Uwe Lammla / Anna Luise
 

 



UWE LAMMLA




ANNA LUISE

EIN TRAUERSPIEL














 
ENGELSDORFER

 



 


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die Deutsche Nationalbibliothek:
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http://dnb.d-nb.de abrufbar.







ISBN 978-3-86901-206-3
© 2009 Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
www.lammla.de

Das Titelbild zeigt eine Zeichnung der Fürstin
Anna Luise von Schwarzburg,
angefertigt von Fürst Günther um 1895,
ThSTA Rudolstadt, Nachlaß der Fürstin

Hergestellt in Leipzig, Deutschland
www.engelsdorfer-verlag.de
6,80 EUR
 

 



 

In Deines Landes Waldesgrünem Rahmen,
Der stille Ehren nur dem Würd'gen gibt
Birgt Wald und Fels Dein und der Deinen Namen,
Der Du als Fürst und Waidmann sie geliebt.


GÜNTHER-DENKMAL   
AUF DER ANNA-LUISEN-HÖHE   
1945 zerstört   
 

 



PERSONEN
GÜNTHER, Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen
ANNA LUISE, seine Gemahlin
SONNE, Elisabeth Förster-Nietzsche
THEKLA, Prinzessin, Schwägerin der Fürstin
BARY, Alfred von, Nervenarzt
FORSTMEISTER
JOHANN, ein Diener
EDDA, Unternehmergattin in Zürich
ASTEL, Karl, Universitätsrektor Jena
PFEIFFER, SA-Rottenführer
POSTBOTE
ARTZ, Carl Maria, Musikdirektor
JENNY, seine erste Frau
MALVE, seine zweite Frau
BLOCK, Major der Sowjetarmee
KOPLOWITZ, Jan, Schriftsteller
KOPP, Kriminalkommissar
PFARRER


ZEITEN UND ORTE

Erster Aufzug: 1912 im Wald bei Schwarzburg
Zweiter Aufzug: 1940 auf Schloß Schwarzburg
Dritter Aufzug: 1950 im Schloß Sondershausen
Epilog: 2000 Gruft der Stadtkirche Rudolstadt
 

 

7
 


PROLOG
Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, Freundin der Fürstin und von Ihr Sonne genannt, tritt im Alter von 66 Jahren vor den Vorhang.

SONNE: Verehrte Leute zwischen Maas und Memel,
Die Ihr das grüne Herz von Ilm und Saale
Zu schauen hofft auf dem Theaterschemel,
Drum Burgen stehn und Wasser rauscht im Tale.
Ich bin die ältste in der Picknick-Runde,
Die Euch im ersten Aufzug soll berichten,
Von Jahren, da verschlossen noch die Wunde,
Die brach, das Land der Dichter zu vernichten.
Mein Bruder Fritz hat manches vorgedeutet,
War auch mein Leben länger als das seine,
Kommt doch, wenn mir die Totenglocke läutet,
Was hier beginnt, noch lange nicht ins reine.
Es wird das Publikum, Jahrzehnte später,
Noch wissen, daß die Saat des roten Drachen,
Noch immer schlingt die Söhne und die Väter,
Und wer vorausschaut, findet nichts zu lachen.
Die Fürstin, die mir freundlich und gewogen,
Wird sich, wenn ich verewigt, weitertasten
In Nebel, wo verfalbt der Regenbogen
Und die Lemuren nimmer ruhn noch rasten.
Ich kann den Ausgang dieses Stücks nicht künden,
Und sterb im Zweifel, wie so viele Ahnen,
In welches Meer die großen Ströme münden,
Das spricht sich nur im Leiden und im Wahnen.
 

 

8
 
Vielleicht, daß meines Bruders Aug gebrochen,
Vom Licht, das ihm der Große Mittag spendet,
Doch vorher hat der Philosoph gerochen,
Wie ein Jahrtausend modert und verendet.
Ich hab zu mancher Deutung mich verstiegen,
Doch dies geschah nur wider das Vergessen,
Es mögen keine Sicherheiten liegen
Im Wehn der Zeit, die wir zu kurz vermessen,
Ich bin ein Weib, das nicht zu Adlerflügen
Geboren und zum adlerhaften Spähen,
Doch spürt mein Herzschlag mit den Vogelzügen,
Daß treu dem Wandrer sind allein die Krähen.
Doch glaub ich an das zähe Nichtverraten
Ererbten Glaubens und ich steh wie Luther,
Wenn Totengräber schwingen schon den Spaten,
Und um Kanonen wird getauscht die Butter.
So schaut ein Herz, das zwischen Sorg und Pflichten
In Schmäh und Jammer strauchelt nicht im Glauben,
Denn jene, die den Lebensquell vernichten,
Vermögen nicht, die Seligkeit zu rauben.
 

 

9
 


ERSTER AUFZUG
Eine Waldlichtung am Oberlauf der Schwarza. Eine Wandergesellschaft in bürgerlicher Kleidung, die Damen mit Zylindern.

Erste Szene
Günther, Anna Luise, Sonne, Thekla, Bary

ANNA LUISE: Die Rasenbänke kommen wie gerufen,
Es ist so schön, so friedlich auf der Höhe.

GÜNTHER: Vortrefflich sitzt es sich auf diesen Stufen,
Kein Wespennest und keine Hundeflöhe.

SONNE: Hier wird der gute Tee dem Gaumen munden,
Auch sind wir hungrig nach dem Butterbrote.

GÜNTHER: Dies sind der Seele seltne Wonnestunden,
Wo krallenfrei ist selbst die Löwenpfote.

THEKLA (mit einem Fliegenpilz aus dem Wald):
Schaut, welch ein Prachtkerl stand am Birkenfuße,
Auf Purpur weiße Flocken von Frau Holle,
Er lachte mir mit feschem Minnegruße,
Grad so, als ob es was bedeuten solle.

BARY: Der Überschwang sieht gerne solche Zeichen,
Als Glückspilz gilt der Rote den Chinesen,
Doch würd er euch zum Wohle nicht gereichen,
Denn Arglist wohnt in diesem Sporenwesen.
 

 

10
 
THEKLA: Wer weiß, ich hörte reden von Schamanen,
Den dieser Pilz ein drittes Aug geboren,
Daß sie beflügelt wie des Sturmwinds Fahnen
Sich in der Träume Wunderland verloren.

ANNA LUISE:
Mein Gott, ach Thekla, was sind das für Schriften,
Schamanen, Sturmwind, Traumland und so weiter,
Du wirst dich, Liebes, rettungslos vergiften,
Bleib lieber hier, wo uns der Himmel heiter.

BARY: Der Fliegenpilz wird guten Grunds gemieden,
Zwar sagt man, daß manch Hexe ihn in Salben
Genoß, doch wie der Sturz der Ikariden
Der Lungenschwund die Gabe heißt der Alben.

SONNE: Dies sind so Moden, Hexenringe, Räusche,
Mein Bruder sah darin den Wunsch zum Tode,
Und wenn ich mich in dieser Sach nicht täusche,
So wird es immer ärger mit der Mode.

ANNA LUISE:
Ja, Opiumesser, Ätherschnüffler, Trinker,
Manch einer weiß gar Morphium sich zu spritzen,
Wos Drogen gibt, da steht schon bald ein Linker,
Dems mächtig eilt, sein Quantum zu besitzen.

SONNE: Ja, etwas Gift für angenehme Träume,
Und etwas mehr für angenehmes Sterben,
Und wer sich früh gewöhnt als solche Schäume,
Will nichts mehr als das Täuscheglück erwerben.
 

 

11
 
ANNA LUISE:
Man läßt nichts unversucht, um auszusteigen
Aus Tradition, aus Ehrbarkeit und Mühe,
Benebelt wähnt man sich im Schwanenreigen,
Wo die Vernunft nur Ochsen schaut und Kühe.

GÜNTHER:
Laß gut sein, Anna, diese Rauschsubstanzen
Verändern nicht die Urteilskraft im Kopfe,
Zu Philosophen werden nicht die Schranzen,
Und auch der Weise wird so nicht zum Tropfe.
Die Macht der Pflanze, die den Blick verwandelt,
Soll uns nicht als der Unheilsschöpfer gelten,
Denn was uns Maß und Sittlichkeit verschandelt,
Sind Süchte, die so alt wie alle Welten.

BARY:
Durchlaucht gedenkt der Reichstagwahl, die neulich
Bedrohlich Hetzer und Verderber stärkte,
Schon lang war die Entwicklung unerfreulich,
Wie der Betrachter sorgenvoll bemerkte.

GÜNTHER: In meinem Lande zeigten sich die Roten
Schon ein Jahr früher als die Wahlgewinner,
Und keine Woche, daß mich nicht bedrohten
Die Schreier und die Raufer und die Spinner.

SONNE: Das allgemeine Wahlrecht, kaum begreiflich,
Wie konnt solch Mißgriff Bismarck unterlaufen,
Dem Edlen ists bestimmt, er prüfe reiflich,
Die Masse läßt sich jeden Mist verkaufen.
 

 

12
 
ANNA LUISE:
Im Jahre einundsiebzig nach dem Kriege,
Warn Hoch und Niedrig eins und Patrioten,
Heut ist die Ordnung eine lästge Fliege,
Und morgenschön das Paradies der Roten.

SONNE: Es ging noch, als Ostelbien überstimmte
Die Städte, wo der Mob sich ehrlos drängelt,
An Ruhr und Spree schon lang die Lunte glimmte,
Sie sich nun blutrot in den Reichstag schlängelt.

ANNA LUISE: Die Industrie nährt niedrigste Naturen,
Und seit der Staat sie hätschelt mit Diäten,
Aus jedem Pfuhl die Hurenpriester fuhren,
Daß sie vorm Schloß die Teufelsflagge blähten.

SONNE:
Wenn erst noch, wie man fordert, auch die Weiber
Bestimmen dürften, wo da Geld und Steuer,
Dann wird der Kaiser selbst zum Schweinetreiber,
Und die Kultur geht gradenwegs ins Feuer.

GÜNTHER: Nun laßt die Politik, es ist zu ändern,
Wohl nicht, und Gott allein weiß, was geschrieben,
Wenn er uns prüft in unsern Heimatländern,
Vielleicht weil wir im Geiste Unzucht trieben.

ANNA LUISE:
Ja, Günther, du hast recht, der Herr alleine,
Kann uns der Zeiten Schaum und Wirren deuten,
Der Zweifler achtets Schreckgespenst am Raine,
Der Heilige allein das Glockenläuten.
(Alle ab.)
 

 

13
 
Zweite Szene
Thekla, dann der Forstmeister.

THEKLA (allein zurückkommend mit dem Pilz):
Er ist so schön wie ein Marienkäfer,
Und viel zu schön, daß man politisiere,
Er huscht nicht fort, so wie der Siebenschläfer,
Er leuchtet für die Menschen und die Tiere.

FORSTMEISTER (tritt auf)
Oh, Hoheit, so allein im finstern Walde,
Hier gibt es Schweine und auch freche Kerle,
Was hat euch so verzückt auf dieser Halde,
Daß ihr vereinsamt lehnt an dieser Erle?

THEKLA: Es ist des Waldes schneebeflockter Ritter,
Der mir das Antlitz ähneln läßt dem Hute,
Ist auch sein Fleisch gefährlich uns und bitter,
So streichel ich doch hold die stramme Rute.

FORSTMEISTER:
Er wird schon bald die Festigkeit verlieren,
Der Purpur wird wie Schminke falb verlaufen,
Und auch die Flocken, die den Wackern zieren,
Sind bald schon klebrig wie ein Eiterhaufen.

THEKLA: Warum muß dies so sein, zu meiner Trauer?
Ich hätte ihn so gern nach Haus getragen,
Warum ist, was so schön ist, nicht von Dauer,
Warum muß es so rasch der Zeit entsagen?
 

 

14
 
FORSTMEISTER:
Dies ist, Prinzessin, dem gemeinen Diener
Ein Fragen, das Doktoren schafft Migräne.
Der Herr des Waldes scheint mir ein Schlawiner,
Daß selbst der Leu drob schüttelt bloß die Mähne.
Er kargt mir Rot und bannt es ins Verschloßne,
Ins Blut, ins Herz, und wagt allhie nur Tupfer,
Zum Schub entschloß sich heut der Unverdroßne,
Doch gleichwohl todkrank ist der junge Hupfer.
Die Sporen auszustreun in weite Runde,
Durft er sich aus dem Grundgeflechte heben,
Das Licht währt länger kaum als eine Stunde,
Doch endlos größer ist das ganze Leben.
Das Reich der Pilze ist ein dunkles Trachten,
Was endet, anfängt, scheint nicht zu entscheiden,
Und mag den Menschen Wolfszeit längst umnachten,
So pilzt es doch in Wäldern und auf Weiden.

THEKLA: So hätt ich gar den Pilz nicht nehmen sollen,
Der nun den Auftrag seiner Art versäumte,
Vielleicht ists bös, im Wald herumzutollen,
Als Kind, daß nur die eigne Freude träumte.

FORSTMEISTER:
Da kann ich euch beschwichtgen, hohe Dame,
Dies Reich weiß nichts von Krise und von Mangel,
Es schwelgt im Moorgrund wie im weißen Rahme.
Als würfe man im Ozean die Angel,
Ists, irgendwo den Sporenstand zu brechen,
Wo tausend stehn bereit, in Tau und Regen,
Ganz unvermutet in die Höh zu stechen
Und auszuteilen ihren reichen Segen.
 

 

15
 
Hier gelten nicht die menschenhaften Maße,
Der Sparer und die Sorg um Herbst und Winter,
Für Sechzehnspänner breit ist diese Straße
Und wo ihr Ziel, da steigt ihr nicht dahinter.

THEKLA: So ist nicht jedes Wesen im Gebete
Dem Schöpfer voller Demut und voll Reue?
So scheints, daß ich ein Dunkelreich betrete,
Das hat nicht not die Sorge und die Treue?

FORSTMEISTER:
Das Evangelium sei dem Menschen Muster,
Daß er beacht, was ihm sich füg und schicke,
Doch was dem Leben frommt in unbewußter
Gestaltung, ich nicht in der Schrift erblicke.
Der Herr sprach uns als Hirt zu seiner Herde,
Er spricht was uns erhalten soll und retten,
Doch was da sonst im großen Stirb und Werde,
Webt andern Traum und liegt in andern Ketten.
Es ist mir nicht gegeben, euch zu schildern,
Was Wunder groß, die nicht im Buche stehen,
Ich sorg nur, daß die Bauern hier nicht wildern,
Und Damen nicht in Bärenfallen gehen.

Dritte Szene
Thekla, Forstmeister. Anna Luise tritt auf.

FORSTMEISTER:
Die Fürstin selbst, Durchlaucht, welch eine Ehre,
Ich gab ein wenig Unterricht zum Walde,
Denn die Prinzessin, die ich hier belehre,
Saß schrecklich einsam auf der Rasenhalde.
 

 

16
 
ANNA LUISE:
Dies ist gewiß voll Kurzweil und Vergnügen,
Ich neid euch manchmal eure Arbeitsstätte,
Und gäb es die Musik nicht, würd ich lügen,
Daß ich vorm Wald noch etwas lieber hätte.

FORSTMEISTER:
Der Heger hat nicht nur die Augenweide
Und selten die Gesellschaft hoher Damen,
Manch Wildrer trägt die Flinte durch die Heide,
Bis ich dem Schulzen melde Tat und Namen.

ANNA LUISE:
Im Wald war ich als Kind, als junges Mädel,
Und noch als Greisin werd ich Birken lieben,
Die Stadtluft schmerzt den Rücken und den Schädel,
Die Nerven werden mächtig aufgerieben.

FORSTMEISTER:
Ja, das ist wahr, gesund ists unterm Dache
Des Himmels, und vertraut sind mir die Eichen,
Doch wenn ich früh aus einem Traum erwache,
So sah ich meist nicht Bäume, sondern Leichen.
Ich träume oft von Krieg und Blitzgeschossen,
Von Sprengstoff, Schreien, wüsten Metzeleien,
Doch sein die Themen besser abgeschlossen,
Ehs heißt, daß sie doch recht geschmacklos seien.

ANNA LUISE:
Im Wald ist friedlich, doch in Kaffeehäusern,
Wird debattiert, und Haß mit Neid verrieben,
Und man erfährt von Schiebern und von Schleusern,
Die mit Entsetzen böse Scherze trieben.
 

 

17
 
FORSTMEISTER:
Von Rußland, wo ich lieb die Trauerweiden,
Kommt vom Gezücht, das ärgste, das begierig,
Uns nächtens hier die Kehle durchzuschneiden,
Und, Fürstin, unsere Zeiten bleiben schwierig.

ANNA LUISE:
Es sind die Fremden nicht allein die Hetzer,
Auch die Gesellschaft hier ist ganz verdorben,
In Rudolstadt, da streiken heut die Setzer,
Fürs Nacktbad wird vom Redakteur geworben.

FORSTMEISTER:
Ich weilte jüngst im fürstlichen Theater
Mit meiner Frau, zum Glück da ohne Kinder,
Ich bin bloß froh, dies nicht erlebt mein Vater,
Das Minimum Geschmacks fand hier den Schinder.
Ich bin im Heutgen ziemlich unerfahren,
Als Knabe liebt ich Schiller überschwenglich,
So war ich mir darüber nicht im Klaren,
Der Titel »Erdgeist« schien mir unverfänglich.
Ein Förster denkt bei Erdgeist eher Fausten,
Nicht Femme fatale und nicht an Männerfresser,
Daß Rotlichtszenen in den Mauern hausten,
Wär unbekannt geblieben mir wohl besser.

ANNA LUISE:
Der Autor dieses liederlichen Stückes
War sicher jung, ohn Presse und Tantiemen,
Ihm schiens gewiß, mit dem Skandale glück es,
Zum Aufschaun Rezensenten zu bequemen.
 

 

18
 
Seht, Schillers »Räuber« einst auf Mannheims Bühne,
Warn auch recht holzschnitthaft den guten Sitten,
Drum hoff ich, ihr besteht da nicht auf Sühne,
Und laßt mich für die jungen Künstler bitten.

FORSTMEISTER:
Nein, Fürstin, eure Milde ist am Platze
Hier nicht, der Autor geht schon auf die fünfzig,
Der Vorbestrafte sagt, daß ihn nicht kratze
Empörung und er steigert sie auch künftig.
Er spielte selbst die schmutzigste der Rollen,
Satyrisch populär als Bänkelsänger,
Er schöpft beim Unrat immer aus dem Vollen
Und nennt sich selber einen Rattenfänger.
Doch ärgerlicher noch als dies Betragen,
Ists Presselob, man preist ihn als den echten
Dramatiker und jauchzt, er würd es wagen,
Zum Fortschritt von Moral und Frauenrechten.

ANNA LUISE:
So sorgt man sich um Wohlfahrt und Entfaltung
Und nährt dabei das Hyderhaupt des Spottes,
Weil man verdrängt bei mimischer Gestaltung
Das Fehln der Demut und der Achtung Gottes.
Ich denk oft, daß die klassische Gesittung
Schon rüttelt, doch vor Konsequenzen zaudert,
Der Selbstverrat des Geistes ist die Quittung,
Wenn ihm vorm Himmelsvater nicht mehr schaudert.
 

 

19
 
Vierte Szene
Anna Luise, Thekla, Forstmeister. Sonne tritt auf.

SONNE:
Durchlaucht, ihr wart so rasch dem Blick entschwunden,
Unschicklich schiens mir, allzurasch den Fürsten
Zu lassen, und hab ich euch jetzt gefunden,
Muß ich das Dornicht mir vom Rocke bürsten.

ANNA LUISE:
Wir sprechen grad von neuren Bühnenwerken,
Die den Geschmack und Glauben uns verhöhnen.

FORSTMEISTER:
Um Wedekind gings, bleibt mir anzumerken,
Und seine Neigung zu den Schrecklich-Schönen.

SONNE: Herr Wedekind ist mir bekannt als Jünger
Des Bruders, denn für einen Pessimisten
Sind Übermensch und Peitsche bester Dünger
Für Bühnenränke und Beziehungskisten.

FORSTMEISTER:
Sagt, saht ihr je das Weib, das dieser Dichter
Auf deutschen Bühnen buhlen läßt und morden,
Und beugt sich uns im Unterleibs-Gelichter
Die blonde Bestie aus dem rauhen Norden?

SONNE: Den Übermensch theaterwirksam schreiben,
Ist ganz gewiß kein leichtes Unterfangen,
Das Urgesetz aus der Natur zu treiben,
Gelingt, wie Goethe sagt, dir nicht mir Zangen.
 

 

20
 
ANNA LUISE:
Sag Sonne, deines Bruders Werk in Ehren,
Ists recht, wenn jeder Egoismus predigt
Und bei Kritik nur meint, die Tugendlehren
Hätt Nietzsche schon mit rotem Stift erledigt?

SONNE: O Fürstin, als mein Bruder noch verächtlich,
Wars leichter, die Gedanken rein zu halten,
Nun sorg ich mich nicht selten mitternächtlich,
Daß rohe Kräfte mit den Worten walten.
Ich glaube, daß mein Bruder dem Humanen,
Das er mit herbem Spotte angegriffen,
Nur übelnahm, daß seiner Weisheit Samen
Gar üble Winde hart entgegenpfiffen.
Die meisten, die auf Nietzsche sich beziehen,
Wolln Scharfes und verstehen nicht sein Büßen,
Als stiller Geist hat er nicht rumgeschrieen,
Er sprach, der Wandel käm auf Taubenfüßen.

ANNA LUISE:
Es geht um Inhalt, nicht allein um Formen.
Sag, ist der Übermensch ein Hunnenreiter?
Kann nichts bestehn an Adel, Sinn und Normen?
Ist er zum Letztgefecht der Geistesstreiter?

SONNE: Die Seele Christi im Cäsarenmute,
So nannt mein Bruder großen Mittags Wende,
Er zieh die Guten und verlangt das Gute,
Ich ring bei manchem Worte wohl die Hände,
Wir können nicht verstehn, was ihm geleuchtet,
Aus Zeiten, davor Schutt und Blut sich türmen,
Die Wahrheit ihr aus seinem Worte scheuchtet,
Versucht ihr blind den Torweg zu erstürmen.
 

 

21
 
Es liegt in diesem Werk ein harter Spiegel,
Darin sich jeder bar der Schminke prüfe,
Und auf der Weisheit liegen strenge Siegel,
Der einzig bricht, wer ihm ganz ähnlich schüfe.
Ja überhaupt die Schöpfung im Ermatten
Uns aufzuwecken, schrieb mein toter Bruder,
Dies ist kein Ruf zu töten seinen Gatten
Und was sonst tunlich dem verderbten Luder.

FORSTMEISTER:
Es muß der Weisheit zum Verderben werden,
Wenn ohne jedes Maß und sich-Bescheiden
Gar jedem frei, sein Fuhrgespann mit Pferden
Zu stärken und die Bücher auszuweiden.
Wenn die Kritik im Ringen um die Quellen
Dem Metzger frommt und auch dem flinken Schützen,
Dann stehn zuletzt Hanswurst und Spießgesellen
Und debattiern wie Spatzen an den Pfützen.
Und drüber wird die Welt zur Geisteswüste,
Weil Sinn und Unsinn, Ulk und fromme Weise,
Der Rausch, der Traum, das späteste, das frühste,
Zum Dickicht werden ohne Flur und Schneise.

SONNE: Der Glaube meiner hellen Kindertage
War stets mein Licht in diesem Labyrinthe,
Einst heißts, daß ich verfälscht den Bruder habe,
Doch nahte immer ihm die Wohlgesinnte.

ANNA LUISE:
Ich weiß wohl, daß euch Opfer nie geschrecket,
Wir stehn in einem Sumpf von harten Fragen,
Wenn ich auch oft die Weisheit nicht entdecket,
So möcht ich nicht an euerm Herzen klagen.
 

 

22
 
Fünfte Szene
Anna Luise, Thekla, Sonne, Forstmeister.
Günther und Bary treten auf.

GÜNTHER:
Hallo, der Forstmann widmet sich den Frauen,
Ist Waidmannsheil seit neustem Frauensache?

FORSTMEISTER:
Durchlaucht, ich hoff, ich ehre eur Vertrauen,
Wenn ich zum Walde eine Schulung mache.
Um näher an der Wahrheit dranzubleiben,
Der Wald war nur ein Einstieg zum Dispute,
Was heutzutag die Dichter alles schreiben,
Hier dazutun, war diesem Kreis zumute.
Zu Rudolstadt sah jüngst ich auf der Bühne
Den Wedekind zugang mit den Hetären,
Die Villa Silberblick gab dazu kühne
Gedanken, um den tiefren Sinn zu klären.
Dies führte dann zu unsrer Zeit Befinden,
Den Dichtern, Philosophen und dem Glauben,
Und daraus einen Blumenstrauß zu winden,
Ließ ich mir eine Arbeitsstunde rauben.
Doch bitt ich euch, nachdem ich dies gestanden,
Jetzt gehn zu dürfen nach der Schweinekuhle,
Ansonsten wird mir ganz der Kopf zuschanden,
Wenn ich mich selber im Moraste suhle.

ANNA LUISE:
Ich denk, ihr spracht hier lange voller Eifer
Und saht es nicht als Wühlen im Moraste,
Ihr singt das Lied grad wie der Regenpfeifer
Die Düne preist, die augenblicklich paßte.
 

 

23
 
FORSTMEISTER:
Es ist mein Laster, daß mich feine Damen
Bewegen, unverantwortlich zu schwatzen,
Und konnte so mein Arbeitssinn erlahmen,
Mög doch dem Herrn drob nicht der Kragen platzen.
Ich will jetzt mein gar launiges Geschwafel
Beenden und mich widmen meinen Pflichten,
Es ist nicht recht, daß ich hier säumig tafel
Und hab dem Herrn nur Nichtstun zu berichten.

GÜNTHER: So richtet mir den Anstand und die Fährten
Des Wildes prüft, ich will heut nächtens jagen,
Und grämt euch nicht des Weilens im Verkehrten,
Ich will kein böses Wort darüber sagen.
(Forstmeister ab, zu Anna Luise):
So sagt mir, Gattin, was war an dem Stücke
So fesselnd, daß der Tag schon geht zur Neige,
Wir wollen dann recht rasch zur Schwarzabrücke,
Denn Thekla sehnt sich schon nach ihrer Geige.

THEKLA:
Der Mann sprach recht, der Pilz ist alt und mürbe,
Die Zierde ist verschmiert und ganz vergammelt,
Mir ist zumut, als ob mein Liebster stürbe,
Ach hätt ich ihn doch niemals aufgesammelt!

ANNA LUISE:
Es ist der Pilz, den sie so tief betrauert,
Du weißt, sie hat ein Herz für kleine Dinge,
Ich hätte ihr, die mich gar herzlich dauert,
Gewünscht, daß ihre Freude nicht verginge.
 

 

24
 
GÜNTHER: So war der Pilz das Thema dieser Stunden?
Ich mein, dann gibts wohl nichts mehr zu beklagen.

ANNA LUISE:
Nein, aufgebrochen sind gar manche Wunden,
Und in der Kürze ist es nicht zu sagen.
Wie vorhin, als wir sprachen von den Wahlen,
So dachten wir der neusten Kunst Tendenzen,
Ich glaub, im Geist bezeugen sich die Qualen,
Die künftig unser Lebensglück begrenzen.
Wir dachten der Entartung aller Sitte,
Und daß die Weisheit kann den Strom nicht wehren,
Wir fühlen uns allein mit unserer Bitte,
Der Väter Haus bleib heil und bleib in Ehren.
Man spielt noch, doch man schärft dabei die Waffen,
Die angestammten Regeln auszumerzen,
Wir stemmen uns und werdens doch nicht schaffen,
Ich seh die Zukunft voller Leid und Schmerzen.

GÜNTHER: Wir tun, was uns zu tun ist aufgetragen,
Was drüber steht, ist unserm Aug verborgen,
Das Leben ist ein Dienst an unsern Tagen,
Und fern davon erkennen wir kein Morgen.

ANNA LUISE:
Sind wir zu milde, sind wir zu geduldig,
Und fehln wir nicht, wenn wir Verfall nicht wehren?
Macht sich der Gleichmut nicht der Blindheit schuldig,
Ist Liebreiz recht vor Feinds entschloßnen Heeren?

GÜNTHER: Nicht gute Werke, wie es die Papisten
Erzählen, können unsern Herrn bewegen,
 

 

25
 
Zu kürzen und zu dehnen seine Fristen,
Er wird sich nicht in die Geschichte legen.
Ganz unerforschlich ist des Heilands Gnade,
Der uns erfreut im Weine und im Brote,
Drum sei sich für Orakel stets zu schade
Der Christ und halte sich an die Gebote.
Die Philosophen schaun die Meereswelle,
Die Feldherrn nutzen sie zum Überfalle,
Doch nur der Glaube führt dich heim ins Helle,
Und wahrt uns vor des Menschenfeindes Kralle.
Was wir als Splitter schaun in einem Auge,
Verbirgt den Balken uns im eignen Lichte,
Drum frag nicht, was das Tun der andern tauge,
Und mach dabei das eigne Heil zunichte.
Wir wolln, was auch gescheh und was da komme
Im Abendmahl für diesen Sonntag danken,
Dem Herrn vertraun, daß uns ein weitrer fromme,
Was immer sich Geschichten darum ranken.
 

 

26
 


ZWEITER AUFZUG
Im Salon des Schlosses Schwarzburg in einer Sommernacht. Es scheinen allerlei Möbelstücke zu fehlen. An den Wänden helle Flecken von fehlenden Gemälden. In der Raummitte ein großes Aquarium mit Goldfischen. Die betagte Fürstin läuft wie nachtwandelnd herum und wird von großer Unruhe geplagt. Man hört einen Dreiklang.

Erste Szene
Anna Luise, Postbote.

ANNA LUISE:
Wer mag das sein? Der Johann schläft gewißlich,
Man hörte auch im Hof nicht Kraftfahrzeuge,
Die Zeit ist wirr und meine Lage mißlich,
Doch wehe, wenn ich mich dem Pöbel beuge!
Ich komme schon, dem Schicksal untertänig!
Vielleicht ist eine Seele arg im Kummer,
Ich bin ja nicht im Nachtkleid und migränig
Und find ja ohnehin heut keinen Schlummer.
(Sie öffnet.)

POSTBOTE:
Durchlaucht, verzeiht, ein Telegramm mit »dringend«,
Es ist mir peinlich, wenn ich euch grad weckte,
Ich sah das Kabel und aufs Rad mich schwingend,
Geringstverzug mein wildes Eiln bezweckte.

ANNA LUISE:
Zwar Juni ists und lau sind unsere Haine,
 

 

27
 
Doch tratet ihr gar flink in die Pedalen,
Ich mach euch Tee, daß ihr im Ampelscheine,
Mir sagt, was hier zu tun ist und zu zahlen.

POSTBOTE:
Das Telegramm ist frank, den Umschlag reichen
Möcht ich euch nur, gewiß gewichtig Kunde,
Dank eurer Huld, doch ich muß rasch entweichen,
Der Dienst verlangt von mir noch manche Stunde.

ANNE LUISE:
Es wird doch wohl nicht schrecklich sein, im Kriege
Muß man gefaßt sein auf den Tod der Lieben,
Ich hörte schon von Belgien und vom Siege,
Es wär mir lieb, wenn ihr bei mir geblieben.
Auch sind die Augen schwach, dem Telegramme
Wärs gut, ihr könntet mir den Inhalt lesen,
Ihr seht, die Wand zeigt hier so manche Schramme,
Die werden wie ich selbst nicht mehr genesen.

POSTBOTE: Ich darf den Inhalt selber nicht erkennen,
Doch wenn ihr mich so bittet, werd ichs machen,
Ich folge euch dahin, wo Lampen brennen,
Ich weiß, im Alter hat man nichts zu lachen.

ANNA LUISE:
Ich brüh den Tee, den dürft ihr nicht verweigern,
An Personal ist kaum mehr was im Schlosse,
Dann sollt die Ungeduld ihr nicht mehr steigern,
Ob wer erlag dem feindlichen Geschosse.
(Geht ab, kommt mit Tasse und Teekanne zurück. Der Postbote tritt ins Licht und öffnet den Umschlag.)
 

 

28
 
POSTBOTE:
Es kommt nicht von der Front, es kommt vom Amte
Am Hauptbahnhof zu Nürnberg und geschrieben
Hats wer, der ganz aus eurer Nähe stammte,
Sonst wärs bei Vornam drunter nicht geblieben.
»Komm morgens an in Schwarzburg. Edda«, lese
Ich hier, dies ist gewiß kein böses Zeichen,
Da macht wohl jemand gar nicht viel Gewese,
Euch unverhofft und plötzlich zu erreichen.

ANNA LUISE:
Die Edda, die ein Schweizer Uhrnhersteller
Geehelicht, was sucht sie wohl im Reiche?
Sie half mir manches Mal mit einem Heller,
Schon lang ists her, daß ich dabei erbleiche.

POSTBOTE (trinkt den Tee):
Dies ist doch gut, das Recht ist bei dem Starken,
Die Zeiten sind nicht billig, unsere Führung
Druckt schon aus Geldnot laufend Sammlermarken,
Euch drückt sie auch, ich sags nicht ohne Rührung.

ANNE LUISE:
Ich will die Prüfung, die dem Herrn ich schuldig,
Ertragen fest, gelassen und gar heiter,
Er trug die Dornkron unterm Spott geduldig,
Und er hilft immer dem Beladnen weiter.

POSTBOTE (stellt die Tasse ab):
Ich will nun rasch mein Rad erneut besteigen,
Und ihr erlaßt mir eine weitre Tasse,
Ich denk, es schickt sich besser beim Verneigen,
Wenn das gewohnte »Heil« ich unterlasse. (Ab.)
 

 

29
 
Zweite Szene
Anna Luise. Der Diener Johann tritt auf.

JOHANN:
Durchlaucht, ich hörte Gehn und Türenschlagen,
Ihr hattet noch Besuch zu später Stunde,
Ich wußte nichts und hoff, ihr werdt nicht klagen,
Ich schlief so fest und fand zu spät die Kunde.

ANNA LUISE:
Es war die Post, ein Telegramm aus Franken,
Die Zürcher Freundin hierher auf dem Wege,
Ich hab ihr manchen Beistand zu verdanken,
Es lohnt nicht, daß ich noch ins Bett mich lege.

JOHANN: Besuch, gar Ausland, will uns überraschen,
Da hilft es nichts, hier lang herumzujammern,
Ich eile, einen Besen zu erhaschen,
Daß Ordnung werd im Flur und auf den Kammern.

ANNA LUISE:
Nein, bleib ein Weilchen hier, wir werden frühe
Aufbrechen an die Schwarza und die Saale,
So bleibt dir Zeit genug für alle Mühe,
Bis wir dann müde kehrn zum Abendmahle.
Ich bin so melancholisch, kaum zu sagen,
Als wäre Herbst, die Wälder rot und mürbe,
Ich spüre ein Gespenst in meinen Tagen,
Als ob ich schon in nächster Zukunft stürbe.
Als Günther starb im Jahre fünfundzwanzig,
Da sah ich auch ein brennend Schiff versinken,
Da roch mir selbst der Talg der Lampen ranzig,
 

 

30
 
Und sommers schien das Ofenrohr zu stinken.
Ich mied als Kind und bis zum letzten Kriege
Die Advokaten und Gerichtsprozesse,
Dann als die Inflation wie eine Fliege
Mich arm gemacht, verging mir die Noblesse:
Der Günther hat es doch nicht mehr erfahren,
Daß ich das Recht erstritt nicht mehr zu betteln,
Doch fürcht ich mit den angehäuften Jahren
Man springt noch schlimmer um mit alten Vetteln.
Als Hitler kam, die Sozis zu vertreiben,
Da meinten wir, er füge es ins Rechte,
Doch weiß ich meist ins Tagebuch zu schreiben,
Daß triumphiert auch heute nur das Schlechte.

JOHANN:
Verscheucht die Schatten, die euch schwarz umkreisen,
Denn Schwarzburg steht am Hügel ungebrochen,
Hier sangen euch in schönster Zeit die Meisen
Und hier verlebtet ihr die Flitterwochen.

ANNA LUISE: Das Leben läßt uns immerfort verlieren,
Mein Gatte, der ein zart Geschöpf, gab alles,
Er war an jedem Tage am Regieren
Und Demut war sein Wort zum Schreck des Falles.
Der Undank und die frech geschürte Häme
Nichtswissender, die auch nichts wissen wollen -
Er blieb so still, als ob er sich nicht gräme,
Und niemals hörte ich ihn bitter grollen.
Ich sammelte für eine Gruftkapelle,
Es reichte nur für einen Spruch im Steine,
Er schlief mir wie ein Mönch in seiner Zelle,
Und nur der Wald war immer ganz der seine.
 

 

31
 
Dann war mir Beistand mehr als irgend früher
Die Freundin, die zu Weimar ihrem Bruder
Schuf das Archiv, das als ein Grabstatt-Blüher
Sollt Mahnung sein den Herren, die am Ruder.
O weh, sie hats geahnt, doch sie verdrängte
Die grause Wahrheit, daß der scheue Denker
Der erste wär, den man Morgen henkte,
Und daß das Volk noch jubelte dem Henker.
Sie starb, nicht jung, jedoch für diese Lücke
Gibts keine Frau mit so viel Mut und Treue,
Allein die Mißgunst wächst, die Femetücke,
Und wenig gibts, darauf ich mich noch freue.

JOHANN:
Es kommt Besuch, dies wird gewiß recht heiter,
Ihr werdet wandern auf beblumten Wiesen,
Und zeigt sich eurem Blick ein junger Reiter,
Verscheucht er die Erfahrungen, die miesen.

ANNA LUISE:
Wer weiß, was der Besuch hat zu bedeuten,
Ganz unverhofft, kein Brief und keine Karte,
Ich höre immer Grabesglocken läuten,
Weil ich ansonsten nichts vom Tag erwarte.

JOHANN: Dies ist nun fast schon Sünde, dies Verzagen,
Ich kenn euch nicht, ihr wart doch immer munter,
Der Achterbahn gleicht unser Lebenswagen,
Es geht bald auf, gings etwas länger runter.
Und der Besuch, nur ja aus Schweizerlanden,
Dort ist kein Krieg, dort soll die Wirtschaft brummen,
Wohl denen, die sich achtzehn dort befanden,
 

 

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Stets wer gewinnt, wenn andre sind die Dummen.
Doch jetzt im Krieg privat ins Reich zu reisen,
Wo doch die Zöllner suchen nach Spionen,
Dies scheint mit, mit Verlaub, ein heißes Eisen:
Wozu soll dieses Risiko sich lohnen?
Man ist wohl überzeugt, wir siegen weiter,
Dann wirds auch eng für die gewohnten Pfründe,
Für mich steht einfach fest: für Calvins Streiter
Gibts tags und nachts nur finanzielle Gründe.

ANNA LUISE:
Der Morgen graut, du mußt die Pferde füttern,
Es blieben mir noch zwei aus alten Jahren,
Sonst lärmen sie wie Säuglinge den Müttern,
So sagt man doch - ich habs zwar nicht erfahren...
(Sie weint. Johann mit Verbeugung ab.)


Dritte Szene
Anna Luise. Edda tritt auf.

EDDA: Ich schnei hier rein, ach Liebes, laß dich küssen!
Was ist? Du weinst? Was ficht dich an, Luise?
Wie lange hab ich dich vermissen müssen?
Nun Tränen - hast du keinen Gruß als diese?

ANNA LUISE: Ich weine meines totgebornen Jungen,
Ich meinte, daß ich dies verwunden hätte,
Daß mir der Tod den Erben abgerungen,
War erster Schlag in einer langen Kette.

EDDA:
Nun sprich mir nicht von Teufeln und von Rettern,
 

 

33
 
Ihr wart seit zweiundneunzig ohne Hoffen,
Die Linie von den Sondershäuser Vettern
War schon im Jahre neun vom Schlag getroffen.
Da brauchts nicht Dolchstoß, Sozis und Lakaien,
Die Luft ging aus dem gänzlich Überlebten,
Es scheint mir gottlos, da herumzuschreien,
Daß Fürsten nur nach Volkes Wohlfahrt strebten.
Die Art, wie da gefeilscht um Haus und Hufe,
Mag häßlich sein, doch solltest du verstehen,
Du nutztest Jugend nicht zu dem Berufe,
Drum mußt du stets nach einer Rente sehen.
Auch war dein Mann recht alt und seine Künste
In Diensten, die schon anderswo gestrichen,
Du bautest ganz auf Nebel und auf Dünste,
Die hoffnungslos der Morgensonne wichen.
Bei Licht besehn, ist Adel die Marotte
Vergangnen Glanz zu halten vors Reale.
Wo steht, daß dies verbürgt vom Christengotte,
Als hier im musealen Rittersaale?
Schon lange schlägt den Zeittakt die Maschine,
Erfinder, Technik, Risiko und Handel,
Dies alles schafft dir nichts als böse Miene,
Denn du verabscheust den Gesellschaftswandel.
Es hilft dir nichts, dies immer zu verschweigen,
Ein Glaube, der Vernunft und Sinn zuwider,
Ist nichts als Pathos oder Schwanenreigen,
Der Christ dagegen müht sich fromm und bieder.

ANNA LUISE:
Mit harter Logik meinst du beizukommen
Dem Schicksal, das nicht dankte mein Entsagen,
Wie ich dies seh, das ist wohl zu verschwommen,
Du würdest es am Morgen nicht ertragen.
 

 

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EDDA: Es tut mir leid, ich weiß nicht was mich reizte
So selbstgerecht die Luft dir abzuschneiden,
Auch ists nicht recht, daß ich mit allem geizte,
Was Eintracht schuf und Freundschaftsglück uns beiden.
Ich hab mir in der Rudolstädter Gosse,
Ein Fuhrwerk, schwer zu finden heut, gemietet,
Um nicht zu nahn mit stählerner Karosse,
Weil dies, ich weiß, dir keine Freude bietet.
Doch wenn ich solches tu, dir zu gefallen,
So frag ich mich, ob albern und verlogen,
Ein Komödiant sieht immer Recht bei allen,
Am Ende doch sind alle nur betrogen.

ANNA LUISE:
Dies war sehr nett, als Günther auf der Erde
Noch war, wollt er mir oft ein Auto schenken,
Ich aber liebte viel zu sehr die Pferde,
Als irgendwann an solch ein Ding zu denken.

EDDA: Ich weiß, du bist so träumerisch, so trunken,
Willst wie die Schwarza meist im Schatten fließen,
Ich will nun nicht mehr von der Zukunft unken,
Denn schließlich wolln wir diesen Tag genießen.

ANNA LUISE:
Was führt dich überhaupt in diese Lande?
Mein Diener meinte, dies sei recht beschwerlich.
Er meinte auch, doch dies nur ganz am Rande,
Die Schweizer wären meist auf was begehrlich.

EDDA: Mein Gatte mußte nach Berlin, Geschäfte,
Er hofft, da manchen Auftrag abzukriegen,
 

 

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Ich dacht, ich tank im Walde neue Kräfte,
Und bin mal aus dem Schnellzug ausgestiegen.

ANNE LUISE:
Das macht mich heiß - was gibts da zu verdienen?
Braucht Hitler jetzt am Alex größre Uhren?
Ist ihm im Traum der Weckergeist erschienen,
Und bringt die ganze Branche so auf Touren?

EDDA: Luise, mein, du im Dornröschenschlosse,
Die Schweizer Uhr ist längst ein andres Wesen,
Zeitzünder heißts im flügelnden Geschosse,
Begehrt in Greenwich wie in den Vogesen.
Der Krieg braucht Technik, die wir produzieren,
Wir liefern strikt neutral an alle Kunden,
Im heutgen Kriege kann man nur verlieren,
Beherrscht man nicht die Taktung der Sekunden.

ANNA LUISE:
Krieg ist doch längst, wieso erst jetzt Berliner?
Da müßten die Geschäfte doch längst laufen?

EDDA: Die Schweizer sind nicht billigste der Diener,
Zu teuer wars Berlin, bei uns zu kaufen.
Doch jetzt, da Belgien fiel der Offensive,
Hats Reich den Goldschatz dieses Lands gewonnen,
Mein Mann sprach da, ein Tor, wer dies verschliefe,
Vielleicht ist man den Preisen mehr gesonnen.
(Das Telefon klingelt, Anna Luise mit einer entschuldigenden Geste in den Nebenraum, sie kehrt bald zurück.)
 

 

36
 
ANNA LUISE:
Der Reichstatthalter Sauckel braucht Quartiere,
Geeignet für den Königshof von Flandern,
Ich sagte zu, daß ich mich da nicht ziere,
Ich denk, wir können jetzt ins Grüne wandern.
Der Johann ist am Richten für die Gäste,
Das weitre wird sich finden und ergeben,
Vielleicht ist diese Wendung gar das beste,
Denn öde ists, so ganz allein zu leben.

EDDA: So laß uns in das Tal der Schwarza schauen,
Zwar ist das Gold des Flusses längst gefunden,
Doch unverlierbar bergen diese Auen
Genervten Städtern goldig helle Stunden.


Vierte Szene
Anna Luise, Edda, Rektor Astel in SS-Uniform.

ASTEL (tritt auf):
Heil Hitler, meine Damen, liebe Mieter,
Ich steh im Dienst beim Leiter dieses Gaues,
Der Endsieg naht, nur sorgt sich mein Gebieter,
Ums Frommen und Erhalten dieses Baues.
Sie wissen, daß die Schwarzburg völkisch wichtig
Als Mahnmal für die Frühzeit unsrer Rasse,
Darum ist jed Bemühen null und nichtig,
Daß Judengeist die Kostbarkeit verprasse.
Was die Systemzeit mauschelte und strickte,
Ist überwunden und wird aufgehoben.
Dankt Gott, daß er dem Volk den Führer schickte
Und hört nicht auf, sein weises Mühn zu loben.
 

 

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ANNA LUISE:
Was soll mir dieser Redeschwall bedeuten?
Auch stelln sich erstmal vor die meisten Seelen,
Wir sind es hier gewohnt von allen Leuten,
Daß man vorm Eintritt läßt sich erst empfehlen.

ASTEL:
Frau Schwarzburg, nehm ich an, es ist Ihr Makel,
Wenn Sie nicht wissen, wer Ihn gibt die Ehre!
Dies schon bezeugt das ganze Schloß-Debakel,
Das ich jetzt in sein Gegenteil verkehre.
Sie meinen, mich die Höflichkeit zu lehren,
Und wissen nicht, daß es im Reich geboten,
Den Führer im Willkommensgruß zu ehren,
Jedoch das Pack hebt nichtmal seine Pfoten.

ANNA LUISE:
Nun gut, wir machens kurz, ich bin am Gehen,
Was euch zu sagen, sagt nur meinem Diener,
Ich denk, ihr werdets schaffen, zu verstehen,
Daß ich euch nicht noch eure Stiefel wiener.

ASTEL:
Am Gehn? Das trifft sich gut, Sie sollten packen,
Ich stell Ihn zur Verfügung einen Wagen,
Wenn hier die Ordonnanzen schlagn die Hacken,
Dann solln sie nicht den Judenmief ertragen.

ANNA LUISE:
Mein Stammbaum streckt sich weit ins Mittelalter,
Wer meint, er könnt mir auf der Nase tanzen,
Den übergeb ich meinem Rechtsverwalter,
Der klagt erfolgreich durch die Reichsinstanzen.
 

 

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EDDA: Luise, ich empfehl mich, unbegreiflich
Erscheinen mir die provokanten Worte,
Ich rat dir, prüfe deine Rede reiflich,
Ich suche mir ein Restaurant im Orte. (Ab.)

ASTEL:
Nun ja, Frau Schwarzburg, immerhin gibts Leute,
Die deutsch verstehn und nicht riskiern den Kragen,
Ich dacht, nach Sondershausen ging es heute,
Und nicht zum Ettersberg, wo Buchen ragen.
Sie haben dieses Bauwerk zu verlassen,
Natürlich steht Ihn auch der Rechtsweg offen,
Doch weiß der Spatz, bei Ihren leeren Kassen
Ist da nicht Allerkleinstes zu erhoffen.

ANNA LUISE:
Ich werde meinen Rechtsanwalt jetzt bitten,
Und vorher werd ich nichts zur Sache sagen,
Ich denke, höhern Orts wird dann gestritten,
Wer jüdisch sei und wer da braucht den Wagen.

ASTEL: Nun gut, verprozessiern S die letzten Bilder
In diesem Raum und Silber und Bestecke,
Doch wundern S nicht, wenn allerorten Schilder
Baustelle sagen und gesperrte Strecke.
Ich hätts Ihn gern erspart hier zuzuschauen,
Die Burg wird jetzt ein Gasthaus der Regierung,
Da ist so manchs in neuem Stil zu bauen,
Und aktualisiert wird die Verzierung.
(Ab.)
 

 

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Fünfte Szene
Anna Luise. SA-Rottenführer Pfeiffer tritt auf.

PFEIFFER: Mir ist befohln, die Räume auszumessen,
Dazu ists not, die Bilder abzuhängen,
Am besten wärs, Sie gingen fort indessen,
Als sich hier mit dem Abschied anzustrengen.

ANNA LUISE (tritt an das Aquarium):
Macht euch nicht Sorge, ich werd stille warten,
Noch stiller als am Fenstersturz die Fliege,
Auch bin ich an den Ton, denn männlich harten,
Gewohnt, denn schließlich leben wir im Kriege.

PFEIFFER:
Das Männlich-Harte ist ja nur Getöne
Der Gräfin, daß ihr Ehmann schwul gewesen,
Das weiß in Rudolstadt doch jede Schöne
Und in der Presse hat mans auch gelesen.

ANNA LUISE:
Ihr seid ein Scheusal, dumm und aufgeblasen,
Sonst könntet ihr nicht solch Verleumdung wagen,
Und läg mein Günther nicht schon unterm Rasen,
Er hätte euch die Zähne ausgeschlagen.
Doch freilich lebte er in andern Zeiten,
Da führt man solche Narren zum Psychiater,
Heut dürfen sie in Uniformen schreiten
Und meinen, diese Welt sei ihr Theater.

PFEIFER: Nur noch ein Wort, die Uniform betreffend,
Dann werd ich Sie bei der Gestapo loben,
 

 

40
 
Dann dürfen Sie, die Majestäten äffend
Im Steinbruch hinterm Stacheldrahte toben.

ANNA LUISE (wendet sich den Fischen zu):
Rotgoldner sag, was hat sich so geplättet,
Daß du stets nah am gänzlich Unsichtbaren,
Wenn ihr, Gespielen, was zu sagen hättet,
So blieb kein Gras und auch kein Wurm im Klaren.

PFEIFFER: Jetzt wird die alte Jungfer gänzlich irre,
Sie merkt es nicht, wenn ich den Hausrat raube.
Wohl brauchen könnt ich manches vom Geschirre
Und auch die Möbel für die Vorstadtlaube.
(Man hört großen Lärm von einstürzenden Mauern.)

ANNA LUISE:
Was geht hier vor? Was ist das für ein Krachen?
O großer Gott, erhalte meine Nerven!

PFEIFFER: Ja Gräfin, da ist leider nichts zu machen,
Es nützt nichts, wenn Sie sich dazwischenwerfen,
Ihr Martertod würd allenfalls uns lösen
Die Mühe, Sie noch etwas durchzubringen,
Doch freilich könn Sie auch noch etwas dösen
Und von den guten alten Zeiten singen.

ANNA LUISE (läuft zum Fenster):
Was soll das sein? Was ist mit diesem Turme?
Er wankt. Man will die grauen Mauern schleifen.
Kein Flugzeug, doch ich steh im Bombensturme,
Wer soll den Wahn, die Teufelei begreifen?
 

 

41
 
PFEIFFER: Hörn S auf mit dem hysterischen Geträne,
Sie wollten bleiben doch und prozessieren!
Was soll es, wo gehobelt wird, falln Späne,
Sie wußten, daß die Bude wir sanieren.
Die Kirche braucht in unsern Zeiten keiner,
Wir schaffen selber uns die helle Sonne,
Und fällt da von den Pfaffentürmen einer,
So ists für echte Deutsche reinste Wonne.

ANNE LUISE: Die Reiter, ja, wie Dürer sie erkannte,
Sie reiten und zerschlagen Stadt und Mauer,
Sie lassen hinter sich nur das Verbrannte
Und hassen alles, was da schien von Dauer.
Jetzt ist es Zeit, jetzt muß der Heiland kehren,
In seinem Hause marodiern Banditen,
Wir warn zu schwach, die üble Brut zu wehren,
Und im Gebälk ist alles voll Termiten.

PFEIFFER:
Ja schrein S und fluchen S, Christ ist ohne Mittel,
Die morgenfrohe Jugend aufzuhalten,
Denn Schluß ist es jetzt mit Buß und Beterkittel,
Die Weihrauchfässer werden ganz erkalten.
Es bleibt ein Schutt, den fährt man auf die Halde
Samt Weibsgetratsch vom alten Judengotte,
Und leuchtend zeigt der Führer sich im Walde,
Und führt zur Schlacht die kruppstahlharte Rotte.
(stürmt begeistert hinaus und kehrt mit einer Bibel zurück und wirft sie Anna Luise hin.)
Das schenk ich Ihn als guten Briefbeschwerer,
Ansonsten könn Sies im Klosett verwenden,
Das Buch ist inhaltslos und wird nicht leerer,
Berühren sich die Pappen beider Enden.
 

 

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ANNA LUISE: Fürwahr, die Hölle öffnete die Pforten,
Der letzte Rest zerfiel vom Menschenwesen,
So mag es Feuer regnen in den Orten,
Der Drache kehrn mit einem Eisenbesen.
Nun nebelt uns das Übermaß der Sünde,
Bis wir erstickend nicht mehr schrein und jammern,
Nun öffnen sich der Erde Magmaschlünde,
Und es gibt keinen Fels mehr sich zu klammern.
Nun fällt das Reich, erbaut in tausend Jahren,
Mit Schweiß und Blut und mit des Heilands Segen.

PFEIFFER:
Ist jetzt mal Schluß mit Gott und Engelscharen?
Der Schock der Nerven wird sich alsbald legen.
Sie sollten mal was Kräftigendes nehmen,
Ein Wort mit Stolz und Nahrung für Millionen,
Sie sollten sich zur Wirklichkeit bequemen,
Und nicht in Wolkenkuckucksheimen thronen.
(Er schaltet einen Volksempfänger mit einer Rede Hitlers ein. Anna Luise nimmt diesen wortlos und wirft ihn in das Aquarium. Dann hebt sie die Bibel auf und umklammert sie.)

ANNA LUISE: Ihr Goldenen, ihr Flieger im Gefäße,
Verzeiht, daß ich mit Unrat euch besudle,
Es war mir das dem Augenblick Gemäße,
Damit der Teufel hier nicht weiter dudle.
Euch wirds vergiften, aber euer Sterben,
Ist besser als das Leben in der Schande,
Ich bin seit vielen Jahren ohne Erben,
Doch glaub ich, dies ist jeder hier im Lande.
(Zwei Wärter zerren Anna Luise von der Bühne. Bis sie dem Blick entschwindet, hält sie fest die Bibel umklammert.)
 

 

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DRITTER AUFZUG
Ein Zimmer im Westflügel des Schlosses Sondershausen. Viel zu viele Möbel, dazu Kartons und Kisten wie bei einem Umzug, man erkennt, daß sich jemand räumlich stark einschränken mußte. Auf einer Seite des Raumes liegt Baumaterial. Anna Luise auf einem abgewetzten Sofa, drüber ein Bild des Fürsten mit Trauerrand. In der Raummitte ein Flügel, Musikdirektor Artz spielt »Befiehl du deine Wege«. Die Fürstin summt leise.

Erste Szene
Anna Luise, Artz.

ANNA LUISE: Vor der Enteignung hatte ich Konzerte
Dort im Salon, wo heute die Kantine
Der Volkshochschule, ach, welch eine Härte,
Man riß hinweg Tapete und Gardine.
Mit neuen Wänden, Aufzug, vielen Rohren
Versucht man die Vergangenheit zu merzen,
Doch wer vor einundsiebzig ist geboren,
Der wird auch diese neuste Schmach verschmerzen.
(Sie sinnt ein wenig. Pause.)

ARTZ: Die Zeitung ist auch heute unerfreulich
Man spricht von Reaktion und Elementen,
Selbst auf der Straße pöbelte wer neulich,
Und sprach, für euch gibts hoffentlich nie Renten.

ANNA LUISE: Wir hatten Kontrabaß und Cellospieler,
Pansflöte, Geige und sogar Posaunen,
Grad wie im Dom, wo im Gesange vieler
 

 

44
 
Die Engel über Menschenwerke staunen.
Mir blieb der Flügel und von Freunden echte,
Und ist die Stimme auch nicht mehr die reine,
So bin ich letztes Glied in dem Geschlechte
Noch immer, Heiland, froh und ganz der deine.

ARTZ: Wir müssen uns nach diesen Zeiten richten,
Mir ist es hart bei dem Berufsverbote,
In Deutschland ist die Hoffnung nicht zu sichten,
Doch immerhin, es fehlt mir nicht am Brote.

ANNA LUISE:
Daß man euch als Direktor rausgeschmissen
Vom Lohorchesters kommt mir gar zunutze,
Denn ihr verkauft für einen guten Bissen,
Was hier noch blieb im Prunke und im Putze.

ARTZ: Die Zeitung meint, wir wären so Halunken,
Die voller Dünkel wider das Gewissen
Der kleinen Leute Blut und Schweiß getrunken,
Wir seien schuld an Krieg und Finsternissen.

ANNA LUISE: Die Leier ist nicht neu, jedem Regime,
Ob Weimar, Nazis oder Kommunisten,
Die auszudenken traute sich kein Mime,
Der Adel stand ganz vorn auf Schurkenlisten.
Die Herrn an Rhein und Ruhr sind letzten Endes
Der Grund fürs böse Blühn der Ideologen,
Das Himmelslicht am Ende des Geblendes
Spricht Rückkehr in den Brauch, der einst gepflogen.
Der erste Schlag ins Fundament der Stände,
War das Geschwätz, die Freiheit wäre allen,
 

 

45
 
Dies zielte auf der wahren Freiheit Ende,
Und machte alle Menschen zu Vasallen.

ARTZ: Die Freiheit ist den allermeisten Leuten
Nur Mühsal, Risiko und Unbehagen,
Die Freiheit kann nie ein Geschenk bedeuten,
Sie ist die Zucht, um die wir alles wagen.
Im Geiste, in der Wirtschaft und im Wehren
Kann frei nur sein, wer Opfer zu vermeiden,
Zu stolz ist und ein Höheres zu ehren,
In Kauf nimmt, Not und Nachteil zu erleiden.

ANNE LUISE:
Der Freie hat den Grund sich zu ernähren,
Hat Glauben, die Verführung zu verachten,
Er hat den Mut, Tyrannen zu erklären,
Daß sie sich selber bloß die Grube schachten.
Wenn sich ein Staat auf freie Menschen gründet,
So ist er sehr verschieden dem der Sklaven,
Wo alles Wollen in Verblendung mündet,
Weils dann den Hüthund ängstigt vor den Schafen.

ARTZ: Der Freiheit Dreiklang sagt sich in den Ständen,
Der Mut, der Glaube und die Tüchtigkeiten,
Nur sie gemeinsam können Unheil wenden
Und die Gemeinen in die Wohlfahrt leiten.


Zweite Szene
Anna Luise, Artz. Jenny tritt auf.

JENNY: Hallo, ich möcht noch mal die Fürstin schauen,
 

 

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Mein Visum ist nun endlich eingetroffen,
Ich danke sehr für Güte und Vertrauen
Und will auf solches in der Heimat hoffen.
Seit Deutschland ist ein Schuttplatz von Ruinen,
Zieht es mich mächtig nach den Wikingfjorden,
Verzweifelt sind, die stolz und tüchtig schienen,
Nun will ich zu den Freieren im Norden.

ANNA LUISE:
Wir wär es lieber, wärt ihr noch zusammen,
Zwar Malve ist ein Schatz, ich mag sie leiden,
Doch in der Welt, draus meine Werte stammen,
Wars Gott ein Greul, wenn Eheleut sich scheiden.

JENNY: Wo so viel bricht, ists vielleicht nachzusehen,
Daß auch ein Bund, wie unsrer, sich entflechtet,
Es macht mir Schmerz, wenns euch nicht zu verstehen
Gelingt und ihr mit dieser Trennung rechtet.

ANNA LUISE:
Nun gut, ich weiß, daß heute nicht nur Maler,
Theaterleut und Spieler, Spekulanten,
Die Ringe schmelzen ein zum goldnen Taler
Und teilen, was da kam von den Verwandten.
Es ist nicht jedem hehr, dem Hergebrachten
Zu opfern die Verheißung neuen Glückes,
Da mahn ich, nicht die Treuen zu verachten,
Und wünsche mir den Autor eines Stückes,
Das zeigt, daß jene, die da widerstehen,
Nicht Toren sind, die falschem Dünkel frönen.
Wir wollen, wenn wir diesen Kreuzweg gehen,
Daß wir am Ende alle uns versöhnen.
 

 

47
 
ARTZ: Ja, Jenny, dankbar denk ich an die Jahre,
Bedacht ist alles und auch ausgesprochen,
Nach Haus zu Lachs und Kabeljau nun fahre,
Dein Reiz ist jung und scheint mir ungebrochen.


Dritte Szene
Anna Luise, Artz, Jenny. Major Block tritt auf.

BLOCK: Ich wünsche einen schönen Tag den Damen,
Und auch dem Herrn, dort sitzend am Klaviere,
Es schaff Ihn Glück auch im bescheidnen Rahmen,
Daß die Musik den Alltagsgram verziere.
Ein Kamerad wird morgen heimbefohlen
Aus diesem schönen Land mit gutem Essen,
Drum möchten wir ihm etwas Freude holen,
Eh wir ihn rasch im harten Dienst vergessen.
Euch, schöne Frau, bitt ich zu diesem Zwecke,
Ich weiß, Sie haben manches trotz der Nöte,
Um einen Satz von silbernem Bestecke
Und hoff, Sie würgt nicht allzusehr die Kröte.

ANNA LUISE:
Ich bins gewöhnt, daß man hier nicht lang bittet,
Man requiriert, ich bin ja ohne Rechte,
Ich danke euch, daß ihr so wohlgesittet,
Und glaub, die Absicht ist auch keine schlechte.
(Sie holt aus einer Ecke einen Besteckkasten.)

BLOCK: Mein Volk hat sehr in diesem Krieg gelitten,
Doch haß ich nicht die Deutschen und die Fürsten,
Denn der Gewinn, darum die Völker stritten,
War nichts von dem, wonach die beiden dürsten.
 

 

48
 
Schon damals als in Serbien Attentäter
Europa stießen in ein Meer von Leiden,
Amerika hat drob gefreut sich später,
Und Fluch wars unsern Völkern, allen beiden.

ANNA LUISE:
Ein mutig Wort, der Herr mögs euch entgelten,
Was tatet ihr, eh ihr zum Kriegsdienst mußtet,
Ich hoff, ihr dürft bald heim aus diesen Zelten,
Wo der Soldat im Graben friert und hustet.

BLOCK: Ich war ein Mime am Bolschoi-Theater
Und Tell von Schiller war mir liebste Rolle,
Beim Zaren inszenierte dort mein Vater,
Lang deckt ihn schon die schwarze Heimatscholle.

ANNA LUISE (kramt einen unscheinbaren Stein hervor):
Nehmt diesen Stein, den vom Busento brachte
Ein Vorfahr auf Alarichs Sagenspuren,
Kein Gold, das für entbehrlich ich erachte,
Ein Ding, gereicht durch Kriege und Kulturen,
Den steckt dem Vater in den Mutterboden,
Das sich ein Kreis füg, still und ohn Posaunen,
Denn unser Herr sucht nicht nach Glanz und Moden
Und seine Diener ruhen nicht auf Daunen.

BLOCK: Woher wißt ihr, daß ich der Kirche treulich?
Wie könnt ihr solch Mysterium mir vermachen?
In Rußland jagt man Popen wüst und greulich
Und auch die Frommen haben nichts zu lachen.

ANNA LUISE: Ich sah in euren Augen und in Worten
Das Leuchten unsers Herrn, das wohlverständlich
 

 

49
 
Dem Christen Eigentum an allen Orten,
Unsichtbar dem, der tückisch tut und schändlich.

BLOCK: Dies ist das höchste Glück in diesem Zuge,
Ihr, Fürstin, seid fürwahr von Gottes Gnaden,
Ich sag euch, einst entsagt die Welt dem Truge,
Und küßt euch Hände und zuletzt die Waden.

ANNA LUISE:
Ich werd nicht mehr Veränderung erleben,
Doch Glaubenden ist Zeit nur Episode,
Es gibt nichts, was dem Herren nicht gegeben,
Und wieder Wald wird einstens jede Rode.

BLOCK:
Ich dank, doch leider kann ich hier nicht bleiben,
Ich müßte längst zurück in die Kaserne,
Von eurer Größe wird der Himmel schreiben,
Und jeder spürt ihn einst im Licht der Sterne.
(Ab.)

ARTZ: Ich muß auch gehn, du, Jenny, bleibst du länger?

JENNY: Ich hab noch manche Wege zu besorgen.

ANNA LUISE:
Nun geht schon, ich bin nicht der Fliegenfänger,
Ich will jetzt ruhn, dann Artz, machs gut bis morgen.
(Artz und Jenny ab.)
 

 

50
 
Vierte Szene
Anna Luise, dann der Schriftsteller Koplowitz.

ANNA LUISE:
Aufregung viel, ich muß mich etwas legen,
Der Arzt hat dies verordnet meinem Rücken,
Das Alter ist gewiß nicht nur ein Segen,
Zum Glück brauch ich zum Gehen keine Krücken.
(Es klopft.)
Herein! Als ringsumher die Bomben fielen,
Orangerie und Lustgarten zerstörten,
Hatt ich nicht so viel Gäste auf den Dielen,
Auch gab es nicht so viel des Unerhörten.

KOPLOWITZ:
Durchlaucht, ich hoff, ich komm nicht ungelegen,
Ich schriftsteller in Wäldern und Alleen,
Die Thüringer Regierung sucht nach Wegen,
Daß nicht so viele nach dem Westen gehen,
So läßt man mich die Heimatliebe stärken,
Da lockt Natur mich und ein großer Name,
Es reichte wohl zur Zierde meinen Werken,
Dürft interviewn ich die berühmte Dame.

ANNA LUISE:
Ich wüßte nichts, was öffentlich Intresse
Erwecken könnt an meinem heutgen Leben,
Auch bin ich nicht erfahren mit der Presse
Und ungeeignet, die Moral zu heben.

KOPLOWITZ:
Als sich der Ami zog zurück nach Bayern,
 

 

51
 
Fast jeder mitging aus dem Adelsstande,
So durfte meine Neugier es befeuern,
Daß ihr geduldig bliebt in diesem Lande.

ANNA LUISE:
Warum hätt ich die Russen fürchten sollen
Und eine neue Thüringer Verwaltung?
Die früheren, gewißlich nicht so tollen,
Sie übten mich in ungebrochner Haltung.

KOPLOWITZ:
Ich dachte, euch gefiels, mit anzusehen,
Wie wir die Nazis jagen und vernichten,
Ich weiß, daß euch manch Unrecht ist geschehen
In des Jahrzwölfts unrühmlichen Geschichten.

ANNA LUISE:
Verfolgung, Schmähung, Züchtigung und Rache
Sind Dinge, die ich nie und nirgends schätze,
Es scheint mir eine sehr gemeine Sache,
Daß man sich an Gefallenen ergetze.
Der Mann, der mich vom Stammsitz hat vertrieben,
An Jenas Universität der erste,
Nur Munition und der Revolver blieben,
Damit das Hirn aus seinem Schädel berste.
Dies ist doch schrecklich, war er auch gewöhnlich,
Und gönnte mir nicht einmal Gruß und Titel,
Doch ist das Christkind niemals unversöhnlich
Und weiß zu jeder Besserung das Mittel.

KOPLOWITZ:
Eur Christentum ist passiv pessimistisch,
 

 

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Ihr solltests mal mit Aufbauwilln verbinden,
Denn die Gesellschaft wurde doch faschistisch,
Weil Gottes Will euch, daß da Leute schinden.

ANNA LUISE:
Ich glaube, Gott bezeugt sich auch im Schlechten,
Weil er uns Prüfer, daß wir uns ermannen,
Der Tor versucht, mit Gottes Huld zu rechten,
Wenn ihm die Träume ungelebt zerrannen.
Doch frag ich euch, als hier im Land die Guten
Gehenkt, weil sie mit gradem Rücken dachten,
Wo wart ihr da? Was war euch das Verbluten,
Und was der Schrecken, den die Bomber brachten?

KOPLOWITZ:
Ich war in England, weil zu zweiter Klasse
Sie Deutsche, die von jüdschen Eltern, machten,
Im Krieg ward Mord der Hitlerwahn der Rasse,
Gewiß auch mir sie Tod zu bringen dachten.

ANNA LUISE:
Es tut mir leid, wenn ihr die Heimat lassen
Gemußt und hoff, der Britt war gut dem Gaste,
Doch müßtet ihr die Russenzone hassen,
Wenn euchs bei Churchill und der Queen wohl paßte.

KOPLOWITZ:
Was reden wir von mir? Ich such zu wissen,
Wie hier zum Sozialismus steht der Adel.
Die Sowjets haben euch den Grund entrissen -
Gibts was zu sagen außer Klag und Tadel?
Gibts jemand aus der abgehobnen Kaste,
 

 

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Dem dämmert, daß da Kapital und Junker,
Die Volks Empörung allzuspät erst schaßte,
Gemäht die Jugend für den Perlenklunker?
Gibts eine, die da reuig wagt zu sprechen:
Ich nehme Abschied von verderbter Würde,
Der Sozialismus schützt uns vor Verbrechen,
Ihm angemessen scheint mir jede Bürde.

ANNA LUISE
Ich wünsche euch viel Glück beim Weitersuchen,
Ich bin für dies Bekenntnis nicht zu brauchen,
Veilleicht könnt ihrs als Teilerfolg verbuchen,
Daß euchs gelang, mich arg zusammnzustauchen.
(Sie wendet sich ab. Koplowitz geht.)


Fünfte Szene
Anna Luise, später Artz und Malve.

ANNA LUISE:
Mir reichts, ich lösch das Licht und werde schlafen,
Kein lautes Klopfen kann mich dann noch wecken,
Nicht daß sich weitre brüsten, wen sie trafen
Und Fragen stelln zu selbstgerechten Zwecken.
(Sie löscht das Licht. Eine Weile ist Stille, dann wird es langsam hell. Von der Straße erstönt die Melodie der DDR-Hymne.)

ANNA LUISE (noch etwas schläfrig):
Da singen sie vom neuen Auferstehen
Und wolln die Auferstehung niemals glauben,
Sie können die Metaphern nur verdrehen,
Doch Fremdes bleibts, was sie zusammenklauben.
 

 

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Der Sozialismus - Ismen, immer wieder,
Was kommt, wenn alle Feinde totgeschlagen?
Stieg wirklich je der große Wohlstand nieder,
Man würde rings die Langeweil beklagen.
Der Neid scheint mir als Laster höchst verderblich,
Er raubt dem Klügsten die Vernunft und Sinne,
Jedoch der Teufel ist wie Gott unsterblich,
Obgleich so viele beider nicht mehr inne.

MALVE (mit Artz auftretend):
Gut Morgen, Durchlaucht, habt ihr gut geschlafen,
Ich bringe gleich den Tee mit Lindenblüten,
Die Straße will die Träume Lügen strafen,
Da ists das beste, hier das Bett zu hüten.

ANNA LUISE:
Ich denk bei deinem Namen stets des Krautes,
Das mich erfreut so oft mit lila Blüten,
Am Wegrand ists ein unverhofft geschautes,
Das sich behauptet noch im Abgebrühten.
Ja, wo der Boden schadhaft und beschnitten,
Und kaum ein Blüher wagt ihn zu beblumen,
Hat sich die Malve oft das Licht erstritten
Und zeugt uns für die Heiligkeit der Krumen.

ARTZ: Sehr lieb habt ihr mein Augenlicht beschrieben,
Sie weiß sogar zu blühn in meiner Pranke.
Ich werde sie auf allen Wegen lieben
Und nie vergessen, was ich ihr verdanke.

ANNA LUISE:
Die Liebe kann ein Unrecht niemals heißen,
 

 

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Kommt sie von Herzen und besteht bei Tage,
Verzeiht, ich hätt bei Jenny mir verbeißen
Wohl solln, was ich gewiß nicht nochmal sage.
Mein Günther war verschlossen und oft düster,
Er konnt mich nicht mit Leidenschaft verwöhnen,
Mir hätt er damals, wär er sinnenwüster,
Auch nicht getaugt, er bleibt mir in der schönen
Erinnerung als Mann von Sorg und Mühe,
Der rücksichtsvoll und teilnahmsreich war immer,
Er war schon tot, als uns die braune Brühe
Reinschwappte in die sonnenhellen Zimmer.
Er muß auch nicht erleben und erleiden,
Daß von den Roten nun die Radikalen
Sich an dem Niedergang des Adels weiden
Und schaurige Geschichten von uns malen.

MALVE (den Tee bringend):
Ihr seid für mich wie eine kranke Mutter,
Ach dürftet ihrs dem Lande wieder werden,
Hier wird, was schon kaputt ist, noch kaputter,
Ein neuer Krieg scheint denkbar schon auf Erden.
Der neuen Waffe, die in Japan zeugte
Für Teufelein, die Frühere nicht kannten,
Sucht mancher, den das Schicksal noch nicht beugte,
Zu schaffen noch verrücktere Verwandten.
Man sucht die Kraft der Sonne zu kopieren,
Um stärkere Zerstörung zu erreichen,
Die Erde soll ihr grünes Kleid verlieren,
Und wüstenhaft dem toten Monde gleichen.

ARTZ: Dem Schrecken, den uns Wirklichkeit verpaßte,
Ist auch der Geist gefällig und beflissen,
 

 

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Ihr hattet gestern später wen zu Gaste -
Wollt ihr von seinen Impressionen wissen?
(Er wedelt mit dem »Thüringer Wort«)

ANNA LUISE:
Ein Emigrant mit schlechter Kinderstube,
Er sagte mir, wir wären schuld an Hitler,
Er wünschte alle Junker in die Grube,
Verschont allein die Scribler und die Kritler.

ARTZ: Er überschreibts mit »Durchlaucht hat Migräne«.

ANNA LUISE: Dies ist ein Unsinn und gemeine Lüge.

ARTZ: Er meint des Dünkels standgemäße Träne
Sich trefflich zu der schlechten Haltung füge.

ANNA LUISE: Ich lag da halb nach ärztlichem Rezepte,
Um meinen Rücken, der erkrankt, zu schonen,
Als ich mich, als ihr gingt, zum Sofa schleppte.

ARTZ: Er schreibt von fürstlich-luxuriöser Stätte,
Auch daß euch huldigt Arzt und Apotheker,
Ob Pfarrer, Stadtrat oder Ladenkette,
Sie sammeln für ein Standbild von Herrn Breker.
Man spielt Sonaten hier und tanzt Quadrillen,
Und am Büffet wär Göring satt geworden,
Man brüstet sich mit ausgefallnen Grillen,
Und gerne auch mit Kaiser-Wilhelms-Orden.
Man faselt von der Renaissance der Stände,
Und tut, als ob das ganze Land gefügig,
Und klatscht die Fürsten zweimal in die Hände,
Entleert sich auch der große Saal ganz zügig.
 

 

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ANNA LUISE:
Man sieht, daß es an Phantasie nicht mangelt,
Auch las er reihenweise Schundromane,
Wer so gekonnt nach der Parteigunst hangelt,
Paßt wunderbar zum Geist der roten Fahne.
Wir wollen nun das Schmierenstück beenden,
Denn einen Helden gibts hier nicht zu feiern,
Schon vor dem Tod umwuchern mich Legenden
Und Moritaten darf der Bettler leiern.
Doch stehn im Land von Goethe, Bach und Luther
Noch Leut, die sich zu gut für das Gemunkel,
Die wissen auch, das ich die Schmerzensmutter,
Die bald der Gatte ruft ins Grabesdunkel.
 

 

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EPILOG
Der Pfarrer und der Kriminalkommissar treffen sich, aus verschiedenen Richtungen kommend, vor dem Vorhang.

KOPP: Herr Pfarrer, was verlangt zu früher Stunde,
Mein Kommen, eh ich den Kaffee getrunken,
Was gibts zu schaun in dieser Modergrube?
Ich glaub, mir hat es selten so gestunken!

PFARRER:
Mein Herr, Sie würdens unbesehn nicht glauben,
Zu sprechen ist von beispielloser Schändung,
Wer unterstand sich bloß, so schnöd zu rauben,
Und zeigte Niedertracht uns in Vollendung?
Ein tellergroßes Loch durch beide Särge,
Den hölzernen und den aus Zink gelötet,
Die Räuber warn schon über alle Berge,
Eh erster Morgen auf der Stadt gerötet.
Sehn Sie, die Hände der Verstorbnen suchend,
Schlug man hinein mit rohesten Gewalten,
Den Frieden unsrer großen Kirche fluchend,
Versuchte man ein Kleinod zu erhalten.

KOPP: Daß man hier arg gestört die Totenruhe
In einer Gruft, wo Menge nicht noch Presse,
Ist, mit Verlaub, nichts da ich selber tue,
Obs Raub sei oder eine schwarze Messe.
Um solch Vergehn behördlich anzuzeigen,
Ist jede Polizeidienststelle offen,
Dies ist kein Grund für mich, hiereinzusteigen,
Sind Sie auch, wie verständlich ist, betroffen.
 

 

59
 
Ihr Anruf klang wie eine Kahlkopf-Rotte,
Die plündert, und so hat mich herbefohlen,
Die Sorg, daß dies der Öffentlichkeit spotte,
Vielleicht gar mit verbotenen Symbolen.

PFARRER: Es ist die Ruh der einstgen Landesmutter,
Die so, als ob sie Christi folge, lebte,
Und nicht grad als ein Klatschgazetten-Futter,
Durch Modeschauen und Skandale schwebte,
In ihr war Adel noch ein strenges Mahnen,
Daß Überkommnes dien zu Müh und Pflichten,
Die Ungebornen ehrend wie die Ahnen,
Weiß sie der Zeit von Würde zu berichten.
Doch scheint Ihn diese Frau geringe Sache,
So schaun Sie, wie der Sarg des Totgebornen,
Das Kind, daß fiel, eh ihm die Taufe lache,
Geschändet ward von Freveltat-Verschwornen.
Der Sarg ward aufgeschlitzt in ganzer Länge,
Man hielt was drin im Finstern für Geschmeide,
Und wird, zieht sich Verfolgung in die Länge,
Vernichten, was da niemands Augenweide.

KOPP: Sie habn vom Polizeidienst wenig Kunde,
Daß ein Skelett vor Müllplatz sei bewahret,
Ist wünschbar, doch in eben dieser Stunde,
Gefahr sich rings für unsre Bürger scharet,
Da wird ein Friedhof Hakenkreuz-bepinselt,
Ein Grabstein fiel von jüdischen Verstorbnen,
Was meinens, wie mein Vorgesetzter winselt,
Wenn Presse schreibt vom Osten, vom verdorbnen?
Im Spielsalon ward ausgeraubt die Kasse,
Der Tankwart lebt verschanzt im Panzerglase,
Und auf dem Markplatz pöbelt wer von Rasse,
Nun kommen Sie mit Ihrer Chinavase.
 

 

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PFARRER:
So wollen Sie nichts tun, die Sach zu richten?
Was soll ich tun, um Künftges zu vermeiden?

KOPP: Der Staatsanwalt wird diesen Fall gewichten,
Wenn Sie die Aussag ordentlich beeiden,
Das weitre liegt dann ganz bei den Gerichten,
Die für den Frieden und das Land entscheiden.
Die Ungeduld ist dort nicht sehr am Platze,
Für mich ist wenig dran an dem Delikte,
Die Beute glich nicht grade einem Schatze,
Auch warn die Täter ziemlich Ungeschickte.

PFARRER:
Grad wie der Speer des Logius unserm Herren,
Schon abgeschieden, noch die Hülle sehrte!
So will ich mich nicht diesem Zeichen sperren,
Das mich die Heiligkeit der Toten lehrte.
Verzeihen Sie, daß ich Sie hergeladen,
Ihr Kaffee kalt, doch wohlfeil ist ein neuer,
Denn netzte uns das Blut schon fast die Waden,
So fürchtet doch kein Mensch das Höllenfeuer.