237
 


MUSENDÄMMERUNG
TRAGÖDIE





Und keiner hat die Wahl
im Suchen und im Finden –
und keiner kann die Qual,
die in ihm ist, ergründen.
Je mehr der Sehnsucht ist,
je dunkler drohn die Weiten.
Wir können nicht als schreiten
die Zeit, die uns das Leben mißt,
und warten und wie Jesus Christ
zum Tode uns bereiten ...


WEINHEBER   
 

 

238
 


PERSONEN
KYRILL, Bischof von Alexandria
OREST, Statthalter
HYPATHIA, Philosophin
AISON, SKOTOS, SYLVIA, Schüler
SCHOLASTIKOS, Kirchenhistoriker
PETROS, Vorleser
EDOM, JAKOB, Geschäftsleute
HAUPTMANN, SKLAVIN, WÄCHTER
BEWAFFNETE
 

 

239
 


PROLOG
OREST: Wer Vortragsrecht bekommt auf einer Bühne,
Nutzts gern als Plädoyer für seine Sache,
Wo sich die Unschuld spreizt als androgyne,
Bin ich ein Mann der Ordnung und der Wache.
Drum mag das Preisen zwar den Engeln frommen,
Ich aber hab zu prüfen und zu trennen,
Und darum will ich gleich zur Sache kommen,
Weil mir die Klagen untern Nägeln brennen.
Seit Octavian die Zeit der Bürgerkriege
Beendet, zog der Krieg ins Religiöse,
Nicht länger ist man eins, was fall und fliege,
Was wohlgetan zu gelten hat und böse.
Die alte Religion war angehalten,
Zu hüten uns vor Wirbelsturm und Dürre,
Und heute will sich faltergleich entfalten
Die Seele über Weihrauch, Gold und Myrrhe.
Mysterien boten den Adepten lange
Erlösungsbrot im Kleid des Privileges
Doch jeder Damm versagte sich dem Drange
Im Suchen der Natur des rechten Weges.
So wollten auch die Fischer, Hirten, Frauen
Die Himmelspforte schauen und betreten,
Der Galiläer soll die Brücke bauen,
Doch suchen sie ihn nicht nur in Gebeten.
Ich bin im Amt und die gesetzte Lehre
Ist mir die Richtschnur zwischen Tun und Leiden,
Wem aber Stumpfsinn, Stolz und Neid die Ehre,
Der schaut in allem Unverstandnen Heiden.
So wagt der Kleingeist, bar der Argumente,
 

 

240
 
Das Göttliche als Freibrief zu verzerren,
Er pönt sogar die Schau der Elemente
Und alle, die der Raserei sich sperren.
Wo Dinge, die Vernunft und Ruh verschlossen,
Entscheiden über Eigentum und Leben,
Ist die Kultur im tiefsten Grund zerschossen,
Und Schwindsucht sieht man Spinnennetze weben.
Recht undankbar ists, auf zersprengtem Grunde
Zur Sitte zu ermahnen die Parteien,
Denn katerts bei der einen grad zur Stunde,
Siehst du die andre sich dem Trunke weihen.
Da ists schon viel, daß man nicht selbst zerrieben,
Zu viel verlangt, daß alles Gut man schütze,
Denn sagt, wie sollte man ein Goldkorn sieben,
Wenn tausend Spatzen lärmen an der Pfütze.
 

 

241
 


ERSTER AUFZUG
Alexandria im Jahre 415. Im Palast des Statthalters. Ein Empfangszimmer mit bequemen Möbeln. Die Palastwache bringt zwei Gefesselte herein, ein Hauptmann spricht zu ihnen.

Erste Szene.
Ajax, Teukros, Hauptmann, Wachen, Sklavin.

HAUPTMANN:
Nehmt den Gefangnen Fesseln, dem Präfekten
Nicht wohl bei steifer Sprache ist und Striemen.
(zu den Gefangenen):
Wird unsichtbar, was Eisentürn bezweckten,
Wagt gleichwohl einzig Dinge, die sich ziemen.
(Eine Sklavin bringt einen Korb mit Obst und einen Krug Wein.)
Und hier erlabt euch, daß ihr nicht geschunden
Und müde ausseht und euch so verhaltet,
Wohl möglich ists, ihr gehet ungebunden,
Weil unser Herr mit großer Weisheit waltet.

AJAX: Ich fürchte, diese Müh ist ohne Fruchten,
Führ besser die Geschlagnen er zum Henker,
Wer sich verfing im Netz der Häuserfluchten,
Der wird durch Sanftmut nicht zum großen Denker.

HAUPTMANN: Ich führe nur Befehle aus und rate,
Was billig mir erscheint und meiner Ruhe,
Doch säum ich nicht, ist es gewollt vom Staate,
Daß ich persönlich die Enthauptung tue.
 

 

242
 
TEUKROS:
Nun beiß nicht in die Hand, die frische Früchte
Kredenzt, der Hunger würgt uns alle beide,
Und ehs geschieht, daß uns der Atem flüchte,
Gibts wenig Not zu unverlangtem Leide.

HAUPTMANN:
Lauscht einzig auf den Willen des Präfekten
Und nach den Wegen, die euch frei zum Nutzen,
Und zweifelt nicht, bei Trickserein, versteckten,
Hat er die Macht, die Flügel euch zu stutzen.

AJAX: So seis! Wir wollen lauschen, sehn und nicken,
Auch wenns von Pluto kaum zu unterscheiden.
Höchst seltner Wunsch, nach unserm Rat zu schicken,
Denn aus der Mode sind doch längst die Heiden.
(Die Gefangenen rekeln ihre Gelenke und beginnen dann zu essen, der Hauptmann und die Wachen gehen ab.)


Zweite Szene.
Orest, Ajax, Teukros.

OREST: Da sind sie ja, gewaschen und gestriegelt!
Die beiden Helden mit den großen Namen,
Ich sagte gleich, der Turm gehört entriegelt,
Als diese Klänge mir zu Ohren kamen.

AJAX: An seinem Namen ist wohl keiner schuldig,
Gleichwohl mich freut der Sinn für die Geschichten,
Doch eurer Wünsche harrn wir ungeduldig,
Ihr wollt gewiß von Troja nicht berichten.
 

 

243
 
OREST: Von Troja sagt mir eine Episode:
Wißt Ajax ihr, wie starb der Namensvetter?
Und ist er euch ein Vorbild mit dem Tode?
Eur' Bruder wär zwar nicht der Leichenbetter.

AJAX: Ich wüßte nicht, daß ich den Widder schlachte
So wie der Telamonier tat im Schlafe,
Tierquälerei ich allerhöchst verachte,
Und niemals noch mißhandelte ich Schafe.

OREST: Doch gleichwohl jagt ihr ohne ein Besinnen
In Raserei die Lämmer und die Kinder,
Muß man nicht Trunksucht als Verdacht gewinnen,
Erlebt man so der Unschuld dreiste Schinder?

AJAX: Von Unschuld sprecht ihr wider beßres Wissen,
Der Galiläer ward von Rom gerichtet,
Weil seine Lehre schelmisch und gerissen
Die Wurzeln von Kultur und Macht vernichtet.

OREST: Höchst ungenau gebt ihr die Sache wider,
Der Prokurator war von Pharisäern
Getäuscht und war für derlei Sach zu bieder,
Drum frommte er den Bellern und den Krähern.
Doch nicht als Mystagog will ich bewähren
Mich hier, es geht nicht um Augustus Zeiten,
Viel Aufruhr seh ich in der Großstadt gären,
Die Ordnung von Kultur und Macht bestreiten.
Wer Opfer, Täter, ist nicht mehr zu trennen,
Wenn Schlächterei ist überall im Gange,
Drum will ich euch den Weg zur Rettung nennen:
Zerbrecht mit mir die mörderische Zange.
 

 

244
 
AJAX: Wir haben nicht den Krieg vom Zaun gebrochen,
Die Christen sinds, die keinen Glauben dulden,
Der nicht der ihre, darum sei zerstochen
Die ganze Brut, die niemals zu entschulden.

OREST: Fanatisch seid ihr, guter Freund, nicht minder
Als jene, die ich gleichfalls streng verhöre,
Welch einem Glauben frönt der Ordnungsschinder
Ist mir egal, es zählt, daß er zerstöre.
Glaubt ihr, daß Jove euch beschirm und lohne
Die Schrecken, die euch aufzuzähln ich lasse,
Ists Hermes, der nach euerm Tod dem Sohne
Das Studium zahlt aus seiner eignen Kasse?

AJAX: Ja, tut der Galiläer uns dergleichen?
Stützt er die Wahrheit und verbietet Lügen?

OREST: Versucht nicht, meiner Frage auszuweichen,
Ich werd mich keinen Gegenfragen fügen.
Ich frage euch, ob Jupiters Gesinde
Verantwortet, was eurem Stolze schmeichelt,
Und was dabei verstreut in alle Winde
Zusammenträgt und voller Güte streichelt?
Die Torheit eurer lächerlichen Schlachten
Schafft Zulauf allerorts den Radikalen,
Die Narren, die nur bis zur Ecke dachten,
Mit Wucherzins zurück die Beute zahlen.

AJAX: Ich weiß nicht, was die alten Götter wollen,
Vielleicht sind sie uns ganz davongezogen,
Sie haben großen Grund, mit uns zu grollen,
Als Adler wär ich auch davongeflogen.
 

 

245
 
OREST: Drum wär es besser, ließet aus dem Spiele
Ihr Wolken, den Olymp und alle Himmel,
Denn das Gespräch verfehlt gewiß die Ziele,
Trübts Weihrauch oder bronzenes Gebimmel.
Ihr wißt, daß Konstantin den neuen Glauben
Dem Staat befahl, drum bin ich angewiesen,
Nicht Bacchus anzurufen bei den Trauben,
Dem Bischof sein Gemüt nicht zu vermiesen.
Das heißt nicht, daß ich dabei hab vergessen,
Nicht Romulus und auch nicht Alexander
Ist Theodosius, doch wir alle essen
Sein Brot und sollten froh sein miteinander.

TEUKROS:
So sagt uns, was ihr wollt, ganz unumwunden,
Denn was im Allgemeinen sehr verschieden,
Hat oft sich im Besonderen verbunden.
Was gilts für uns und was für die Christiden?

OREST: Zur Mäßigung ruft auf die Glaubensbrüder,
Man gieße nicht noch weitres Öl ins Feuer,
Denn jedes abgeschlagne Haupt der Hyder
Beschert uns ein komplettes Ungeheuer.

AJAX: Ihr kommt uns sprachlich wunderbar entgegen,
Doch kann ich das Gewünschte nicht versprechen,
Die Greul des Feindes schrein auf allen Wegen,
Ihr müßtest mir die Augen erst zerstechen.
Wirft jemand filigrane Kunstgeschöpfe,
Für die ein Hauer Aug und Lung zerstörte,
Aus blanker Dummheit in die Abfalltöpfe,
Kann ich nicht tun, als ob sich das gehörte.
 

 

246
 
Erst recht nicht kann ich andere verpflichten,
Da wegzuschaun, um Frieden zu erbitten,
Wenn Rom nicht wagt, den Frevlermut zu richten,
Wird bis zum Tode unversöhnt gestritten.

OREST: Ist dies eur letztes Wort in dieser Stube?
Ihr schlagt die Hand, die das Vertrauen reichte.
Auch Teukros ihr entschlossen seid zur Grube?
Ich bot euch die Vergebung ohne Beichte.

TEUKROS:
Ihr gingt nicht ein auf meines Bruders Klage,
Unwidersprochen nistet sie im Raume,
Daß Aug und Ohr ich bar der Nutzung trage,
Das glaubt ihr ernstlich doch nicht mal im Traume.

OREST:
Der Hauptmann hat gehört, was hier gesprochen,
So komm er her und führ euch fort zum Turme,
Doch die Verhandlung ward nur unterbrochen,
Nicht jedes Ziel erringt die Kraft im Sturme.
(Der Hauptmann erscheint, und die Wachen führen die Gefangenen schweigend ab.)


Dritte Szene.
Orest, Jakob, Hauptmann.

HAUPTMANN: Es gibt erneut Gelegenheit zu stöhnen,
Ein vornehmer Patrizier an der Pforte,
Fern liegt es mir, an Pein euch zu gewöhnen,
Er heischt nach einem sehr vertrautem Worte.
 

 

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OREST: Geschäfte, Händler kann ich wenig brauchen,
Doch mag es sein, er kann mir was vermitteln,
Zwar fühl ich mich, als könnt ich nicht mehr krauchen,
Doch will ich nicht an seinem Stande kritteln.
Er trete ein, ihr prüfet ihn nach Waffen,
Sodann mag sich verziehn die ganze Wache,
Vermag er mir Erleichterung zu schaffen,
Hat sich gewiß gelohnt die ganze Sache.
(Der Hauptmann ab, Jakob tritt ein.)

JAKOB: Gelassenheit auf einem dürren Zunder!
Die große Stadt wär einem Atlas Bürde,
Das Volk hält Pharos für das größte Wunder
Mir aber wird er blaß vor eurer Würde.
In Rom hab ich an Partnern, Bürgen, Kunden
Gar viele und erfahr, was dort geschrieben,
Einmütig heißts, wird dieses Land gesunden,
So rief Orest den Göttertag hernieden.
Doch auch am Hofe Ostroms ist man einig,
Ein Herkules den Augiasstall entmistet,
Man seufzt, daß er sich jede Stunde peinig,
Grad wie ein Aar, der in der Wüste nistet.

OREST: Wir sind jetzt Christen und es ist nicht Sitte,
Die Götzen als Posaunen zu verwenden,
Recht freundlich wärs, wenn man zur Sache schritte,
Die Hudelei recht zügig zu beenden.

JAKOB: Die Dichterbilder sollen die Gefühle
Des Davids in der Herrscherreih nicht schrecken,
Die Judas-Söhne kennt er im Gewühle,
Denn er entlieh von Paulus sich den Stecken.
 

 

248
 
OREST: Ich fürchte fast, ihr seid der Judas selber,
Zumindest Kaiphas zum Verwechseln ähnlich,
Mir wird die Galle mählich immer gelber,
Und auch die Stirn wird ziemlich unansehnlich.

JAKOB: Verzeiht, ihr seid gewißlich kein Athener,
Schon Romulus war abhold den Poeten,
Ein Fünfer wird durch kein Geschrei zum Zehner,
Und im Effekt gehts doch um die Moneten.

OREST: Für Steuern bin ich nicht der Staatsbeamte,
Ein Kaufmann wird mit solchem Zeug nicht scherzen,
Drum weiß ich nicht, woher der Ansatz stammte,
Es ging in diesem Hause um Sesterzen.

JAKOB: Nun, Steuern kann nur zahlen, wer Gewinne
Erwirtschaftet, und dazu brauchts den Frieden,
Ihn zu gestalten, ganz im Römersinne,
Ist, wenn ichs recht verstand, eurm Amt beschieden.

OREST: Dies paßt exakt. Was will zum Friedenszwecke
Weitschweifig der Besucher mir vertrauen?
Ich hasse nicht den Wolf, jedoch die Zecke,
Drum solltet ihr auf eure Zähne bauen.

JAKOB: Ihr seid und ebenso auch eure Wachen
Recht ortsbekannt, und dies erschwert zu reimen,
Was Extremisten sich für Bilder machen,
Und was sie vorbereiten im Geheimen.
In meinem Dienst stehn viele junge Leute
Aus Zypern, Kreta und vom Jordanflusse,
Sie einzuschleusen in die freche Meute,
 

 

249
 
Ihr spottetet dem Argus im Genusse
Der eingefangnen Winke, Weiser, Worte,
Euch wären alle Finten blanke Gläser,
Eh wer zur falschen Zeit am falschen Orte,
Rief die Legionen schon der Angriffsbläser.

OREST: Ihr schlagt mir vor, Spione einzuschleusen
In die Partein mit Hang zum Radikalen.
Die Frage ist, wann heb ich meine Reusen,
Mach ich den Zeitpunkt fest an Opferzahlen?
Ihr glaubt doch nicht, daß man erfährt von Plänen
Bevor man selber nicht bei Schurkereien.
Was fiel dann Staats, was Missetäters Zähnen?
Wer darf, was er befördert hat, noch zeihen?
Eur Vorschlag höhlt den Staat und alle Tugend,
Drum rat ich, rasch den Ausgang zu erreichen,
Macht euch davon, Verderbergeist der Jugend,
Sonst werden handfest meine Unmutszeichen.
(Jakob ab.)


Vierte Szene.
Orest, Hauptmann.

OREST:
Ich bin erschöpft und seh mich nicht gewachsen
Im Kreise der Gemeinen und Verstockten,
Grad wie ein Läufer, Blut in Schritt und Hachsen,
Derweil schon hungrig rings die Geier hockten.
Ich brauche Rat und Beistand im Verstande,
Denn nicht mehr fern erscheinen Katastrophen.
Wo ist die Weisheit offenbar im Lande?
 

 

250
 
Seit alters rief man nach dem Philosophen.
Eh Theophil die Bibliothek geschlossen,
Die dem Museion gab Aeonenwissen,
Hab Theon ich als Knabe oft genossen,
Und dabei mir die Nägel abgebissen.
Er gab heraus Euklid, die Elemente,
Des Ptolemäus Almagest erklärte
Elfbändig er, was er verwob und trennte,
Mich manchen Tag und manche Nacht beschwerte.
Jedoch er starb wie vieles hier am Hafen,
Einst schien mir diese Stadt die Weltenmitte,
Nun will ich ehr in einer Grotte schlafen,
Als daß mein Geist in dieser Wildnis stritte.
Ich tat, was billig schien, und hab vergessen
So viel dabei, was ich jetzt brauchen sollte,
Wie sprach doch Ajax leis und unvermessen:
Mag sein, daß sich der letzte Himmel trollte.
(Er starrt eine Weile vor sich hin. Eine Sturmböe hebt den Eingangsvorhang mit Gewalt und läßt ihn wieder fallen.)
Und doch es ist Bewegung in der Stunde,
Der Geist kennt kein Verweilen, keine Starre,
Drum bin ich allen Geistes bar im Grunde,
Wenn ich der Dinge, die da kommen, harre.
(Er läutet nach dem Hauptmann.)
Bring er mir Pergament, ich hab zu schicken
Der Hauptstadt, die von Konstantin den Namen,
Sokrates den Scholastikus zu blicken,
Trag ich Begehr, drum solltet ihr nicht lahmen.
Er ist ein Mann der Kirche, doch bewandert
In unsrer Tradition wie kaum ein zweiter,
Eh hier mein Zweifel länger noch mäandert,
Helf mir der Durchblick dieses Mannes weiter.
 

 

251
 
HAUPTMANN:
Verzeiht, ich hört, er weilt in unsern Mauern,
Grad gestern war er im Museion Hörer,
Drum soll es euch nicht Tag und Woche dauern,
Daß er euch heilt von dem Verdruß der Störer.

OREST: Die frohe Botschaft steht oft an der Pforte,
Wenn unsereins zumut ist wie im Grabe,
Drum eil er, und duchsuch im ganzen Orte
Die Häuser, daß ich Rat und Hilfe habe.
(Der Hauptmann ab. Pause.)
Ich trinke Wein grad wie zu einem Feste,
Die Hoffnung ist der Königsweg zu lassen
Die Schrammen auf dem Weg, der voller Äste,
Und sich zu heilen und sich neu zu fassen.
Vielleicht kann dieser Mann mir wenig geben,
Vielleicht ists nur ein Aufschub zu verzagen.
Doch ist ein Aufschub nicht das ganze Leben,
Das wir verliern, was immer wir da wagen?
Der Wein ist gut und stark, ich muß mich hüten,
Daß ich im Trunk die Fassung nicht vertrinke,
Denn kommt das Aug zu nah dem Rot der Blüten,
Weicht die Gestalt dem törichtsten Geblinke.
(Pause.)
Die Zeit wird mit dem Warten immer länger,
Wie dem Verliebten, der sich zu gedulden
Nicht weiß und dem die Brust wird immer enger,
Und dabei liegt ein Weg vor mir mit Mulden.
Er ist ein Mann der Bücher und der Schriften.
Obs seine Kunst, mit Störrigen zu sprechen?
Vielleicht bringt er ein neues Faß von Giften,
Daß meine Nerven ganz zusammenbrechen?
 

 

252
 
Nur Zweifel, Zweifel – wird da nie ein Ende?
Wie eine Witwe schau ich aus dem Fenster,
Wenn ich zurück zum Born des Lebens fände!
Ich aber schaue immer nur Gespenster.


Fünfte Szene.
Orest, Scholastikos.

OREST:
Willkommen Mann der Weisheit und Bewahrung,
Ihr schreibt uns die Geschichte unsrer Tage.
Doch glaubt mir, denn ich spreche aus Erfahrung,
Dem Mittendrin sind sie die reinste Plage.

SCHOLASTIKOS:
Die Wege Gottes sind nicht zu durchschauen,
Vielleicht ist endlich nah das Weltenende,
Ich hoffe sehr, euch trügt nicht das Vertrauen,
Daß ich den Schlüssel zur Versöhnung fände.

OREST: Mit großer Klugheit habt ihr gleich erraten,
Wonach mir Sinn, als ich euch hab gerufen,
Ihr seid ein Mann der Worte, nicht der Taten,
Doch erstes schafft zu letzterem die Stufen.

SCHOLASTIKOS:
Die Worte – aber was sie uns bedeuten,
Da streiten die Gelehrten und die Väter,
Die hüten solln, sie allesamt verstreuten,
Und niemand glaubt, die Einsicht käme später.
 

 

253
 
OREST: Mir scheint, ihr seid verzagter als der Krieger,
Der außer seinem Geist noch traut der Waffe,
Einst hörte ich, ihr wärt ein Himmelsflieger,
Der einem Sperling selbst die Einsicht schaffe.

SCHOLASTIKOS:
Origines, geborn in Alexanders
Berühmter Stadt, hat Platon und die Bibel
Gelehrt und dann am Ende des Gewanders,
Martyrium heiß an seinem Haus der Giebel.
Weil der Versuch, im Denken Gottes Größe
Sich anzunähern, nistet nah am Wahne,
So fiel sein Same in verschiedne Schöße,
War feil schon in Nikäa jeder Fahne.
Als Letztversuch, in Einheit zu begreifen
Das Griechentum und des Erlösers Leiden,
Versteh ich ihn, bis Thesen sich versteifen,
Die niemals überbrücken, sondern scheiden.
Im allgemeinen Streit, ward zum Chronisten
Mein kleines Los und sucht nicht zu gestalten,
Denn täuscht euch nicht, die Heiden wie die Christen
Sind einst so fern wie heute uns die Alten.

OREST: So laßt ihr ohne Rat den müden Ringer,
Zwei Heidenkrieger habe ich im Turme,
Sie legen in die Wunden ihre Finger,
Und im Verhöre gleiche ich dem Wurme.
Sie pönen, daß die Kunst so reicher Zeiten
Der Pöbel uns in Christi Nam zerstöre,
Es ist nicht not, das Thema auszubreiten,
Denn fraglos, daß der Wahrheit es gehöre.
Doch ihr Reflex, die Frevler zu bestrafen,
 

 

254
 
Schafft böses Blut und neue Bilderstürme,
Grad so wie eine Seuche tobt bei Schafen,
Am Ende gibt es nicht genügend Türme.
Ich dachte mir, wär Mäßigung zu finden
Den einen, würden auch die andern milder,
Nur dieser Weg vermags zu unterbinden,
Daß man die Säulen stürzt und alle Bilder.

SCHOLASTIKOS:
Eur Wunsch erscheint mir nobel, aber leider
Bin ich der rechte nicht, dies zu bestellen,
Einfühlungskraft dem Mechanismus beider
Partein müßt sich dem Überblick gesellen.
Ihr kanntet Theon doch, den großen Denker,
Die Tochter führt sein Werk in bester Reife,
Sie hat den Schneid, der jedem Ordnungskränker
Entpuppte sich als Wasserfaß und Seife.

OREST:
Unmöglich scheint, daß nach der Männer Zagen,
Die Frauenanmut schlüg die Feindesschiffe,
Mir ists beim Rat, den ihr mir angetragen,
Als ob ich nach Verzweiflungsankern griffe.

SCHOLASTIKOS:
Sie sprach vor Feldherrn, Fürsten und Verwaltern
Und im Museion herrscht sie unbestritten,
Sie eint die Weisheit heut aus allen Altern,
Und wenn ihr wollt, so werde ich sie bitten.

OREST:
Nun gut, ich will das Kunststück nicht verhindern,
 

 

255
 
Doch ohne mich, ich gehe jetzt zu Bette,
Vermag sie es, die Angriffslust zu mindern
Den Herren, ist mir gleich die Etikette.
Ich geb Befehl, daß alles werd bereitet,
Ihr sagt der Frau, sie trage Mut im Nacken,
Und auch, es gilt, wenn sie zur Sitzung schreitet,
Den Stier gleich bei den Hörnern anzupacken.


Sechste Szene.
Ajax, Teukros, Hypathia.

AJAX: Nun, dritte Runde, man versuchts mit Frauen!
Was für ein Aufwand für uns sture Biester!
Doch käm sie auch mit Augen, nordisch blauen,
Ich liebte dennoch keinen Christenpriester.

HYPATHIA (tritt auf):
Ein guter Tag, ich künde euch vom Geiste,
Der allem gibt Gestalt und Form und Flügel,
Ich denke neu ist euch vom Stoff das meiste,
Doch mit Geduld erklimmt sich mancher Hügel.

AJAX: Vom Christengeist braucht ihr nicht zu erzählen,
Wir sind nicht blind und schauen seine Taten,
Man kann gar nicht zu scharfe Waffen wählen,
Wenn eine Lehre ist so arg mißraten.

HYPATHIA: Der Gott der Philosophen ist kein Wesen,
Das offenbart wird oder angerufen,
Du kannst ihn nicht erfahren noch erlesen,
Allein im Denken steigst du seine Stufen.
 

 

256
 
Drum ist es völlig gleich, zu welchem Glauben
Erziehung sich und eigne Wahl verdichtet,
Ihr mögt nach Adlern spähen oder Tauben,
Der Geist nach gänzlich anderm Maß gewichtet.

TEUKROS: Was ist das für ein Geist, der euerm Meinen
Nach, völlig anderes als die Geister alle?
Mir will die große Absolutheit scheinen,
Als berge sie den Hinterhalt der Falle.

HYPATHIA: Nun, allen Dingen eignet das Verweilen,
Ob sie bewegt, ist Zutat und entbehrlich,
Jedoch der Geist muß unaufhörlich eilen,
Und bremst er sich, so wird er selber spärlich.
Ein Denken, das nicht denkt, ist nicht vorhanden,
Und jede Antwort ruft nach einer Frage.
Ich frage, habt ihr dies mir zugestanden,
Eh ich euch mit dem Folgeschlusse plage.

AJAX: Dies mag so sein, doch ist mir nicht begreiflich,
Wohin die Setzung des Begriffes ziele,
Ich rate, überlegt euchs gut und reiflich,
Und foppt uns nicht mit einem Kinderspiele.

HYPATHIA: Wenn hinter jedem Grunde einer lauert,
Der wiederum sich einem Grunde schuldet,
Lohnt nicht zu zähln, weil dies ja ewig dauert,
Doch daß dies alles grundlos, wird geduldet
Vom Geiste nicht, der selbst aus lauter Gründen
Den allerersten muß in sich entdecken,
Und darum muß die Schau der Gründe münden
Im Einen, das sich zeigt in allen Zwecken.
 

 

257
 
TEUKROS: Das Eine nennt ihr Gott in eurer Sprache
Und Ursach allem, was sich rings entfaltet,
Ihr meint den Samen, der erweckt das Brache,
Und sich in jeder neuen Form gestaltet.

HYPATHIA:
Ganz recht, doch seht, wenn dieser Geist Bewegen,
Entfernt er sich so wie der Pfeil vom Bogen,
Dies kommt als Grund, als erster, ungelegen,
Denn aller Folge wird der Grund entzogen.

TEUKROS: Ganz recht, ein Same kann nur einen Acker
Und nicht ein ganzes Dutzend überkeimen.
Wie also ist der Grund des Grunds der Packer
Des ersten, drauf sich alle weitern reimen?

HYPATHIA:
Ich bleib beim Pfeil, denn naht er sich dem Wilde,
Ists Grund, daß einem Pfeif der Bogen lache,
Dies ist nur möglich, bleiben wir im Bilde,
Wenn Wild und Bogen sind dieselbe Sache.
Es muß ein erster Grund im steten Wandel
Im Dreischritt uns gedacht sein und begründet,
Weil aller Geist, von dem die Rede handelt,
Ins Gegenteil, das mit ihm eines, mündet.

AJAX: Ihr sagt uns, Gott ist drei und eins, die Christen
Im Disputieren solches auch versichern,
Dies klingt mir nach des Hermes Kupplerlisten,
Die Plautus braucht, damit die Leute kichern.

HYPATHIA: Uralt sind solche Ahndungen der Dichter,
 

 

258
 
Plotin hat diese Lehre rein geschliffen,
Als Denkfigur, im Volke freilich schlichter,
Hat dieses auch die Kirche aufgegriffen.
Das brachte ihr gewaltige Konflikte
Und Schismen, Heräsien und Prozesse,
Doch daß sie sich in diese Fährnis schickte,
Beweist ihr Leben und nicht etwa Blässe.
Wenn aber aller Denkerstolz der Griechen
Im Christentume heute wird verhandelt,
Ists unrecht, dies als schimpflichen und siechen
Exzeß zu sehn, der nur von Unrat handelt.
Drum sagt der Philosoph, bei diesen Dingen
Scheid Schmerzliches der Vorderbühn vom Grunde,
Die Gegenwart bezeugt ein hartes Ringen,
Daß unser Reich sich einigend gesunde.

AJAX: Warum muß dann die Kunst zerschlagen werden,
Die doch vom Geist vor viel vorhergesehen?
Warum bemühn, daß Friede sei auf Erden,
Sich viele, daß die anderen untergehen?

HYPATHIA:
Bedenkt, als Bacchus uns gebracht die Rebe,
Zerrissen Orpheus rasende Mänaden,
Daß Joves als der Herr des Himmels lebe,
Kam Kronos ziemlich jämmerlich zu Schaden.
Zerstörung ist der Preis, daß etwas wachse,
Ihr seht den Pflug, doch nicht die spätre Ernte
Verfall und Aufblühn trägt die gleiche Achse,
Nicht leidlos sich der Himmelskreis besternte.

AJAX: Ihr weicht der Frage aus, warum die Dinge,
 

 

259
 
Die Sehnsucht, Ahndung, Fleiß uns einst gewoben,
Bestimmt sein, daß der Abgrund sie verschlinge,
Und Haß und Rachsucht in den Städten toben.

HYPATHIA: Ihr überschätzt die marmortoten Zeugen,
Gewiß wird man einst nach den Resten graben,
Das Leben kann der Herkunft sich nicht beugen,
Wir müssen alles lassen, was wir haben.
Die Dauer ist in Stelen nicht und Säulen,
Sie ist allein im Geist, der sich gestaltet,
Und wenn die Wölfe in den Tempeln heulen,
So ward der Ritus mürbe und veraltet.

TEUKROS: Was solln wir tun in diesem so Bewegten,
Wenn unser Geist das eigne Heim nicht findet?
Verstecken uns, bis sich die Wogen legten?
Abwarten, bis ein neuer Geist uns bindet?

HYPATHIA: Den Bogen der Versuchung auszuhalten,
Nimmt euch kein Philosoph mit seinem Wissen,
Wer uns auch heißt, die Hände fromm zu falten,
Wir bleiben aus dem Heil herausgerissen,
Ob sich der Sinn erst geb bei unserm Tode,
Ist in der Welt nicht gültig zu entscheiden,
Und einsam ist der Mensch bei der Synode,
Die immer wieder nur beschließt zu leiden.
Doch ist es klug, von Hoffart sich zu hüten,
Und allem Zorn die Herrschaft zu verweigern,
Denn sonst verliert man sich in seinem Wüten
Und sucht nichts mehr als dieses noch zu steigern.
Der Herr, der euch gestellt, sucht alle Härte
Im Kampfe der Ideen abzumildern,
 

 

260
 
Wer solchen Unterfangen sich versperrte,
Der droht dabei zum Tiere zu verwildern.

AJAX: Ihr stimmt mich doch bedenklich und verlegen,
Wenn das Museion stellt uns solche Weiser,
Dann bleibt uns wohl nur eins: uns zu bewegen
Ins Geistige und darum deutlich leiser.
Daß man die zweite Wange hinhalt einem Schläger,
Ist sinnvoll nur, wenn der vor Scham errötet,
Und dieses Neuen selbstbewußter Träger
Gewöhnlich ohne ein Bedenken tötet.
Doch mag es sein und nützlich zu probieren,
Mit milder Stimmung diesen See zu glätten,
Es gäbe Gründe sich dabei zu zieren,
Wenn wir im ganzen Spiele Wahlrecht hätten.
Ich zeig mich überzeugt, daß dies im Wahne
Gehofft ward, und ich zeig die Konsequenzen,
Ich füge mich dem Geist und seinem Plane,
Und bleib gelassen bei den Totentänzen.

TEUKROS:
Dies freut mich, denn auch mir ist aufgegangen,
Daß Narretei der Krieg um die Skulpturen,
So vieles ist seit alter Zeit vergangen,
Was machts, daß rascher sie zum Staube fuhren.
Wenn unser Stillsein Größerem die Wiege
Bewachen kann, so solls an Mut nicht mangeln,
Schon viel zu viel verlor die Stadt im Kriege,
Drum wird es Zeit, sich aus dem Sumpf zu hangeln.
 

 

261
 


ZWEITER AUFZUG
Platz vor dem Museion. Im Vordergrund zwei Schüler am Disputieren, ein Mädchen tritt hinzu.

Erste Szene.
Aison, Skotos, Sylvia.

AISON: Der Logos wird verfälscht, wenn wir ihn fassen,
Als personal im Vater und im Sohne,
Der höchste Geist mag nicht in Bilder passen,
Daß vorgestellt er uns im Herzen wohne.

SKOTOS: Das Heilige verwechsle nicht mit Zäunen,
Die unseren Sinnen wohl, sich ihm zu weihen,
Und findst du Stroh in ungezählten Scheunen,
So sagt dies nicht, daß keine Körner seien.
Daß Gott sei anzuschauen, scheint dir putzig,
Doch die Erlösung fordert die Verleibung,
Nichts nimmt dem Bild, daß tausend Bilder schmutzig,
Weil es gefeit vor jeglicher Vertreibung.

AISON: Gesichter brauchen Erbe und Beschränkung,
Darum steht keines außer der Geschichte,
So ist es für den Logos eine Kränkung,
Versiehst du ihn mit einem Angesichte.

SKOTOS: Es ist das Wunder, daß dem Menschenwesen
Nicht nur geschaffen ward Gestalt und Helle,
Der Schöpfer hat sich das Geschöpf erlesen,
Daß sie sich ihm gefährtenhaft geselle.
 

 

262
 
SYLVIA: Ihr Disputanten unterm Sonnenscheine
Seht nicht die Blumen farbig karikieren
Gelahrtheit, die sogar im Musenhaine
Nicht beßres weiß, als Augen zu verlieren.

AISON: Sie gibt mir recht, ich sag seit einer Stunde,
Daß alle Farbe, die da keimt und flügelt,
Den Geist vertraut uns aus berufnem Munde.
Du meinst, er sei in Golgatha gehügelt.

SKOTOS: Nein keineswegs, du insistierst vergebens,
Das Unsichtbare sei allein das Reine,
Ich aber bin der Anwalt allen Lebens,
Wo Christus mit uns lacht im Sonnenscheine.

SYLVIA: Ich glaub, ich seh das eine wie das andre
Als überspannt und greisenhaft gedrechselt.
Ihr tut der Welt, als ob ein Blinder wandre,
Drum werde wer das will mit euch verwechselt.
(Ab.)

AISON (spöttisch):
Du gäbest ihr mit blauen Hyazinthen
Mehr Himmel als mit deinem Galiläer.
Der Geist im Stoffe ist das Reich der Finten,
Und nur der Trug führt dich dem Heile näher.

SKOTOS (sichtlich unwillig):
Die Mädchen wie die Gänse zu verschrecken,
Taugt Logos wie ein Maul mit schwarzen Zähnen,
Du freilich liebsts, die Buben rings zu necken,
Und träumst von einem Hühnerhof von Hähnen.
 

 

263
 
AISON: Nur weil ich nicht bei jeder Gürtelschnalle
Ans Lösen denke und in Räusche kippe,
Ist mir nicht, wie du meinst, das Weib die Qualle,
Und meine schönste Aussicht die Xanthippe.
Hypathia, die uns nach der Mittagspause
Von Kegelstümpfen oder von Hyperbeln
Erzählen wird, ist meine Minne-Flause,
Für so ein Weib würd ich mein Heil verscherbeln.
Denn wenn die Frau, was selten ist, das Klare
Mit Anmut mengt und hohem Mut der Stimme,
Stelln sich mir unterm Chiton alle Haare,
Dann flötet meiner Mutter Sohn, der grimme.


Zweite Szene.
Aison, Skotos, Edom.

EDOM (herantretend):
Man disputiert, wie neid ich doch die Jungen,
Für die die Welt das blanke Abenteuer,
Nicht Kleinmut und Bescheidung wird gesungen,
Als Element herrscht unbedingt das Feuer.

SKOTOS: Wir streiten, obs den Reiz der Frauen mehre,
Wenn sie sich bilden und recht männlich geben,
Mein Widerpart meint stolz, daß ers begehre,
Mir gilts doch wider Fruchtbarkeit und Leben.

EDOM: Die Philosophen neigen zu dem Schlusse,
Daß Ihre Weisheit gelt in jedem Neste.
Was einem Glück, dem andern zum Verdrusse
Gereicht, drum sei die Vielfalt uns das beste.
 

 

264
 
AISON: Doch jede Vielfalt muß aus Einheit stammen,
Sonst irrt sie wie im Hades Seelenschatten,
Wenn alle Feuer nicht aus einem flammen,
Kann keinem sich der rechte Glanz verstatten.

EDOM: Du sprichst vom Einen und dann vom Homere.
Sag, wie verträgst du die Mixtur im Kopfe?
Vielgötterei und ungeteilte Ehre?
Sag mir den Lehm, daß ich die Lücke stopfe.

AISON: Das Eine ist der Logos ohne Schranke,
Das andre sind Gestalten, ihm zu dienen,
Unfaßlich ist, was ich dem Geiste danke,
Sein Antlitz ist ein Himmelreich von Mienen.
Der Mensch schafft sich geschichtlich seine Räume,
Den Aeon schafft die Tatkraft der Heroen,
Doch drüber weben das Gestad der Träume
Die Waltenden im Goldenen, im Hohen.
Sie blendet nicht der Sterblichkeit Gesetze,
Sie müssen um die Jugend niemals bangen,
Und dennoch ist wie wir in einem Netze
Auch Höchstes, das uns offenbar, gefangen.
Der Logos, der erschafft, was ihn begründet,
Vereint, was schrecklich uns umgibt und wohlig,
Ihn meint, was sich beginnt und was da mündet,
Drum steht die Welt zum Geiste parabolisch.

EDOM (nach einer Pause):
Wenn ich den Vortrag also recht begreife,
Ist dein Prinzip des Einen aller Regung
Entbunden, und das Urgesetz der Reife
Erscheint dir ohne Mitleid als Bewegung?
 

 

265
 
AISON: Jawohl, wenn Christen Mitleid, Gnade, Güte
Ins Schöpferische projiziern, so machen
Sie aus dem ganzen Baum nur eine Blüte,
Solch ein Verkleinern frommt allein dem Schwachen.
Denn wo ein Gut ist, ists nicht weit zum Neide,
Das Böse ist nicht krüppelhaftes Gutes,
Nicht kleiner ist für sein Gesind die Weide,
Sowohl das Kleid der Feigheit wie des Mutes
Ist ihm so frei wie Frommen und Gerechten.
Drum ists dem Guten allezeit gewachsen.
Wenn wir das Gute in das Höchste dächten,
So rechneten das Böse wir zum Laxen.

EDOM: Der Blick auf Gut und Böse ist im Auge
Höchst unvollkommen, voll von Hindernissen,
Zu welchem Wohle die Zerstörung tauge,
Kann jeder, der befangen ist, nicht wissen.
Drum soll man nicht gebannt aufs Böse starren
Und lieber sich am Herrlichen erfreuen,
Das Richteramt macht manchen Kopf zum Narren,
Doch nie bezwingt die Höllenglut den Treuen.

SKOTOS: Dies seh ich auch, das Redliche und Rechte
Sagt sich von selbst und sagt sich ungezwungen,
Daran erkennt der gute Geist das Schlechte,
Es ist vom Wahne der Mission durchdrungen.

EDOM: So weit würd ich nicht gehn, wem als Gewisses
Erscheint, was er im Glauben hat errungen,
Der duldet nicht, ihm grad das Herz zerriß es,
Ist anderswem der Irrtum aufgezwungen.
Drum bete ich, daß unser Herr erhelle
 

 

266
 
Die Häupter, die von seinem Heil nichts wissen,
Und möchte an vertaner Bitten Stelle
Die Rosen seiner Gnade nicht vermissen.

AISON:
Dies sei euch frei, auch wenn ich frech vermute,
Solch ein Bemühen hält das All für Grillen,
Was euch beseelt und brodelt euch im Blute,
Wirkt niemals einen Deut an Gottes Willen.
Drum rat ich sich zu fügen ins Gesetzte,
Wer weise ist, der will die Welt nicht ändern,
Gar mancher Mut, den ich ansonsten schätzte,
Verlor sich ganz im Nebel an den Rändern.


Dritte Szene.
Aison, Skotos, Edom, Jakob.

JAKOB: Der Segelmacher schwätzt am hellen Tage,
Grad wie Sokrates täglich tat am Markte?
Ist dieses Flucht aus Widrigkeit und Plage
Dem Fleiße, der so froh sein Feld beharkte?

EDOM: Wir streiten um die Güte des Alleinen,
Der junge Mann schauts ohne Ziel und Gnade,
Er hindert seine Seele stolz am Weinen,
Ihr wäre wohl, wie meinem Kreuz im Bade.

JAKOB: Die Güte des Alleinen ist gegeben.
Dies ist der Stern, nach dem wir täglich steuern.
Wirds knapp, versiegt die Freude und das Leben,
Denn ohne Gut kein Segeln und kein Heuern.
 

 

267
 
AISON:
Der Geist ist nichts zu schwelgen und zu geizen,
Er ist kein Mittel für den Zweck der Zwecke,
Er läßt sich nur von seinesgleichen reizen,
Und teilt sich nicht mit Lug und List die Decke.

JAKOB: Mit Geistern ist ein Schiff nicht zu bestücken,
Und Geisterschiffe niemand kauft und mietet,
Ob hoch ob klein, kein Mensch ist zu beglücken
Mit den Gespinsten, die die Ethik bietet.
Ich will euch sagen, wer der Herr der Welten,
Das Gold ists stets, und wögs in eurer Tasche,
So wohntet ihr nicht in Gespensterzelten,
Und fröntet nicht der Hinterweltlermasche.

AISON: Ich bin für Makler und Geschäftemacher
Kein Redner, und die Zeit ist fortgeschritten,
Auch taug ich nicht zum Edelmut-Entfacher,
Drum bleibt mir, um Entschuldigung zu bitten.
Wir kehren, uns an Prüfungen zu reiben,
Die einem Schüler sind die Welt der Welten,
Drum scheint mir keine Mußestund zu bleiben,
Zu schaun, welch Maße andern Ortes gelten.
(Mit Sktotos ab.)

JAKOB: Was hast du mit den Schülern hier zu schaffen,
Grünschnäbel sinds, erträglich nur im Chore,
Der Klügste wird gewißlich rasch zum Affen,
Steht Absicht nicht als Wächterin im Ohre.

EDOM: Seit ich zu Christo fand in meinem Herzen,
Hab ich den Wunsch, die Schulen zu begreifen,
 

 

268
 
Die hin und her in Übermut und Schmerzen,
Sich wider seinen Gnadenborn versteifen.

JAKOB:
Dacht ich mirs doch, denn eine Narrheit fruchtet
Der nächsten und so weiter. Meid die erste!
Ich seh, wie sich die Stirn dir mählich buchtet,
Und sorg mich, daß sie eines Tags dir berste.

EDOM: Warum hängst du so zäh am alten Muster
Und weigerst dich, die Gabe anzunehmen?
Glaub mir, du lebtest reifer und bewußter,
Würdst du dich zur Veränderung bequemen.

JAKOB: Du irrst! Denn würde ich mein Volk verlassen,
Gewönn ich nichts als blanken Hohn und Schande,
Denn alles was mich nährt und meine Kassen,
Das sind und bleiben die Familienbande.

EDOM: Was sprichst du von Familie, wo dein Vater
Schon lange tot und niemals sprachst von Vettern,
Mir scheint es ein erbärmliches Theater,
Hör ich dich die Familienhymne schmettern.

JAKOB: Mein Volk ist mir Familie, denn die Söhne
Von Abraham sind wir in allen Landen.
Mir scheint, bei diesem christlichen Gestöhne
Kam Weisheit dir der Muttermilch abhanden.

EDOM: Das Volk, von dem du sprichst, eine Chimäre.
In allen Völkern macht ihr Proselyten,
Das Judenvolk längst ausgestorben wäre,
 

 

269
 
Wenn sich die Talmudisten nicht bemühten.
Die Religion ist ebenso wie meine,
Dem frei, der froh, zur Bruderschaft zu zählen,
Drum sprich mir nicht von einem alten Weine,
Wir sollten frei die beßre Lehre wählen.

JAKOB: Kein Volk ist frei von jeglichem Vermengen,
Daß man ihm deshalb Existenz bestritte,
Ist ein Konstrukt, wenn Feinde die bedrängen,
Die Gottes Bund hat ausersehn zur Mitte.

EDOM: Ein neuer Bund, der frei vom Bruderzwiste,
Dem Streit ums Erbe, der Geschlechter spaltet,
Daß einer nicht den andern überliste
Und Segen überm Reich des Friedens waltet!

JAKOB: Ein neuer Bund, drum kündige den alten!
Ein Träumer, der bei Philosophen döste!
Nicht einen Tag würd mein Geschäft sich halten,
Wenn ich vom Volke Abrahams mich löste.
Nur wer im Volk der Auserwählten fechtet,
Hat Glück bei Handel, Zins und seine Mannen
Sind überall, wenn er mit Neidern rechtet,
Du aber ziehst mit dem Geschmeiß von dannen.


Vierte Szene.
Edom, Jakob, Hypathia.

HYPATHIA: Ein schöner Tag, die Herren debattieren,
Die Wissenschaft kann auch den Händlern frommen,
Und wenn sie ihre Schritte hier verlieren,
 

 

270
 
So lad ich ein zum Unterricht zu kommen.
Wie haben geometrisch im Programme
Heut Kegelstümpfe, auch aus Gold zu schenken,
Wir fragen hierzuland nicht nach dem Stamme,
In diesem Hause herrscht allein das Denken.

JAKOB: Sehr freundlich dünkt mich euer Unternehmen,
Doch glaubt, die Wirtschaft scheffelt die Sesterzen,
Die forschen lassen nach den Ursachs-Schemen,
Nach Sternenwegen oder Dichterscherzen.
Eng sollten drum die Wirtschaft und das Wissen
Verzahnt sein, daß da eins dem andern fromme,
Denn ist der Faden dieses Bunds gerissen,
Ists möglich, daß die Heiterkeit verkomme.
Aus hohen Häusern, hört ich, stammt die Jugend,
Die ihr belehrt und sorgsam unterrichtet,
Doch abgehoben dauert keine Tugend,
Drum seid zu gutem Fundament verpflichtet.

HYPATHIA:
Was meint ihr für ein Fundament der Lehre?
Dem Haus ist gut und frohgemut die Seelen.
Was zu bedenken, gebt ihr mir die Ehre,
Ihr solltets meiner Neugier nicht verhehlen.

JAKOB: Die Elternhäuser haben zu entscheiden,
Wie man das Meer bereis und Waren bringe,
Am Zweifel, was das beste wär, zu leiden,
Ist oft das allerärgste aller Dinge.
Da wär es Glück und herrlichstes Vertrauen,
Höb eine Stimme sich aus grauem Schweigen,
Auf Philosophen-Ratschlag aufzubauen,
 

 

271
 
In dieser Stadt die Unternehmer neigen.
Die Schiffe, die ich seit Jahrzehnten makel,
Sind vielgerühmt im Orient wie im Westen,
Drum braucht es nicht Auguren und Orakel
Zu sagen, daß sie sicherlich die besten.
Es wär im Sinne aller eurer Schüler,
Ihr würdet die Empfehlung oft erwähnen,
Ich weiß, behutsam streckt ihr aus die Fühler,
Drum klingt das Wort wie der Gesang von Schwänen.

HYPATHIA: Die Welt der Postulate und Axiome,
Die mich der Vater lieben ließ und schöpfen,
Entfernte mich der Welt der Hippodrome,
Und so dem Weg zu vielen Futtertöpfen.
Ob eure Schiffe bestens oder mäßig,
Hab ich kein Urteil und auch keine Frage,
Auch ist mein Haushalt nirgends so gefräßig,
Daß ich als Preis eur Herzensbündel trage.

EDOM: Entschuldigt, daß ich mich dazwischensetze,
Ich muß es, um mich schleunigst zu empfehlen,
Ihr meint wohl, daß ich seine Klinge wetze,
Drum will ich nicht das Gegenteil verhehlen.
Ich schwatzte hier mit Schülern über Lehren
Der Philosophen und auch kleinrer Geister,
Er trat hinzu, statt meinen Teil zu ehren,
Erscheint er mein Versorger oder Meister.
Dies ist nicht so und seine Selbstreklame
Ist mir verdrießlich und nicht auszuhalten,
Drum geht mit guten Wünschen euch mein Name,
Denn ich hab noch an anderm Ort zu walten.
(Ab.)
 

 

272
 
HYPATHIA: Ich will die Unterredung auch beenden,
Die Schüler schaun schon, daß die Sonne dunkler,
Ich hab noch Seiten meines Buchs zu wenden,
Eh dies besorgen Mantiker und Munkler.

JAKOB: Verzeiht, ich fiel wohl gradzu mit der Türe
Ins Haus, und sagte nichts von meinem Teile,
Es wäre arg, wenn euer Werk erführe
Nichts von der Sorg, die not zu seinem Heile.

HYPATHIA: So sagt mir dies, jedoch in aller Kürze,
Ich halte nichts von Längen und von Fluchten,
Mit Epigrammen ich den Alltag würze,
Sonst wäre sein Gebirge nicht zu wuchten.

JAKOB: Die Stimmung in der Stadt ist aufgeladen.
Man fordert: Werft ins Meer den Heidenkrempel!
Und man verschwört sich auf geheimen Pfaden
Und sinnt Zerstörung für den Musentempel.
Weil ich ein Freund von Büchern und Gelehrten,
Vertraut euch meinem wohldurchdachten Schutze!
Glaubt nicht, allein die Ordnungshüter wehrten
Dem Unverstande und dem Gassenschmutze.

HYPATHIA: Ich hab den Handel allzugut begriffen,
Ich werbe, daß die Eiferer nichts täten.
Zu Pluto fahrt mit euern Segelschiffen,
Dem liegt gewiß an euren Qualitäten.
Und merkt euch gut, eh ich das Haus beklecker
Mit eurer Schnödheit, geh ich gern zugrunde,
Und sieht der Garten nochmals den Verzwecker,
Begrüßen ihn die aufgehetzten Hunde. (Ab.)
 

 

273
 
JAKOB: Wie töricht, die so viele weise nennen,
Sie rennt ins Unglück mit geschraubten Phrasen,
So mancher hälts entbehrlich mich zu kennen,
Doch mancher Fuchs erkennt sich dann als Hasen.
Man läuft davon, als hätt ich nichts zu geben,
Als wär ein Hirngespinst die ganze Flotte,
Dem klugen Mann gehörte stets das Leben,
Ihr Narren fahrt dahin zu euerm Gotte.
Was seh ich dort? Wer kommt da hergelaufen?
Der erste Leser ists von der Gemeinde,
Nur soll er wissen und der ganze Haufen,
Wer nützlich sei zum Freunde und zum Feinde.
(Er winkt den Vorleser herbei.)


Fünfte Szene.
Jakob, Petros.

PETROS: Was für ein Ort? Was macht ihr an der Pforte,
Wo gären die vergifteten Gedanken?
Unheimlich ist dem frommen Mann am Orte,
Wo sich die Bösen treffen mit den Kranken.

JAKOB: Ich such den Feind, für euch zu spionieren,
Und wahrlich, diesem Weg glich im Ertrage
Wohl keiner, den die Lorbeerkränze zieren:
Viel schlimmer als wir fürchteten – die Plage!

PETROS: Ihr macht mir angst vor diesem Epistyle.
Die Wege unsers Herrn sind so verborgen.
Kaum daß ich mich erleichtert einmal fühle,
Schon bringt der Tag mir neuerliche Sorgen.
 

 

274
 
JAKOB: Orest fiel um und mit den Götzendienern
Sinnt er gemeinsam, Christus zu vernichten,
Und die Allianz von Schelmen und Schlawinern
Preist künftgen Sieg in Liedern und Gedichten.

PETROS: Wie frech! Ich werde dies dem Bischof sagen.
Er schreibt dem Kaiser, daß der Spuk sich ende.

JAKOB: Es ist zu spät, beim Kaiser anzuklagen.
Ihr überlebt, nehmt ihrs in eigne Hände.
Zum Bischof schickt der Präfekt die Hetäre,
Der, auch ein Mann, bei diesen Weiberlisten,
Nicht mehr erkennt, was recht und billig wäre,
Und was zum Schutze nottut unsern Christen.
Und Ajax sammelt Schwerter, Lanzen, Äxte
Für seine Schar und für das große Schlachten,
Seit die Hypathia den Präfekt behexte,
Die Hurenpriester nutzen Söldnertrachten.

PETROS: Wer soll da noch erkennen, wer dem Kaiser
Gehorcht und wer allein dem Höllenfürsten,
Furchtbar erkenn ich des Martyriums Weiser,
Die Heiden, die nach unserm Blute dürsten.

JAKOB: Die schlimmste ist Hypathia, ihre Stimme
Ist Luzifer im Dunkel der Mithräen,
Der Endzeitdrache zagt vor ihrem Grimme,
Nach Schierling und nach Krötengift zu spähen.
Ist sie gebannt, so dürft ihr weiter hoffen,
Doch kommt sie euch zu Wort, kann sie versteinen
Den Stärksten, den ein Zweifel nie getroffen,
Und euch bleibt keine Zeit mehr, ihm zu weinen.
 

 

275
 
PETROS: Ich eile, daß Alarm die Glocke schlage,
Wir werden uns dem großen Angriff rüsten,
Der große Rat noch vor dem Dämmer tage,
Daß er erfahr von höllischen Gelüsten. (Ab.)

JAKOB: So laufe, Narr, und trage meine Flagge,
Phantastisch weiß die Angst sie auszuschmücken,
Ziert sich die Holde, mach ichs mit dem Packe,
Es ist wohl Zeit, gepanzert vorzurücken.
Doch da? Ists nicht Beweis für Jahwes Güte?
Da kommt der nächste Fackelträger eilends,
Er führt mir aus, was ich an Schrecken brüte,
Der flinkste Läufer kennt den Sinn Verweilens.
Doch freilich steh ich hier wie eine Spinne
Im Mittelpunkt des Netzes aller Heiden,
Drum fällt mir zu, was immer ich beginne.
Sie wollen einfach alle nichts als leiden. (Winkt.)


Sechste Szene.
Jakob, Ajax.

AJAX: Was macht der Händler an der großen Schule?

JAKOB: Hypathia sucht nach neuen Allianzen,
Denn Arges braut sich in der Schweinekuhle.
Ich schwieg gar viel zu lange zu dem ganzen.

AJAX: Nun besser spät als nie am rechten Ufer!
Ich hielt die Juden stets für unbetroffen
Vom heilgen Krieg der Wider-Götzen-Rufer.
Nun ist mein Ohr für neue Töne offen.
 

 

276
 
JAKOB: Sie wollen alle Völkerschaft vernichten,
Die Griechen, die Ägypter, die Germanen,
Und keiner soll mehr Iliaden dichten,
Wenn sie sich Raum zu ihrem Weltreich bahnen.
Da wärs ein Trug und frevlerisches Träumen,
Zu meinen, daß den Juden sie verschonten,
Sie werden unser Volk beiseite räumen
Und ganz allein in unserm Tempel wohnen.
Dies weiß ich, also müssen alle Stämme,
Ob feindlich sonst, zusammenstehn und wehren
Den Mitleidstrick der schwarzen Echsenkämme,
Die alles was uns wertvoll scheint entehren.

AJAX: Ists wirklich so? Zwar sehe ich Tendenzen
Zum Machtrausch, zur Kontrolle der Gemüter,
Doch hält sich die Verfolgung sehr in Grenzen
Seit Jahrn und niemand greift an unsre Güter.
Zwar ist die Vorsicht stets ein guter Rater,
Doch Panik führt zu unbedachten Schritten,
Drum lausche auch Empedokles am Krater
Zunächst auf das Vermächtnis eines Dritten.

JAKOB: Orest hat sich von Petros, diesem Hetzer,
Beschwatzen lassen, euch den Mund zu stopfen,
Der Bischof meint, ein neuer Zeichensetzer
Soll die Gedanken dieser Stadt vertopfen.
Dies deutet ganz auf blutige Exzesse,
Versicherungen kauft man schon statt Schiffen,
Hypathia nur mit galliger Noblesse
Hat diesen ganzen Ernst noch nicht begriffen.

AJAX: Der Petros? Dieser kleine dumme Kläffer,
 

 

277
 
Der soll im Ernste den Orest beschwatzen?
Ich glaubs nicht, denn nur Nasen reizt der Pfeffer,
Und einen Adler lockt man nicht mit Spatzen.
Ich werd Hypathia fragen in der Sache,
Und dann bei dem was nötig ist nicht wanken,
Doch eh ich mich in ihren Tempel mache,
Möcht ich ganz herzlich für die Warnung danken.

JAKOB: Hypathia, ja, es ist mir mehr als peinlich,
Recht unschick hab ich mich bei ihr benommen,
Sie führt ihr Haus gewissentlich und reinlich,
Ich suchte Protektion hier zu bekommen.
Dies hat sie mir verübelt, drum erwähne
Die Quelle nicht, die euch Gefahr verraten,
Sonst hält sie für das Liebeslied der Schwäne
Die Nachricht, die gebracht von solchem Paten.

AJAX: Ja, das Geschäft! Das kann sie nicht vertragen.
Ich dank für eure Offenheit, verschweigen
Werd ich den Bringer der geballten Klagen
Und mich nur einfach unterrichtet zeigen.
Wir bleiben in Verbindung, abzustimmen
Sind sorgsam alle Finten und Gerüchte,
Im braven Karpfen seh ich Gluten glimmen,
Daß er sich einen ganzen Haifisch züchte.
 

 

278
 


DRITTER AUFZUG
Im Arbeitszimmer des Statthalters wie im ersten Aufzug.

Erste Szene.
Orest, Hypathia, Scholastikos.

OREST: Ich ließ euch rufen, weil in großer Sorge
Ich um den Frieden dieses Landes ringe,
Und wenn ich Rat von Philosophen borge,
Erhelln sich auch vielleicht die andern Dinge.
Nicht deutlich wird die Richtung in dem Drohen,
Das mehr und mehr die ganz Stadt durchrüttelt,
Die Grenzen zwischen Niederen und Hohen
Erscheinen mit zerklüftet und geschüttelt.
Mir lag noch niemals der verlorne Posten,
Drum such ich Klarheit, was die Zeit bedeutet,
Es geht nicht mehr um Kränkungen und Kosten,
Es geht darum, daß sich die Schlange häutet.

SCHOLASTIKOS:
Es scheint, als ob ein namenloser Hetzer
Umhergeht, alles zu verwirrn, zu trügen,
Daß jeder sieht im Feind den Klingenwetzer,
Verdankt sich oft den ausgestreuten Lügen.

HYPATHIA:
Es gibt die Meinung, daß in der Geschichte
Der Geist sich ausdrück und bestimm die Ziele,
Daß er den einen laß und den verpflichte,
Die Menschen aber nie durchschaun die Spiele.
 

 

279
 
In dieser Meinung sagt der Schulen eine,
Zerstörung sei je früher desto besser,
Dann käme erst der Geist mit sich ins reine,
Denn für den Menschen hülfe nur das Messer.
Die andre aber sieht in Schlächtereien
Katharsis, daß die beßre Welt entstehe,
Der Geist wird sich vom Dunkelstern befreien,
Der Mensch sich neun vom Scheitel bis zur Zehe.
Ich glaube nicht an ein Gesetz im Werden
Als an die Welle, der Gebirg und Täler
Sich wechseln wie ein Fluch und fette Herden,
Und deren Weite breiter mal und schmäler.
Was dauern will, dem ist zuvörderst eigen
Das Gleichgewicht von Halten und Verlieren,
Drum gibt es keine Richtung aufzuzeigen,
Und närrisch ists, nach Künftigem zu gieren.
Der Geist trifft die Geschichte nur im Täter,
Im selben freilich geht er auch verloren,
Drum frage nicht nach früher oder später,
Du selbst bist heut zu deiner Tat erkoren.
Was wir beginnen, nennt sich die Geschichte,
Wenn es gelang und auch wenn es mißraten,
Drum spricht der Geist kein Wechseln der Gewichte,
Er spricht wenn überhaupt dann nur in Taten.
Bevor wir tun, sei Frage, was wir wollen,
Denn ohne ein Motiv wird nichts geschehen,
Drum achte nicht, was für Gewalten grollen,
Du solltest eher in den Spiegel sehen.

OREST: Wir wollen, daß die Ordnung sich erhielte,
Die Waffen pflegen einzig zur Parade,
Den Gleichklang und nicht die wer weiß wievielte
 

 

280
 
Verwirrung wo der Speck und wo die Made.
Die Einsicht, daß die Welt zwar nicht vollendet,
Doch besser als ein Schlachtfeld voller Leichen,
Die Einsicht, daß genug das Blatt gewendet,
Und unzerstörte Dinge länger reichen.

HYPATHIA: Eh dich die Woge schlingt und überflutet,
Benutze sie, dein leichtes Boot zu tragen,
Wenn diese Stadt im Innersten verblutet,
Ists nötig, größre Brücken aufzuschlagen.

OREST: Ich schrieb Kyrill und jedesmal vergebens,
Er möge mich beim Kaiser unterstützen,
Doch dieser, diese Krankheit meines Lebens,
Sagt gradezu, dies würde doch nichts nützen.
Ich hätt es eben sträflich unterlassen,
Die Tempel und die Schulen hier zu schließen,
Wenn drum die Dinge nicht zusammenpassen,
Seis Wunder grad, wenn mich die Sorgen ließen.

SCHOLASTIKOS:
Vielleicht ist dieser Mann doch umzustimmen,
Und nur nicht, wenns verlangt von eurer Feder,
Oft bannt ein Blick, ein kleines Wort den Grimmen,
Dem Käferkrabbeln beugt sich selbst die Zeder.

OREST: Ihr ratet mir zu einem klugen Boten,
Vermutlich weiblich, wenn ichs recht verstehe,
Der soll den dicken Brocken uns verschroten,
Daß ich ihn krieg zum Segen und zur Ehe.
Das trifft sich gut mit eigenem Erwägen,
Auch glaub ich, ist der Bote nicht erschrocken,
 

 

281
 
Ja, manchmal führn zu Tal auch breite Schrägen,
Die Zeit ist um, daß wir zusammenhocken.

SCHOLASTIKOS: O ja um das Museion uns zu retten,
Hypathia reis mit Weiblichkeit und Witzen,
Sie wird den stolzen Mann auf Rosen betten
Und nicht versäumen, seine Haut zu ritzen.

HYPATHIA:
Wer Taten preist, kann, wenn an ihm die Reihe,
Nicht Ausflucht und Verhinderung bemühen,
Wenn ich mich diesem Löwenzwinger weihe,
Gibts einen Zeitpunkt nur dafür, den frühen.
Drum steht mit frischen Pferden hier mein Wagen,
Sie stampfen schon, sie sind schon unterrichtet,
Was sein soll, wird der Kluge nicht vertagen,
Denn wer vertagt, hat oft damit verzichtet. (Ab.)


Zweite Szene.
Orest, Scholastikos, Petros, Hauptmann.

HAUPTMANN:
Besuch, mein Herr, es ist der erste Leser
Der christlichen Gemeinde, der euch bittet,
Zur Rüste mahnte Paulus die Epheser,
Nicht rätlich wärs, wenn ihr dagegen strittet.

OREST: Er trete ein, wir faßten die Beschlüsse
Grad eben und sind frei für neue Klagen,
Denn daß es eine Klage werden müsse,
Entbehrlich scheint, bei diesem Gast zu fragen.
 

 

282
 
PETROS: Ihr habt bereits Besuch in euerm Hause,
Dann werd ichs später noch einmal versuchen,
Auch leid ich nicht, daß ihr ganz ohne Pause
Müßt richten, überwältigt sein und fluchen.

OREST: Dies ist ein Mann der Kirche, zum Chronisten
Ward er bestallt und schreibt von unsern Taten,
Damit in spätern Zeiten mal die Christen
Beurteiln, ob sie recht und fromm geraten.

PETROS: So ist mir recht, daß er das Wort vernehme,
Das zu berichten ich euch hab vom Rate,
Es heiße nicht, daß wir in dunkler Feme
Den Weltkreis unterschieden vom Quadrate.

OREST: Ich schätze stets den Rat von frommen Leuten,
Daß Christi Botschaft sich erfüll mit Leben,
Und daß die Frömmsten Licht und Klarheit scheuten –
Ich würde auf solch böses Wort nichts geben.

PETROS: Ja, klar und fromm bericht ich von Bedenken,
Es heißt, der Heidentempel ungeschliffen,
Hätt wieder Lust, den Lauf der Zeit zu lenken,
Und hätt die Duldung als Fanal begriffen.
Auch gibts Gerüchte, ihr als unser Hirte
Wärt nicht nur läßlich sondern unentschieden,
Wer eure Stellung freundlicher bewirte,
Dies läßt das Öl in manchem Hause sieden.

OREST: Dem Philosoph, der Kegel und Ellipsen
Berechnet und die Bahnen der Planeten,
Steht ferner nichts, als Götzen aufzugipsen
Und dann zu tun, als hülf das dem Erflehten.
 

 

283
 
Die Wissenschaft steht auf dem festen Grunde
Der Kirchenväter, der Apostelschriften,
Und bös sind die Gerüchte in der Runde,
Daß Glaub und Wissen auseinanderdriften.
Drum gibts nicht Grund, die Forschenden zu meiden,
Wenngleich es meine Pflichten kaum erlauben,
Mich am Genuß der Wissenschaft zu weiden,
Ich müßte Zeit dem Dringlicheren rauben.

PETROS: Wir haben nicht Probleme mit den Kegeln,
Mit Zahlen, Linien und mit Scherenschnitten,
Doch manch Gesicht, bekannt von vielen Freveln,
Wird im Museion ehrenhaft gelitten.
Ich werde gern konkreter: Ajax, Heide,
Korinther, der Gemeinde dort Verächter,
Läuft stolz als wärs in einem Feierkleide
Und nennt sich gern den unerschrocknen Fechter.

OREST: Ich hatt ihn in Gewahrsam und geloben
Ließ ich ihn Beßrung allzeit im Betragen,
Und zeigt ers nicht, er hat sich überhoben,
Und wird gewiß kein böses Ding mehr wagen.

PETROS: Zur Taufe kam er nicht und um Verzeihen
Hat er die bös Geschmähten nicht gebeten,
Drum scheints, als sänn er unverzagt im Freien
Die Christenschaft genüßlich zu zertreten.

OREST: Kyrill hat uns mit klarem Wort befohlen,
Zur Taufe werde niemand hier gezwungen,
Was sonst ihr bringt an ausgebrannten Kohlen,
Ist dem Vermuten künstlich abgerungen.
 

 

284
 
PETROS: Ihr könnt uns die Bedenken nicht zerstreuen,
Wenn ihr die Sorgen nehmt als Dunst und Nebel,
Wenn wir uns eures Schutzes nicht erfreuen,
So suchen wir nach einem andern Hebel.

OREST: Ich schütze euch, wenn ich erhalt den Frieden,
Dies fordert Maß im Zweifel, im Vertrauen,
Drum sorgt, daß Öl nicht anbrennt, will es sieden,
Und fahret dort, die Kirche aufzubauen.
(Ein großer Stein wird durchs Fenster geschleudert und zertrümmert einen hölzernen Schemel.)
Die Wache! Riegelt Tore ab und Läden!
Ein Aufstand! Bogenschützen an die Mauer,
Ich weiß zwar nicht, wer tückisch spinnt die Fäden,
Doch zeigt sich Rom als der Dazwischenhauer!

HAUPTMANN: Befehle wurden ausgeführt, doch keiner
Der Feindesrotte läßt sich grade blicken,
Doch eh sich hier erhebt ein zweiter Steiner,
Wird ihn ein Pfeil ins Höllenfeuer schicken.

OREST: Ihr seht, wir sind gerüstet und entschlossen,
Wer Krieg will, wird am Galgen es bereuen,
Zwar wurde mir ein leerer Stuhl zerschossen,
Jedoch den Täter wirds nicht lange freuen.

PETROS: Ich seh hier weder Schutz noch gute Rüste,
Mir galt der Anschlag, und der Herr alleine
Sagt mir, daß ich euch gar nichts danken müßte,
Er lenkte zu dem anderen Stuhl die Beine.
Selbst wenn ihr fern dem Mordsgezücht der Heiden,
So gabt ihr zum Verdacht Verrates Gründe,
 

 

285
 
Drum rat ich euch, um Ärgres nicht zu leiden:
Bereut und büßt den Zweifel und die Sünde!

HAUPTMANN: Obgleich der Mob gewaltig aufgeladen,
Die Botin kam gesund durch alle Gassen,
Allein der Wagen nahm geringen Schaden,
Erst morgen früh kann er die Stadt verlassen.

PETROS: Was hör ich? Boten? Was gibts zu berichten?

OREST: Der Bischof hat verlangt, daß man ihm sage,
Was hier geschehn für seltsame Geschichten,
Drum sandt ich den Bericht, daß man nicht klage.

PETROS: Der Stein, die Botin, finstere Intrigen,
Ich hab genug von Lästerung und Lüge,
Nicht hier im Haus soll meine Leiche liegen,
Ein jeder seinen eignen Acker pflüge. (Ab.)

SCHOLASTIKOS:
Ich hab gelauscht und wende mich zum Gehen,
Die Stadt ist voll vom Stoff für den Chronisten,
Ich nutz den Dämmer, um das Volk zu sehen,
Die Hoffnungen, die Zweifel und die Listen.


Dritte Szene.
Orest, Schreiber.

OREST: Man mache Licht und bringe einen Schreiber!

SCHREIBER: Ich steh bereit zu eurem Briefdiktate.
 

 

286
 
Sagt mir die Schrift! Für Krieger oder Weiber?
Sagts gleich, daß ich nicht Pergament verbrate.

OREST: Ich spreche zu Kyrill, dem Kirchenmanne.
Ach nein, ich sprech auf kurzem Weg zum Kaiser,
Er mag entscheiden, ob er mich verbanne
Oder zum Frieden lenkt die höchsten Weiser.
(Pause.)
So schreibt: zur Fastenzeit im Jahr vierhundert
Und fünfzehn bittet der Präfekt den Hirten
Um Weisung, weil das Treiben rings ihn wundert
Und ausschaun läßt als einen ganz Verwirrten.
Nein, dies ist ganz und gar nicht recht geworden,
Der Kaiser ist kein Rater für den Wunden,
Er schickt uns Truppen oder einen Orden,
Jedoch die Weisheit hat er nicht erfunden.
Geht fort, zum Schreiben ist mir nicht zumute,
Ich stehe vor den Trümmern der Karriere,
Ich wate bald im Unrat und im Blute,
Und hab dies zu verschulden noch die Ehre.
(Der Schreiber geht ab. Es wird ringsum dunkel, die flackernden Ampeln erloschen während des Monologes nach und nach, so daß die Szene immer gespenstischer wird.)
Den Musentempel hab ich nicht geschlossen,
So sagts der Bischof mit erhobnem Finger,
Die Prediger und ihre Spießgenossen
Sehn folglich lauter weitre krumme Dinger.
Nun mag zwar stimmen, daß aus einer Sünde
Unzählge sprießen, weigert sie die Reue,
Doch worin hier der Sündenfall bestünde,
Frag ich mich früh und abends stets aufs neue.
Daß sie die Tochter sein der Mnemosyne,
 

 

287
 
Ist der Verehrung und Kultur entbehrlich,
Hesiod braucht fürs System die Himmelsbühne,
Jedoch sie selbst sind menschentreu und ehrlich.
Die Klio, der Scholastikos ein Jünger,
Ist ganz gewiß dem Heiland keine Götze,
Das Wahren des Vergangnen stellt den Dünger
Und auch Apostel brauchen Marmorklötze.
Die Melpomene, in Tragödien sprechend,
Gestaltet Schrecken, drin uns lechzt nach Gnade,
Die unverdient aus Wolkenhimmeln brechend
Uns wählen läßt die tugendreichen Pfade.
Die Terpsichore mag als Leichtsinn gelten
Der Grübler, der die Augen sich vermauert,
Doch Christus spricht von tänzerischen Welten,
Darin der Frohsinn unaufhörlich dauert.
Thalia, deren Krummstab unsre Hirten
Sich abgeschaut, bezeugt das Gottvertrauen
Und sagt: der Herr wird jeden Gast bewirten,
Denn grün und fruchtbar sind die Himmelsauen.
Euterpe, die im Flötenspiel uns heitert,
Verleumder sagen Kupplerin des Buhlen,
Doch wenn sie uns das enge Herz erweitert,
Besteht nicht Anlaß, sich im Schmutz zu suhlen.
Erato weckt die Sehnsucht mit der Leier –
Ist unser Glaube nicht ein einzig Sehnen?
Und ist nicht auch das Abendmahl die Feier,
Daß adlerhoch sich Horizonte dehnen?
Urania deutet die Planetenweiser –
Warn nicht die Magier früh schon an der Krippe?
Der Stern von Bethlehem bezwang den Kaiser,
Und leuchtete, daß nun der Aeon kippe.
(Es wird langsam heller, der Tag bricht an.)
 

 

288
 
Und Polyhymnia, die im Orgeltone
Erst christlich fand zu ihrem Attribute –
Wer sagt wie sie, daß uns der Glaube lohne
Und daß der Herr der Grund für alles Gute?
Zuletzt noch Kalliope, schönste Stimme –
Macht nicht die Sprache uns zum Ebenbilde
Des Schöpfers, daß nicht Geist auf Wassern schwimme,
Und birgt sie nicht des Menschensohnes Milde?
Die Künste mögen auch Gefahren tragen,
Doch im Verbund mit Demut und mit Danken,
Sind sie dem Glauben Flügelroß und Wagen
Und schirmen wider Wehleid oder Wanken.
Wir singen und wir widerstehn dem Feinde,
Mit Glocken, mit Posaunen und mit Schellen
Macht sich das Christenvolk erst zur Gemeinde,
Und selbst die Engel stehn auf Klangeswellen.
Und daß die Heiden der Musik verfielen –
Bedeutets nicht, daß Gott auch ihnen pflanzte
Die Sehnsucht nach den unbekannten Zielen,
In der das Volk um Baum und Säule tanzte?
Ich hab den Musentempel nicht geschlossen,
Denn mögen auch die Namen heidnisch lauten,
Was aus dem Spiel der Formen ist entsprossen,
Gleicht dem Gedicht, das wir im Herrn erschauten.
Und wer mich pönt, daß ich dies Loben liebe,
Tuts nicht beim Vater und auch nicht beim Sohne,
Der folgt statt Christus dem, der Peitschenhiebe
Ihm gab und ihn geschmäht mit Dornenkrone.
Drum will ich ganz gefaßt der Dinge harren,
Ich steh für Frieden und den frohen Glauben,
Sie können mich im Gassenschmutz verscharren,
Doch niemals meine Zuversicht mir rauben.
 

 

289
 
Vierte Szene
Orest, Hauptmann, Skotos, Sylvia

HAUPTMANN:
Verwundete! Mein Herr, die Morgenstunde
Bringt Greul in allen Gassen und Alleen,
Sie jagen überall wie tolle Hunde,
Und niemand kann dem Morden widerstehen.
Blutüberströmt, ein Mädchen trägt am Tore
Den Körper eines Jungen, eines Christen,
Ich sah ihn singen einst auf der Empore,
Nun stand er wohl auf einer dieser Listen.

OREST: Laß sie herein. Hier ist Asyl dem Frieden,
Den Frommen, welche Schlächterei erleiden.
Habt keine Sorg, daß Unrat kam hernieden,
Und Blut auf einen Vorhang, welcher seiden.

SYLVIA: O Herr daß wir um einen Hauch entronnen,
Herr Teukros sprach, ihr werdet euch erbarmen,
Ich bete, daß er leb in Christi Wonnen,
Denn ohne Schuld starb er in meinen Armen.
Laßt Wasser bringen für den armen Schüler,
Der nur aus Zorn auf seine Schul geschunden,
Recht frisches wär ein balsamgleicher Kühler
Für seine Haut, die brennt vor lauter Wunden.

HAUPTMANN: Es eile einer zu dem Brunnenschachte.

OREST: O nein, dies werd ich eigner Hand besorgen,
Denn Sünde wärs, wenn ichs nicht selber machte,
Der Herr spricht: wer da hat, der soll nicht borgen.
 

 

290
 
HAUPTMANN:
Doch heißt es auch, man sei auf seinem Posten.
Ich fürchte, dieser Aufruhr wird noch schlimmer.
Die Morgensonne blutet uns im Osten,
Sie rufts herauf, was es auch sei, was immer.

OREST: Was ihr getan an dem geringsten Bruder,
Das tatet ihr an mir, die Pharisäer...
Ihr selber bringt Arabicum und Puder,
Ich komme gleich und seh die Wunde näher. (Ab.)

HAUPTMANN: Mir ists, als ob ich hörte die Trompeten
Von Jericho, die Mauern müssen stürzen,
Wir sollen nicht um eine Zukunft beten,
Der Herr will unsern Leidensweg verkürzen.
Noch nie geschahs, daß der Präfekt die Quelle
Höchstselbst gesucht, darum nicht lange deute:
Dies ist der Tag! Der Herr kommt mit der Helle!
Die Schlange Adams zeigt die Haut der Häute. (Ab.)

SKOTOS (schlägt die Augen auf, erschrickt):
O weh mein Todesengel! Meine Stunde
Kam früher als ich voller Hoffen meinte.
Doch was ist eines Feuerbalkens Wunde
Vor der, die mir im tiefsten Herzen weinte?

SYLVIA:
Sprich nicht! Du bist zu schwach im Augenblicke,
Man bringt uns Wasser, Öl und gute Kräuter,
Der Wolken lenkt und alle Weltgeschicke,
Schuf auch dem bangen Lamm ein pralles Euter.
Wir sind im gut gesicherten Palaste,
 

 

291
 
Der Mann des Kaisers selbst versorgt den Wunden,
Vom Land der Magier brachte man die Paste,
Davon muß auch der Kränkeste gesunden.

SKOTOS (schluchzt):
Ach Aison spricht nie mehr vom Glanz des Geistes,
Und Teukros kam im Feuer um die Lunge,
Auch Ajax fiel, der herrliche, so heißt es,
Das Herz nicht faßt, was sagbar ist der Zunge.
Und das Museion, wo wir still gedachten
In Andacht und im Mut der klaren Worte
Der großen Denker und der Geistesschlachten,
Ist nicht mal mehr die Rose, die verdorrte,
Es ist ein Haufen Schutt, die schlanken Säulen,
Sie stürzten wie ein Grashalm, der verlodert,
Und durch den Garten wüste Rotten heulen
Und jubiliern, das jeder Sinn vermodert.
(Orest bringt Wasser, Sylvia wäscht das verkrustete Blut ab.)

SYLVIA: Als Todesengel bin ich schlecht gelungen,
Denn du erwachst mir mehr und mehr zum Leben,
Und hab ich erst die Kruste abgewrungen,
Erkenn ich auch den lächelnden Epheben.

SKOTOS: Der Schrecken macht Ergebenheit und Stille,
In Gleichmut seh ich Wunder mich umsorgen,
Wenn nicht der Tod des Herrn gesetzter Wille –
Wie denk ich dieser Zärtlichkeiten morgen?
Werd ich dann hoffen, ein Gebäude breche
In Feuersbrunst, daß sie die Wunden pflege?
Und bleiben meinem Herz nur Tränenbäche
In Einsamkeit auf unbestimmtem Wege?
 

 

292
 
SYLVIA: Was du so lange schweigend hast empfunden,
Der Schrecken löste deinem Herz die Spange.
Ich aber sag dem Heilen und dem Wunden
Ich lauschte oft dem herrlichen Gesange.
Denn in der Kirche reizten mich die Bilder
Nur wenig und die ausgefeilten Gesten,
Und wenn ich Gottes Wundernähe schilder,
Sagt dies der Chor der Jünglinge am ehsten.
Auch will ich nicht verschweigen, daß ich einen
Hab stets gehört im Lobeskreis der Sänger,
Ist dies unmöglich, dachte ich, dann keinen,
Dies sage ich dem schönste Seelenfänger.

SKOTOS: Sag einer noch, daß ich entging dem Wahne!
Auf meinem Haupte des Museions Balken.
Bin ich nicht schon bei Charon auf dem Kahne
Mit Lippen, die schon spröde, weiß und kalken?

SYLVIA: Du bist so selig, daß die Kinderbilder
Mit Charon und dem Styx dir wiederkehren.
Mir selbst erscheint ein neuer Glaub ein wilder,
Der fähig nicht, den frühern Traum zu ehren.
Du stehst wie ich am Tor, an einer Schwelle,
Davor ein Abgrund gähnt, nicht zu beschreiben,
Doch auch die Anmut sagenhafter Helle
Und leise sagt, wir dürfen hier nicht bleiben.

HAUPTMANN:
Der Mann des Kaisers reicht die Sakramente!
So wird mir mystisch das Geschehn der Tage.
Fügt ihr euch drein ins Schrein der Elemente
Und gebt dem Feind die Stätte sonder Klage?
 

 

293
 
OREST:
Wie kommt ihr drauf? Nur weil ich Wasser brachte
Dem Leidenden, verletzt um Christi willen,
Meint ihr, daß man mich hasenfüßig machte,
Mit Mystik meinen großen Zorn zu stillen?

HAUPTMANN:
Nun ja, mir schiens bei solchen Demutsgesten,
Als hätt ein Geist von euch Besitz ergriffen,
Als ob das Lamm die Reiter rief, sie westen
Im Herzen mir, als wenn die Erd sie schliffen.

OREST: Ich seh nicht Zeichen, daß die Zeit sich neige,
Doch sehe ich den Pöbel marodieren,
Drum sag ich, auf die höchste Zinne steige,
Wir dürfen keinen Augenblick verlieren.
(Der Hauptmann ab.)

SYLVIA: Die Stätte ist von besten Wehr und Waffen,
Herr Teukros riet, ich mög dich hierher bringen,
Und hat der Herr gewollt, wir mögens schaffen,
So sorgt er auch, daß du wirst wieder singen.

SKOTOS: Ach singen, jeder Sang verdarb im Blute,
Die Freunde starben und die Schule brannte,
Ich glaub nicht mehr ans Schöne und ans Gute,
Und leb ich noch, dann nur als der Verbannte.

SYLVIA: Doch ich bin hier und Helfer ungezählte,
Sie zeigen, daß die Botschaft nicht verdorben.
Bist du nicht der zu dieser Schau erwählte,
Und darum nicht im Feuersturm gestorben?
 

 

294
 
SKOTOS:
Du schlepptest mich und solltest rascher fliehen.
Du wußtest nicht, wieviel an Zeit dir bliebe.

SYLVIA:
Du meinst, die Feigheit läßt die Schwache ziehen
Und mitleidslos verkommen ihre Liebe?

SKOTOS:
Was Liebe wie? Was brauchst du da für Worte?

SYLVIA: Du bist der meine stets in Lust und Wehe,
Erst hörte ich dich draußen an der Pforte,
Dann tret ich ein im Kerzenschein und flehe!
Doch in der Kirche, im Museion-Garten
Du bliebst so stumm dem Zittern und dem Zagen,
Ich mußte auf die Katastrophe warten,
Um endlich dir die Wahrheit auszusagen.

SKOTOS: O nein, ich hätte nie gedacht, ich würde
Vor deinem Blick bestehn, dem allzu strengen,
Die Lieblichkeit erschien mir nichts als Bürde,
Dem Leidenden die wunde Brust zu sprengen.
Nicht Aisons Geist, nicht Ajax Waffenstärke,
Nicht Teukros' Mut und Umsicht sind mir eigen,
Ich prunke nicht im Worte, noch im Werke,
Und traute mich nicht, mein Gefühl zu zeigen.
Als Retterin beschämtest du den Schwachen,
Im Eingeständnis den geringen Glauben,
Jedoch die offne Rede macht mich lachen
Und Mittel sinnen, dir das Wort zu rauben.
(Er küßt sie.)
 

 

295
 
Fünfte Szene
Man hört Geschrei und Aufruhr, dann Kampfeslärm.
Orest, Skotos, Sylvia, Scholastikos

OREST: Nun wird es ernst. Sie rüsten sich zum Sturme,
Die Schilde werden gut die Zinnen stützen,
Nur keine Panik vor dem großen Wurme,
Die Hauptarbeit gehört den Bogenschützen.

SCHOLASTIKOS:
Ich stürze rein, ganz ohne Ordonnanzen,
Der Hauptmann ließ mich durch die Reihe schlüpfen,
Der Petros läßt auch hier die Puppen tanzen
Und keulenschwingend Kapriolen hüpfen.

OREST: Ich dacht mir fast, daß er ein großer Hetzer,
Gleichwohl den großen Aufruhr auszusinnen,
Reicht sein Gekläffe nicht zum Zeichensetzer,
Da sind gewiß noch andre Kräfte drinnen.

SCHOLASTIKOS:
Wie dem auch sei, er führt die wüste Meute,
Und feuert an mit markigen Parolen,
Wie besser wärs bestellt um all die Leute,
Würd diesen einen bloß der Teufel holen.

OREST:
Vielleicht wird bald der Bischof sich entscheiden,
Daß Ruhm hier nicht geschieht dem Christentume,
Hypathia ist gewiß nicht zu beneiden,
Doch sie sagt jeden Schrecken durch die Blume.
(Er hält mit Blick auf Scholastikos inne.)
 

 

296
 
SCHOLASTIKOS:
Ihr werdet mich als herzlos wohl verachten,
Chronistenlos ist Absehn vom Gefühle,
Er darf sich nicht das Augenlicht umnachten
Und dulden, daß er sich den Bart zerwühle.
Was mir zu künden euch und der Geschichte
Ist Schrecken, der sich nicht erlöst in Tränen,
Ich laß die Vorred euch und ich berichte,
Daß ihr euch nicht verwundern sollt im Wähnen.
(Pause in äußerster Stille.)
Hypathia reiste vor der Morgenröte,
Als am Museion Nacht noch war und Stille,
Doch daß man sie gemein und grausam töte,
War wohl des Herren unbedingter Wille.
Ihr wurde aufgelauert und empfangen
Ward die von Mördern, bestens unterrichtet,
Der Überfall ist wohl nach Plan gegangen,
Und war gewiß der Gründlichkeit verpflichtet.
Sie schleppten aus der Kutsche die Verblüffte
Und stießen sie mit Keulen und mit Stangen,
Sie rissen die Gewänder von der Hüfte,
Und nackend ist sie durch die Stadt gegangen.
Zur Kirche, die Kaisarion wird geheißen,
Trieb man die so Entehrte grad wie Schweine,
Dort fing man an, die Haut ihr abzureißen
Und schlug ihr Fleischerhaken in die Beine.
Sodann zerriß man ihre festen Brüste
Und als sie kaum noch atmete, da sangen
Sie ein Tedeum noch zum Preis der Rüste,
Und lobten, daß das Heidentum vergangen.
Als sie sich regte, wie um sich zu ducken,
Warf man mit Steinen und erst spät zum Kopfe,
 

 

297
 
Dann ging ein jeder, auf die Leich zu spucken,
Die zerrte man ins Feuer dann am Schopfe.

OREST (nach langem Schweigen):
So also ging sie, der die Dichter singen
Einst werden, daß sie huldigten auf Knien,
Das Haus der Jungfrau möge sie verdingen,
Das höherer Erhebung nie gediehen.
Denn jene, der wir zeitgenössisch lauschten
War ein Gestirn des Wissen und des Geistes,
Und wenn wir auch nur wenig Worte tauschten,
So waren wir begnadet, einmal heißt es.

SKOTOS: Dies ist gewiß das Ende. Aller Schrecken,
Den wir erlebt in Brand und Metzeleien,
Erscheint mir nun ein ganz geringer Stecken
Vor diesem Eichenbaum der Schweinereien.
Ist menschenmöglich solche Haß-Verblendung?
Kann einer Christ sein, wenn mit solchem Schmutze
Geschändet ist sein Haus? Ists nicht Verschwendung,
Daß man den Geist in solcher Welt benutze?

OREST: Denk Sylvia! Flieh, denn ihr müßt beide leben
In Wüstenein den Baum der Hoffnung pflanzen,
Euch gab der Herr die Liebe und sie eben
Ist Rettung und der Sinnbestand des ganzen.
Der Hauptmann führt euch zu geheimem Gange,
Da kommt ihr leicht und ohne Müh zum Hafen,
Ein Kennwort macht, ihr wartet dort nicht lange,
Ihr werdet auf den Meereswogen schlafen.
Kein Wort des Abschieds, denk, allein die Liebe
Hat unser Herr als Rettung uns befohlen,
 

 

298
 
Darum zur Seite ich den Vorhang schiebe,
Ich will nichts hören als die flinken Sohlen.
Und tilg die Bilder dir auch im Gedanken,
Du bist wie Noah künftigem berufen,
Drum lasse dich auch kein Gedächtnis wanken,
Denn alles was geschehn sind Tempelstufen.
(Skotos und Sylvia ab.)
Nun ist die Stunde da, die dunkle, bittre,
Der Hauptmann wähnte sie verfrüht doch richtig.
Die Würfel sind gefallen, also zittre
Nicht vor der Welt und nehme dich nicht wichtig.
Ich ruf die Schützen ab und laß die Sperren,
Weit öffnen und es bleibt nichts zu verhandeln.
Ob sie uns auch in das Kaisarion zerren?
Das spart zu sehn, wie sie dies Haus verschandeln.
(Im Hintergrund lautes Murren der Wachen.)
Ihr wollt noch trotzen? Wollt noch Pfeile schießen?
Wofür? Es gibt nichts was zu schützen lohnte?
Ihr meint, die Frau sollt uns nicht so verdrießen?
Doch mit ihr fiel, worauf die Ordnung thronte.
Ist so der Geist der Würde und der Sitte
Beraubt, solls Schwefel doch vom Himmel regnen,
Dann trete doch der Herr in unsre Mitte,
Zu richten und die Seinigen zu segnen.
Was soll ich hier bewahren mit dem Schwerte?
Ein morsches Haus, gefüllt mit altem Plunder?
Wenn dies zu halten, unser Herr begehrte,
So offenbarte ers mit einem Wunder.
Jedoch sein Wunder warn der Schüler zweie,
Wer ihre Liebe sah, der hat erfahren,
Daß größer nichts, daß es der Herr verleihe,
Drum danket Gott, daß sie im Hause waren.
 

 

299
 
Sechste Szene
Die Bühne füllt sich mit Bewaffneten. Jeweils zwei halten Orest und Scholastikos fest.
Orest, Scholastikos, Petros, Bewaffnete

PETROS:
Den Schreiberling braucht ihr nicht anzubinden,
Die Neugier hält ihn sicher im Geschehen,
Gar grausam wärs, man hindert ihn zu finden
Die Feder, und noch grausamer, am Sehen!
Er wird, uns alle lobend, niederschreiben,
Wie wir gewehrt dem heidnischen Tyrannen,
Wie wir im Lande Christi Reich verleiben,
Die Lästerer und Helfershelfer bannen.
Ihr glaubt mir nicht? Ihr meint er könnte dichten,
Wir wären grad des Christentums Verbieger?
Glaubt mir, ich kenn mich aus mit den Geschichten,
Denn die Geschichte schreibt allein der Sieger.

ERSTER BEWAFFNETER:
Wer hat ihn solche Sprüch gelehrt? Die Psalmen
Warns sicher nicht, und auch nicht Christi Leiden,
Wo in der ganzen Stadt Ruinen qualmen,
Muß man ihn um Gelehrsamkeit beneiden.
(Man läßt Scholastikos frei.)

PETROS: Der Herr zeigt seine Weisheit der Gemeinde,
Und zeigt euch heut, wie Leugner zu behandeln,
Denn alle, die des Menschensohnes Feinde,
Sind gar nicht wert, auf dieser Erd zu wandeln.
Dies durchzusetzen ruft der Herr die Christen,
Sie lassen ihren Acker, ihr Gewerbe,
 

 

300
 
Und schicken Satan alle Satanisten,
Daß ihm nichts fehl an seinem ganzen Erbe.
(zu Orest):
Orest, du dauerst mich in deiner Sünde,
Jüngst wies ich dir den Weg zu Reu und Buße,
Du aber dachtest nur an deine Pfründe,
Und fandst zu Zauberei und Morden Muße.
Hypathia, deine Hure, vor dem Zorne
Des Volks zu schützen, ist mir nicht gelungen,
Doch dir gebührt ein stolzer Schritt nach vorne,
Des Bischofs Milde sei um dich geschlungen.
Du wolltest ihn mit Boten freundlich stimmen,
Nun darfst du selbst vor seine Augen treten,
Der Weihrauch wird zu deiner Gnade glimmen,
Und alle Brüder werden für dich beten.
(Ein Bote tritt auf und reicht Petros eine versiegelte Rolle,
die jener gleich aufbricht und studiert.)

Wir haben an den Bischof schon geschrieben
Und fragten ihn, wie wir dich kleiden sollen,
Von Kaisers Würde ist ja nichts geblieben,
Was nicht zerzaust du hast bei deinem Tollen.
Nun schau ich mit Verehrung in die Rolle,
Was mir der Hirte anbefiehlt zu sorgen,
Er schreibt hier gleich im Eingangssatz, er wolle
Daß wir die Fahrt beginnen, und zwar morgen.
Dich sprechend anzuhören, ist ihm greulich,
Weil seine Ohren lieber Fromme hören,
Drum wär es ihm als erstes Ding erfreulich,
Würd eine Zunge diesen Kopf nicht stören.
Du weißt, wir lassen uns nicht zweimal bitten,
Doch soll dein Stammeln ungesagt nicht bleiben,
Drum laß ich, eh die Zung dir wird geschnitten,
 

 

301
 
Historicus die letzten Worte schreiben.
So spreche frei, wir werdens mit Gewissen
Dem Bischof reichen, wenn du stumm geworden,
Wenngleich das deine frei von solchen Bissen,
Denn Bogenschützen dürfen fernhin morden.

OREST: Mein Wort war, daß die Tore ich gehoben,
Wohl wissend, daß ich keine Gnade finde,
Doch es geschah allein, den Herrn zu loben,
Denn er nahm mir die letzten Augenbinde.

ZWEITER BEWAFFNETER:
Was spricht er da? So spricht kein Heidenpriester.
Man muß die Sache gründlich untersuchen.
Man sagte uns, hier herrschten wilde Biester,
Die böse Täuschung muß der Herr verfluchen.

DRITTER BEWAFFNETER:
Der Text ist falsch. Der Bischof hat geschrieben
Gewiß nicht, daß vorm Anhörn werd verstümmelt
Der Diener Roms. Die Wahrheit heißt er lieben,
Er ist kein Mann, der auf dem Ohre lümmelt.
(Allgemeines Gemurmel und Unwillen.)

PETROS: Ich reich das Siegel hiermit dem Chronisten,
Er weiß zu prüfen, was gefälscht und echtens,
Und wer mich zieh des Falschs und arger Listen
Erkenn beschämt, das alles gut und rechtens.

SCHOLASTIKOS:
Am Siegel ist kein grober Trug zu sehen,
Doch Fälscher gibts in dieser Stadt die besten,
 

 

302
 
Und auch wer weiß, wie sie zu Werke gehen,
Der kann mit bloßem Aug das Wachs nicht testen.
Ich aber kenn Kyrill nicht nur aus Rollen,
Die zweifelhaft ob echt ob nachgezogen,
Und weiß genau, er würde niemals wollen,
Daß wer um die Verteidigung betrogen.

VIERTER BEWAFFNETER:
Gib mir die Rolle, ich war manche Jahre
In einer Werkstatt gut für Imitate,
Drum ist kein Trick, den ich nicht leicht erfahre,
Denn ich war oftmals solcher Künste Pate.
(Allgemeiner Tumult. Die Rolle wird umhergereicht.)

ERSTER BEWAFFNETER:
Wir führen alle vor den klugen Richter,
Orest und Petros und die Siegelrolle,
Dann wird uns alles zweifelsfrei und lichter,
Dann sehen wir die Wahrheit selbst, die volle.
Man reiche mir die Siegelrolle rüber.

ZWEITER BEWAFFNETER:
Sie ist verschwunden wie die Morgenröte.

DRITTER BEWAFFNETER:
Jetzt läuft das Faß der Unverschämtheit über.

VIERTER BEWAFFNETER:
Erbärmlicher sich nie ein Schauspiel böte.

ERSTER BEWAFFNETER:
Nehmt Petros fest. Er steht in dem Verdachte,
 

 

303
 
Das er getrogen die Versammlung böse,
Doch seid mit unserm Leser tunlichst sachte,
Vielleicht daß sichs zu seinen Gunsten löse.
(Alle außer Scholastikos ab.)

SCHOLASTIKOS:
Mir bleibt hier noch ein letzter Rest zu sprechen,
Und daß das Publikum sich drob nicht gräme,
Will ich der Zukunft Siegel schnöde brechen,
Und künden, ob hier recht behält die Häme.
Der Bischof wird sich nicht mehr dran erinnern,
Was in der Rolle, die er sandt, gestanden,
Er trennt uns die Verlierer von Gewinnern,
Und denen kam die Forschungslust abhanden.
Orest wird überstellt den Kaiserlichen
Und dort wird ihm Verbannung zugesprochen,
Er ist im hohen Alter erst verblichen,
Ist nie verstummt, gehumpelt und gekrochen.
Der Petros fand den Bischof zum Vergleiche
Geneigt und ist nach Albion fortgesegelt,
Nie hörte ich von ihm und seiner Leiche,
Noch was er später anderswo geflegelt,
Von seinem Schlag wirds immer welche geben,
Solang die Welt besteht im Sterngefunkel,
Doch wenn Oreste auch dazwischenleben,
Wirds auch in fernen Zeiten niemals dunkel.
Die Fabel des Geschehns bleibt nicht verborgen
Dem Schauenden, der dies mit Witz betrachtet,
Nicht alles kann der Hofchronist besorgen,
Drum sei auch, was er euch vergaß, beachtet.