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NAUSIKAA
DIALOG





Nie vergeß ich jener Stunde,
Da der sturmverschlagne Mann
Dort am Strand im Pappelgrunde
Gleich mein ganzes Herz gewann,
Da ich zu des Vaters Schwelle
Froh den hohen Gast geführt,
Ahnungslos, daß mich der schnelle
Pfeil des Gottes schon berührt.


GEIBEL    

 

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PERSONEN
ODYSSEUS, König von Ithaka
NAUSIKAA, Königstochter
 

 

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NAUSIKAA (winkt Odysseus in eine Kammer):
Nun husch herein, es wird uns keiner stören,
Die Mutter sorgt, daß niemand komm und schaue
Du glaubtest wohl, sie selber zu betören,
Doch sorgte ich, daß sie dir so vertraue.

ODYSSEUS (unwillig folgend):
Der Königin sei jeder Weg zu willen,
Doch wär mir ein Gespräch am Morgen lieber,
Im Schlafe wollte ich die Schmerzen stillen,
Ich spüre ein recht ungesundes Fieber.

NAUSIKAA: Ich habe dir gewaschen, dich bekleidet,
Ich hab den Weg dir zum Palast geraten,
Wo sich der Hof an den Geschichten weidet –
Sind nun vergessen meine guten Taten?
Bist du inzwischen gram dem Morgengruße,
Der wohltat nach dem ausgestandnen Schrecken?
Ich wartete recht lang auf etwas Muße,
Vertrauliches dem Helden zu entdecken.

ODYSSEUS: Ich gebe zu, ich hab in all dem Staate
Der Retterin zu wenig Zeit bemessen
Doch daß dies morgen besser mir gerate,
Sei jetzt die Schlafensstunde nicht vergessen.

NAUSIKAA:
Ein bißchen Plaudern wird gewiß nicht schaden,
Ich möchte alles inniger ergründen,
 

 

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Gar leicht geschiehts, daß man verliert den Faden
In Skyllabissen und Charybdenschlünden.
Ich denk, der Held kann mich so vieles lehren,
Was Sänger trüben und in Nebel hüllen,
Drum mag ich den Gefundnen nicht entbehren,
Der nahte, mir die Leere auszufüllen.

ODYSSEUS:
Der Sänger mindert nicht die großen Dinge,
Im Gegenteil, wenn die sich am Belange
Ausrichten, zeigt sich deutlicher die Schlinge
Des Schicksals und die Wehr im eignen Drange.

NAUSIKAA: Die Augen raten mehr als viele Takte,
Im Blick des Helden liegt für mich der Schlüssel,
Am Quell mich eine große Ahndung packte,
Nicht abgestanden in der Wasserschüssel.

ODYSSEUS:
In Augen kann man sich auch leicht verlieren,
Sie sind gefährlich, um darin zu üben,
Sie leuchten nicht nur, das Gesicht zu zieren,
Sie können auch erschrecken oder trüben.

NAUSIKAA: Dein Aug verheißt die Höhe eines Greifen,
Der sorgsam späht das Große wie das Kleine,
Sie lassen mich durch einen Himmel schweifen,
Drins nebensächlich, ob die Sonne scheine.

ODYSSEUS:
Ich möchte die Gesichte nicht vertiefen
Und bin zu müd für solche Schwärmereien,
 

 

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Vernünftig wärs, wenn wir in Bälde schliefen,
Und uns dem Traum von solchen Dingen weihen.

NAUSIKAA:
Ach bitte mach mir nicht den Spielverderber,
Ich sah dich nackt am Ufer ganz im Schlamme,
Es scheint, zu jung das Mädchen ist dem Werber,
Ich häng nicht mehr am Zipfel meiner Amme.

ODYSSEUS:
Dann wirst du wohl die klare Red verstehen,
Ich suche im Palast kein Abenteuer,
Ich bin zu Gast, um Hilfe zu erflehen
Mit Ruderern und wohlerprobtem Steuer.
Die Nacht mit schwülen Träumen zu vertändeln,
Hab ich zu viele mit Gefahr gerungen,
Ich such nicht nach Verwicklungen und Händeln,
Und bin durchaus von Ungeduld durchdrungen.

NAUSIKAA:
Du sprichst von Abschied schon am ersten Tage?
Was hat dich hier im Lande so verdrossen?
Sag frei heraus, daß nicht der Zweifel nage,
Ists wahr, daß du die Reise schon beschlossen?

ODYSSEUS:
Ich mußte mich mit Ungeheuern schlagen
Nachdem ich doch dem Kriege grad entflohen,
Den Tod so vieler Kampfgefährten tragen
Und daß ich selbst entging dem wilden Drohen,
Dankt sich den Göttern, die dem Schwindelfreien,
Der handelt mit Verstand und gutem Mute,
 

 

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Die Kräfte und zuzeiten Einsicht leihen,
Wenn er sie nährt mit seinem eignen Blute.
Mein Schiff versank und alle, die die Rinder
Des Helios aufgezehrt in ihrem Hunger,
Ich wär seit Jahren gern der Heimatfinder.
Was solls, daß ich in fremden Häfen lunger?

NAUSIKAA: Sprich lieber mir von anderen Geschäften,
Du machst mich traurig nur mit dem Fahrwohle,
Du scheinst mir angefüllt mit Zauberkräften,
Drum wird mir jede Geste zum Symbole.

ODYSSEUS: Ich habe Kräfte Leibes und Verstandes
Doch keine, die verlassen diese Sphären.
Was treibt die schönste Blume dieses Landes
Die Strandung hier mit Wundern zu erklären?

NAUSIKAA: Vor meiner Mutter Antlitz im Palaste
Geraten, ohne daß ihn wer bemerke,
Dies war unmöglich bisher jedem Gaste,
Drum war ein Tarnhelm hier vielleicht am Werke.

ODYSSEUS:
Athene schirmt mein Tun und meine Wege,
Im Hain, da wir uns trennten nach dem Gruße,
Versprach sie, daß sie jede Schwelle fege,
Und Leichtigkeit vermache meinem Fuße.

NAUSIKAA: Poseidon wird verehrt auf diesem Riffe,
Drum wunderts, daß die fremdgebliebne Schwester
Sich allen Ernstes an dem Land vergriffe,
Es heißt, daß sie den Dreizack arg verläster.
 

 

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Sie steht im Kreis der Götter recht alleine,
Als eulenäugig liebt die wohl den Dämmer,
Zeus und Apollon findst in jedem Haine,
Doch ortsgebunden sind Athenes Lämmer,
Auch keine zweite Polis führt im Namen
Den Schirmer, dieses einzigartge Sitte,
Scheint so, als ob das Volk von diesem Samen
In Griechenland die Oberhand erstritte.
Auch ist ihr Werden allem sonst verschieden,
Zeus war ein Säugling, hilflos und er weinte,
Athene trat gerüstet in den Frieden,
Und seinen Bräuchen sie sich nie vereinte.
Sie kennt die Liebe nicht und keine Schwäche,
Ganz unbeirrbar bleibt sie auf dem Posten,
Ihr Netz wirft sie aus einer kleinen Fläche
Und wägt genau die Beute und die Kosten.
Mir scheint, sie hat Bezug zu der Verfassung
Des Demos, was nicht nur so eine Grille,
Denn das Gefolg von Gleichheit und Vermassung
Verschafft sich nur ein erzgefügter Wille.

ODYSSEUS:
Der König will die Männer morgen sammeln,
Ich denk, die Göttin wird die Stimmung weisen,
Denn sie verstehts, daß auch den blödsten Hammeln
Bewußt wird, daß es gilt den Gast zu preisen.

NAUSIKAA:
Hat dich den Ton, die Leute schlechtzumachen,
Athene auch gelehrt? Was kann sie schrecken?
Denn als Ergebnis aus dem Kopfzerkrachen
Besteht sie ganz aus Absicht und aus Zwecken.
 

 

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ODYSSEUS:
Sie kann recht milde tun und uns verheißen,
Uns würde Glück, wenn ihrem Rat wir frommen,
Ich zweifle nicht, ehr möcht ich Niemand heißen,
Sind weiß in jedes Herzgemach zu kommen.

NAUSIKAA: Ja wirklich? Und du willst gewißlich reisen,
Sofort und gleich und gar nichts anders denken?
Dem Wind am Meer, dem duftenden und leisen,
Soll ich allein Erinnerungen schenken?

ODYSSEUS:
Ich bin nicht frei, ich sehne mich, zu kehren
Nach Hause, wo die Frau mir hält die Treue.
Der König wird den lang Geprüften ehren –
Drum jede andre Herzensregung scheue!

NAUSIKAA:
Mir stand kein Sinn, die Wäsche auszubreiten,
Doch hat man dazu tückisch mich verleitet,
Wenn Götter so durch Menschenherzen schreiten,
Der Wille bald mit einem Wahne streitet.

ODYSSEUS:
Was Wäsche? Heute früh am offnen Strande?
Es war doch gut, daß du mir kamst der Wege,
Denn nackend geht man nicht in fremde Lande.
Wer will schon, daß den Unmut er errege?

NAUSIKAA:
Ganz recht, nur kam ich nicht aus einer Laune,
Ein Weib, drin ich Athene nun erkenne,
 

 

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Erzählte, daß ich nötig hätt die Daune,
Weil bald mich Lieb in Leidenschaft verbrenne.
Sie riet mir, mich dem Bräutigam zu schmücken,
Der würde mich erkennen und begehren,
Sie schuf mir ein empfindliches Entzücken,
Doch Falsch erkenn ich nun in diesen Lehren.
Die Wäsche von den Brüdern mitzunehmen,
Sei Tarnung, daß der Vater nichts entdecke,
Nun seh ich, daß mit diesen Täusche-Schemen
Verfolgte sie ganz eigen ihre Zwecke.
Die Männerkleidung heischte sie dem Helden,
Ich Närrin fiel herein auf die Kabale,
Ich war nur nötig, um dich anzumelden,
Nun aber sitzt du selber am Pokale.

ODYSSEUS:
Es schickt sich nicht, die Götter anzuklagen,
Sie fügen Ringe, die wir nicht begreifen,
Wenn sie nicht nützen oder sogar plagen,
Soll uns kein Unmut überm Herzen reifen.

NAUSIKAA:
Du bist von deiner Göttin kaum verschieden,
Erlaubt ist euch, mit Herzen Ball zu spielen.
Nun fahre fort und laß mein Herz in Frieden,
Denn Mittel bin ich ungern fremden Zielen.

ODYSSEUS:
Du grollst mir. Doch ich habe nichts versprochen,
Ich trieb als Spielball zwischen hohen Wellen.
Was hat der Schutzbedürftige verbrochen,
Wenn dir die Wünsche böse Fallen stellen?
 

 

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NAUSIKAA: Ich hätte ja viel früher merken müssen,
Daß du wie die Patronin nirgends ehrlich.
Nun führt mich dein Bericht zu andern Schlüssen,
Wem so Poseidon grollt, der ist gefährlich.

ODYSSEUS: Die Götter spielen ihre eignen Weisen,
Wir können sie besänftigen und beten,
Doch bleiben immer unbemerkte Schneisen,
Darein sie uns als ein Verhängnis treten.
Was wir dem einen opfern, wird dem andern
Beleidigend vielleicht gar vorenthalten,
Drum eignet so viel Irren allem Wandern,
Und so viel Schmerz dem Wirken und dem Walten.

NAUSIKAA: Die Götter führst du allzugern im Munde,
Wenn was mißlingt, doch was Erfolg bescherte,
Dem legst die eigne Leistung du zugrunde,
Und wehe, wenn dich einer drob nicht ehrte.
Die Götter sollen deinen Teil vergotten,
Sonst sind sie eben neidisch und zerstritten,
Es taugt dir eher noch, sie zu verspotten,
Als dir ein Fünkchen Weisheit zu erbitten.

ODYSSEUS:
Die Unterscheidung mißlich und gedeihlich
Gab dir der Neid und deine bittre Galle,
Dem Deuter der Geschichte ist es heilig,
Daß dem Geflecht der Einzelsinn verfalle.

NAUSIKAA:
Du bists gewohnt, als Opfer dich zu schildern,
Und glaubst wohl selbst die wiederholten Lügen,
 

 

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Wenn du dich auch versteckst in dunklen Bildern,
Die Götter nicht die Freveltaten fügen.
Wer zwang dich, daß dem Seher der Trojaner
Gewalt du tatst, Verwundbarkeit zu raten,
Weiß du nicht, daß ein Heiligtum der Mahner
Und daß ein Fluch auf solchen Foltertaten?
Wer zwang dich, allen Widerstand zu brechen,
Daß offner Kampf dem schnöden Truge wiche?
Wer zwang, daß du zur Tugend machst die Schwächen
Und Greul begingst, die wahrlich fürchterliche?
Wer zwang, das Tier, das dem Poseidon heilig,
Für eine böse Kriegslist zu mißbrauchen?
Und flohst du die Kalypso wenig eilig,
Weils an der Zeit, mal etwas abzutauchen?
Warum sind die Gefährten alle Toren
Und du so weise, daß es kaum zu glauben?
Habt ihr euch nicht erkannt und zugeschworen,
Wohin ihr kommt zu morden und zu rauben?
Was solln Geschichten uns von Menschenfressern?
Wer selbstgenügsam lebt und ohne Schiffe,
Dem seid ihr ohne jede Scham die Bessern,
Und närrisch ist, wer dies nicht gleich begriffe.
Wozu soll man in Schweine euch verwandeln,
Wos ihr doch ohnehin in euern Taten?
Mit Frauen muß man mit Gewalt verhandeln,
Dann ist ihr Tun wie eures recht geraten?
Wars gut, das halbe Totenreich zu knechten,
Um zu erfahrn, man schände nicht die Rinder?
Daß solcher Taten zählen zur den schlechten,
Das wissen ohne Seher hier die Kinder.
Ob wahr, ob Lug, die Summe der Geschichten
Dient einzig, zu vergötzen deine Größe,
 

 

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Dich leiden und dann Großes zu berichten,
Dies ist der Sinn all der befleckten Schöße.
In einem freilich hast du wahr gesprochen,
Als Niemand du dich nanntenst vor dem Hirten,
Du bist in tausend Larven reingekrochen,
Und läßt in weitern tausend dich bewirten,
Dies ändert nicht, daß du wie Hermes, dessen
Vieldeutigkeit du manche List dankst, keine
Ureigene Person hast je besessen,
Und menschlich gehst allein zum bösen Scheine.

ODYSSEUS: Die Frauen sind oft maßlos in der Liebe,
Zurückgewiesen bremst sie kein Gewissen.
Drum hole ruhig aus zum nächsten Hiebe,
Denn bald wirst du Gelegenheit vermissen.
Du sahst im Leben nichts als diese Insel
Als um Erweckung unerhörter Beter,
Bei Männern spricht man da vom Einfaltspinsel,
Bei Weibern ist es einfach nur Gezeter.