Er schneidet sich durch jeglichen Gedanken,
Wir meinen, daß die Treu ihn halt uns ferne,
Doch nichts macht frei vor den geheimen Schranken.
Im Haupte stehn als Feinde Recht und Treue,
Das Herz will, daß die Lyra nicht verklänge,
Und wenn ich auch das Gift der Lüge scheue,
Es scheint, als ob es mir die Wahrheit sänge.
Zu stolz war Aristaios, um zu haschen
Die Fliehende: Gelegenheit gibts weitre!
Nur Orpheus sah das Antlitz falb veraschen,
Und wer die Schlinge legte, daß sie scheitre,
War wohl kein Mensch, es wissen nur die Götter
Vom Paare abgesehn von diesem Tode,
Wie wir entscheiden, hört gewiß kein Spötter
Drum fürchte nicht die Revisionslust-Mode.
Im Einzelfalle das Gesetz zu brechen,
Erscheint mir milder als das Musenende,
Man hüte sich, unmöglich auszusprechen,
Wenn man sich selber bindet seine Hände.

HADES: Dem Manne ists beschieden, daß er liebe,
Die List des Weibs schafft ihm ein dumpfes Grauen,
Doch ist es eigentümlich seinem Triebe,
Auf dieses Graun sein stolzes Haus zu bauen.
Ich will mich der Natur nicht widersetzen,
Auch wenn ich weiß, ich werd es bitter büßen,
Drum werd ich heute das Gesetz verletzen
Im Rausch am Holden und am Bittersüßen.
Eurydike sei frei, mit Hermes trabe
Sie nach der Sonne hinter deinem Schritte,
Doch höre, was ich dich zu warnen habe,
Denn ich gewähre keine weitre Bitte:
 

 

211
 
Sieh nie dich um, wenn du die vielen Stufen
Hinaufgehst, eh die Amsel mailich flötet,
Wagst dus, die Unsichtbare anzurufen,
So hast du sie für immer dir getötet.
Ich schließe die Verhandlung und ich gehe.
Ich will nicht hören, was da sonst verbrochen.
Der Tag mit seiner Nacht davor verwehe!
Nun gehet hin! Der König hat gesprochen.
(Alle ab.)


Sechste Szene.
Orpheus, im Abstand Eurydike und Hermes mit Fackel.

ORPHEUS:
Der Fährmann sprach kein Wort und auch die Blenden
Sind wie erloschen in der aschnen Fahle.
Mag denn der Weg nach oben niemals enden!
Wie leert man eine randgefüllte Schale?
So düster ist, mich frösteln, das Umarmen
Ersehn ich so und muß doch laufen, laufen.
Ob ich einst ankomm, heiter, froh im Warmen?
Vielleicht will man mich auch für dumm verkaufen?
Wenn ich doch schauen dürft die holde Leichte!
Wies Eichhorn klettert auf dem Kiefernaste,
Ich meinen Hain, der frühlingsfroh, erreichte!
Doch Blei im Blut heißt immerfort mir: Raste!
Ganz ohne Mut kann niemands Werk gelingen,
Und sei es nur der Lauf von einer Meile.
Ich darf ihr nicht von meiner Freude singen,
Dies diente ganz gewißlich nicht dem Heile.
Wärn wenigstens vernehmbar ihre Tritte,
 

 

212
 
Ich bin geschaffen nicht für tote Ohren.
Ich bin allein, dies sagen meine Schritte,
Unglücklich und wohl besser nie geboren!
(schweigt und lauscht):
Wenn ich mir just Gewißheit hier verschaffte,
Würds in der Fahle Argos nicht bemerken,
Die Lähmung ich nicht länger noch verkrafte,
Ein Fünkchen Lug tut wohl den guten Werken.
Dort an der Windung muß ich halb mich drehen,
Ein bißchen mehr, das tut sich von alleine,
Ich werde nur die Haare flattern sehen,
Dann wird mir wohl hinauf zum Sonnenscheine.
Es ist verboten, spricht in mir der Meister,
Doch weiß die Not, ich breche bald zusammen.
Der wunde Knöchel wird mir immer feister!
Mir wird die Haut knapp zwischen all den Schrammen!
Kann Not sich steigern, wo doch unerträglich
Sie gab der Tag im Falle und Verflattern?
Doch wem das Leid unsingbar und unsäglich,
Der folge nicht dem Rächerbiß der Nattern!
Ob das Gebot mich hindern soll zu wissen,
Daß seine Gnad nur eine leere Geste?
Daß jene, die die Schlange hat gebissen
Ein Schatten bleibt, indes der Leib verweste?
Halt ich mich ans Gebot, weil ich vermute,
Ein leerer Raum würd mich zu Tode stürzen?
Wärs dann nicht klug, wenn es mich jetzt geruhte,
Mein Leiden bis zum Ende abzukürzen?
Ich schwanke hin und her nicht nur im Geiste.
Vielleicht ein bißchen weiter an der Ecke?
Ein Glück ists stets, wenn offenbar das meiste!
Dann flieg ich oder bleibe auf der Strecke.
 

 

213
 
Der Mensch denkt immer an die Konsequenzen,
Doch macht ihm dies nichts leichter zu entscheiden,
Er weiß die Seite nicht, da seine Grenzen,
Drum wählt er oft das ungewisse Leiden.
Ob es geringer, wenn er alles wüßte?
Die Götter sah ich nicht als leichte Herzen,
Den Sterblichen zersprengte es die Brüste,
Wär tiefre Einsicht in den losen Scherzen.
Nur Hermes, der durch jedes Reich sich windet,
Scheint mir so kalt, daß ich ihn hab zum Feinde,
Doch wer die Seelen bloß im Auftrag schindet,
Wird mild beurteilt in der Leid-Gemeinde.
Daß ihn der König auf den Hals mir hetzte,
War recht infam, doch war die Widerrede
Mir nicht gestattet, und das so Gesetzte
Beendet mir das Licht mit aller Fehde.
Ach käm es doch, wär da ein Spalt im Schiefer!
Zu blinzeln ist das schönste aller Spiele,
Es scheint mir fast, als käm ich immer tiefer,
Und eingebildet wären alle Ziele.
(Pause.)
Ich bin erschöpft, ich muß mich irgend stärken.
Wie Tantalos ein Gran entfernt vom Heile,
Kann mich gewiß selbst Hermes nicht bemerken,
Wenn ich erhasch von Bild nur eine Zeile.
Daß ich ihn trüg, muß keineswegs beschämen,
Er trog mich oft und ist der Gott der Diebe,
Darf uns ein Blick, ein winzig kleiner, grämen,
Der uns verheißt die Göttlichkeit der Liebe?
Darf man die Liebe zum Gedulden zwingen?
Und war nicht mein Gedulden einst im Kriege
Allein der Weg, das Unheil herzubringen,
 

 

214
 
Die Zeit, das Aristaios mich besiege?
Ich will mich kehrn mit einem raschen Rucke,
Wenn ich dem Tropfstein auszuweichen habe,
Und wenn ich Mut und Lebenskräfte schlucke,
So flieg ich wie ein Adler aus dem Grabe.
(Pause.)
Noch zweifel ich, noch bin ich unentschieden.
Als ob genug an Rat mich nicht zerriebe!
Ins offne Feuer stürzen die Sphingiden,
Was ihnen Licht, dem Sänger ists die Liebe.
Und ich bemerk, ich wandere im Kreise . . .
Ja sicher, diese umgestürzte Urne!
Und hier! ich sah schon einmal diese Schneise
Und diesen Grat, auf dem schwindelnd turne.
Ja zweifelsfrei, ich bin im Labyrinthe
Dem eignen Weiser auf den Leim gegangen.
Nun sage mir: Setzt wieder wer die Finte?
Es könnte sein, ich habe mich verfangen.
Der Eibenreiser brennt, als sei am Ziele
Ich fast und doch sind nirgends Tau und Winde.
Die Hydra wohl umkreis ich, doch dem Kiele
Fehlt Kraft zu bannen eine letzte Binde.
In diese Tiefe kam ich selbst von draußen,
Unmagisch, nur vertrauend dem Verstande,
Säß mir im Nacken nicht das kalte Grausen,
Ich wär schon längst in meinem Heimatlande.
O Götter, gebt ein bißchen Mut dem Gatten,
Ein Härchen bloß, ein Fädchen von dem Kleide!
Würf diese Trübnis einen Mondesschatten,
Er reichte, mich zu lösen von dem Leide.
Ich muß sie sehn, und das Gebot erloschen
Muß sein, wo ich den Hain schon dunkel rieche,
 

 

215
 
Man hat die Seele lang genug gedroschen,
Nun festigt mir das Kreuz, daß ich nicht krieche.
(Er sieht sich um.)

HERMES (faßt Eurydike hart an):
Ich wußt es gleich, jedoch die Weiberknechte
Wahrhaben nicht, daß Dumme bloß zu Dümmern.
Die Leier! Des Erfinders eigne Rechte
Den Dilettanten meistens wenig kümmern.
Doch fahre hin! Du wirst dich selber richten!
Nun labre nicht aufs neue von Verschwörern!
Ich mach es kurz, ich habe größre Pflichten.
Du bist jetzt wieder ganz bei deinen Hörern.
(Lacht und geht mit Eurydike ab.)

ORPHEUS (stürzt Hermes nach, eine Wand stürzt
krachend dazwischen, an die er ohnmächtig schlägt)
:
Verfluchter Hund, du Dieb und Überlister,
Du Fallensteller auf geweihten Wegen,
Im Götterstaat fürs Ärgste der Minister,
Sind Stymphaliden Störche mir dagegen.
Noch einer wird nach mir zum Hades kommen,
Dann ists an dir zu betteln und zu zittern,
Wenn Groll erfaßt die Dulder und die Frommen,
Darbst du allein im Donnern und Gewittern.
(Die Kräfte verlassen ihn und er schluchzt immer leiser.
Die Grotte öffnet sich langsam und ein Sonnenstrahl fällt
auf ein frisch gehäuftes Grab mit vielen Blumen.)

 

 

216
 


DRITTER AUFZUG
Brunnen vor dem Palast des Königs. Reger Schöpfbetrieb. Die Leute kommen und gehen. Nahebei ein Zypressenwäldchen.

Erste Szene.
Orpheus, Oiagros.

OIAGROS:
Mein Sohn, dein Gram wird Ärger unserm Reiche,
Du weißt, mein erster ward im Zorn erschlagen,
Ich mahne dich: Nun stell die rechte Weiche,
Daß unser Haus sei froh in manchen Tagen.
Die Gattin hat den Erben nicht geboren,
Drum wird es Zeit sich wieder zu vermählen,
Die Frauen haben Augen, nicht nur Ohren,
Drum sollst mir von den Reizen nichts erzählen.
Ein alter Mann, der weiblos, ohne Kinder,
Taugt nicht nur nicht zum König, ganz erbärmlich
Verhöhnt er das Geschlecht und seine Lenden,
Das Haus nennt einzig ein Olympier ärmlich,
Drum laß uns rasch das böse Schicksal wenden.

ORPHEUS: Sie wartet mein im Hades, also sollte
Das Licht auf diesem Leibe rasch versiechen,
Wenn je ein Gott das Glück des Hauses wollte,
Müßt ich nicht wie ein Hund zum Brunnen kriechen.

OIAGROS: Die Götter sind nicht faßlich mit dem Maße
Des Menschen, der sich stellt in andre Ringe,
Mal leuchten sie auf deine frische Straße,
 

 

217
 
Dann wieder spürst du nur die dunkle Schwinge.
Was sie uns wollen, such nicht auszumachen,
Es bleibe dir verborgen, ward entschieden,
Doch steht am Ende allen Grams das Lachen,
Und dem Gemetzel folgt der goldne Frieden.
Dir stehts nicht an, der Besserung zu harren
Als Tatenloser, der sich selbst betrachtet,
An Unverdientes glauben bloß die Narren,
Drum sag dem Volke: Schaut, was ihr vollbrachtet!
Vom Prinzen wird verlangt, daß er sich binde,
Die Totentreu ist eine blöde Grille,
Die Trauerzeit ist um, daß man sich schinde,
War niemals Götter- oder Schicksalswille.

ORPHEUS: Vor Hades sagt ich aus und stand gerade,
Der Baum hat tausend Jahre um zu blühen,
Ich freite eine junge Oreade
Und brachte sie zum Tod, zum schmählich frühen.
Das mindeste, was ich ihr dafür schulde,
Ist unvermählt zu bleiben, bis ich sterbe,
Drum hoffe nicht, daß ich Verändrung dulde,
Halt anderorten Schau, daß dir ein Erbe.

OIAGROS: Ich wollt es allzu deutlich nicht bekennen,
Doch deinen Starrsinn endlich aufzuweichen,
Will ich dir jetzt den wahren Grund benennen,
Daß ich nicht zähle zu den Kinderreichen.
Als du geboren, kam ein böses Fieber,
Ein Schnitt nur hat die Kreißende gerettet,
Du wurdst ihr letzter, also hör, mein Lieber,
Ich ward an meine Söhne so gekettet.
Der eine starb, der andre will nicht zeugen,
 

 

218
 
Soll ich die Mutter also drum verlassen?
Ists besser, einer Zweitfrau sich zu beugen,
Weil alt und jung so gut zusammenpassen?
Plädierst du für die dritte Variante,
Das Haus stirbt aus, es wird sich einer finden,
Vielleicht gibts gar auf Inseln noch Verwandte,
Die sich das Palmblatt auf die Stirne binden?
Es hängt an dir, da gibt es kein Verrücken,
Enttäusch die Baumfrau, richt das Haus zugrunde,
Du kannst dich um Entscheidung nicht mehr drücken,
Das ist im Volk schon längst in aller Munde.

ORPHEUS: Ich kann die Götter nicht um Rat befragen,
Ich habe sie verflucht und ihren Boten
Besonders und so bleibt mir nur zu klagen
Und mich zu sehnen nach dem Abendroten.

OIAGROS: Die gleiche Leier stets, du gehst im Kreise,
Treppauf, treppab, und immer die Oktave,
Dasselbe Lied und stets auf gleiche Weise,
Ich hörs sogar schon mitternachts im Schlafe.
(Ab.)


Zweite Szene.
Orpheus, Ampelos.

AMPELOS (mit einem Krug Wein):
Da sitzt du einsam, wettertrüb und neblig,
So stumpf, daß dir die Züge fast entglitten.
Doch welch ein Glück! Du wartest nicht vergeblich,
Grad kommt ein guter Freund dahergeschritten.
 

 

219
 
ORPHEUS: Ein guter Freund? Ich bin mir völlig sicher,
Noch niemals hab ich den Geselln gesehen.
Enttäuschen muß ich dich, doch fürchterlicher
Wärs, blieb dein Irrtum unerhellt bestehen.

AMPELOS: Ich bin der Freund von allen die verlassen,
Wer mich nicht kennt, der wird mich bald schon kennen,
Du sitzt so ohne Hoffnung auf Terrassen,
Doch bald soll deine Leuchte wieder brennen.

ORPHEUS: Wie ist zu tun, daß ich befreit und heiter?
Fast lockt mich der Versuch zu diesem Truge.

AMPELOS:
Zuerst ein guter Schluck, dann sehn wir weiter.
Ich habe guten Vorrat hier im Kruge.

ORPHEUS:
Was ist da? Schaut nach Blut und riecht doch fruchtig,
Die Hekate braut solche dunklen Tränke.

AMPELOS:
Ja, dieser Krug ist herrlich prall und wuchtig,
Ich bin dein Freund, denn ich bin dir der Schenke.
Es ist kein böser Geist, der dich verlocke,
Nur ein Einschleirer, der dich gibt dir selber.
Es ist der Wein. Von einem Rebenstocke,
Ganz dunkel der, doch mancher ist auch gelber.
Mein Gott hat diese Stöcke uns gegeben,
Und ihn zu ehren, wolln wir Weinlaub tragen,
Glaub mir er geht ans Böse, nicht ans Leben,
Drum sollst nicht lang nach einem Schlucke fragen.
 

 

220
 
ORPHEUS: Ich hab, ganz offen, finstere Erfahrung
Mit Bringern von Kultur aus fernen Landen,
Drum bleib ich lieber bei der Sitten Wahrung,
Sonst geht auch noch der Rest von mir zuschanden.

AMPELOS: Von Aristaios, denk ich, willst du sagen,
Der war so eitel wie ich freund den Armen,
Die Unverschämtheit soll dich nicht mehr plagen,
Für Hades schickt sich einzig das Erbarmen.

ORPHEUS: So ist er tot? Wie ist er denn gestorben?

AMPELOS: Ganz heimlich sprang er wohl in eine Spalte
Für das Gerücht, Zeus hab ihn abgeworben,
Bevor er im Gesicht die erste Falte.
So gehts dem Eitlen, dem allein der Leute
Geschwätz ist die Substanz, die ihn beseligt.
Denk das Gelächter dieser wilden Meute,
Wüßt sie, daß sie ihn nun zu Tod befehligt.

ORPHEUS: Gelächter ist ein Gnadenstoß dem Härmer,
Ich will den Trunk aus deinem Krug nicht meiden,
Es macht den Armen ganz gewiß nicht ärmer,
Mit dem Gebräu von seinem Feind zu scheiden.
(trinkt während es mählich dämmert)
Ein bißchen faulig, etwas wie verdorben,
Doch seltsam wie ein unbekanntes Reifen,
Nun hast du den Genossen angeworben,
Nun will ich den Geschmack auch ganz begreifen.
(trinkt erneut)
Mir werden taub der Gaumen und die Zunge,
Doch wächst der Durst und tuts bei jedem Schlucke.
 

 

221
 
AMPELOS:
Nimm diesen nicht im allzukühnen Schwunge,
Sonst schläfst du ein und dies mit einem Rucke.

ORPHEUS:
Man muß wohl lernen, diesen zu gebrauchen,
Das ist ja wie das Spiel auf meiner Leier.

AMPELOS (trinkt Orpheus zu):
Ja, in der Tat, dasselbe Untertauchen,
Die tiefe Lust und unbedingte Feier.
Es wäre schön, wenn du von deinem Schatze
Den Mund mir nicht nur wäßrig machtest. Spiele!
Dies macht gewiß aus der Satyrenfratze,
Daß sie nicht länger unverständig schiele.

ORPHEUS (trinkt):
Ich will es dem Gefährten nicht verweigern,
Mein Teil zur guten Stimmung beizutragen,
So wie im Wein sich alle Sinne steigern,
Will ich den Hymnus auf ihn selber wagen.
(singt bis die Nacht hereinbricht)
Es wohnt ein Gott im dunkeln Saft der Rebe,
Er weiß Adepten köstlich zu begeistern,
Erlebe
Das Frohe nun im Dreistern.
Die Zunge schwillt, um dann sich ganz zu lösen,
Dem Leib gefällts, von innen sich zu tunken,
Die Bösen
Sind steif und niemals trunken.
Er mischt in uns die Wachheit mit Vergessen
So hold, daß wir uns ganz der Freude schenken,
 

 

222
 
Sag, wessen
Soll ich in Trauer denken?
Wer frei ward, muß nicht mehr die Knie beugen,
Er ist ein Gott, bewahrt von aller Schwere,
Wir zeugen
Das Traumreich in die Leere.
Wir rüsten uns und reihen uns im Tanze,
Wo die Musik wird Helferin dem Weine.
Im Glanze
Persephone erscheine!


Dritte Szene.
Orpheus, Ampelos, Mänaden mit Fackeln.

ERSTE MÄNADE:
Wer lehnt gelassen an dem Königsborne?
Wie Bakchos scheint er selig und betrunken.
Wir schaun den Knaben einmal an von vorne,
Oft wills die Furcht, daß einer so versunken.

ZWEITE: Ein hübscher Kerl, unkundig wohl der Maße,
Er ließ sich bei dem Trunke mächtig gehen,
So einen findst du nicht in jeder Straße,
Doch leider kann er seinen Mann nicht stehen.

DRITTE:
Dies käm auf den Versuch an, meine Schwestern,
Der Weingott liebt die Räusche vielgestaltig,
Ich fand so einen Zecher grade gestern,
Der übergab sich und war dann gewaltig.
 

 

223
 
VIERTE: Was warten wir? Nichts wie ihm auf die Pelle,
Er wird uns schon nicht allzu arg bekleckern,
Nur wer das Glück erfaßt und zwar das schnelle,
Hat hinterher auch keinen Grund zu meckern.

ERSTE: Ich hab zuerst erspäht das Abenteuer,
Drum bin ich auch beim Streicheln hier die erste,
Wir werden sehn, ob sich erhebt das Feuer,
Daß allzurasch die feste Kruste berste.
(tätschelt Orpheus das Haupthaar.)

DRITTE: Mit solcher Sanftheit ist da nichts zu machen!
Drück ihm die Brüste fest in seine Nüstern!
Soll einer aus dem Vollrausch dir erwachen,
So nutzt es nicht, ins Ohr ihm was zu flüstern.

AMPELOS:
Ihr Schönen, mein Kumpan ist wenig päßlich,
Drum mögt ihr an den Frischeren euch halten.

ZWEITE MÄNADE:
Wir brauchen keinen Bock, der derb und häßlich,
Wir wollen uns erwärmen, nicht erkalten.

FÜNFTE: Was für ein seltnes Paar ist da am Saufen,
Ein geifernder Verlebter und ein Junger,
Es scheint, als wollte wer den andern kaufen,
Doch weil der durstig, blieb ihm selbst der Hunger.
(Alle lachen und schmiegen sich an Orpheus.)

ERSTE: Der muß doch etwas merken, alle Männer
Sind da empfindlich, wenn sie keine toten.
 

 

224
 
ZWEITE: Ich glaube, diesen vollgesoffnen Penner,
Weckts nicht mal auf, die Knochen ihm zu schroten.

DRITTE: Dann ist es Pech, man komme eben früher,
Eh dieser Schelm so dreist den Schenken spielte.

VIERTE: Ein neuer Tag, und wiederkehrt der Blüher,
Der Pfeil trifft manchmal später als man zielte.

AMPELOS: Den Wein nicht pönt, er ist gewißlich heilig.
Sein Reich ist nicht das eure, meine Schnepfen.

ERSTE MÄNADE:
Man trinke gut, doch trinke man nicht eilig,
Es sei denn, es gefällt an euern Näpfen.

FÜNFTE: Der dreiste Kerl, er sollte hier verschwinden,
Man rufe wider dies Geschmeiß die Wache.

AMPELOS: Dies ist gewiß nicht nötig zu befinden,
Weil grußlos auf den Heimweg ich mich mache. (Ab.)

DRITTE MÄNADE:
Der Vollmond steigt, viel Brunft ruft in den Straßen,
Drum laßt uns keine weitre Zeit verschwenden,
Der Wein macht scharf, doch nur in rechten Maßen,
Sonst herrscht die Blase einsam in den Lenden.
Das Fazit bleibt die schlaffgesoffne Rute
Am Hübschling, zu verwechseln einer Leiche,
Allein bei Hengsten wiehert eine Stute
Und sie verlangts nach keinem andern Reiche.
(Alle Mänaden ab. Vollmond über den Zypressen.)
 

 

225
 
Vierte Szene.
Orpheus, Eurydike, Zypressen.

ZYPRESSE: Erwache Orpheus, unserem Versprechen
Entsprachen wir und grüßen aus dem Schatten,
Eurydike wird gleich ihr Schweigen brechen,
Du siehst sie leicht auf unsern Rasenmatten.

ORPHEUS (mit schattenhaften Bewegungen):
Zypressen ihr, geschwisterlich den Eiben,
Ich danke euch wie einst für alles Gute,
Eurydike gedenkt ihr zu verleiben,
Wie wird mir angst und bang dabei zumute.

EURYDIKE:
Der Vollmond läßt dich klar und deutlich sehen,
Ich komm und treff dich heil an diesem Borne,
Ich lausche und mich hindert am Verstehen
Kein Eber und kein Höllenhund im Zorne.

ORPHEUS: Seit Wochen mag ich tausend Dinge sagen,
Doch jetzt ist mir der Mund fast wie versiegelt,
Ja, eins will ich zuallererst dich fragen:
Ist dein Gefängnis dauerhaft entriegelt?

EURYDIKE: Was ist denn Dauer? Bin ich im Momente,
So werd ich sonst auch folgen deinem Rufe,
Die Dauer ist ein Wort für Elemente,
Nicht Wünschen, die zu sterblichem Behufe.

ORPHEUS:
Du sprichst so kalt. Einst warst du voller Feuer,
 

 

226
 
Gesogen voll mit Sonnenlicht im Hage.
Ist dein Verweilen jetzt nicht ungeheuer?
Sag an: wie überstehst du deine Tage?

EURYDIKE: Für Eiben, die der Wind begabt zu singen,
Ists Dämmerlicht dem oben nicht so ferne
Wie dir, der breiten will die Adlerschwingen
Und greifen will, am liebsten auch die Sterne.

ORPHEUS: Ja, fehlt dir nicht der Sonne hartes Brennen,
Das Hörnchen, das umherwirft mit den Zapfen,
Die Pilze, welche Eiben trefflich kennen,
Die Wandrer, die durchs dürre Dickicht stapfen?
Willst du nicht, daß dich anspricht eine Stimme,
Die weiß, du bist so scheu und so verhalten?
Ja, fehlt dir nicht Gesumm von mancher Imme,
Die sucht ein Astloch, um im Stamm zu walten?

EURYDIKE: Ich misse nichts und suche keine Sorge,
Mein Wesen wird vom Wohnort nicht betroffen,
Es macht mich froh, daß ich nichts Fremdes borge,
Um mich in diesem dürftig zu verstoffen.

ORPHEUS: Eurydike, du sprichst wie ein Orakel,
Das im Verdacht, daß es dem Pilger spotte,
Hast du vergessen, welches Mordsspektakel
Dich trieb in diese jammervolle Grotte.

EURYDIKE: Ich tat nie anders und es hat gefallen
Dir, als ich stand verzweigt und rindenästig,
Ich kann zurückgehn in die Dämmerhallen,
Wenn dir die einst Geliebte heute lästig.
 

 

227
 
ORPHEUS: Eurydike, ich liebe deine Weise
Dich auszudrücken und die Welt zu spiegeln,
Doch kalt wardst du auf deiner langen Reise,
Ich fürchte fast, du kannst dich nicht entigeln.
(Er faßt sie an der Hand, worauf sie erbleicht und entschwindet.)

ZYPRESSE:
O weh, du darfst die Kehrende nicht fassen,
Du bannst sie mit dem blutig harten Griffe,
Wir dürfen dich nicht also tölpeln lassen,
Sonst sinken wir mit ihr im selben Schiffe.

ORPHEUS:
Von Nicht-Berühren ward mir nichts gesprochen,
Ich hätt es auch aus reiner Scheu vermieden,
Doch ist sie so verändert und zerbrochen,
Da war zu prüfen, ob die Pulse sieden.
Dort brauch ich keinen Arzt bei dieser Kälte,
Das Trugbild kann mein wundes Herz nicht heilen,
Sie hat gesorgt, daß ich Gespenst nicht schelte
Dies Bild in ihrem raschesten Enteilen.

ZYPRESSE:
Was suchst du Sänger, der uns pönt wie keiner,
Sie war dir fromm und lieblich und gewogen,
Die Kälte ihrer Hand stammt doch aus deiner,
Du kriegst die Karte, die du selbst gezogen.

ORPHEUS: Ich hab genug von dämmernden Zypressen,
Ihr seid doch nur die Ausgeburt des Weines,
Es scheint mir wirklich besser zu vergessen,
Ich pfeife auf die Perfektion des Scheines.
(Dicke Wolken verdunkeln den Mond.)
 

 

228
 
Fünfte Szene.
Orpheus, Kalliope am neuen Tag.

KALLIOPE:
Mein Sohn, ich seh dich endlich wohlbehalten,
Du schliefst die letzte Nacht nicht im Palaste,
Mir schwanten da die ärgsten Schreckgestalten,
Weil hart der Vater seine Rede faßte.

ORPHEUS: O sag dem Vater bitte, daß entschieden
Ich hab und zwar gehorsam seinem Sinne,
Er wähle eine Frau für mich in Frieden,
Daß ich das Werk des Stammerhalts beginne.

KALLIOPE:
Du kennst mich nur als Mutter. Doch die Musen
Sind nicht so bienenhafte Dienerinnen,
Wie Dichter sagen, die von ihrem Busen
Behaupten, daß da Milch und Honig rinnen.
Die Frauen hält man selten für Tyrannen,
Dies wohl, weil sie nicht laut und schneidend sprechen,
Doch strenger sie die Ordnung sich ersannen,
Der Langmut und Saumseligkeit Verbrechen.
Als Muse bin ich keine von den Täubchen,
Das so ein Recke wickelt um den Finger,
Ich wußte stets: ich bin im All kein Stäubchen,
Und brauche keinen Maß- und Formenbringer.
Ich sag dies, um des Vaters Müh zu zeigen,
Er warb um mich mit Winkeln und Gelenken,
Die selten nennt einer junger Mann sein eigen,
Und hielt nicht ein, sich neue auszudenken.
Er hob sich weit aus dem, was seine Väter
 

 

229
 
Je wagten, um die Schönste zu gewinnen,
Er trieb den Tag und suchte nie ein Später
Und kämpfte wie ein Leu mit allen Sinnen.
Vielleicht ist dieser Kampfgeist dir entgangen,
Weil nach dem Siege üblich ist der Frieden,
Doch seh ich seine Stirn und seine Wangen,
Verzaubert mich der Mut des Ikariden.
Zusammenfassend geb ich zu bedenken,
Dein Vater ist ein Mann, für den die Liebe
Der höchste Gott, dem Minderes zu schenken,
Der ärgste Frevel aller Zeiten bliebe.
Darum hast du ihn gründlich mißverstanden,
Zu meinen, daß er pferche dich als Bullen,
Dir kam die Lieb als Lebenskraft abhanden,
Drum pön ich deine eingespielten Schrullen.

ORPHEUS:
Ich bin verzweifelt, Mutter, ich verschmachte!
Man gab mir Wein, den ich zuvor nicht kannte,
Der erst mich rettungslos betrunken machte
Und dann den Traum in reinster Klarheit sandte.
Eurydike, mein Herz, kam von Zypressen
Geleitet aus dem düsteren Verliese,
Sie hat so sehr ihr Innerstes vergessen,
Als ob Hephaist mir seine Asche bliese.
Nun seh ich klar, es gibt kein Wiederholen,
Der Tod kann mich der Liebsten nicht vereinen,
Unwiderruflich ist mein Herz bestohlen,
Und darum kann ich nicht einmal mehr weinen.

KALLIOPE: Der Tod ist nie das Mittel um dem Tode
Zu fechten, denn dies frommt allein dem Leben,
 

 

230
 
Von Treu und Trauer nährt sich der Rhapsode,
Doch alle die er lauschen läßt und schweben,
Sie könnens nur, weil völlig nicht erloschen
Die Flamme, die begierig nach dem Glanze,
Wird aber längst Gedroschnes neu gedroschen,
Verfalbt die Melodei zum Totentanze.
Zwar ist dein Herz verwundet, doch im Haine
Webts fort und wandelts, atmet jede Pore,
Nach innen treibt der Löscher dich im Weine,
Nach draußen findst ein offnes Tor im Ohre.
Eurydike, du durftest sie erkennen,
Weil du so frei warst und so ungebunden,
Läßt du die Flamme unvermindert brennen,
Hat dich der Pfeil des Eros rasch gefunden.

ORPHEUS:
Doch ein Geheimnis heg ich, das der Liebe,
Der neuen, immerfort entgegenstünde,
Wie furchtbar, wenn es gut versiegelt bliebe,
Wie furchtbar, wenn die Heimlichkeit entschwünde:
Ich war im Hades, sah die Herrscher thronen,
Ich kenne ihre harten Argumente,
Ich brachte sie dahin, mich zu belohnen,
Mir wurde eins das allgemein Getrennte,
Und nun das Fazit dieses Überhebens,
Es lautet, daß die Treue die Chimäre,
Ich weiß nun, daß es das Gesetz des Lebens,
Zu tun, als ob die Treue wirklich wäre.

KALLIOPE:
Du kamst zum Thron und hast nicht draufgesessen,
Dies ist ein großer Unterschied, mein Lieber,
 

 

231
 
Was offenbart im Angesichte dessen,
Ist wenig mehr als Untertanen-Fieber.
Einst wird wer kommen, sterben, auferstehen,
Doch nicht begnadigt von den alten Herren,
Er wird als Sturm durch die Zypressen wehen
Und Hades von den Marmorstufen zerren.
Er wird die Nekropolengrotte sprengen,
Und jene, die ihm treu und ihrem Worte,
Sie treten, ohne Haar und Haut zu sengen,
Im Lobgesange durch die Himmelspforte.
Und wenn man glaubt, daß diesem dies gelänge,
Ist Treue möglich, immer und schon heute,
Ist zweien klar, daß sie der Tod nicht fänge,
So hat der Tod verloren Recht und Beute.

ORPHEUS:
Schwer dies zu glauben, schwerer noch zu finden
Die Frau, die solches heiter mit mir trüge,
Erschreckt mit Größe ein gebotnes Ringen,
So greift der Mensch doch gerne nach der Lüge.
Gleichwohl, ich wills bedenken und besinnen
Und lauschen, obs erklingt in meinen Liedern,
So mag auch die Geschichte neu beginnen
Und mich und den, der kommen wird, befiedern.

KALLIOPE:
Versuch es, denn der Glaube ist die Gnade,
Der denen wird, die reine Herzen regen,
Sei dir für alles Mindere zu schade,
Und glaube an den unumschränkten Segen.
(Sie geht langsam ab. Orpheus legt sich flach und starrt
in den wolkenlosen Himmel.)
 

 

232
 
Sechste Szene.
Orpheus, Mänaden

ERSTE MÄNADE:
Sieh einer an! Und heute Sternengucker?

ZWEITE: Ich glaube ehr, es ist ein schwerer Kater.

DRITTE: Doch Augen hat er wie ein Feuerspucker!

VIERTE: Er sinnt vielleicht darüber, wer sein Vater.

ERSTE: Vielleicht ist das Gehör mit Harz verkrustet.

ZWEITE: Er träumt von Weine in Gigantenkrügen.

DRITTE: Der hat gewiß noch gestern Blut gehustet.

VIERTE: So langsam muß die Ruhe doch genügen!

FÜNFTE (mit einem Krug Wein):
Ich mein, ein bißchen wird gewiß nicht schaden,
Den Träumer von den Träumen aufzuwecken!

ERSTE: Flöß dus ihm ein, ich halt derweil die Waden,
Daß er nicht tobt, wenn wir ihn so erschrecken.
(Sie machen sich an ihm zu schaffen.)

ORPHEUS:
Was geht hier vor? Was habe ich zu schaffen
Mit euch, die ihr mich stört in meinem Sinnen?
Ich mags nicht, wenn mich Fremde so begaffen,
Was wollt ihr mit dem Gürtel denn beginnen?
 

 

233
 
ZWEITE MÄNADE:
Vielleicht dich hängen? Dorten an der Schöpfe?
Ists üblich nicht, daß man auf offnem Markte
Die Opferlämmer striegelte und köpfte
Und dann das Blut in Blumenbeete harkte?

ORPHEUS:
Ein Opferlamm? Vergeht euch nicht am Prinzen!
Der König wird die Stadt euch niederbrennen,
Verwechselt nicht den Schierling mit den Minzen,
Ihr solltet wahrlich eure Herrschaft kennen.

DRITTE MÄNADE:
Was heißt hier Herrschaft? Diese Impotenten?
Das Königshaus stirbt aus, ganz ohne Frage.
Der Demos dann beschließt uns Brot und Renten
Und führt auch wider freche Buben Klage.

ORPHEUS: Die Weiber hier in Aufruhr! Ja, beim Hades,
Ich sage euch, ihr werdet es bereuen,
Zählt ihr erst die Umdrehungen des Rades,
Derweil sich Köter auf die Knochen freuen.

VIERTE MÄNADE:
Nun machs mal halblang! etwas Spaß verstehen,
Muß selbst der Bub, der ganz vom Hof verdorben,
Verboten ist es nicht, zum Spiel zu gehen,
Die Menschheit wär auch sonst schon ausgestorben.

ORPHEUS: Ihr mögt zum Weine gehen und zu Spielen,
Allein mich selbst laßt ihr gefälligst ziehen,
Sucht einen euch von jenen viel zu vielen,
Die euch die Gosse zum Genuß gespieen.
 

 

234
 
FÜNFTE MÄNADE:
Er schmäht den Wein und ebenso die Frauen!
Dies heißt die Götter leugnen und verachten!

ERSTE: Dem guten Wein wir auch alleine trauen,
Und jeden Mann wir noch zur Mannheit brachten!

ORPHEUS:
Ihr scheint mir toll! Man wir euch bald bemerken
Und richten euer Treiben mit dem Schwerte!

ZWEITE MÄNADE:
Ein Knebel dient seit je den guten Werken!
Er sorgt recht gut, daß keiner uns bemerke!

ORPHEUS: So habt doch Einsehn. Eine schwere Sünde
Ist schon allein, der Unzucht so frönen,
Doch wenn Gewalt dabei als Mittel stünde,
Kann nur der Henker euch dem Staat versöhnen.
(Er entrinnt kurz der Umklammerung und bekommt einen
Stein zu fassen. Sie stehen alle um ihn herum.)

Nun wehe euch! Kann euch der Staat nicht schrecken,
So tuts der Stein. Wer sucht, mich anzufassen,
Der soll das Blut in seinem Munde schmecken,
Die Waffe wird das Ziel nicht leicht verpassen.

DRITTE MÄNADE:
Er rast! Wie geil, ich steh auf solche Stiere,
Gib her den Wein, eh Blut fließt, muß er rinnen!

VIERTE:
Nicht unverschämt nach unserm Tropfen giere,
 

 

235
 
Laß auch genug für alle andern drinnen!
Wir müssen ihn in eine Gasse schleifen,
Hier zu dem Brunnen gehn zu viele Leute.
Was nutzt der Stein? Wenn wir zusammen greifen,
So kriegen wir ihn allesamt noch heute.

FÜNFTE: Eh wir das Luststück mit Gewalt zerstören,
Ich frag mich, ob ihm klar, was er verweigert,
Es bißchen Zicken soll dazugehören,
Weil dies die Lust durch das Verzögern steigert,
Doch sind dem Mann die prallen Brüste lästig,
Mag Hüfte und das Becken er nicht schauen,
Sorgt er dafür, daß sich die Meinung festig,
Er hege wider alle Weiber Grauen.

ORPHEUS: Ich liebe eine Frau und zwar die meine,
Eurydike, die schönste aller Eiben,
Daneben und dahinter gibt es keine,
Zu der mich Gier und dumpfe Wollust treiben.

ERSTE MÄNADE:
Er sagt es selbst: Er steht auf Leichenteile,
Sein Herzblatt muß recht faulig sein und stinken,
Man schleife ihn, am besten mit dem Seile,
Und lehre ihn die wahre Liebe trinken.

ZWEITE:
Genug geschwätzt! Wir schnappen uns den Spinner,
Mehr als ein Seil tun meine spitzen Krallen,
Wir werden sehn, wer in dem Krieg Gewinner,
Sofort und ohne Säumen muß er fallen.
Wir schließen nun den Kreis ein bißchen enger,
 

 

236
 
Er wird gewiß den Stein bald fallen lassen,
Das Wild sieht endlich ein, bei diesem Fänger
Muß man den Willen und den Ausweg hassen.

ORPHEUS: Nur einen Schritt! Ich schlage zu, die erste
Verliert die Zähne und den halben Kiefer.
Wer Lust hat, daß ihm das Gebiß zerberste,
Der hole sich bei mir den dicken Schiefer.

DRITTE MÄNADE (tritt vor):
Ich hab die Lust, gesteh ich dir ganz offen,
Der Wein schafft Mut, noch mehr sein großer Bringer,
Er läßt uns auf die Rasereien hoffen,
Und gerne fall ich vor dem Niederringer.

ORPHEUS:
Umsonst! Gewalt kann diesem Wahn nicht wehren,
Furchtlose gleichen hellen Feuerbrünsten,
Wo alle Werte sich im Rausch verkehren,
Wird auch der Künstler Material den Künsten.
(Er wirft einer Mänade den Stein auf den Fuß und versucht an dieser Stelle den Ring zu durchbrechen und zu fliehen. Er stürzt und alle fallen über ihn her. Nach kurzer Zeit spritzt Blut, aber die Raserei will nicht enden. Als alle Beteiligten von Blut triefen, fällt der Vorhang.)